BVT-Affäre: Agentin „Nina“ und die Russland-Freunde
Luxusautos, Herrenanzüge vom italienischen Schneider – das ist es, wonach die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Ausschau hält, wenn sie sich die Handy-Chats des prominenten Unternehmers Ronny Pecik mit dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, vornimmt. Bekanntlich hegt die WKStA den Verdacht, Pecik könnte dem einst hochrangigen Amtsträger mit unentgeltlichen Auto-Verleihen à la Porsche Panamera und feinem Zwirn aus Maßarbeit verbotenerweise Vorteile zugewendet haben. profil berichtete wiederholt – Pecik bestreitet die Vorwürfe vehement.
Doch wenn die Ermittler Handy-Daten in die Finger bekommen, stoßen sie hin und wieder auf Hinweise, welche sie gar nicht erwartet hätten. So auch bei Pecik. In einem Sichtungsbericht, der profil vorliegt, verweist ein Experte der WKStA auf Chatnachrichten, welche der Unternehmer im April 2016 an Schmid übermittelte. Darin fiel ein Name: Christina W. alias „Nina“. Und was da in diesem Zusammenhang zu lesen war, ließ den WKStA-Fachmann hellhörig werden. Christina W. ist bei der österreichischen Justiz nämlich alles andere als ein unbeschriebenes Blatt.
Fall demnächst vor Gericht
Jahrelang ermittelte die WKStA gegen W., die als Privatagentin im Sold großer Unternehmen und vermögender Personen unterwegs war. Bei der Beschaffung beziehungsweise Aufbereitung von Informationen soll die heute 76-Jährige allerdings gleich in mehreren Staaten Amtspersonen zu nahe gekommen sein. In Deutschland wurde die Privatagentin 2017 wegen der Bestechung eines Kriminalbeamten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. profil berichtete ausführlich.
Nun naht auch in Österreich das große Finale der langen Affäre: W. soll einen Mitarbeiter des damaligen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT; nunmehr: DSN – Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst) bestochen haben. Gemäß Verdachtslage soll der Beamte von 2009 bis 2015 insgesamt 93.500 Euro erhalten haben – unter anderem für Firmenbuchabfragen via Dienst-Zugang und die Nutzung einer speziellen BVT-Software zur Erstellung von Organigrammen. Eine Anklageschrift der WKStA wurde vor Kurzem rechtswirksam, die Causa wird am Landesgericht St. Pölten verhandelt.
Die Spuren eines Skandals
profil hat sich gemeinsam mit dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ auf die Spuren des Skandals um Christina W. begeben, die zu DDR-Zeiten unter dem Codenamen „Nina“ für die Stasi spitzelte und später aus der Informationsgewinnung ein ebenso lukratives wie dubioses Business machte. Dabei sollte „Nina“, wie sich W. selbst gerne nannte, mitunter auch gegen bestimmte Personen eingesetzt werden. Betroffen davon war möglicherweise auch Pecik.
In der Anklageschrift gegen W. und den BVT-Beamten heißt es: „Von Februar 2015 bis Februar 2016 hatte Christina W. den Auftrag, unter dem Projektnamen ‚Janus‘ einen Rechtsstreit zwischen Ronny Pecik und S. B. (Anm.: Name der Redaktion bekannt) aufzuarbeiten.“ W. sei beauftragt worden, „Informationen zur Person Ronny Pecik zusammenzutragen, insbesondere betreffend dessen finanzielle Situation und allfällige zivilrechtliche Klagen gegen ihn“. Der BVT-Mitarbeiter habe ohne dienstliche Veranlassung Firmenbuchabfragen durchgeführt und W. auch „ein Dossier über die Person Ronny Pecik“ zugesandt.
