Zwischen Tabubruch und Konzessionen

Zwischen Tabubrüchen und Konzessionen: Sacha Baron Cohen als Brüno

"Prinz Peinlich" Sacha Baron Cohen als Brüno

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Sacha Baron Cohen ist ein Kontroversen-Dealer. Er handelt mit kleinen und gröberen Eklats, teilt ungerührt Taktlosigkeiten aus wie andere die Pokerkarten, erregt gern öffentliches Ärgernis: Cohen ist ein Ruhestörer im Dienst der Unterhaltungsindustrie. Die Welt liebt ihn dafür, spätestens seit er als antisemitischer Titelheld in der Kasachstan-Farce „Borat“ 2006 durch alle Schallmauern der Political Correctness brach. Wenig später verkündete die Kunstfigur Borat lakonisch ihren Rücktritt – und Cohen rief den schwulen Österreicher Brüno, einen Superstar in spe, als seinen nächsten Kinoprotagonisten aus.

Bei der MTV-Awards-Gala vor wenigen Wochen drückte er als Brüno dem (darob empört reagierenden) Rapper Eminem im Zuge eines technischen „Unfalls“ den nackten Allerwertesten ins Gesicht. Auch wenn der Eklat mit dem Musiker abgesprochen war – Cohens Sinn für massenwirksame Peinlichkeitsspektakel ist untrüglich, er weiß, wie er seinen Namen in den Schlagzeilen hält: Er ist der letzte echte Showman des aktuellen Kulturbetriebs. Seither wächst der Hype um Brüno, bestens geschmiert von den Promotion-Spezialisten um Cohen, die zur – nunmehr anstehenden – Veröffentlichung des Films hin in immer kürzeren Folgen gezielt Vorabinformation in den Geschmacksrichtungen „Provokation“ und „Jahrhundertspaߓ verbreiten. „Brüno“: ein homophobes Spektakel mit immensem Gag-Reservoir?

Als alles schon in trockenen Tüchern schien, fuhr das Schicksal Hollywoods Marketingstrategen dann doch noch in die Parade: Wenige Tage vor dem globalen Kinostart seines jüngsten Films musste Sacha Baron Cohen, der sonst keine Unverschämtheit scheut, seine Arbeit aus Anstandsgründen (und wohl auch: Profitangst) um eine Szene kürzen – um ein kurzes Interview mit LaToya Jackson nämlich, in dem Brüno auf der Jagd nach einer Starbesetzung für seine Show der Schwester des King of Pop dessen Handynummer abzujagen versucht, weil sie selbst bloß der Kategorie C-Promi zuzuordnen ist. Der vergleichsweise zahme Scherz schien, nach Michael Jacksons überraschendem Tod, zu hart für Cohen und seine Studiopartner.

Die Geschichte ist symptomatisch. Cohen hat nämlich ein Problem, das er nach Kräften zu verschleiern sucht: Die scheinbare Kompromisslosigkeit seiner Comedy, die sich gern an die Grenze zu Pornografie und Rassismus vortastet, ist hart erkämpft und immer schon das Ergebnis deutlicher Konzessionen an den Kulturbetrieb. Die erste Schnittfassung von „Brüno“ wurde von Hollywoods Zensurbehörden mit Jugendverbot belegt, und erst nach einer Reihe von Anpassungen an die Tabugrenzen der mächtigen Motion Picture Association of America konnte Cohen eine Freigabe in Nordamerika ab 13 Jahren erwirken. Das Flair der Radikalität, das er sich gerne gibt, ist eine Show wie alles andere auch.

Seine Qualitäten als Performer entwertet er damit keineswegs. Sacha Noam Baron Cohen, 37, hat sich bauernschlau und ohne Angst vor Peinlichkeit vom Fernsehen ins Kino vorgearbeitet. Die im Jahr 2000 kreierte TV-Serie „Da Ali G Show“ brachte den Stand-up-Komödianten vom britischen Fernsehen zum US-Sender HBO, wo die Reihe bis 2004 weiterproduziert wurde. Der logische nächste Schritt führte ins Kino: „Ali G Indahouse“ war bereits 2002 ein Erfolg in Maßen, aber „Borat“ entwickelte sich vier Jahre später überraschend zum Welterfolg. Unmittelbar danach setzte sich das Hollywoodstudio Universal im Rahmen eines Bieterkriegs gegen potente Konkurrenten wie DreamWorks, Sony Pictures, Warner Bros. und die Centfox durch und sicherte sich für 42,5 Millionen Dollar die Verwertungsrechte an der Filmfigur Brüno.

