Auf der Blutspur der Balkan-Mafia
Von Daniela Breščaković und Anna Thalhammer
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„Ganz Wien ist auf Kokain“, sang Falco im Jahr 1981. Das hat sich nicht geändert. Gekokst wird quer durch alle sozialen Schichten. Rückstände auf Ablagen finden sich in Toiletten der Wiener Klubs ebenso wie in den teuersten Schuppen der Stadt. Abwasseranalysen zeigen, wie beliebt die Droge ist: Sie dokumentieren ein Plus von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kokain feiert in Wien wie im Rest Europas ein Alltime-High. Die große Party hat aber auch ihren Preis: Dafür wird geraubt, gefoltert und gemordet.
Millionen an sichergestellten, verschlüsselten Chats zeigen detailliert, wie gut vernetzt die Drogenmafia in Europa ist – und wie brutal ihre Methoden sind. Im Zuge der „Operation Achilles“ wurden Tonnen an Drogen sichergestellt, es gibt mittlerweile mehr als 10.000 Beschuldigte. Wien ist Drehscheibe, es gab Hunderte Verhaftungen und etliche Verurteilungen – weitgehend abseits der Öffentlichkeit. profil liegen die Ermittlungsakten vor, für deren Lektüre man einen wirklich guten Magen braucht.
„Was machen Sie da? Sie haben keine Beweise“, schreit der 29-jährige Dejan S. bei seiner Verhandlung vor einem Geschworenengericht im März 2024, als das Urteil gesprochen wird: elf Jahre Haft. Der 29-jährige Angeklagte soll innerhalb von zwei Monaten 43 Kilo Kokain und 39 Kilo Heroin aus Thailand nach Österreich geschafft haben. Lesen Sie die ganze Geschichte auch auf Serbisch.
Monatelang hat man nach dem Mann mittels internationalen Haftbefehles gesucht, immer wieder ist er den Behörden entwischt. Und als man ihn schließlich in der thailändischen Touristenhochburg Phuket eingefangen hatte, war es unmöglich, ihn zu transportieren. Er randalierte im Flugzeug derart, dass der Pilot streikte.
Die Beamten des Bundeskriminalamts hatten sein Katz-und-Maus-Spiel irgendwann satt. Sie machten sich persönlich auf den Weg zum Anhaltegefängnis nach Bangkok. Unter heftigster Gegenwehr wurde der Mann schließlich in einen gecharterten Privatjet verfrachtet. Er hatte Fixierungen am ganzen Körper, einen Kopfschutz und eine OP-Maske. Sie sollten S. exzessive Spuck- und Beißversuche unterbinden.
Sein Prozess fand schließlich im Frühjahr dieses Jahres unter schwersten Sicherheitsvorkehrungen statt. S. wurde im Wiener Landesgericht in Handschellen und Fußfesseln vorgeführt. Der gebürtige Serbe gilt als höchst gefährlich, denn er ist mehr als ein ambitionierter Drogendealer. Er ist Mitglied der europaüberspannenden serbisch-montenegrinischen Mafia. Er soll sogar eine führende Figur des sogenannten Kavač-Clans sein, der von der Hafenstadt Kotor aus europaweit illegale Geschäfte tätigt. Es geht um Drogen und Waffen. Um Erpressung, Bestechung und Wucher. Und um Folter und Mord.
Protokolle des Schreckens
„Sie haben keine Beweise“, schrie Dejan S. im Gericht. Die dort anwesenden Ermittler kostete diese Aussage nur ein müdes Lächeln. Denn wohl noch nie waren die Machenschaften der Balkan-Drogenmafia so gut dokumentiert und beweisbar wie in diesem Fall – und den weiteren Tausenden Fällen, die derzeit in Europa ermittelt werden. Denn 2021 gelang den Strafverfolgungsbehörden ein historischer Schlag gegen die Organisierte Kriminalität, die am 7. Juni 2021 in 800 Festnahmen, 90 davon in Österreich, und Durchsuchungen von mehr als 700 Gebäuden in 16 Ländern gipfelte.