„Mister 3%“
Kurz darauf, im April 2016 flog die Affäre „Nina“ auf. Es kam zu Hausdurchsuchungen – auch in Österreich. Christina W. wurde festgenommen, Medien berichteten rasch über erste Details. Ob Pecik damals schon wusste, dass auch er selbst Ziel der Privatagentin gewesen sein könnte, ist unklar. Grundsätzlich scheint der Unternehmer aber über sie Bescheid gewusst zu haben. Am 28. April 2016 übermittelte er Thomas Schmid per WhatsApp einen Link zu einem „Kurier“-Artikel über die Causa, in dem Namen abgekürzt waren. Pecik vervollständigte diese für Schmid und stellte Zusammenhänge zu weiteren Personen her: unter anderem zu einem früheren hochrangigen Manager eines großen teilstaatlichen Konzerns. Pecik bezeichnete den Mann, der damals immer noch über eine öffentliche Funktion verfügte, gegenüber dem Generalsekretär des Finanzministeriums nonchalant als „Mister 3%“.
Üblicherweise steht eine solche Bezeichnung für jemanden, der bei Deals unter der Hand mitschneidet. Das fiel auch dem Fachexperten der WKStA auf, der Pecik in seinem Bericht als potenziellen Zeugen bezeichnete: „Wenn … als „Mister 3%„ bezeichnet wurde, dann könnte das strafrechtlich ein Thema sein.“
Der mutmaßliche „Mister 3%“ ist in der Zwischenzeit verstorben, weshalb profil ihn nicht mit dem Vorwurf konfrontieren konnte und seinen Namen nicht nennt. Fest steht allerdings, dass W. noch bis kurz vor ihrer Festnahme im April 2016 mit ihm in Kontakt stand. Und bemerkenswert scheint auch, dass es sich bei dem Mann um einen der größten ausgewiesenen Russland-Freunde Österreichs handelte.
Die Moskau-Connection
Welche Rolle spielen Verbindungen nach Moskau in der Affäre „Nina“? In der Anklageschrift der WKStA heißt es, Christina W. habe dem BVT-Mitarbeiter im Rahmen ihrer ersten Begegnungen „Informationen über Russland und die GUS-Staaten“ geliefert beziehungsweise ihm „eine nachrichtendienstliche Quelle in Moskau“ vermittelt. Tatsächlich wiesen einige der großen Aufträge von Christina W. Russland-Bezüge auf. Kein Wunder, dass sie sich in Österreich, dem Land der Putin-Versteher und Ostgeschäfte-Macher, besonders wohlfühlte. profil ist bei den Recherchen zur Causa „Nina“ jedoch auf eine Connection gestoßen, die besonders viele Fragen aufwirft.
20. April 2016: Nach langen Vorermittlungen schnappt die Falle zu. Deutsche Ermittler rücken zu Festnahmen und Hausdurchsuchungen aus. Bei jenem Kriminalkommissar, der Nina gegen Geld mit Informationen beliefert hatte, stoßen sie unter der Rückbank eines VW Bora auf eine Festplatte. Darauf entdecken sie Daten zu Projekten des Kommissars mit der Privatagentin – und auch eine Kontaktliste.
Unter anderem findet sich auf dieser Liste eine gewisser Robert Stelzl – Zusatzvermerk: „Freiheitliche Akademie“. Tatsächlich war Robert Stelzl vor gut eineinhalb Jahrzehnten Geschäftsführer der Akademie gewesen. Später arbeitete er als Büromitarbeiter des FPÖ/BZÖ-Politikers Ewald Stadler, als dieser bis 2014 Abgeordneter im Europäischen Parlament war. Das ist jedoch noch lange nicht alles: Etwa zu jener Zeit, als die deutschen Ermittler den VW Bora auseinandernahmen, avancierte Stelzl zu einem wichtigen Querverbinder zwischen Kreml-treuen Propagandisten in Moskau und russlandfreundlichen Rechtspopulisten in Mitteleuropa. Dies ergibt sich aus geleakten E-Mails, welche profil Anfang 2023 gemeinsam mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), der estnischen Wochenzeitung „Eesti Ekspress“, der russischen Aufdeckerplattform „iStories“ und dem italienischen Investigativ-Zentrum IRPI auswertete.
