„Capo“ Benko – Das Italien-Problem des Signa-Gründers
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Italien war wohl lange so etwas wie das Sehnsuchtsland von René Benko, praktisch die zweite Heimat. Nun sollte er sich dort auf absehbare Zeit besser nicht blicken lassen.
Die italienische Justiz will den Gründer des zerbröselten Signa-Imperiums nämlich ausgerechnet in seinem Lieblings-Refugium festsetzen: in der „Villa Ansaldi“ am Südufer des Gardasees – einem millionenschweren Luxus-Anwesen, Hubschrauber-Landeplatz inklusive. Das ergibt sich aus Gerichtsakten aus dem Trentino, die profil vorliegen. Die Unterlagen geben Auskunft über einen neuen, bisher unbekannten Strang der Signa-Affäre. Dieser hat das Zeug, dem gebeutelten Ex-Tycoon näher zu gehen als alles andere, was sich seit der Pleite der Immobilien-Gruppe vor einem Jahr ereignet hat. Und zwar gleich auf mehrere Arten.
Da wäre einmal die Härte, mit der die italienischen Behörden vorgehen. Zwar wird längst auch in Österreich und Deutschland gegen Benko ermittelt. Während hierzulande bisher über keinen einzigen früheren Signa-Verantwortlichen auch nur ein Tag Untersuchungshaft verhängt wurde, gehen die Ermittler in Italien aufs Ganze. Anfang November beantragten sie, Benko und andere Verdächtige unter Hausarrest zu stellen. Zunächst wollten sie den Signa-Gründer in Innsbruck festsetzen lassen. Dann bemerkten sie offenbar, dass Benko auch über eine Adresse in Italien verfügt – eben in der Gardasee-Villa in der Gemeinde Sirmione. Die Festnahmeanordnung wurde nachträglich korrigiert, sodass diese nun auch die „Villa Ansaldi“ umfasst.
Pech für die italienischen Ermittler ist freilich, dass Benko gerade nicht da war, als sie am vergangenen Dienstag zuschlugen: An mehr als hundert Orten wurden Razzien durchgeführt, es gibt mehr als siebzig Verdächtige – darunter auch eine Bürgermeisterin und mehrere Beamte. Die Verdachtslage umfasst Delikte wie Bestechung, Verrat von Amtsgeheimnissen und illegale Parteienfinanzierung. Es geht unter anderem um die Erlangung behördlicher Genehmigungen für Immobilien-Projekte.
Nicht alle Vorwürfe betreffen Benko, ein durchaus zentraler jedoch schon: Die Ermittler prüfen den Verdacht, der Immobilienunternehmer könnte so etwas wie der Kopf einer kriminellen Vereinigung gewesen sein. Eines vorneweg: Alle Verdächtigen bestreiten jedes Fehlverhalten.
Jahrelange geheime Ermittlungen
Beim Vorgehen der italienischen Justiz handelt es sich offenbar um keinen Schnellschuss. Das Verfahren dürfte nicht erst durch die Signa-Pleite Ende 2023 ausgelöst worden sein, sondern bereits seit fünf Jahren geheim im Laufen sein. Wie sich aus dem Haftbefehl ergibt, wurden von den Behörden offenbar über Jahre hinweg Telefone abgehört. Soweit es Signa betrifft, sticht bei Durchsicht des Haftbefehls der „Waltherpark“ in Bozen ins Auge. Dabei handelt es sich um ein prominentes Bauprojekt im Zentrum der Südtiroler Landeshauptstadt, das ein Shopping-Center, Büros, Gastronomie und auch Wohnungen umfasst. Nach der Signa-Pleite wurde das Projekt verkauft. Weiters ist im Haftbefehl das – ebenfalls in Bozen gelegene – Wohnungsprojekt „Gries Village“ genannt.
Dass Benko dieser Tage in Österreich war, hat ihn wohl vor einigem Ungemach bewahrt. Der gescheiterte Immobilienunternehmer wurde zwar von Beamten des Tiroler Landeskriminalamts einvernommen, blieb aber auf freiem Fuß. Ein Haftbefehl gegen einen österreichischen Staatsbürger, gegen den auch hierzulande entsprechend ermittelt werden kann, muss nicht vollstreckt werden. Eine Auslieferung an Italien muss Benko demnach wohl nicht fürchten.