Dabei wurden unter anderem acht Tonnen Kokain, 22 Tonnen Cannabis, zwei Tonnen synthetische Drogen wie Amphetamine, sechs Tonnen synthetische Drogengrundstoffe, 250 Schusswaffen sowie 55 Luxuswagen und 48 Millionen Dollar Bar- und Kryptogeld verschiedener Währungen einkassiert. Und das war erst der Anfang. Seitdem laufen intensive Ermittlungen, und es wird noch Jahre dauern, bis sie abgeschlossen sind.
Allein in Österreich arbeiten derzeit 200 Ermittler und Übersetzer an den schier endlosen Fällen. Aktuell laufen Ermittlungen gegen 21 Tatverdächtige wegen Mord und versuchtem Mord, gegen 25 Tatverdächtige wegen Erpressung und 32 Tatverdächtigen wegen Raubdelikten. Dazukommt eine Vielzahl von mehreren tausend Tatverdächtigen zu diversen anderen Delikten, hauptsächlich Suchtmittelhandel.
Die Beweisführung ist aufgrund der großen Menge an auszuwertenden Beweismitteln mühselig – aber zugleich dankbar, denn die Verbrecher haben die Dokumentation ihrer Taten selbst angefertigt. Die Rede ist von rund 27 Millionen Chats, die auf speziell verschlüsselten Handys sichergestellt werden konnten. Da verabredete man sich zum Drogenhandel. Zum Überfall auf einen anderen Clan. Da wurde Folter für Ungehorsame bis in die brutalsten Details angeordnet – und deren Ausführung mittels Fotos, Videos und Tonbandaufnahmen penibelst dokumentiert.
Mordermittlungen
Wegen eines sichergestellten Videos wird gegen Dejan S. auch wegen des Verdachts des Mordes in Serbien ermittelt. Auch davon haben die Beteiligten ein Video angefertigt und stolz verschickt. Sie zeigen Szenen einer Schießerei in einem Lokal in der Belgrader Innenstadt. Eine Personengruppe sitzt an mehreren kleinen Tischen in einem Lokal. Ganz hinten im Eck, weißes Hemd, hochgekrempelte Ärmeln, sitzt Dejan S. Ein Mann mit dunkler, kurzer Hose, schwarzem T-Shirt und einer violetten Baseballkappe geht im Lokal zielstrebig zu den Tischen und dort direkt auf S. zu. Der greift sofort in den vorderen Hosenbund, zieht eine Pistole und schießt zwei Mal. Die Person sackt zusammen. Das war am 22.07.2017.
Damals waren die Hintergründe der Tat weitgehend unklar. Heute kann man anhand der Chats rückwirkend rekonstruieren, was passierte: Es ging um einen Streit zwischen Clans. Das war wohl auch der Hintergrund eines brutalen Mordes, der im Herzen Wiens am 21. Dezember 2018 auf offener Straße passierte: Eine Männergruppe kommt an diesem Freitag um 13.30 Uhr aus dem bekannten Schnitzelrestaurant Figlmüller in der Wiener Innenstadt. Als sie das Lokal gut gelaunt verlassen, eröffnete ein Unbekannter in der Passage zwischen Lugeck und Wollzeile das Feuer.
Es fallen fünf Schüsse. Es bricht Panik aus. Ein Mann erleidet einen Kopfschuss und stirbt. Ein anderer ist schwer verletzt. Der Tote, Vladimir R., war mehrfach vorbestraft und stand in Belgrad wegen Mord vor Gericht. R. war Mitglied des Kavač-Clans und erst zwei Wochen davor aus dem Gefängnis entlassen worden. Er sagte damals, dass er um sein Leben fürchtet. Offenbar zurecht. Der Täter konnte unerkannt flüchten, ein Hubschrauber der Polizei kreiste stundenlang über der Wiener Innenstadt. Heute weiß man, was man damals vermutete: Es ging um Rache.
