Kläger fordert 2,77 Milliarden US-Dollar
Vidino wird in den USA vorgeworfen, Teil einer Rufmordkampagne gewesen zu sein: Im Auftrag der Vereinigten Arabischen Emirate sollen über einen Schweizer Privatgeheimdienst namens „Alp Services“ Organisationen und Personen zu Unrecht mit der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht worden sein – mittels verdeckter Kampagnen in verschiedenen Ländern. Vidino wiederum sei von Alp angeheuert worden. Der Ölhändler Hazim Nada fühlt sich diffamiert und hat beim „District Court“ in Washington im Jänner 2024 Klage eingebracht – profil berichtete.
Dabei geht es nicht um Kleingeld. Nada fordert mindestens 2,77 Milliarden US-Dollar: Durch die ab 2017 laufende Kampagne, die unter anderem lancierte Medienartikel und Wikipedia-Einträge mit falschen Unterstellungen, aber auch gezieltes Anschwärzen gegenüber Banken beinhaltet habe, sei seine Rohstoffhandelsfirma Lord Energy in den Bankrott getrieben worden, behauptet Nada zusammengefasst. Zwar habe sein Vater historische Verbindungen zur Muslimbruderschaft gehabt, nicht jedoch er. Als Motiv für den vorgeworfenen Rufmord stellt Nada in den Raum, dass er begonnen habe, den VAE im Ölhandel auf bestimmten Märkten Konkurrenz zu machen.
USA drängten auf Teil-Einstellung
Neben den VAE, Alp Services und Vidino klagte der Ölhändler unter anderem auch den Präsidenten der Emirate, Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, sowie Adnoc, die Ölgesellschaft aus Abu Dhabi. Doch Letztere sind nun aus dem Schneider.
Wie Gerichtsakten zeigen, die profil vorliegen, intervenierte die US-Regierung bei der Justiz zugunsten des Staatschefs der Emirate. In einem Schreiben ans Justizministerium vom 12. Juli 2024 hielt das US-Außenministerium fest, dass es die Immunität des Scheichs als amtierendes Staatsoberhaupt anerkenne. Zuvor hatte sich offenbar die Botschaft der VAE an das Außenamt gewandt. Das US-„Department of State“ ließ das Justizministerium in der Folge wissen, dass es von besonderer Wichtigkeit für die Vereinigten Staaten sei, die umgehende Einstellung des Verfahrens gegen den VAE-Präsidenten zu erreichen – mit Blick auf die bedeutenden außenpolitischen Implikationen.
Scheich ist aus dem Schneider
Offenbar hat die Regierung keine direkte Weisungsbefugnis gegenüber dem Gericht. Das Justizministerium ließ in einer „Anregung“ vom 5. August 2024 aber dennoch keine Zweifel daran, wie der „District Court“ vorgehen solle, und schrieb: Es gebe keinen Fall, in dem ein Gericht eine Person einem Verfahren unterworfen habe, nachdem die Regierung festgestellt habe, dass sie als Staatsoberhaupt immun sei.
Der Hinweis dürfte Wirkung gezeigt haben. Noch am selben Tag forderte die Richterin die Kläger – Nada und seine Ölhandelsfirma – auf, darzulegen, warum die Klage gegen Mohamed bin Zayed Al Nahyan nicht abgewiesen werden sollte. Das war wohl nicht ganz unerwartet: Nur einen Tag später, am 6. August 2024, brachten die Kläger eine modifizierte Version ein, in welcher der Scheich nun nicht mehr als Beklagter aufscheint, sondern nur noch als „Nicht-Partei“ („non-party“).
Selbiges gilt für den Ölkonzern Adnoc, wobei diesbezüglich kein explizierter Grund angeführt ist. Allerdings wurde die Verbindung zu Adnoc in der ursprünglichen Klage nicht zuletzt damit argumentiert, dass der – nunmehr für immun erklärte – Staatschef Vorsitzender des Direktoriums der Ölfirma gewesen sei. Eine Verwicklung sonstiger Personen mit Adnoc-Bezug wird in der Klage nicht unterstellt. Der Ölkonzern hat gegenüber dem Gericht jegliche Involvierung bestritten.
