Causa Ott: Martin Weiss, der dritte Mann im Spionageskandal
Neben Jan Marsalek und Egisto Ott steht der frühere BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss im Zentrum der Spionageaffäre. Wie die Justiz in Österreich und Deutschland ihn zunächst in den „sicheren Hafen“ Dubai entkommen ließ – und sie ihm nun wieder habhaft werden will.
Egisto Ott war der erste Streich – zwei und drei sind in intensiver Vorbereitung, zumindest wenn es nach dem Willen der Ermittler im größten Spionage-Krimi geht, den die Republik je erlebt hat. Neue Akten, die profil vorliegen, zeigen, wie man das zentrale Trio im BVT-Agenten-Thriller endgültig festnageln will. Mit neuen Beweisen – und auch mit weiteren Festnahmen.
Einen zentralen Protagonisten in der Affäre um mutmaßliche Russlandspionage hat die Justiz bereits in ihrem Gewahrsam – Egisto Ott sitzt seit Ostern in U-Haft. Über ihn will man an seine beiden Komplizen rankommen. Die sind noch auf freiem Fuß und, wie es aussieht, auch weit weg: Als Mastermind der Clique gilt Ex-Wirecard-Boss Jan Marsalek. Er ist, nachdem er die größte Firmenpleite in der deutschen Geschichte mitverursacht hatte, 2020 rechtzeitig vor seiner Festnahme über den kleinen Flughafen in Bad Vöslau in Niederösterreich in Richtung Russland getürmt. Dort lebt er heute mutmaßlich unter dem Schutz der Geheimdienste für die er offenbar auch weiter operiert.
Von Marina Delcheva,
Stefan Melichar,
Max Miller und
Anna Thalhammer
Auch der Dritte im Bunde hat Österreich vorsorglich verlassen und entzieht sich dem Zugriff der Behörden: Martin Weiss war einst hochrangiger Abteilungsleiter im Verfassungsschutz. Seine neue Wahlheimat sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Er ist nach der Wirecard-Pleite nach Dubai ausgewandert, widmet sich dort Investmentgeschäften, teils auch mit russischem Hintergrund. Einladungen der heimischen Justiz folgt er seit einiger Zeit nicht mehr. Er blieb sogar einem Gerichtsprozess fern, in dem er angeklagt war.
Daran ist die Justiz selbst schuld. Sie hatte gleich zwei Mal die Möglichkeit, ihn endgültig festzunageln. Zwei Mal hat man ihn aber falsch eingeschätzt, seinen Beteuerungen Glauben geschenkt – und ihn darum wieder laufen lassen.
Falsche Fährte
Einmal sind die Ermittler in Wien auf ihn hereingefallen. Einmal führte er die Staatsanwaltschaft München aufs Glatteis, wo er im Frühling 2022 vorsprach. Damals fahndete Österreichs bereits nach Weiss. Die Staatsanwaltschaft München sicherte dem Mann jedoch freies Geleit zu. Die Kollegen in Österreich wussten nichts von seinem Auftritt. In der Zusammenarbeit der beiden Länder in der Causa knirscht es jedenfalls gewaltig, wie Recherchen von profil, „Süddeutscher Zeitung“ und „WDR“ zeigen.
Dem Recherchekollektiv liegt ein umfangreicher Anlassbericht der sogenannten „AG Fama“ vom 19. Februar 2024 vor. Das ist jene Ermittlereinheit der Kriminalpolizei, welche die Causa Ott für die fallführende Staatsanwaltschaft Wien operativ vorantreibt. In ihrem Bericht regen die Ermittler diverse Maßnahmen an – insbesondere auch in Bezug auf Weiss. Demnach will man nicht nur die Wohnung des Ex-Verfassungsschützers und Marsalek-Vertrauten in Dubai im Rechtshilfeweg filzen lassen. Die „AG Fama“ spricht sich gleich auch für dessen Festnahme aus.
Der Ex-Wirecard-Boss Jan Marsalek ist auf der Flucht - und lenkt einen russischen Spionagring aus dem Ausland.
Das Mastermind
Der Ex-Wirecard-Boss Jan Marsalek ist auf der Flucht - und lenkt einen russischen Spionagring aus dem Ausland.
Gemäß Verdachtslage soll Weiss in Sachen Russlandspionage als Bindeglied zwischen Marsalek und Ott fungiert haben – alle haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Besonders bitter: Anfang 2021 wurde Weiss in Wien bereits kurzzeitig festgenommen. Damals hatte sich herausgestellt, dass er nach Auffliegen der Wirecard-Pleite den jähen Abflug Marsaleks von Bad Vöslau in Richtung Osten mitorganisiert hatte. Fluchthilfe also. Er bestritt das und beteuerte, an der Aufklärung mitwirken zu wollen, die Ermittler ließen ihn laufen, er setzte sich postwendend nach Dubai ab – gemäß Verdachtslage unterstützt von Marsalek, der die Aktion in einer Chatnachricht als „Evakuierung“ bezeichnet haben soll.
