Umstrittene Biogas-Anlage in NÖ: Höchstgericht sieht Verfahrensmangel
Es ist ein Millionen-Projekt, hinter das sich niemand Geringerer gestellt hat, als der oberste politische Müllentsorger der Republik: Anton Kasser, Präsident der „Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände“, ÖVP-Landtagsabgeordneter in Niederösterreich, Bürgermeister der Gemeinde Allhartsberg und Obmann des „Gemeinde Dienstleistungsverbands“ (GDA) in der Region Amstetten. Doch mittlerweile sorgt die Angelegenheit für heikle Debatten – bis hinauf zum Verwaltungsgerichtshof.
Der GDA regelt unter anderem die Abfallentsorgung von mehr als dreißig Kommunen. Unter Kassers Führung sprach sich der Verband im Vorjahr für die besonders rasche Umsetzung einer umstrittenen Biogas-Anlage in der Gemeinde Aschbach-Markt aus. Die Anlage, die mit Jahresbeginn in Betrieb gegangen ist, steht nur 200 bis 300 Meter von einer Wohnsiedlung entfernt. Unter Anrainern regte sich Widerstand. Sie brachten eine Beschwerde gegen die Genehmigung ein, über die bis heute nicht entschieden ist. Dennoch wurde das Projekt rasch durchgepeitscht. Wie profil-Recherchen ergeben haben, stellt sich mittlerweile die Frage, ob die Gefahr eines Notstands herbeigeredet wurde, obwohl ein solcher gar nicht zu befürchten gewesen wäre.
Höchstgericht hebt Beschluss auf
Nun zeigt sich: Auch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ist mit dem bisherigen Verfahrensgang in Bezug auf das Projekt nicht gänzlich einverstanden. Konkret stößt sich dieser an einem Beschluss des Landesverwaltungsgerichts (LVwG) Niederösterreich aus dem Vorjahr. Ohne diesen Beschluss hätte die Anlage – vor der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Genehmigung – nicht gebaut werden können.
Anrainer – vertreten durch die auf Umweltthemen spezialisierte Anwaltskanzlei List – wandten sich ans Höchstgericht. Und wie profil erfahren hat, hat der VwGH den Beschluss des LVwG nunmehr aufgehoben. Die Entscheidung wurde Anfang der Woche zugestellt. Nun muss erneut geprüft werden, ob die Beschwerde der Anrainer gegen die Biogas-Anlage nicht doch aufschiebende Wirkung gehabt hätte. Wenige Tage vor den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen mehren sich somit die Fragezeichen in Bezug auf das Prestigeprojekt, das immerhin für die Biomüll-Entsorgung von 34 Gemeinden gedacht ist.
Bau erfolgte vor Entscheidung über Anrainer-Beschwerde
Wie berichtet, beantragte der Betreiber der Biogas-Anlage – die Fuchsluger GmbH aus Aschbach-Markt – im März 2023 beim Land Niederösterreich die Genehmigung für das Projekt. Das Land erteilte diese und schloss gleichzeitig aus, dass allfällige Beschwerden dagegen eine aufschiebende Wirkung haben sollten. Das ist rechtlich dann möglich, wenn aus Sicht der Behörde Gefahr im Verzug besteht. Anrainer wandten sich daraufhin ans LvWG Niederösterreich. Dieses bestätigte jedoch im Februar 2024 den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung, ohne inhaltlich über die Beschwerde gegen das Projekt zu entscheiden.
Das LVwG vertrat einerseits die Ansicht, der Betreiberfirma würde bei einer Verzögerung ein unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Nachteil drohen. Andererseits ging das Gericht aber auch davon aus, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der raschen Umsetzung bestanden hätte, da eine ordnungsgemäße Behandlung biogener Abfälle „aufgrund der auslaufenden Verträge für 34 Gemeinden nur bis Ende des Jahres“ 2024 sichergestellt sei.
Brisantes Schreiben des Gemeindeverbands
Zuvor hatte die Fuchsluger GmbH dem Gericht ein Schreiben des Gemeindeverbands vorgelegt – unter anderem unterzeichnet von Obmann Kasser. Darin sprach sich der GDA vehement für die rasche Umsetzung aus und wies darauf hin, dass die Entsorgung damals auf Grundlage „eines noch bis Ende 2024 aufrechten Vertragsverhältnisses“ mit mehreren Kompostierungsanlagen erfolge, dass diese „aktuelle Entsorgungsmöglichkeit ab 2025 nicht mehr besteht“ und dass auch „nicht auf kurzfristige Übergangslösungen zurückgegriffen werden“ könne.