Der Spaß- und der Geldfaktor
Bis vor gar nicht allzu langer Zeit reiste der einstige Tycoon, der als Unternehmer mittlerweile selbst in Konkurs ist, noch durchaus freiwillig gen Süden. „R. Benko“ stand zumindest bis zum Sommer dieses Jahres auf dem Briefkasten der „Villa Ansaldi“, wie profil-Recherchen ergeben haben. Im Zuge des Insolvenzverfahrens gegen Benko wurde auch nach persönlichen Gegenständen gesucht, um diese im Sinne der Gläubiger zu Geld zu machen. Ein Sachverständiger im Auftrag des Insolvenzverwalters hat sich dabei nicht nur in der Innsbrucker Villa des Signa-Gründers umgesehen, sondern auch in jener am Gardasee – profil berichtete.
Begrüßt wurde der Sachverständige dort von einem Mitarbeiter Benkos namens „Herr Luigi“. Was der Gutachter vorfand, waren die Relikte eines Lebens im Luxus: ein Sportboot „Malibu Wakesetter“ mit einem Schätzwert von 95.000 Euro. Bis zu 15 Personen haben auf dem schnittigen Gefährt Platz. Und dann stieß der Sachverständige auch noch auf ein „Sea-Doo“, eine Art Wasserscooter, mit damaligem Schätzwert von 14.500 Euro. Die italienische Zweit-Heimat dürfte für Benko also durchaus auch einen gewissen Spaßfaktor beinhaltet haben. Damit ist vorerst wohl Schluss.
Die Ermittlungen in Italien kommen jedoch – zumindest indirekt – auch einem Bereich im Leben Benkos nahe, in dem es nicht um Spaß geht, sondern um Geld. Sehr viel Geld. Ein weiterer zentraler Verdächtiger im Verfahren ist ein gewisser Heinz Peter Hager. Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater aus Bozen gilt seit Jahren als so etwas wie Benkos Statthalter in Südtirol. Doch faktisch ist der 65-jährige, blendend vernetzte Wirtschaftsexperte für den Signa-Gründer weit mehr als nur ein regionaler Vertrauensmann.
Benkos Mann für die Stiftungen
Hager ist Vorsitzender des Stiftungsvorstands der „Laura Privatstiftung“, die von Benko und dessen Mutter gegründet wurde. In der Stiftung sind wesentliche Teile des Familienvermögens geparkt. Der Signa-Gründer zählt selbst nicht zum Kreis der Begünstigten, sehr wohl aber fallen mehrere enge Familienangehörige darunter. Sucht man die Antwort auf die Frage, wie es sein kann, dass jemand zwar in Konkurs ist, dennoch aber weiterhin den Lebensstil eines Milliardärs pflegt, führt an der „Laura Privatstiftung“ kein Weg vorbei.
Der Stiftung gehört die zig Millionen teure Villa südlich von Innsbruck, in der Benko mit seiner Familie residiert. Der Stiftung gehört jenes Jagdgut in der Steiermark, auf dem unlängst neben Benko auch der damalige Tiroler SPÖ-Chef und Landesrat Georg Dornauer zugange war, als – unter noch nicht restlos geklärten Umständen – ein Hirsch zu Tode kam. Bald machte ein Foto der fröhlichen Jagdgesellschaft die Runde. Dornauer bestritt, abgedrückt zu haben. Abgesehen von moralischen Überlegungen ergab sich für den Politiker aus der Episode auch ein mögliches rechtliches Problem, da er mit einem behördlichen Waffenverbot belegt ist. Dornauer kündigte mittlerweile seinen Rücktritt als Landesrat und Parteichef an.
Der „Laura Privatstiftung“ gehört das sogenannte „Chalet N“, eine Luxus-Bleibe in Lech in Vorarlberg, die zumindest früher sehr gerne von Benko frequentiert worden sein soll. Wie profil Anfang 2024 herausfand, gehören der „Laura Privatstiftung“ Zinshäuser in Innsbruck im Wert eines dreistelligen Millionen-Euro-Betrags. Die Zeitung „Der Standard“ berichtete zuletzt darüber, dass eine Tochterfirma der „Laura Privatstiftung“ ein Picasso-Gemälde für einen Mindestpreis von 20 Millionen Dollar (19 Millionen Euro) über ein Auktionshaus zum Verkauf angeboten habe. Und Benko selbst war zuletzt beruflich im „Portfoliomanagement“ tätig – bei einer Firma, die der „Laura Privatstiftung“ gehört.
