Abholzung, Schmuggel, Greenwashing: Das schmutzige Geschäft mit dem Wald
Von den holzreichen Tropen Asiens und Südamerikas über die entlegenen Forstgebiete im Westen Kanadas bis hin zu den riesigen Urwäldern Rumäniens – das, was gemeinhin als die grüne Lunge unseres Planeten verstanden wird, ist drauf und dran, Schauplatz eines riesengroßen Trugschlusses zu werden. Kaum ein Rohstoff hat ein so gutes Image wie Holz. Es gilt als natürlich, umweltfreundlich und „nachwachsend“ – ein geradezu unschlagbares Argument. Fast so, als wäre jeder einzelne Baum ein mir nichts, dir nichts in die Höhe schießendes Perpetuum mobile. Doch dort, wo der Mensch mit industrieller Härte eingreift, können über Jahrzehnte und Jahrhunderte wirkende Kreisläufe der Natur rascher in sich zusammenbrechen, als sich das Wort „Motorsäge“ buchstabieren lässt.
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist von 1990 bis 2020 weltweit eine Fläche von geschätzten 420 Millionen Hektar Wald der Abholzung zum Opfer gefallen. Das entspricht der Größe der Europäischen Union. Ein Teil des Verlusts konnte – global betrachtet – durch Aufforstung oder natürliches Wachstum wieder wettgemacht werden. Dies freilich nur flächenmäßig. Junge Nachpflanzungen sind ökologisch nicht automatisch mit besonders wertvollem Altbestand – etwa in Regenwäldern – gleichzusetzen.
Internationale Recherche
Unterm Strich hat die Erde in den vergangenen drei Jahrzehnten 178 Millionen Hektar Wald eingebüßt. Zum Vergleich: Österreich würde in diese Fläche mehr als zwanzig Mal hineinpassen. Dass der Verlust nicht noch drastischer ausgefallen ist, liegt daran, dass sich das Tempo der globalen Abholzung seit 2010 verlangsamt hat. Ein positiver Trend, der jedoch nicht in Stein gemeißelt sein muss. Auf der Suche nach Ersatz für fossile Brennstoffe – insbesondere für Erdgas aus Russland – steigt der Hunger nach Holz. Wenn zum Beispiel in europäischen Kraftwerken statt Kohlen Pellets verfeuert werden, die zuvor in den USA produziert und über den Atlantik transportiert worden sind, wirkt die Klimabilanz des natürlichen Rohstoffs Holz gleich viel weniger überzeugend.
profil hat sich im Rahmen eines neun Monate lang dauernden internationalen Rechercheprojekts mit problematischen Aspekten und Entwicklungen der Holzwirtschaft auseinandergesetzt. Das Projekt trägt den Titel „Deforestation Inc.“. „Deforestation“ bedeutet „Abholzung“ oder „Entwaldung“, „Inc.“ steht für „Incorporated“ – eine bestimmte Unternehmensform. Es geht also um die industrielle Ausbeutung der Ressource Holz. Die Kooperation wird vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mit Sitz in Washington geleitet. Neben dem ICIJ und den beiden österreichischen Vertretern profil und ORF nehmen 37 weitere Medienhäuser aus der ganzen Welt daran teil, darunter „Der Spiegel“, „paper trail media“, „Süddeutsche Zeitung“, NDR, WDR, „Le Monde“, „The Indian Express“, der „New Zealand Herald“, „L‘Espresso“, die kanadisch CBC, die finnische YLE, und der „Miami Herald“.
Das Geschäft mit den Siegeln
Ein zentrales Thema der Recherche: Greenwashing. Helfen ausgerechnet Nachhaltigkeitssiegel – selbst übrigens mittlerweile eine Milliardenindustrie – mit, Fehlentwicklungen zu kaschieren? Im Fokus steht das wohl wichtigste dieser Siegel, das sogenannte FSC-Zertifikat, wobei die Recherchen diesbezüglich systematische Schwächen offenbart haben.
Aus österreichischer Sicht spielen drei große Konzerne eine wesentliche Rolle in der obersten Liga des internationalen Holz-Geschäfts: Egger, HS Timber (vormals: Schweighofer) und Kronospan. Gegen Zulieferer von Egger in Rumänien wurden im vergangenen Herbst Ermittlungen eingeleitet – sie sollen gemäß Verdachtslage in Geschäfte mit illegal geschlägertem Holz verwickelt gewesen sein. Gegen Egger selbst wird nicht ermittelt, die rumänischen Behörden prüfen allerdings Dokumente zu den jeweiligen Geschäftsbeziehungen. HS Timber wiederum kämpft nach einem Ausschluss aus dem FSC-System im Jahr 2017 um die Rückkehr in das Zertifizierungssystem. Die ist bisher erst teilweise gelungen. Doch das Rechercheprojekt geht weit über das Thema Holzzertifizierung hinaus: Kronospan etwa fällt durch eine höchst verschachtelte Unternehmensstruktur mit gewissen Schwerpunkten in Steueroasen und Offshore-Destinationen auf.
Darüber hinaus wird profil im Rahmen von „Deforestation Inc.“ in den kommenden Tagen auch über den Schmuggel von besonders wertvollem Holz berichten – genauer gesagt: über dessen verbotenen Import in die EU. Auch dabei führen Spuren nach Österreich.