Investigativ

Zurück zum Start: BVT-Prozess in Causa „Nina“ auf unbestimmte Zeit vertagt

Seit Juli steht ein Ex-Verfassungsschützer vor Gericht, weil er von einer deutschen Privatagentin geschmiert worden sein soll. Auf Zeugenschwund folgt nach vier Verhandlungstagen nun ein Richterwechsel. Faktisch zeichnet sich ein Neustart ab – mit langer Verzögerung.

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Es ist ohnehin schon eine Endlos-Causa, und sie dürfte noch lange nicht ihren Schlusspunkt erreichen. Einem – mittlerweile pensionierten – Beamten des einstigen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vorgeworfen, einer schillernden, deutschen Nachrichtenhändlerin gegen Geld zugearbeitet zu haben. Zum Verdacht der Bestechlichkeit kommt auch noch der Vorwurf, er könnte einen Finanzamtsmitarbeiter zu illegalen Abfragen angestiftet haben – profil berichtete ausführlich. Gleich vorneweg: Der Angeklagte weist jegliches Fehlverhalten zurück.

Der bizarre Fall beschäftigt die österreichische Justiz seit 2016. Damals flog Privatagentin Christina W. alias „Nina“ auf, die jahrelang im Sold großer Konzerne und vermögender Privatpersonen unterwegs gewesen war – offenbar unter anderem, um begehrte Informationen aufzutreiben oder an geeigneter Stelle zu platzieren. Zum Verhängnis wurde der Nachrichtenhändlerin mit Stasi-Vergangenheit, dass sie ihrerseits den einen oder anderen Behördenmitarbeiter als bezahlten Sub-Auftragnehmer nutzte: In Deutschland wurde W. bereits Anfang 2017 wegen Bestechung zu einer Haftstrafe verurteilt – mit ihr gemeinsam ein Kriminalhauptkommissar, der viel Geld genommen hatte. In der Schweiz wiederum kam es Ende 2020 zur Verurteilung eines Kantonspolizisten. Weil er „Nina“ gegen Geld mit Polizeidaten versorgt haben soll, wurde dem Beamten eine Geldstrafe auf Bewährung aufgebrummt.

Monatelange Verzögerung zu erwarten

In Österreich dauerte es hingegen sechs Jahre, bis im September 2022 Anklage erhoben wurde. Bis zum Verhandlungsstart Anfang Juli 2024 vergingen weitere eineinhalb Jahre – auch wegen eines Anklageeinspruchs eines Mitbeschuldigten. (Der Einspruch wurde zwar abgewiesen, die Anklage gegen den Mann aber trotzdem zurückgezogen – profil berichtete.) Dann sollte alles zügig gehen. Fünf Prozesstermine wurden über den Sommer hinweg ausgeschrieben. Doch am Mittwoch, am Ende des vierten Verhandlungstages, dann die Überraschung: Die Richterin, die dem Schöffensenat vorsitzt, vertagte das Verfahren auf unbestimmte Zeit. Sie geht demnächst in Mutterschutz, ein Richterwechsel sei daher unvermeidbar.

Selbst wenn sich die von der Richterin geäußerte Hoffnung erfüllt, dass bereits im September eine Neuzuteilung des Falles erfolgt, ist von einer monatelangen Verzögerung auszugehen. Es handelt sich um einen höchst umfangreichen Akt. Eine neue Richterin oder ein neuer Richter muss sich entsprechend einlesen. Dazu kommt, dass in Strafprozessen dem unmittelbaren Eindruck des Richters von Angeklagten und Zeugen hohe Bedeutung zukommt. Man kann also unter Umständen mit einem neuen Vorsitzenden in einigen Monaten nicht einfach da weitermachen, wo man am Mittwoch aufgehört hat.