Als ein weiterer Familien-Geldtopf Benkos neben der „Laura Privatstiftung“ gilt die „INGBE Stiftung“ in Liechtenstein. Und auch dort ist Heinz Peter Hager nicht weit. Wie profil-Recherchen zeigen, wurde der Benko-Vertraute bereits bei der Gründung der Stiftung im Jahr 2014 zum Mitglied des Stiftungs-Beirats bestellt – eine Position, die er vorliegenden Firmenbuch-Dokumenten zufolge zumindest auch Anfang 2024 innehatte. Es handelt sich also zweifellos um einen langjährigen Wegbegleiter, dem Benko ganz besonderes Vertrauen entgegenbringt.
„Wir sind übervorsichtig“
Die italienischen Ermittler sehen die Beziehung Benko-Hager nun auch in einem potenziell strafrechtlichen Licht. Im Haftbefehl ist sinngemäß festgehalten, dass man zwar auf wenige direkte Handlungen Benkos gestoßen sei. Das mindere dessen Rolle gemäß Verdachtslage jedoch nicht: Benko habe relevante Dinge angeordnet. Sein laufender Kontakt mit Hager sei die Möglichkeit gewesen, illegale Aktivitäten zu planen. Bezüglich des mutmaßlichen „modus operandi“ verweisen die Ermittler auch auf Auskünfte, die sie im Rahmen der Rechtshilfe aus dem Ausland bekommen haben – konkret offenbar aus Österreich. Es geht um den nunmehrigen Kronzeugen und früheren Kabinettschef („capo die gabinetto“) im Finanzministerium Thomas Schmid. Dieser habe demnach über Benko gesagt: „Wir wussten alle, was zu tun war. Auch wenn einem die Sache nicht persönlich gefallen hat, hat man die persönliche Meinung beiseite gelassen und die Befehle befolgt.“
Bei Schmid im Jahr 2019 sichergestellte Handy-Chats haben bekanntlich in Österreich zu schweren politischen Verwerfungen geführt. Laut italienischem Haftbefehl soll Hager den Wirbel im Nachbarland im Oktober 2021 in einer nicht näher beschriebenen Konversation – ins Deutsche übersetzt – folgendermaßen kommentiert haben: „Den Österreichern fehlt unsere Vorsicht… wir sind übervorsichtig.“ Offensichtlich ein grober Irrtum: Bei aller Übervorsicht ahnte Hager allem Anschein nach nicht, dass in Italien bereits seit zwei Jahren ermittelt wurde.
„Allfällige Vorwürfe unrichtig“
Hager bestreitet die Vorwürfe. Er hat den Behörden volle Kooperation angeboten. Laut Südtiroler Medienberichten will sein Anwalt die Aufhebung des Hausarrests für seinen Mandanten beantragen.
Benkos Anwalt Norbert Wess wiederum ließ wissen, sein Mandant werde „weiterhin – wie bisher – mit allen nationalen wie internationalen Behörden vollumfänglich kooperieren und ist zuversichtlich, dass sich allfällige Vorwürfe ihm gegenüber als inhaltlich unrichtig aufklären lassen“. Man werde die bekannt gewordenen Vorwürfe sorgfältig prüfen. „Allerdings fällt schon bei der ersten Durchsicht der Vorwürfe auf, dass rund 90 Prozent der Sachverhalte, zu denen die italienische Justiz ermittelt, keinen wie auch immer gearteten Bezug zu Signa, geschweige denn zu René Benko haben“, meint Wess.
In Österreich gilt Benko gleich in mehreren Zusammenhängen als Beschuldigter: Die ältesten Vorwürfe, zu denen ermittelt wird, stammen aus dem Verfahren rund um Thomas Schmid. Gemäß Verdachtslage soll Benko den damals hochrangigen Finanzministeriums-Mitarbeiter mit einem Job-Angebot bestochen haben, um diesen zu einer Intervention in einer Steuerangelegenheit zu bewegen. Im Signa-Kontext wiederum fand im Juni 2024 bei Benko eine Hausdurchsuchung statt. Gemäß damaliger Verdachtslage steht hier unter anderem der Betrug einer Bank rund um eine Kreditverlängerung im Raum. Darüber hinaus soll eine Villen-Firma – kurz gesagt – unterpreisig von der Signa in eine Benko-Stiftung verschoben worden sein. Benko bestreitet sämtliche Vorwürfe.
Auch bei der Villen-Thematik aus dem österreichischen Verfahren geht es übrigens um ein Projekt am Gardasee. Italien und René Benko – das ist zweifellos eine Beziehung der besonderen Art. Und zwar eine, über die möglicherweise noch viel mehr Spannendes ans Tageslicht kommen wird.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Julian Kern
ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.