Causa Ott: Die verräterischen Marsalek-Chats des MI5
Von Anna Thalhammer und Stefan Melichar
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Egisto Ott. Der Name steht schon jetzt als Synonym für den größten Spionagefall in Österreichs Geschichte. Es wird seit sieben Jahren intensiv ermittelt. Den Durchbruch brachten nun aber Chats, die der britische Inlandsgeheimdienst MI5 sichergestellt hat. Sie führten kurz vor Ostern zu Otts Verhaftung. Seitdem sitzt der unter Spionageverdacht stehende Ex-BVT-Beamte in U-Haft – er hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Die von den britischen Behörden ausgewertete Handy-Kommunikation erzählt die Geschichte eines russischen Spionagerings in Großbritannien, der – von Russland aus – vom flüchtigen Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek gelenkt worden sein soll und in mehreren europäischen Ländern operierte. Mutmaßlich korrupt gewordenen Verfassungsschützer wie Egisto Ott und sein ehemaliger Vorgesetzter Martin Weiss und deren Verbündete sollen Teil davon sein. Die Chats, über die zuerst der „Standard“ berichtete, liegen jetzt profil, SZ und WDR vor.
Die britischen Behörden stürmten im Februar 2023 die Wohnungen von fünf Bulgaren, die in Großbritannien für Russlands spioniert haben soll. Einem der Agenten, Orlin R., wurde ein Handy abgenommen, auf dem sich abenteuerlich anmutende Chats mit Marsalek fanden. Marsalek – ein Österreicher – floh im Sommer 2020, nachdem Wirecard die größte Wirtschaftspleite in der deutschen Geschichte seit Jahrzehnten hinlegt hatte. Seitdem wird er in Moskau unter dem Schutz der russischen Geheimdienste vermutet – ein Verdacht, den die nunmehrige Chatauswertung massiv erhärtet: Die Behörden halten Marsalek mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für einen russischen Spion.
„Evakuierung“ nach Dubai
Egisto Ott und Martin Weiss waren einst treue Staatsschützer – irgendwann haben sie laut Verdachtslage jedoch die Seiten gewechselt und wurden zur Gefahr für die Republik. Ott steht seit dem Jahr 2017 in Verdacht, für Russland spioniert zu haben. Beide Männer wanderte im Frühjahr 2021 in U-Haft, auch weil sie Marsalek bei der Flucht geholfen haben sollen. Sie stritten strafrechtliches Fehlverhalten immer ab. Die Marsalek-Chats aus Großbritannien werten die Ermittler aber dahingehend, dass sie ihre Tätigkeit munter fortsetzten.
„Positive News, our friend was released by the police two hours ago“, schreibt Marsalek an R. am 24. Jänner 2021. Das war genau jener Tag, an dem Martin Weiss aus der U-Haft entlassen wurde. Und Marsalek ergänzte: „I just managed to evacuate my Austrian guy to Dubai. That was quite an adventure as well. We were worried they’d arrest him again at the airport.“ Übersetzt: Ich habe es geschafft, dass mein Österreicher nach Dubai evakuiert wird. Das war ziemlich abenteuerlich – auch, weil wir Sorge hatten, dass er am Flughafen wieder verhaftet wird. Die Justiz ließ Weiss damals aber laufen. Er hatte versprochen, an der weiteren Aufklärung mitzuwirken. Er kündigte auch an, dass er wieder nach Dubai wolle, wo er lebt und arbeitet. Interessanterweise achtete man bei seinen Einvernahmen nicht einmal darauf, dass Weiss auch wirklich eine konkrete Adresse samt Hausnummer angab.
Ott wurde wenig später aus der U-Haft entlassen. Und wie es aussieht, werkten die beiden Ex-BVTler weiter wie zuvor. An Marsalek wurden – so der Verdacht der Ermittler – gestohlene Mobiltelefone von höchstrangigen Beamten des Innenministeriums übergeben. Und zumindest ein verschlüsselter Laptop, wie ihn nur westliche Sicherheitsbehörden verwenden, soll über Umwege zu Marsalek gewandert sein. Zwei weitere derartige Computer wurden nach Otts Verhaftung gefunden. Woher die SINA-Laptops gekommen, ist Gegenstand der Ermittlungen in Österreich und Deutschland.
Einbruch beim Erzfeind Putins
Wie jedoch der Transport des einen Laptops nach Russland im Juni 2022 vonstatten gehen sollte, das zeigen die sichergestellten Marsalek-Chats. Wobei das Vorgehen auf den ersten Blick weniger professionell wirkt, als man es von echten James Bonds erwarten würde: R. und Marsalek besprechen tagelang Zugfahrpläne. Wie und wo ein Laptop übergeben werden sollte inklusive Passwort. Übergabeort sollte die Wohnung von Otts Schwiegersohn in Wien-Floridsdorf sein. Der ist beruflich viel auf Reisen, Ott Senior hat einen Schlüssel.
