Investigativ

BVT-Prozess um Privatagentin „Nina“: „Mich konnte sie nicht mehr schützen“

Ein Ex-Nachrichtendienstler steht wegen Bestechungsverdachts vor Gericht. Er soll einer Informationshändlerin zugearbeitet und 90.000 Euro kassiert haben. Der Beamte bestreitet die Summe: Möglicherweise habe ihn die Frau belastet, um andere Kontakte zu schützen.

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Es ist der strafrechtliche Höhepunkt einer 2016 aufgeflogenen Affäre: Am Landesgericht St. Pölten muss sich seit Mittwoch ein – mittlerweile pensionierter – Mitarbeiter des früheren Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wegen Bestechungsverdachts verantworten. Der Nachrichtendienstler soll jahrelang nebenher einer deutschen Privatagentin mit Stasi-Vergangenheit zugearbeitet und dafür mehr als 90.000 Euro kassiert haben – profil berichtete ausführlich. Gegenüber den Ermittlungsbehörden hat der Beschuldigte, der alle Vorwürfe bestreitet, bisher weitgehend geschwiegen. Vor Gericht ließ er nun aber mit einer Aussage aufhorchen, die manchenorts wohl für Nervosität sorgen könnte.

Er sei nämlich beileibe nicht der einzige Kontakt von Christina W. – Codename „Nina“ – im österreichischen Sicherheitsapparat gewesen, gab der frühere Verfassungsschützer zusammengefasst zu Protokoll. Die Frau sei im Bereich des Innenministeriums und der Polizei mit fünfzehn Leuten im Kontakt gestanden. Darunter wären sowohl pensionierte, aber auch aktive Bedienstete gewesen. Und ihm würde auch eine Person einfallen, auf welche die Bezeichnung „Quelle Kabinett“ passen würde. Diese Bezeichnung hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf einem Buchhaltungsbeleg der Privatagentin gefunden – und in der Anklage nun dem Ex-BVTler zugeschrieben.

„Niemanden hineinreiten“

Der frühere Verfassungsschützer stellte in den Raum, dass ihn Christina W. in Aussagen gegenüber den Ermittlungsbehörden belastet habe, um andere Personen nicht „hineinzureiten“. Möglicherweise habe sie viele Abrechnungsbelege, welche Auszahlungen der Privatagentin dokumentieren sollen, deshalb ihm zugeschrieben: „Mich konnte sie nicht mehr schützen.“

Tatsächlich war der Kontakt zwischen W. und dem ehemaligen Nachrichtendienstler den Ermittlungsbehörden schon früh im Verfahren bekannt. Der Ex-BVTler bestreitet zwar nicht, Geld von der Frau genommen zu haben. Er betont aber, es sei viel weniger gewesen als die 93.500 Euro, welche ihm die WKStA zur Last legt. Er komme lediglich auf rund 7.200 Euro – und die Zahlungen seien außerdem rechtlich unproblematisch gewesen.

„Nina“ blieb Prozess fern

Christina W. konnte vor Gericht noch nicht dazu befragt werden. Sie ist zwar ebenfalls angeklagt. Doch obwohl ein Sachverständiger Ende 2023 der mittlerweile 77-Jährigen Verhandlungsfähigkeit attestiert hat, erschien sie am Mittwoch nicht in St. Pölten. Sie sei im Krankenhaus, gab ihr Pflichtverteidiger zu Protokoll. Das Gericht beauftragte im Rechtshilfeweg mit Deutschland ein neuerliches Gutachten zum Gesundheitszustand. Ihr wird – wenn überhaupt – wohl zu einem späteren Zeitpunkt separat der Prozess gemacht werden. Im aktuellen Verfahren, das somit ausschließlich gegen den Ex-BVTler läuft, will die Richterin die Frau demnächst aber zumindest per Videokonferenz als Zeugin befragen.

Tatsächlich könnten allfälligen Aussagen von Christina W. einiges zur Klärung beitragen. Vorerst liegen die Prozessstandpunkte denkbar weit auseinander: Der Vertreter der WKStA warf dem Angeklagten im Anklagevortrag vor, die Zusammenarbeit mit „Nina“ sei für einen Nachrichtendienstler „undenkbar, unmöglich und unerlaubt“ gewesen. Der Anwalt des pensionierten Beamten, Roland Kier, hielt dagegen: Das „Malen von Bildern in der Freizeit“ sei – wenn überhaupt – nur eine disziplinarrechtliche Frage.

Der Organigramm-Maler

„Malen von Bildern“? Einer der Vorwürfe der WKStA beruht darauf, dass der Angeklagte eine Analysesoftware des BVT genutzt haben soll, um für Christina W. Organigramme zu erstellen. W. führte jahrelang für Konzerne und andere potente Auftraggeber Recherchen und private Ermittlungen durch. Wenn man da professionelle Netzwerk-Grafiken mit verdächtigen Personen, Firmen und deren jeweiligen Verbindungen vorlegen kann, macht das natürlich Eindruck. 

Der Ex-BVTler bestreitet nicht, Organigramme für W. angefertigt und dafür Geld bekommen zu haben. Er habe allerdings selbst keine Informationen dazu beigesteuert, sondern lediglich Berichte, die ihm W. gelieferte habe, grafisch umgesetzt. Die notwendige Datenbasis für die Software – entsprechende Excel-Sheets – habe er zuhause in seiner Freizeit erstellt. Im Büro habe er die Daten dann lediglich eingespeist und vom Computerprogramm die visuelle Umsetzung erhalten. 

