Investigativ

Bundesregierung zur Akte OMV-Sudan: Nur nicht einmischen

profil berichtete über schwere Vorwürfe in Bezug auf ein Öl-Projekt im Sudan. Soll die OMV Opfer entschädigen? Finanzminister und Staatsholding ÖBAG schauen weg.

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Eines ist fix: Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ist nicht dafür verantwortlich, dass sich die OMV-gemeinsam mit Konsortialpartnern-im Jahr 1997 ausgerechnet im Bürgerkriegsgebiet des südlichen Sudan auf die Suche nach Erdöl machte. Diese Entscheidung traf das OMV-Management unter der Leitung des damaligen Generaldirektors und langjährigen Wirtschaftskammer-Vizepräsidenten Richard Schenz.

Finanzminister Brunner ist auch nicht dafür verantwortlich, dass der Mineralölkonzern im Jahr 2004 seine Sudan-Beteiligung um einen dreistelligen Millionenbetrag verkaufte-im Wissen um die desaströse Situation vor Ort und trotzdem ohne die Bereitschaft, zumindest ein bisschen etwas von dem Veräußerungserlös in Unterstützungsleistungen fließen zu lassen. Das war Angelegenheit des OMV-Managements unter Leitung von Schenz-Nachfolger Wolfgang Ruttenstorfer.

Als Finanzminister ist Magnus Brunner allerdings aktuell politisch für die staatlichen Beteiligungen verantwortlich, die in seinen Bereich ressortieren und unter dem Dach der Staatsholding ÖBAG gebündelt sind. Darunter fällt auch die 31,5-prozentige Beteiligung der Republik an der OMV. Und diesbezüglich ergibt sich nunmehr eine etwas unangenehme Situation.

Wie profil vergangene Woche ausführlich berichtete, hat die Nationale Staatsanwaltschaft Schwedens im November 2021 Anklage gegen zwei Repräsentanten der schwedischen Ölfirma Lundin Energy (vormals Lundin Oil) erhoben, die beim Sudan-Projekt der OMV als Konsortialführer agierte und für die operativen Tätigkeiten vor Ort zuständig war. Die Anklagebehörde wirft den Beschuldigten Beihilfe zu schweren Kriegsverbrechen vor, die die damalige Führung des Sudan begangen haben soll, um die Ölbohrungen sicherzustellen. Die Lundin-Manager bestreiten die Vorwürfe.

Das Explorationsgebiet-eine riesige Sumpflandschaft mit der Bezeichnung "Block 5A"-war im Bürgerkrieg zwischen den autoritären Herrschern im nördlichen Sudan und den südlichen Rebellen, die nach Unabhängigkeit strebten, heiß umkämpft. Die schwedische Staatsanwaltschaft ortet systematische Angriffe der Regierungstruppen und ihrer verbündeten Milizen auf Zivilisten. Viele seien getötet, verletzt und aus dem Block 5A vertrieben worden.

Die schwedische Anklage enthält keine strafrechtlichen Vorwürfe gegen die OMV. Von einem moralischen Standpunkt her konnte der österreichische Ölkonzern jedoch zumindest ab Mitte 2002 keine Illusionen mehr haben, was die dramatischen humanitären Folgen des gemeinsamen Ölprojektes, an dem die OMV mit rund 26 Prozent beteiligt war, anging. Eigens beauftragte Berater bestätigten, dass das Öl den Konflikt in der Region angeheizt hatte. Block 5A sei ein Kriegsgebiet, schrieben sie in ihrem-von profil zuletzt erstmals öffentlich dargelegten-Bericht. Beide Seiten würden rücksichtslos agieren, Zivilisten hätten massiv zu leiden gehabt. Dem Expertenbericht war schon länger heftige Kritik durch Nichtregierungsorganisationen (NGO) und durch einen UN-Sonderberichterstatter vorausgegangen.

In diesem Wissen verkaufte die OMV ihre Sudan-Beteiligung im Jahr 2004 (rückwirkend per 1. Jänner 2003) um einen Verkaufserlös von umgerechnet 105,6 Millionen Euro an ein indisches Unternehmen. Laut OMV-Jahresbericht 2004 machten die kumulierten Kosten im Sudan rund 57,2 Millionen Euro aus. Das ergibt rechnerisch einen Gewinn von 48,4

Millionen Euro. Ein NGO-Vertreter erzählte profil, die OMV habe es seinerzeit dezidiert abgelehnt, nach ihrem Rückzug karitative Projekt in der Region zu finanzieren. (Während des Projekts hatte es Entwicklungsprogramme der Ölfirmen gegeben, deren Auswirkungen von den Experten im Jahr 2002 allerdings als "marginal" bezeichnet wurden.)