Trojanische Chats
Die Chats ermöglichen den Ermittlern neue Einblicke in eine bisher für sie weitgehend verschlossene Welt. Jahrelang bissen sie sich an den verschlüsselten Kryptohandys deren Messenger-Dienste Namen wie EncroChat, Phantom Secure oder Sky ECC trugen, die Zähne aus. Die Organisierte Kriminalität war den Behörden mit den Wegwerfhandys fast immer einen Schritt voraus. Bis das FBI im Jahr 2019 einen Überläufer für sich rekrutieren konnte.
Stundenlang redete das FBI in der Außenstelle San Diego auf den Mann ein, der Kryptohandys und entsprechende Apps an kriminelle Netzwerke verkauft hatte. Und im Übrigen gerade dabei war, ein weiteres, solches Programm zu entwickeln: Anom. Um einer jahrelangen Gefängnisstrafe zu entgehen, stimmte er zu, die App und das Kundennetzwerk zur Verfügung zu stellen. Der Mann entging nicht nur einer Strafe. Er bekam eine Belohnung von 120.000 Dollar und rund 60.000 Dollar Spesen.
Das FBI gründete ein gleichnamiges Unternehmen mit Sitz in Panama und startete die Operation „Trojan Shield“. Mehr als 12.000 verschlüsselte Geräte wurden an mehr als 300 kriminelle Banden in mehr als 100 Ländern geliefert. 27 Millionen Nachrichten wurden im Verlauf von 18 Monaten geschrieben. Kriminelle auf der ganzen Welt besprachen an diesen angeblich abhörsicheren Handys ihre Drogen- und Waffengeschäfte sowie Auftragsmorde.
Im Bundeskriminalamt in Österreich werden derzeit Krypto-Chats von rund 10.000 Usern unter der Leitung von Daniel Lichtenegger ausgewertet. Die Ermittlungserfolge sind beachtlich: Mittlerweile sind etwa ein Viertel der Verfasser namentlich bekannt. Es konnten rund 50 Verbrechersyndikate mit Bezug zu Österreich identifiziert werden. Der Fokus der Ermittlungen liegt auf serbisch-montenegrinischen Gruppierungen. Es gab seit dem Großaktionstag im Jahr 2021 allein hierzulande bisher rund 300 Festnahmen und schon hundert Verurteilungen, die bis zu lebenslanger Haft gehen.
Einst Brüder, heute Feinde
Montenegro gilt seit den 90er-Jahren als Knotenpunkt für Drogenschmuggel – auch Politik und Behörden werden immer wieder verdächtigt, verwickelt zu sein. Derzeit laufen vor dem Obergericht in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica mehrere Prozesse gegen hochrangige Mafiosis.
Die Verhandlungen werden von Possen begleitet, die zeigen, wie schlecht es in Dingen Rechtsstaatlichkeit im kleinen EU-Beitrittskandidatenstaat noch immer bestellt ist. So wurde im September 2023 ein 30-Meter langer Tunnel in die Asservatenkammer des Gerichts entdeckt. Dort werden auch Beweisstücke für laufende Verfahren gelagert. In der Asservatenkammer lagen verschiedene Dokumente am Boden verstreut. Unter anderem betrafen diese Slobodan K., einen Boss des Kavač-Clans, dem in Podgorica weiter der Prozess gemacht wird.
Der Clan führt seit 2014 einen erbitterten Kampf gegen den rivalisierenden Škaljari-Clan. Einst waren die beiden Banden aus benachbarten Dörfern eine Einheit, eine Familie. Sie schmuggelten gemeinsam Drogen aus Südamerika nach Europa - bis der eine den anderen bei einem 200-Kilogramm Kokain-Deal in Valencia über den Tisch zog. Seitdem herrscht blutiger Krieg. 60 Mafiosis sind in diesen Auseinandersetzungen umgekommen. Außerdem sollen die Clans in den vergangenen zehn Jahren 193 Menschen in mehreren europäischen Städten ermordet haben. Auch in Wien.