Wie berichtet, werfen profil-Recherchen heikle Fragen in Bezug dieser Darstellung auf: Zum Zeitpunkt des Schreibens war der Vertrag mit der „ARGE Kompost Amstetten“, welche seit 2012 die Biomüll-Entsorgung durchgeführt hatte, noch gar nicht gekündigt. Ein ARGE-Sprecher teilte profil mit: „Natürlich wäre die ARGE Kompost in der Lage gewesen, weiterhin die Biomüllabfälle zu übernehmen.“
Notstand erfunden?
Sollte mithilfe eines erfundenen Notstands das Biogas-Projekt schneller durchgepeitscht werden? Sowohl der GDA als auch Kasser ließen vergangene Woche zahlreiche Detailfragen dazu unbeantwortet. Der GDA teilte allgemein mit, man sei auf Basis des Vertragsabschlusses mit der Fuchsluger GmbH rechtlich verpflichtet, ab dem 1. Jänner 2025 „das Material der Firma Fuchsluger zur Behandlung gemäß den technischen Vorgaben der Ausschreibung zu überlassen“.
Durch den VwGH-Entscheid wird sich das Landesverwaltungsgericht NÖ nun wohl noch einmal ganz konkret mit dieser Thematik beschäftigen. Das LVwG war nämlich im Februar 2024 der Ansicht gefolgt, dass ab 1. Jänner 2025 keine gleichwertigen alternativen Entsorgungswege zur Verfügung stehen würden. Das Gericht gab den Anrainern, welche die Beschwerde eingebracht hatten, aber keine Gelegenheit, zu diesem Punkt Stellung zu nehmen Der VwGH sieht darin einen Verfahrensmangel und hat die Entscheidung deshalb aufgehoben.
Die Frage, ob der GDA ab 1. Jänner 2025 tatsächlich ohne Biomüll-Entsorgung dagestanden wäre, könnte wohl auch in Bezug auf den zweiten entscheidenden Aspekt eine Rolle spielen: Dabei geht es um den allfälligen wirtschaftliche Schaden, den die Fuchsluger GmbH im Fall einer Verzögerung gehabt hätte. Gemäß Vertrag mit dem GDA drohte dem Unternehmen eine saftige Pönale. Die Anrainer argumentierten in ihrer Beschwerde sinngemäß, dass es nicht zu ihren Lasten gehen dürfen, wenn die Fuchsluger GmbH Verträge abschließe, die sie nicht einhalten könne. Dem trat das Unternehmen in seiner Stellungnahme ans LVwG mit der Erklärung entgegen, Hintergrund für die „relativ kurze Frist“ zwischen Zuschlag und vorgesehener Inbetriebnahme sei, „dass – wie oben ausgeführt – der GDA die derzeitige Entsorgungsmöglichkeit verliert“. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, verfügte der GDA damals allerdings noch über einen aufrechten Vertrag mit der „ARGE Kompost Amstetten“ und hat diesen erst später – und von sich aus – gekündigt.
Betreiberfirma: „Anlage fachlich geprüft und von Experten errichtet“
Seitens der Fuchsluger GmbH wollte man das laufende Verfahren nicht kommentieren. In Bezug auf das Projekt selbst betont man, die „Errichtung von modernsten Standards entsprechenden Biogasanlagen“ sei „im Sinne der Erreichung der Klimaziele unabdingbar“. „Unsere Anlage entspricht diesen Standards, wir werden damit ca. 1,5 Millionen Kubikmeter Biogas erzeugen, was dem Bedarf von ca. 1.400 Haushalten entspricht. Die Anlage ist mehrfach fachlich geprüft und von Experten errichtet worden.“
Anrainer-Anwältin: „VwGH hat klares Zeichen gesetzt“
Anrainer-Anwältin Fiona List-Faymann teilte auf profil-Anfrage mit: „Der VwGH hat ein klares Zeichen gesetzt: Die Entscheidung des LVwG NÖ, mit der die aufschiebende Wirkung bestätigt wurde, war rechtswidrig. Damit ist klar, dass die damalige Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch die NÖ Landesregierung noch einmal auf den Prüfstand muss. Angesichts der klaren Sachlage darf diese Aberkennung jedoch keinen Bestand mehr haben. Sollte das LVwG NÖ zu dem einzig logischen Ergebnis kommen, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung rechtswidrig war, wird die Fuchsluger GmbH gezwungen sein, den Betrieb der Biogasanlage einzustellen.“
Man wird sehen, wie die weiteren Entscheidungen in der Causa ausfallen. Die Angelegenheit dürfte jedenfalls noch länger die Gerichte beschäftigen.