Sacha Baron Cohen ist der Komödiant der Stunde, der Mann, auf den sich derzeit offenbar alle einigen können. Inzwischen wird Cohen schon mit seinen Idolen Peter Sellers und der legendären britischen Absurdistentruppe Monty Python verglichen. Das mag zu viel der Ehre sein, aber sie ist auch erklärbar: Der gebürtige Londoner weiß, wie er mit Medien zu spielen hat. Er setzt seinen Kritikern Prototypen des eigenen Berufsstands vor und vertraut auf deren unbewussten Selbstekel. Cohens komische Figuren sind allesamt inkompetente Journalisten, dummdreiste Reporter und vulgäre Showmoderatoren: der Goldketten-Gangsta-Rapper Ali G ebenso wie der kasachische Reporter Borat und der Glamour-Depp Brüno. An Mut fehlt es Cohen nicht: Strafanzeigen wegen übler Nachrede – insbesondere im Gefolge seiner Osteuropa-Slumming-Tour „Borat“ hagelte es Klagen – plant Cohen als Kollateralschäden seiner Comedy ein. Interviews gibt er praktisch nur noch in den Charaktermasken seiner Schöpfungen: Damit verlängert er das Entertainment seiner Filme stilgetreu in die Zeitschriften und TV-Programme, die darüber diensteifrig berichten – und entzieht sich als Künstler konsequent dem öffentlichen Zugriff. Das ist die Ironie der Karriere Cohens: Der britische Medienterrorist, der sich keinen bösen Streich gegen Personen des öffentlichen Lebens entgehen lässt, hat sein eigenes Privatleben gegen die Medien fast vollständig immunisiert.

Wien ist Paris. Anders als erwartet, spielt Österreich in „Brüno“ (Kinostart: 10. Juli), inszeniert von dem New Yorker TV-Autor und „Borat“-Regisseur Larry Charles, keine große Rolle, bietet buchstäblich nur den Hintergrund: Sogar jene kurze Szene, die Brüno in den Straßen Wiens zeigen soll, scheint in Paris gedreht worden zu sein. Brüno, 19 Jahre alt, epilierter Modelkörper, geboren in Klagenfurt, zieht in die Showmetropole Los Angeles, um zu „Austria’s biggest superstar since Hitler“ aufzusteigen. Seine Mittel dazu sind indes leicht unzureichend: Als Statist in einer Fernsehserie zieht er zunächst mit unzumutbarem Overacting alle Blicke auf sich, als Moderator eines pilotierten TV-Starmagazins mit dem reißerischen, allerdings ungedeckten Titel „A-List Celebrity Max Out!“ schwingt er später den Penis in Supergroßaufnahme und schlägt potenzielle Geschäftspartner in die Flucht.

Cohens Witz hängt seit je eng mit seinem Judentum zusammen. Die komische Überhöhung ist sein Stil: Berichterstatter Borat verleiht, wo es geht, gut gelaunt seinem Antisemitismus Ausdruck, während das Modeopfer Brüno eben auch Hitler zu seinen Vorbildern zählt. Cohen exponiert Ressentiments, deckt Homophobie, Fremden- und Judenhass auf. Das System hat allerdings seine Grenzen. Denn Cohens Hauptmethode besteht darin, seine scheinbar ahnungslosen Gesprächspartner mit einer Mischung aus Stupidität und Frechheit zu düpieren. Das Problem: Er hat kein Interesse an der Differenzierung von „Wirklichkeit“ und Inszenierung. Ohne Sekundärliteratur bleibt unentschlüsselbar, welche seiner Episoden nun tatsächlich dokumentarisch sind und welche bloß fingiert. Man wird daher die dunkle Ahnung nicht los, dass der Gutteil dessen, was in „Brüno“ zu sehen ist, arrangiert ist. Soll man wirklich glauben, dass ein Ex-Mossad-Agent sich mit Brüno an einen Tisch setzt, um diesen dort allen Ernstes über die Tatsache zu belehren, dass Hamas und Hummus nicht dasselbe sind?

Die vermutlich größte Stärke des Komödianten Sacha Baron Cohen findet sich in der Raffinesse seiner verbalen Darbietungen. Cohen ist ein Virtuose der sprachlichen Deformation – und dabei so vielschichtig und detailverliebt wie kein anderer Funny Man seiner Generation: ob man nun das britisch-jamaikanische Pidgin-English des Ali G untersucht, das osteuropäische Idiom Borats oder Brünos burlesk austrifiziertes Englisch. Die rhetorische Kreativität Cohens ist unerschöpflich. Die Aussicht, einem jähen Burn-out zum Opfer zu fallen, liegt bei ihm dennoch, wie bei allen Hypes, gefährlich nahe. Cohens dreiköpfige Comedy-Hydra – Ali G, Borat und Brüno – ist also aus dem Sack. Zehn Jahre nach seinem Karrierestart hat Sacha Baron Cohen den Punkt erreicht, an dem er sich zu wiederholen beginnen müsste – oder mit neuen, noch unbekannten Figuren überraschen. Das Geschäft mit der Kontroverse ist eben ein prekärer Industriezweig: Man kann darin sehr schnell sehr alt aussehen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.