Von Folter und Flehen
Dexter. Das ist der Name eines Netflix-Serienkillers. Sein Spezialgebiet: Die Planung von Morden, brutalen Bestrafungsaktionen und Folter von Ungehorsamen. Dexter. Das ist auch der Spitzname von Dario D., der Nummer drei des Kavač-Clans, Statthalter in Wien.
Wie schrecklich die Methoden der Mafia sein können, zeigen etliche profil vorliegende Bilder. Da werden Menschen auf Anweisung der Bosse überfallen und brutal niedergeschlagen. Männer liegen blutend am Boden. Sie schreien und betteln in Videos um Gnade, während jemand mit einem Hammer auf sie einprügelt. Bei manchen hat auch dieses Flehen nicht geholfen. Sie wurden gefoltert, bis sie starben. Dann wurden ihnen die Gliedmaßen abgetrennt, der Kopf – dazu detailliert später. Jeder Schritt wurde fotografisch dokumentiert und zum Schluss wurden die verstümmelten Leichen als Botschaft für die Feinde für Beweisfotos drapiert.
Ein besonders brutales Bild: Ein Ungehorsamer wurde gefoltert, bis er besinnungslos wurde. Ihm wurden die Beine abgesägt, davon die Füße abgetrennt. Ihm wurden die Arme abgesägt, die Hände, und schließlich der Kopf. Der verstümmelte Torso wurde nackt auf den Bauch gedreht. Der abgeschnittene Kopf auf das Gesäß gelegt - und dann die Hand des Mordopfers mit dem Mittelfinger voran in dessen eigenen After gesteckt. Diese brutale Szenerie wurde aus verschiedenen Perspektiven fotografiert und voller Stolz an die Mafiabosse verschickt.
Eine andere Fotoserie. Bild eins: ein großer Fleischwolf in einem Keller. Bild 2: Eine Kiste voller Leichenteile. Bild 3: Ćevapčići. Sie wurden aus den Leichenresten von Mitgliedern des verfeindeten Škaljari-Clans verarbeitet. Den Auftrag dafür gab ein Anführer des Kavač-Clans, der per internationalem Haftbefehl gesucht wird. Zur Bestätigung der Tat ließ er seine Männer filmen, wie sie das Fleisch der Opfer faschierten und daraus die Würste formten. Anschließend ließ er die Ćevapčići mit einem speziellen Kühlschrank zu sich nach Montenegro transportieren. Er fütterte seine Hunde damit.
Wenn Z. jemanden nicht leiden konnte, dann ließ er ihnen die Würste senden. Und die, die aus den Überresten seiner größten Feinde hergestellt wurden, aß er selbst. Mit „viel Zwiebeln und Senf“, wie ein mitbeschuldigter Mafiosi später vor Gericht aussagte.
Das Schweigen der Opfer
Zeugen zu finden, die in diesen Mafia-Prozessen auspacken, ist äußerst schwierig. Denn wer redet, muss später um sein Leben fürchten – das ist allen Beteiligten klar. Auch Dario D. alias Dexter schwieg beim Prozess in Wien im Frühjahr des Vorjahres weitgehend. Erstaunlicherweise schwiegen auch alle geladenen Opfer plötzlich – und hatten offenbar ihre Erinnerung verloren. Er bekannte sich nicht schuldig, sprach davon, dass er ja nur ein Lokalbesitzer aus Serbien sei, der von 300 Euro pro Monat lebe.