Vidino bestreitet Vorwürfe
Doch während der Scheich aus dem Schneider ist, spitzt sich das Match zwischen Nada und Vidino weiter zu. Alp, Vidino und alle weiteren Beklagten haben in kürzlich erstatteten Schriftsätzen sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Vidinos Anwälte behaupten nunmehr, die Klage sei der Versuch, den Wissenschafter für seine jahrzehntelange Arbeit, die Aktivitäten der Muslimbruderschaft nachzuverfolgen, „zu bestrafen“. Vidinos Äußerungen über die Muslimbruderschaft in Europa und in den USA seien verfassungsrechtlich geschützte Aussagen eines akademischen Experten über eine bekannte öffentliche Organisation in einer Angelegenheit von signifikanter öffentlicher Wichtigkeit.
1000-Dollar-Dinner und „diskrete Aufträge“?
Aussagen über Nada oder Lord Energy würden ihm in der Klage gar nicht vorgeworfen, argumentieren Vidinos Anwälte. Der Vorwurf Nadas, Vidino habe von Alp 3000 Euro für seine Arbeit erhalten, sei daher „irrelevant“. Doch selbst wenn: Auch bezahlte Aussagen wären nicht vom Schutz der freien Meinungsäußerung ausgenommen. Der Vorwurf, Vidino sei bezahlt worden, erkläre sich – wie es in der Stellungnahme heißt – eher aus dessen normaler Geschäftspraxis, Forschung zur Muslimbruderschaft Regierungen und Privatunternehmen zur Verfügung zu stellen. In „irgendeine angebliche Verschwörung“ sei Vidino nicht eingeweiht gewesen.
Vidinos Stellungnahme stammt vom 16. Juli 2024. In der modifizierten Klage vom 6. August 2024 legte Nada daraufhin noch einmal ordentlich nach: Alp Services habe Vidino routinemäßig angewiesen, Informationen zu beschaffen, welche Alp dann in Zusammenhang mit den „viralen“ Kommunikationskampagnen verwenden konnte. Typischerweise habe Vidino zwischen 2000 und 4000 Euro für jeden „diskreten Auftrag“ („discrete assignment“) erhalten, den er erledigt habe.
Alp habe Vidino auch Informationen zugeleitet, damit falsche und irreführende Behauptungen durch ihn und sein akademisches Ansehen („academic credentials“) legitimiert würden.
Eine profil-Anfrage an Vidino blieb unbeantwortet. Die Klage stützt sich nicht zuletzt auf geleakte Daten von Alp Services – profil berichtete im Herbst 2023 über das Leck, das zur Enttarnung der VAE-Kampagne geführt hat. In den Daten findet sich auch ein Vertrag Vidinos mit Alp Services aus dem Jänner 2018. Demnach sollte Vidino nicht nur „interessante Hinweise“ („interesting leads“), sondern auch „Gerüchte“ („rumours“) liefern. Nicht nur dieser Umstand wirkt bemerkenswert für einen Wissenschafter. Laut US-Klage soll einige Tage vor der Vertragsunterzeichnung ein Abendessen zwischen Vidino und einem der Alp-Chefs in einem Luxushotel in Genf stattgefunden haben. Kostenpunkt: 1000 US-Dollar.
Beklagte bestreiten Zuständigkeit des US-Gerichts
Eine entscheidende Vorfrage in Bezug auf die Klage wird sein, ob ein US-Gericht rechtlich überhaupt dafür zuständig ist – die Beklagten bestreiten das. In der modifizierten Version hebt Nada nun unter anderem die potenziellen US-Bezüge stärker hervor.
Sollte das Gericht das Verfahren weiterführen, werden irgendwann aber genauso die inhaltlichen Vorwürfe zu klären sein. Dann wird sich zeigen, ob die VAE ausschließlich das legitime Ziel hatten, islamistische Extremisten zu bekämpfen – und dabei möglicherweise vom rechtsstaatlichen Weg abgekommen sind. Oder ob man den Deckmantel der Terrorbekämpfung auch nutzte, um andere Interessen durchzusetzen.