Für wen wurde recherchiert?

Dass er über seinen dienstlichen Zugang mitunter Firmenbuchabfragen zu Unternehmen und Personen durchgeführt hat, welche im Zentrum der Privat-Ermittlungen von Christina W. standen, hatte – den Darstellungen des Angeklagten zufolge – ebenfalls nichts mit Bestechung zu tun. Er habe die Abfragen durchgeführt, um die von W. erhaltenen Informationen zu überprüfen. Erkenntnisse aus den Abfragen habe er nicht an W. weitergegeben.

In manchen Fällen habe er im Internet recherchiert und sich selbst Berichte erstellt, gab der pensionierte Beamte zu Protokoll. Diese seien aber nur für ihn selbst gedacht gewesen. Als die Richterin dem Angeklagten am Mittwoch einen solchen Bericht vorhielt, der jedoch von den Ermittlungsbehörden bei W. gefunden worden war, meinte er: „Dann habe ich ihn ihr gegeben. Ich kann mich daran nicht erinnern.“

Bar auf die Hand 

Befragt wurde der Ex-BVTler auch zu Abrechnungsbelegen, welche W. für ihre eigene Buchhaltung erstellt hat – offenbar, um Zahlungen an Quellen anonym halten zu können. Auf nicht wenigen davon finden sich beim angeblichen Zahlungsempfänger die Initialen des früheren Nachrichtendienstlers. Manche enthalten zusätzlich noch Leistungsangaben, welche mit der Organigrammerstellung zusammenpassen würden. W. hat früher schon ausgesagt, dass die Initialen oder andere Angaben sich tatsächlich auf den pensionierten Beamten beziehen würden. Die WKStA hat die Summen zusammengezählt und kommt so auf die erwähnten 93.500 Euro.

Der Angeklagte bestreitet nun die Aussagekraft dieser Buchhaltungsunterlagen. In manchen Fällen hab er zwar Geld erhalten, jedoch deutlich geringere Summen. Dokumentiert wurde das offenbar nicht: Er habe das Geld bar auf die Hand bekommen und auch keine Bestätigung unterschrieben. Versteuert habe er die Zahlungen nicht, da ihm W. erklärt habe, sie hätte mit ihrem Finanzamt eine Vereinbarung zur Vorabversteuerung. 

Die Sache mit den Steuerdaten

Der Hauptteil der Anklage bezieht sich auf zwölf Ermittlungsprojekte von Agentin „Nina“, in deren Rahmen der damalige BVTler pflichtwidrig Amtsgeschäfte gegen Bezahlung vorgenommen haben soll. Dass pflichtwidrige Amtsgeschäfte vorgelegen seien, bestreitet der Beschuldigte grundsätzlich – Stichwort: „Malen von Bildern in der Freizeit“. An manchen der von der Anklage umfassten Projekte sei er darüber hinaus gar nicht beteiligt gewesen.

Ein weiterer Anklagevorwurf bezieht sich auf mutmaßlich illegale Abfragen von Steuerdaten. Der damalige BVTler soll einen Finanzamtsmitarbeiter zu solchen Anfragen – und damit zu einem Amtsmissbrauch – angestiftet haben, nachdem er eine Anfrage von W. in Bezug auf eine bestimmte Person erhalten hatte. Auch dieser Vorwurf wird bestritten. Sein Mandant wisse gar nicht, wer der bewusste Finanzbeamte sei, sagte Anwalt Kier am Mittwoch. Der Angeklagte habe nie einen Auftrag erteilt, die WKStA agiere diesbezüglich auf der Basis von Vermutungen. 

Christina W. ist zu diesem Vorwurf übrigens nicht angeklagt, zum Bestechungsverdacht aber sehr wohl. Die Nachrichtenhändlerin wurde übrigens bereits Anfang 2017 in Deutschland verurteilt – gemeinsam mit einem ehemaligen Kriminalhauptkommissar, der ihr zugearbeitet hatte. Nach Geständnissen erhielten die Beiden mehrjährige Haftstrafen – unter anderem wegen Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit. Bereits rund um die Anklageerhebung in Österreich im Herbst 2022 wollte sie sich nicht mehr öffentlich zu den Vorwürfen äußern. Ihr deutscher Anwalt verwies damals darauf, dass sich W. „in der Vergangenheit in fünf Vernehmungsterminen bereits ausführlich eingelassen“ habe.

Zurückgezogen hat die WKStA ursprüngliche Anklagen gegen den ehemaligen Finanzamtsmitarbeiter und einen seiner Kollegen, der ebenfalls involviert gewesen sein soll: Einer der Männer ist bereits vor einiger Zeit wegen illegaler Abfragen verurteilt worden, der andere hatte eine Diversion erhalten. Bei beiden würde sich der zusätzliche Vorwurf nicht weiter auswirken, begründet die Anklagebehörde den Schritt. 

Am 17. Juli soll der Prozess mit der weiteren Befragung des Ex-BVTlers fortgesetzt werden. Und die  Richterin will möglichst rasch klären, wann Christina W. fit genug für einen Video-Call ist. 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).