Diese-nunmehr verdichtet ans Tageslicht gekommene-Gemengelage hat profil veranlasst, drei Fragen an mehrere verantwortliche Stellen zu richten: Sollte die OMV angesichts der Anklageerhebung in Bezug auf das Sudan-Projekt-wenn auch nur gegen frühere Partner-Opfer entschädigen? Sollte die OMV Opfer entschädigen, falls das Gerichtsverfahren mit Schuldsprüchen endet? Sollte die OMV angesichts ihres damaligen Verhaltens und Wissens jedenfalls Opfer entschädigen oder Hilfen für die Region leisten (die heute im autonomen Staat Südsudan liegt)? Station eins: das Finanzministerium (BMF). Ein Sprecher teilte mit, dass dies "eine operative Angelegenheit der OMV" betreffe. "Das BMF ist hier nicht involviert." Nach aktuellem Kenntnisstand seien dem BMF im Jahr 2002 keine Informationen vorgelegt worden. (Die ÖBAG-Vorgängerin ÖIAG hielt damals 35 Prozent an der OMV. Die Sudan-Vorwürfe waren bestimmendes Thema der Hauptversammlung im Mai 2002. Es ist also unwahrscheinlich, dass das Ministerium von der Angelegenheit gar nichts wusste.) Von profil an die politische Zuständigkeit des Finanzministers erinnert, übermittelte der Brunner-Sprecher folgendes Zitat: "In operative Angelegenheiten mischt sich das Finanzministerium nicht ein."

Station zwei: Nur nicht einmischen ist auch das Motto bei der Staatsholding ÖBAG. "Das sind Managemententscheidungen der OMV",teilte ein Sprecher mit.

Station drei: die OMV. Es entspann sich ein reger E-Mail-Austausch mit "Head of Public Relations" Andreas Rinofner. Die Kurzzusammenfassung: Antworten auf die Fragen gab es auch von ihm nicht. Einerseits verwies er darauf, dass die OMV am Verfahren in Schweden nicht beteiligt sei. (Das ist korrekt. Den wesentlichen Inhalt der Anklageschrift kann freilich jeder, der des Englischen einigermaßen mächtig ist, einer offiziellen Pressemitteilung im Internet entnehmen.) Andererseits warf Rinofner plötzlich Zweifel auf, was die oben dargestellte Gewinnberechnung betrifft-ohne anderslautende Fakten darzulegen. (profil konfrontierte die Public-Relations-Abteilung der OMV bereits am 28. Juni mit dieser Berechnung. In der damaligen Antwort wurden keinerlei Beanstandungen geäußert.)

Der unwürdige Eiertanz hat naturgemäß einen ernsten Hintergrund. Es geht um schwerwiegende Vorgänge. Da will niemand auch nur entfernt anstreifen. profil hat mit dem schwedischen Anwalt Percy Bratt gesprochen. Er ist der Rechtsvertreter mehrerer Opfer, die im schwedischen Verfahren auch als Kläger auftreten. Eines dieser Opfer ist Steven. Er wurde bereits im Ermittlungsverfahren einvernommen. Dort gab der Mann zu Protokoll, er sei 1988 in einem Ort namens Nhialdiu geboren worden. In Block 5A galt Nhialdiu als besonders heftig umkämpft.

Teils via Dolmetsch, teils selbst in englischer Sprache erzählte Steven den Ermittlern, er habe mitansehen müssen, dass Menschen getötet und Häuser verbrannt worden seien. Einmal sei er-gemeinsam mit anderen Burschen-gefangen genommen worden. Von "Arabern",wie die Südsudanesen die Regierungstruppen des Nordens bezeichneten. Sie hätten einen nach dem anderen getötet, sagte Steven aus. Er selbst wäre geschlagen und mit einem Bajonett in die Schulter gestochen worden. Nach der Einvernahme fotografierten die Ermittler die Narbe. Steven glaubt, er wäre möglicherweise am Leben gelassen worden, weil die Soldaten von ihm Informationen wollten. Sein Vater sei ein hochrangiger ziviler Beamter gewesen.

Die Glaubwürdigkeit der Aussagen wird gegebenenfalls vor Gericht zu beurteilen sein. Lundin und die Beschuldigten haben sämtliche Vorwürfe vehement zurückgewiesen: Lundin sei eine positive Kraft für die Entwicklung im Sudan gewesen.

Anwalt Bratt glaubt indes, dass der Prozess (es gibt noch keinen Termin) eine präventive Wirkung auf Unternehmensverantwortliche haben könnte. Dadurch könnten Menschenrechtsverletzungen in Zukunft vermieden werden. In Bezug auf die österreichische Regierung meint Bratt, dass es seinerzeit Berichte von NGOs und eines UNO-Berichterstatters zur Situation im Sudan gegeben habe: "Vermutlich haben diese Informationen die österreichische Regierung erreicht. Das wirft Fragen auf. Angesichts dessen könnte es notwendig sein, die Handlungen der Regierung zu untersuchen."

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.