Investigativ

Causa Integrationsfonds: „Diese Wohnungen waren nichts wert.“

Im Millionen-Gerichtsprozess um mutmaßlich zu billig verkaufte Immobilien des Österreichischen Integrationsfonds war am Montag erstmals der Hauptangeklagte am Wort. Das Einzige, wozu er sich „geständig“ zeigte, war seine enge Freundschaft zu einem Mitbeschuldigten.

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Es kommt auch nicht oft vor, dass Strafprozesse erst am zweiten Verhandlungstag richtig losgehen. In der Millionen-Causa rund um diverse Immobiliengeschäfte des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), welche am Landesgericht Wien aktuell verhandelt wird, war das heute, Mittwoch, jedoch der Fall. Grund dafür: Am mitten im Sommer angesetzten ersten Prozesstag ließ sich ausgerechnet der Hauptangeklagte entschuldigen – ein früherer Geschäftsführer des ÖIF.

Nun war er da. Bevor der Beschuldigte jedoch selbst das Wort ergreifen konnte, kam der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die seltene Ehre zu, ihren Anklagevortrag (vulgo: Eröffnungsplädoyer) ein zweites Mal halten zu dürfen. Ordnung muss sein – vor allem bei Gericht.

Dabei wäre dem Angeklagten Ex-ÖIF-Manager auch so bestens bekannt gewesen, was ihm vorgeworfen wird. Die Causa zieht sich seit 2015. Mitte 2023 lag dann die Anklageschrift vor – profil berichtete exklusiv über die Details und über die bemerkenswerten Gesamtumstände. Der Hauptangeklagte hatte sich der WKStA nämlich zuvor in anderem Zusammenhang als möglicher Kronzeuge gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angetragen.

Das hat den früheren ÖIF-Chef jedoch nicht davor bewahrt, vor Gericht zu landen. Nun sieht er sich – gemeinsam mit vier Mitangeklagten – dem Vorwurf ausgesetzt, den Integrationsfonds „nach Strich und Faden ausgenommen“ zu haben, wie ein Vertreter der WKStA am Montag betonte. Die Vorwürfe drehen sich um verschiedene Geschäfte im Immobilienbereich in den Jahren 2006 bis 2009. Dabei sollen die Angeklagten – so der Vorwurf – Untreue begangen und das Vermögen des Fonds „geplündert“ haben. Alle bestreiten sämtliche Vorwürfe – profil berichtete.

WKStA ortet Millionenschaden

Im Zentrum der Anklage steht der Verkauf zweier Häuser mit Flüchtlingswohnungen sowie der Paket-Verkauf von weiteren siebzig Eigentumswohnungen. Die WKStA geht davon aus, dass diese Veräußerungen weit unter dem tatsächlichen Wert der Immobilien erfolgten. Alleine daraus soll dem ÖIF ein Schaden von mehr als sieben Millionen Euro entstanden sein. Darüber hinaus soll der ÖIF eine Immobilien angemietet haben, die er gar nicht benötigt hätte – mutmaßlicher Schaden: 2,8 Millionen Euro. Dazu kommen noch weitere, kleinere Anklagepunkte, die sich aber auch auf ordentliche Beträge summieren.

Was ins Auge sticht: Bereits damals bestehende Nahebeziehungen zwischen einzelnen nunmehrigen Angeklagten. Das von der WKStA unterstellte Motiv lautet dann auch: den „eigenen Freundeskreis zu bereichern“. Alle Betroffenen bestreiten das vehement – einer der Angeklagten ist nach einer komplizierten Bruchverletzung vorerst nicht verhandlungsfähig.

Anwalt: „Dort wollen Sie nicht hausen.“

Am Mittwoch war dann zunächst Johannes Zink am Wort, der Anwalt des Hauptangeklagten. Obwohl die Anklageschrift rund 900 Seiten stark ist, enthalte sie „wenig rechtlich Relevantes“, meinte Zink. Und es sei auch bezeichnend, dass im Anklagevortrag der WKStA keine Fotos der Wohnungen gezeigt worden seien. „Das sind Wohnungen, die Sie nicht einmal geschenkt haben wollen“, erklärte der Anwalt den Schöffen. Zusatz: „Das sind Löcher. Dort wollen Sie nicht hausen.“

Was die Entscheidungsfindung im Integrationsfonds anbelangte, argumentierte Zink, in den Sitzungsprotokollen des – über der Geschäftsführung angesiedelten – Kuratoriums des Fonds sei alles im Detail dargelegt worden. Dort seien Spitzenbeamte des Innenministeriums gesessen, „keine willfährigen Ja-Sager“. Viel Raum in der Argumentation des Anwalts nahm ein bestimmtes damaliges Kuratoriums-Mitglied ein: Der Mann soll im Immobilien-Bereich besonders bewandert sein und die Verkaufsentscheidungen geprüft und unterstützt haben.