Dexter saß in seinem Heimatland von 2008 bis 2018 schon einmal wegen Mordes in Haft – und wurde in Wien auch zuvor wegen schweren Raubes verurteilt. In seinem jüngsten Prozess in Wien bekam er lebenslang – er soll Hunderte Kilogramm harter Drogen gedealt haben, sich an schwerem Raub beteiligt haben und Mitglied einer kriminellen, terroristischen Vereinigung sein. In die lebenslange (nicht rechtskräftige Strafe) sind die vier Mordfälle, in die er involviert sein soll, noch nicht eingepreist. Es gibt dazu noch keine Anklagen. Ob es diese geben wird – und wo die Fälle dann verhandelt werden, hängt von einem wegweisenden Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) ab.
Sein Anwalt, Werner Tomanek, monierte im Prozess, dass es völlig unklar sei, wie die Polizei eigentlich zu den Chats gekommen sei – und ob diese überhaupt eindeutig von seinem Mandanten verfasst wurden. Ob die Ermittler die Chats überhaupt noch weiter verwenden dürfen (es geht hier um formaljuristische Entscheidungen, der Inhalt wird nicht bezweifelt), ist nun Sache des OGH. Dexters Anwalt geht jedenfalls davon aus, dass die Ermittlungen allesamt eingestellt werden: „Dexter war der letzte Große. Mit seiner Verhaftung ist die Geschichte tot. Das BKA wird keine weiteren Ermittlungen unternehmen und die Büchse der Pandora öffnen, sonst nimmt das alles kein Ende.“ Das Bundeskriminalamt sieht das wohl anders und kümmert sich weiter mit Verve um die offenen Fälle.
13 Kilo Kokain von Holland nach Wien
Viele dieser Chats, um die nun gestritten wird, liegen profil vor – medienrechtlich spricht nichts dagegen, sie für Recherchen zu verwenden. Auch wenn die Anwälte in Zweifel ziehen, ob Dexter sie geschrieben hat – die vielen Selfies (und Halbnacktfotos) erhärten den Verdacht, dass er der Verfasser der Nachrichten ist.
Aus diesen Krypto-Konversationen geht auch hervor, wie ein Raub geplant war: „Mi stvarno čekamo belo. Ali bez para“ (Wir warten wirklich auf das Weiße. Aber ohne Geld), schreibt der Mafiaboss am 28. Dezember 2019 um 8.07 Uhr unter seinem User-Namen 4892D3. Dexters Chatnachricht lesen noch sechs weitere Männer.
An diesem Samstagmorgen, wenige Tage vor Jahreswechsel, plant die Bande einen brutalen Raubüberfall – inszeniert als ein Drogendeal in einem Matratzenlager in einer Garage im 23. Wiener Bezirk. Es geht um 13 Kilogramm Kokain, das von Holland nach Wien geschmuggelt wurde und eigentlich einer dem Škaljari-Clan gehört. Ein Lkw-Fahrer soll die „kocke“, die Blöcke aus Kokain, zum Lager schaffen. Doch zum Deal kommt es nicht. Dafür hat Dexter gesorgt. Er und seine Männer hatten nie vor, für die Drogen zu bezahlen. „Schaut mal, so ist der Stand der Dinge: Wir alle sind im Versteck. Ihr drei steigt aus dem Auto. Čaba (einer der Täter, Anmerkung) ist drinnen. Er macht euch die Garage auf.
Wenn alle Türen geschlossen sind, springen wir auf“, lautet Dexters Anweisung per Sprachnachricht. Die Männer haben in der leeren Lagerhalle alte Paletten und abgepackte Matratzen aufeinandergestapelt und sich dahinter versteckt. Das alles dokumentieren sie mittels Chatnachrichten. Sie schicken sich gegenseitig Bilder, aus der Garage, von den Waffen, die sie dabei haben. Eine Pistole, ein gezacktes Messer, ein Hammer, eine Sprungfeder. „Haha ovaj feder je radio već kod onog za travu“ (Haha, diese Feder hat schon bei dem fürs Gras funktioniert), schreibt einer in die Gruppe.