Der angeklagte Ex-BVTler wurde zum Prozessbeginn stundenlang zu zwölf einzelnen Projekten befragt, bei denen er Christina W. zugearbeitet haben soll. Es war seine erste detaillierte Aussage dazu – profil berichtete. Im jahrelangen Ermittlungsverfahren hatte der Beschuldigte von seinem Recht Gebrauch gemacht, eine solche Aussage nicht zu tätigen. Umso zentraler nun die Angaben vor jenem Gericht, das letztlich auch die Glaubwürdigkeit des Mannes beurteilen muss. Ob sich ein neuer Richter diesbezüglich mit dem Lesen des Protokolls zufrieden gibt, und die Prozessparteien dem zustimmen würden, wird sich zeigen. Ähnliches gilt für die bisherigen Zeugenaussagen. 

Zentrale Zeugen tauchten nicht auf

Wobei mehrere zentrale Zeugen entgegen der ursprünglichen Planung vorerst ohnehin nicht befragt werden konnten. Wohl auch deshalb ist es der Richterin nicht möglich gewesen, den Prozess vor ihrem Mutterschutz zu Ende zu führen.

Große Abwesende Nummer eins: Christina W. höchstselbst. Eigentlich wäre die ehemalige Privatagentin gemeinsam mit dem Ex-BVTler angeklagt gewesen. Die mittlerweile 77-Jährige, die in Berlin lebt, blieb dem Prozessbeginn aber wegen angeblicher gesundheitlicher Gründe fern. Ihr eigenes Verfahren wurde daher auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit in Auftrag gegeben.

Ungeachtet dessen sollte Christina W. per Video-Schaltung als Zeugin im aktuellen Prozess aussagen. Auch dazu ist es jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht gekommen. Ende August soll sie von einem deutschen Sachverständigen untersucht werden. Ein Gutachten dürfte dann fünf bis sechs Wochen später vorliegen – wohl zur Unzeit. Ein neuer Richter wird absehbarer Weise Monate brauchen, um sich in den Fall einzulesen und eine Verhandlung auszuschreiben. Wie der Gesundheitszustand der betagten Frau dann sein wird, steht in den Sternen.

Bereits rund um die Anklageerhebung in Österreich im Herbst 2022 wollte sich W. nicht mehr öffentlich zu den Vorwürfen äußern. Ihr deutscher Anwalt verwies damals darauf, dass sich W. „in der Vergangenheit in fünf Vernehmungsterminen bereits ausführlich eingelassen“ habe.

Ex-Detektiv erschien nicht

Großer Abwesender Nummer zwei: ein ehemaliger Polizeibeamter, der später unter anderem als Privatdetektiv tätig wurde. Er könnte als Zeuge möglicherweise zur Klärung der Frage beitragen, weshalb es im August 2015 in einem Finanzamt in Niederösterreich zur Abfrage von Steuerdaten eines bestimmten russischen Staatsbürgers kam.

Die WKStA wirft dem angeklagten Ex-BVTler vor, einen Finanzamts-Mitarbeiter zur mutmaßlich illegalen Abfrage angestiftet zu haben. Laut Verdachtslage interessierte sich ein mit Christina W. bestens bekannter Privatermittler aus der Schweiz für die Vermögensverhältnisse des Russen. Der ehemalige Verfassungsschützer bestreitet vor Gericht die Anstiftung. Er habe lediglich auf Bitte von W. hin den ihm bekannten Detektiv bezüglich des Russen angesprochen.

Er habe sich diesbezüglich mit dem Detektiv getroffen, gab der Angeklagte zu Protokoll. Einen in der Folge an W. übermittelten Kostenvoranschlag mit „Ermittlungsoptionen“ habe aber nicht er erstellt, sondern sei ihm dieser vom Detektiv vorgelegt worden. Er habe das Papier per Handy-Foto an W. weitergeleitet. Letztere habe ihm dann jedoch mitgeteilt, dass das notwendige Budget nicht vorhanden wäre. Daraufhin habe er dem Detektiv gesagt, er solle nichts weiter unternehmen – so die Aussage des angeklagten Ex-Verfassungsschützers. Fest steht: Kurz darauf kam es zur mutmaßlich illegalen Abfrage der Steuerdaten des Russen am Finanzamt in Niederösterreich.