Die Abholung dieses ersten Laptops war – den Chats zufolge – erfolgreich. Aber man war offenbar auch noch an einem anderen Computer interessiert. Ein Laptop, den man nicht einfach abholten konnte, sondern zuerst einmal stehlen musste. Es handelt sich um ein Gerät von Christo Grozev, dem Chefredakteur von Bellingcat, erklärter Erzfeind Putins. Er lebte zeitweise in Wien. In Sommer 2022 organisierte Marsalek laut Verdachtslage, dass in Grozevs Wohnung eingebrochen wurde und ein Laptop aus einem Safe entwendet werden konnte. „Sadly no money or jewelry in the Safe. almost disappointed“, schrieb R. an Marsalek. (Traurig, kein Geld oder Juwelen im Safe. Ziemlich enttäuschend). Marsalek freute sich dennoch: „I want to see Grozev’s reaction when he opens the safe and the laptop is missing.“ Und hoffte beinahe kindisch auf eine Reaktion Grozevs in den sozialen Medien: „Let’s see on Twitter what Grozev will say“.
Außerdem wälzte man Überlegungen, Taschendiebe zu engagieren, um Grozevs Handy zu stehlen. Dies war jedoch nicht von Erfolg gekrönt, wie er gegenüber „profil“ bestätigt.
Die Bande unterhielt sich per Handy-Chat ausführlich darüber, ob es für den Laptop-Transport nicht einen faradäischen Käfig brauche, damit die Ladung auch sicher in Russland ankomme. Tatsächlich dürfte man das Gerät in eine spezielle Tasche gepackt haben. Man macht sich allerdings Sorgen, dass man den Laptop bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen in der Türkei, über die der Transport laufen sollte, auspacken müsse – und der Computer dann GPS-Signale senden könnte.
Viele Wege führen nach Moskau
Die unterschiedlichen Gegenstände nahmen verschlungene Wege zu Marsalek. Einmal reiste jemand über Berlin nach Wien an, um die Bestellung abzuholen. Einmal sollte ein Laptop über Sofia nach Russland. Einmal über London nach Istanbul – und von dort dann weiter. Rund 20.000 Euro sollten von Berlin nach Wien als Gegenleistung für Gegenstände gebracht werden. Ein Laptop sollte im Dezember 2022 von Istanbul nach Lubyanka. Dort ist auch die Zentrale des FSB angesiedelt. „Laptop just passed customs without problems and is in the car to Lubyanka.“ Ein wenig später schreibt er: „Iran will be a happy buyer.“ Ob und warum und wie der Iran einen Laptop erhalten hat, ist unklar. Es findet sich dazu in der „profil“ vorliegenden Auswertung keine weiter Kommunikation.
Marsalek zeigte sich übrigens mehrfach ungehalten über die Unzuverlässigkeit der deutschen Bahn und seines offenbar mit Geldtransfers betrauten „Personals“ in Berlin – das unter dem Kosenamen „Kebap Boys“ operierte.
Laut Verdachtslage gab mehrere Reisen des Agentenrings nach Wien. Zwischen Juni und November 2022 wurden demnach zuerst illegal entwendete Handys transportiert – und dann eben auch der mit spezieller Verschlüsselungstechnik ausgestattete sogenannte SINA-Laptop. Zwei weitere dieser Art fand man in Otts Wohnung nach seiner Verhaftung – profil, „Süddeutsche Zeitung“ und WDR berichteten dazu exklusiv. Bisher gibt es zumindest keine näheren Hinweise, dass die Geräte aus österreichischen oder deutschen Behörden stammen würde. Darüber hinaus ist in den Chats von Belgischen und Französischen Pässen sowie von „einigen Bankkarten“ die Rede, die Richtung Marsalek wandern sollten. Der Ex-Wirecard-Vorstand besaß bereits in der Vergangenheit mehrere. Ob er nun mit weiteren Identitäten reist, ist Gegenstand von Ermittlungen. Gegen Marsalek liegt ein internationaler Haftbefehl vor.
Weihnachtsgeschenke
Marsalek hatte neben den Dingen, die er für seine Spionagetätigkeit brauchte, aber noch Spezialwünsche: „On a personal note, would he have time to drop by Sacher shop and buy two cakes as well for me“, fragt Marsalek in einem Chat an R., ob der nach Wien entsandte Komplize nicht zufällig Zeit hätte, ihm zwei Sachertorten mitzubringen.
Im November 2022 ist Marsalek schon in Weihnachtsstimmung und spricht von X-mas-Shopping. Zwei mal 25 Kilo an Geschenken werden über Istanbul transportiert – man strapazierte das Höchstgewicht (im Endeffekt sollen es sogar vier Koffer mit insgesamt fast hundert Kilo gewesen sein). Der erbeitete Laptop sollte darum lieber ins Handgepäck. Zur Abholung in Istanbul und zum Weitertransport nach Russland wollte Marsalek eine Frau schicken. Und schriebt: „The Tuesday-girl will also take care of the 100 kg of Christmas shopping (FSB will hate me for this) and will organise shipment.“ Vielleicht konnte Marsalek seine Freunde bei m russischen Geheimdienst mit dem einen oder anderen Weihnachtsgeschenk wieder positiv stimmen.
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).