Zwei von Dexters Männern treffen den Lkw-Fahrer und Miloš M. vor dem Garagentor. M. ist ein Freund der Škaljari, der von Dexter und seinen Männern hinters Licht geführt wurde. Er sollte eigentlich das Geld entgegennehmen. Doch als das Tor zu geht, wird er zu Boden geschlagen. Dexters Männers treten auf ihn ein, stechen mit dem Messer zu, einer schießt. „U pluća“ (in die Lunge), schreibt Dexter. „Warum hast du ihn in die Lunge geschossen?“, fragt einer.
„Ma nije mu ništa“ (Ach, der hat nichts), antwortet ein anderer. Dann bricht Panik aus. M. wurde bei dem Angriff schwerverletzt. Das kriegen auch der Mafiaboss und der Rest des Clans mit: „Er blutet stark“, tippt Dexter in sein Telefon. „Bruder, wenn du ihn irgendwie loswerden kannst, soll er in ein Krankenhaus gebracht werden.“ Wenn nicht, müssten sie „graben“. Ein Grab für M. „Nema druge“ (Hilft nix).
Später entscheiden sie sich für das Krankenhaus und setzen M. vor einem Spital in Niederösterreich ab. Er überlebt und wird später einvernommen. Da sagt M., er sei nur in Wien spazieren gewesen. Unbekannte hätten ihn überfallen, in ein Auto gezerrt und zu einer Garage gebracht. Daraufhin hätten ihn sechs bis sieben Männer verprügelt. Von einem Messerstich habe er nichts mitbekommen, genauso wenig von einem Schuss. Er habe aber gesehen, dass einer eine Waffe eingesteckt hatte.
Aus den Chats weiß man, was danach passiert ist. Dexter und die anderen Männer sind mit dem Kokain und dem Geld, das M. dabei hatte, 106.000 Euro, spurlos verschwunden. „Stigao sam u gnezdo“ (Ich bin im Nest angekommen), schreibt einer der Täter und meint damit das Versteck des Clans. Das war um 12.40 Uhr. 43 Minuten später werden mehrere Bilder von dicken Geldstapeln eingewickelt in Frischhaltefolie in die Gruppe geschickt. Später macht Dexter ein Foto von Tausenden Geldscheinen, die ausgebreitet auf dem Küchentisch liegen. Daneben steht eine Packung Toastbrot. Die Reaktionen: Auf etliche „Hahahahaha“-Nachrichten folgen Mutterbeleidigungen und eine Reihe von Muskel- und Gorilla-Emojis. „Top brate“, (Top Bruder). Zusammen haben die Täter Geld und Drogen im Gesamtwert von 600.000 Euro erbeutet.
Dieser Tag sollte Dexter noch zum Verhängnis werden – seine Rivalen sinnen nach Rache. Doch der Mafiosi kam seinen Widersachern zuvor. Am 26. Jänner 2020, knapp einen Monat nach dem Raub, erfuhr Dexter, dass ein Auftragsmörder hinter ihm her ist. Aleksandar H. wurde um 20.000 Euro als Mörder angeheuert und auf den schwergewichtigen Mafiaboss angesetzt. Später stellte sich heraus, dass der Auftraggeber, Lazar V., ein früherer Kavač-Anhänger, offenbar Kontakt zum verfeindeten Škaljari-Clan hatte. Und für diesen Hochverrat wird er später mit seinem Leben bezahlen.
Dexter wirkt jedenfalls unbeeindruckt von den Mordplänen gegen ihn: „Sie warten auf mich, dass sie mich umbringen. Sie glauben, ich bin in Belgrad“, tippt er zwei Tage davor, am 24. Jänner 2020 um 18.13 Uhr, in sein Handy. Während er das macht, sitzt er in Wien. In einem Apartment, mit Blick auf die Meidlinger Hauptstraße – und zwei Glocks, „dva gloka“, prahlt Dexter im Chat. Zwei Tage später erfährt er, dass Lazar V. hinter dem Auftragsmord steckt und dass Aleksandar H. derjenige ist, der ihn um die Ecke bringen soll. Dexter dreht den Spieß kurzerhand um und soll einen Mordauftrag erteilt haben, so rekonstruieren es die Ermittler, gegen seinen Auftragsmörder Aleksander H.