Dubai statt St. Pölten?

Obwohl der Detektiv und Krypotwährungs-Unternehmer laut „Firmencompass“ aktuell Mehrheitseigentümer eines Striptease-Lokals in Wien ist, konnte er sich einen Termin für die Zeugenaussage in St. Pölten offenbar nicht einrichten. Er soll einen Gutteil seiner Zeit in Dubai verbringen. Das Gericht ließ er – laut Aussagen der Richterin in der Verhandlung am Mittwoch – wissen, zwar regelmäßig in Österreich zu sein, aber nicht im Juli und im August.

Ob ein neuer Termin in einigen Monaten zufälligerweise mit einer Aufenthaltsphase des Mannes im Inland zusammenfällt, wird sich weisen. Die beschriebenen Gründe sprechen aber ohnehin dafür, dass das, was offiziell die Fortsetzung des bisherigen Prozesses ist, faktisch auf einen weitgehenden Neustart hinauslaufen wird.

Noch ein kranker Zeuge

Kurzfristig als Zeuge abgesagt hat auch jener ehemalige Finanzamtsmitarbeiter, der die mutmaßlichen illegale Datenabfrage vor Ort am Amt eingefädelt haben soll. Die Absage erfolgte krankheitsbedingt, wie es hieß. Gesund war hingegen ein einstiger Kollege des Mannes. Dieser sagte am Mittwoch jedoch lediglich aus, auf Bitte des Kollegen hin die Steuerdaten abgerufen zu haben. Das sei per se nicht unüblich gewesen. Über die möglichen Hintergründe wisse er nichts. Wer also allenfalls die potenziell illegalen Abfragen beauftragt hat, ist somit weiterhin unklar.

Ebenfalls als Zeuge befragt wurde Karl V., ein – durchaus als schillernd geltender - Unternehmensberater und ehemaliger Kontaktmann von Christina W. aus Wien. V. behauptete vor Gericht, „Nina“ habe ihm gegenüber im Rahmen eines Projekts einmal in den Raum gestellt, der – nunmehr angeklagte – BVT-Mitarbeiter würde sie 4000 Euro kosten. Dem Zeugen zufolge soll die Nachrichtenhändlerin auch behauptet haben, dass ein weiterer hochrangiger Verfassungsschützer sowie ein damaliger Kabinettsmitarbeiter im Innenministerium Geld bekommen hätten. V. schränkte vor Gericht aber gleich ein, dass er nicht beurteilen könne, ob Christina W. ihm gegenüber bei all diesen Dingen die Wahrheit gesagt habe.

Ex-BVTler bestreitet Vorwürfe

Die WKStA wirft dem angeklagten Ex-BVTler vor, von Christina W. von 2009 bis 2015 gut 90.000 Euro an Bestechungsgeld bekommen zu haben. Dafür habe er über seine dienstlichen Zugänge Firmenbuch- und Grundbuchabfragen durchgeführt sowie auf einer speziellen Analyse-Software des BVT Organigramme erstellt – profil berichtete ausführlich. Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe: Er komme lediglich auf rund 7.200 Euro, und die Zahlungen seien rechtlich unproblematisch gewesen. Abfragen habe er durchgeführt, um von W. erhaltene Informationen zu überprüfen. Erkenntnisse daraus habe er nicht an W. weitergegeben. Der Anwalt des Angeklagten, Roland Kier, hielt bezüglich der Organigramme fest: Das „Malen von Bildern in der Freizeit“ sei – wenn überhaupt – nur eine disziplinarrechtliche Frage.

Wie das Gericht das alles sieht, wird sich nun wohl erst nach einer längeren Verzögerung herausstellen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).