Anfrage zu Bankdaten
Wie nunmehrige Recherchen zeigen, stand Stelzl offenbar genau über jene private E-Mail-Adresse, über die er später gen Moskau funkte, auch in Kontakt mit Christina W.: Am 8. April 2013 erreichten die Privatagentin über diesen Mailaccount angebliche Bankdaten eines Iraners bei der Crédit Suisse in Österreich. Demnach hätten sich auf dessen Konto 634 Millionen Euro befunden. Im Mail hieß es: „Triffst Du nicht heute R.? Der müsste das doch im Nu checken können?“
Wer auch immer mit „R.“ gemeint war – er oder sie konnte offenbar nicht weiterhelfen. Einige Tage später schickte W. das Mail nämlich wiederum an den nun mitangeklagten BVT-Beamten weiter – mit der Frage: „Ist das plausibel? Kann man das checken?“. Der BVT-Mitarbeiter bot an: „Ich kann das offiziell einbringen. Man wird sich allerdings fragen, woher die Information stammt bzw. wer sie weiter gegeben hat, da es wahrscheinlich Recherchen bei der Bank geben wird. Wenn das kein Problem ist kann ich das gern tun.“ Wie sich aus dem weiteren E-Mail-Verlauf ergibt, wäre das offenbar doch ein Problem gewesen, weshalb „Nina“ gegenüber ihrem BVT-Kontakt zurückruderte.
„Hilfreich in Kärnten“
Diese Angelegenheit dürfte nicht der einzige Kontakt zwischen Christina W. und Stelzl gewesen sein. Einem E-Mail an eine ihr nahestehende Person zufolge überlegte „Nina“, Stelzl zu einem Treffen einzuladen – ebenso wie ihren BVT-Kontakt und einen früheren BVT-Chef. Die Privatagentin schrieb: „Wir besprechen das, aber alle können in Kärnten hilfreich sein.“ Was genau gemeint ist, geht aus dem E-Mail nicht hervor.
In Buchhaltungsunterlagen von Christina W. finden sich zudem mehrere Einträge bezüglich „R. Stelzl“, jeweils in Zusammenhang mit Ausgaben zwischen 70 und 110 Euro – unter Umständen Bewirtungskosten. Bei diesen Einträgen findet sich zusätzlich der Vermerk „Blackstone“. Unter dieser Bezeichnung liefen Tätigkeiten der Privatagentin in Zusammenhang mit einem großen Versicherungskonzern. An dem Projekt war „Nina“ als Subauftragnehmerin beteiligt, Vorgänge in diesem Zusammenhang sind nun Teil der Anklage in St. Pölten.
W. reagierte auf eine aktuelle Anfrage nicht. Im November 2022 ließ ihr Anwalt wissen, seine Mandantin habe sich „in der Vergangenheit in fünf Vernehmungsterminen bereits ausführlich eingelassen“. Der beschuldigte BVT-Beamte hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
„Nicht einvernommen“
Stelzl teilte auf Anfrage mit, seine Beziehung zu W. sei „rein platonisch und sachlich“ gewesen. Der Kontakt sei nicht im Rahmen seiner politischen Tätigkeit erfolgt. Dass W. gegebenenfalls gute Kontakte zu Amtsträgern pflegte und sich daraus rechtliche Probleme ergeben könnten, sei ihm nicht bewusst gewesen. Seine Handlungen seien stets und „striktest“ im Einklang mit der österreichischen Gesetzgebung gewesen, er habe sich nichts vorzuwerfen. Ein derartiges Treffen, wie im E-Mail von W. angedacht, habe es nicht gegeben. Stelzl schließt außerdem „absolut“ aus, in das Projekt „Blackstone“ involviert gewesen sein. Soweit bekannt, wurde gegen Stelzl in Zusammenhang mit Christina W. nie ermittelt. Haben ihn die Behörden diesbezüglich zumindest befragt? Stelzl sagt: „Nein.“
Das ist insofern interessant, als sein E-Mail an „Nina“ sowie die Buchhaltungseinträge den österreichischen Ermittlern sehr wohl bekannt sind. Möglicherweise ergibt sich ja eine Gelegenheit für eine klärende Zeugeneinvernahme – vielleicht dann, wenn man auch mit Ronny Pecik plaudert.