Später schickt Dexter Bilder aus der S-Bahn, in der Hand hält er ein angebissenes Prosciutto-Ciabatta. Die Chats nutzen die Männer nicht nur, um ihre Verbrechen zu dokumentieren. Oft schickten sie sich gegenseitig Bilder aus ihrem Alltag. Spiegel-Selfies, Fotos vom Essen oder wie sie gerade auf der Couch vor dem Fernseher liegen.
Spiegel-Selfies und Enthauptungen
Bis der Moment der Abrechnung da ist, vergehen fast zwei Monate. Am 21. März 2020 um 20.32 Uhr schickt Dexter das erste Mal ein Foto eines blutverströmten Mannes, der regungslos am Boden liegt. Es ist Aleksander H. Über den Kopf zog man ihm ein schwarzes Plastiksackerl. „Odradili smo“ (Wir haben es erledigt), schreibt Dexter dazu. In anderen Nachrichten feiern sich die Männer für das Verbrechen. Sie schicken noch mehr Fotos der blutigen Leiche. Einmal ist eine Hand im pinken Einwegschuh neben dem Kopf des Toten zu sehen. Ein anderes Mal hält dieselbe Hand drei gespreizte Finger, den Serbengruß, ins Bild.
„Jetzt füttert er die Würmer im Wald“, darauf folgen Emojis, die vor Lachen weinen. Ein anderer leitet ein Foto von Aleksander H. weiter. Offenbar haben ihn Freunde und Verwandte auf Social Media als vermisst gemeldet und bitten jeden, der H. gesehen hat, sich bei ihnen zu melden. „Traži se“ (Er wird gesucht), schreibt er dazu. Und schickt noch mehr lachende Emojis.
Nachdem er Aleksander H. ausgeschaltet hatte, kümmerte sich der Kavač-Clan um den Auftraggeber Lazar V. Clan-Mitglieder lockten ihn in ein Ferienhaus in Ritopek, einem Vorort von Belgrad – ins sogenannte Horror-Haus. Dort wurde V. schwer misshandelt. Er wurde mit einem Bügeleisen verbrannt. Die Fingernägel wurden ihm mit einer Zange gezogen. Bilder zeigen ihn mit Schnittwunden am ganzen Körper. Er wurde enthauptet, sein Körper in einem Fleischwolf gemahlen und in die Donau geworfen – so die Erkenntnisse der Ermittler. Hinter all dem steckt Dexter, der wenige Wochen davor nackte Spiegel-Selfies von sich verschickt und Fotos aus seinem Apartment macht. Nichtsahnend, dass ihm die Polizei mittlerweile auf der Spur ist. Am 7. Juni 2021 wird Dario D. alias Dexter in Wien verhaftet. Er sitzt im Gefängnis in Josefstadt, wartet auf das Urteil der Höchstgerichte – und schweigt
Ein Ende des Drogenkriegs ist noch nicht in Sicht. Und so lange werden auch die Ermittlungen der Polizei gegen die Clankriminellen andauern. Bis dahin bleibt Wien wohl noch eine ganze Weile auf Kokain. Denn obwohl mittlerweile Hunderte Personen aus dem Verkehr gezogen wurden, Tonnen an Drogen sichergestellt wurden, scheint der Sumpf noch nicht einmal ansatzweise trockengelegt, wie der jüngste Drogenbericht zeigt. „Wenn Sie sich eine Netflix-Serie über Narcos ansehen, dann ist das nicht weit hergeholt“, sagt Daniel Lichtenegger, Leiter des Büros für Suchtmittelkriminalität.
In Südamerika führen Rekordernten zu einer regelrechten Überschwemmung Europas mit dem weißen Pulver. Und Wien feiert weiter wie eh und je.
Illustrationen: Jorghi Poll
Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.