Angeklagter: „Das ist absurd.“

Keines der damaligen Kuratoriumsmitglieder ist angeklagt. Die WKStA wirft hingegen dem früheren ÖIF-Chef vor, diese getäuscht zu haben. Der bestritt das am Mittwoch – und zwar unter anderem mit einer durchaus bemerkenswerten Argumentationslinie.

So berichtete der Hauptangeklagte, dass er früher auch Geschäftsführer des sogenannten Stadterweiterungsfonds gewesen sei – und dieser Fonds ein teilweise deckungsgleiches Kuratorium gehabt habe. Vor einigen Jahren seien er und mehrere Kuratoriumsmitglieder von der WKStA wegen des Vorwurfs einer gemeinsamen Untreue angeklagt (und letztlich freigesprochen) worden. Folge man jedoch dieser Logik, hätte er mit denselben Kuratoriumsmitglieder an einem Tag beim Stadterweiterungsfonds eine gemeinsame Untreue begangen und sie am nächsten Tag beim Integrationsfonds getäuscht – und zwar über Jahre hinweg. „Das passt nicht zusammen, das ist absurd“, betonte der Hauptangeklagte. Er habe keine Täuschungshandlungen gesetzt, sondern das Kuratorium „immer umfassend informiert“ und auch sonst keine seiner Pflichten verletzt. Eine allfällige Bereicherung werde ihm gar nicht vorgeworfen.

Der Ex-ÖIF-Chef hatte für sein Eingangsstatement bei Gericht eine Präsentationsunterlage in mittlerer Buchstärke vorbereitet, die er Punkt für Punkt durchging – inklusive langer Zitate aus Sitzungsprotokollen. Es gebe „keinen Schaden, keine Täuschung und keine Falschinformation“, hielt der Angeklagte fest. Aus der Sanierungsbedürftigkeit der Flüchtlingswohnungen seien dem ÖIF Millionenverluste entstanden – das sei einer Gründe für den Verkauf gewesen. Dieser Verlust habe „die Existenz des ÖIF“ und die Erfüllung seiner sonstigen Zwecke – etwa Integrationsmaßnahmen – gefährdet: „Diese Wohnungen waren nichts wert.“

Was den Vorwurf betrifft, eine Immobilie für ein Integrationsprojekt sei angemietet worden, obwohl man diese nicht benötigt hätte, hielt der frühere Geschäftsführer fest: „Das war eines der erfolgreichsten Projekte für Integration in Österreich.“ „Es gibt nur einen Vorwurf, zu dem ich geständig bin“, meinte der Hauptangeklagte: „dem der Freundschaft“ zu einem der Mitbeschuldigten.

Langer Prozess zeichnet sich ab

Am Mittwoch folgt die nächste Verhandlung. Da sollen dann die Mitangeklagten erstmals zu Wort kommen. Einer hat bereits angekündigt, eine Präsentation in zwei Teilen halten zu wollen. Dauer pro Teil: rund 90 Minuten. Richter Michael Tolstiuk will am 10. September bereits erste Zeugen befragen – vorzugsweise frühere Kuratoriumsmitglieder.

Am Mittwoch legte das Gericht auch den Fahrplan bis Jahresende fest: von 18. Oktober bis 20. Dezember soll es sieben Verhandlungstermine geben. Als einer der Anwälte Terminprobleme andeutete, verwies Tolstiuk darauf, dass es nicht einfach sei, Prozesstage zu finden.

Tatsächlich handelt es sich um einen Riesenprozess mit drei Berufsrichtern und neun Schöffen (inklusive Ersatzpersonal, wohl für den Fall, dass es zwischendurch zu Ausfällen kommt). Angesichts der zu erwartenden langen Prozessdauer drängt Tolstiuk darauf, dass es zu keinen Verzögerungen kommt: „Das Verfahren muss laufen.“

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).