Die zweite, vertane Chance
Doch die Justiz hätte noch eine zweite Chance gehabt – diesmal in Deutschland. Während Weiss in Österreich mit Abwesenheit und Nicht-Greifbarkeit glänzte, tauchte er im April 2022 bei der Staatsanwaltschaft München auf, um Aussagen zu tätigen. Was offiziell unter dem Titel Beschuldigteneinvernahme lief, betrachtet die „AG Fama“ in ihrem Bericht nun als „eine mit Jan Marsalek akkordierte „Entlastungshandlung„“. Die Vernehmung durch die Münchner Staatsanwaltschaft sei „ohne Information oder Abstimmung mit österreichischen Justiz- oder Polizeidienststellen“ erfolgt, grollen die heimischen Ermittler. Außerdem dürfte es „Zusagen gegenüber dem Beschuldigten“ gegeben haben. Gemeint ist offenbar, dass die Münchner Weiss zugesagt hätten, dass er wieder gehen darf.
Gegen ihn liegt eine ganze Latte an Anschuldigungen vor.
Laut Bericht der „AG Fama“ sagte ein Münchner Ermittler zu Weiss: „Wenn es noch irgendwas gibt, wir finden für alles eine Lösung. (…) Wir haben uns an die Zusagen alle gehalten, die Sie hierher gebracht haben. Falls es noch irgendwas in dieser Hinsicht gibt, wäre jetzt der Moment und Sie können bei uns auf volles Verständnis hoffen.“ Eine Staatsanwältin ergänzte laut AG Fama: „Sie gehen…nach Dubai…sind jetzt in einem sicheren Hafen Dubai.“ Tatsächlich hat das Emirat kein Auslieferungsabkommen mit Österreich.
Es ist nicht das erste Mal, dass die deutsche Justiz Ermittlungshandlungen Österreichs rund um die Spionageaspekte in der Wirecard-Causa abblockt. Schon in der Vergangenheit wandte sich Österreichs Justiz immer wieder an München, um eine Kooperation voranzutreiben. Sie bissen auf Granit, die Deutschen zeigten sich mäßig interessiert. „Ein absolutes Novum, das habe ich noch nie erlebt“, heißt es aus Ermittlerkreisen zu profil. „Normalerweise ist die Zusammenarbeit nämlich sehr gut“.
Mehr noch: Kurz nachdem Weiss bei der Staatsanwaltschaft München war, wurde der Verdacht der Fluchthilfe dort fallengelassen – wieder, ohne vorher mit Österreich zu sprechen. Die Alpenrepublik tobte, denn nach profil-Informationen hatte man bereits einen fix fertig vorbereiteten Strafantrag gegen Weiss wegen „Begünstigung“ (Anm.: Fluchthilfe) in der Schublade. Nur: Wenn in einem europäischen Land Ermittlungen wegen eines bestimmten Straftatbestands eingestellt wurden, dürfen sie nicht in derselben Sache in einem anderen fortgesetzt werden.
Nur durch massive Urgenzen der Wiener Justiz war es möglich, das Verfahren in Österreich wieder anzukurbeln. Ungeachtet dessen lässt Deutschland gewisse Rechtshilfeersuchen unbeantwortet. In Wien glaubt man nicht mehr an Zufälle: „Wenn es stimmt, dass Wirecard die Zahlungen des Bundesnachrichtendienstes abgewickelt hat; dass Quellengelder so bezahlt wurden, dann hat das im Lichte der Erkenntnisse in Dingen Russlandspionage eine völlig neue Qualität“, sagt ein mit dem Fall vertrauter Jurist zu „profil“. „Es riecht schon danach, als ob man es unter den Teppich kehren wollen würde.“
Die Staatsanwaltschaft München sagt auf Anfrage des österreichisch-deutschen Recherchekollektivs, man habe die Ermittlungen gegen Weiss damals wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt. Der Kontakt zu Weiss sei damals über ein Vorgespräch mit seinem Anwalt gelaufen, es sei in München damals nicht bekannt gewesen, dass in Österreich bereits nach ihm gefahndet werde.
Das Recherchekollektiv erfuhr, dass das Protokoll zur Weiss-Einvernahme mehr als 100 Seiten umfassen soll, dennoch heißt es von der Münchner Staatsanwaltschaft: „Gemeint ist hier wohl das Wortlautprotokoll der Vernehmung vom April 2022. Die Länge des Protokolls sagt über den Inhalt nichts aus. Der Beschuldigte W. hatte ein hohes Redebedürfnis, inhaltlich vermochte er jedoch nichts zu den im hiesigen Verfahren streitgegenständlichen Tatkomplexen beizutragen.“
Jemand, der sich ebenfalls freiwillig meldete, um Angaben zu machen ist der ehemalige CDU-Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer. Er ist ein alter Freund von Martin Weiss – der noch in seiner Zeit im BVT Schmidbauer für seine Dienste zahlen ließ. Er sagte für Weiss schon einmal im deutschen U-Ausschuss aus – und diente sich offenbar ebenfalls bei der Staatsanwaltschaft in München an. Gegenüber „profil“ hat er immer behauptet, Marsalek nur am Rande zu kennen – dafür hatte er Weiss und Ott im deutschen U-Ausschuss 2021 verteidigt. Weiss sei ein „nützlicher Idiot“ für Marsalek gewesen, von denen Letzterer viele „benutzt habe“. Die Einschätzung der österreichischen Justiz ist da deutlich anders.
Bulgaren, „Kebab Boys“ und der FSB
Man kann gespannt sein, ob die Justiz eine dritte Chance bekommt, Weiss zu schnappen. Dies auch vor dem Hintergrund der neu aufgetauchten Chat-Nachrichten von Jan Marsalek, die der britische Geheimdienst MI5 sichergestellt und teilweise nach Österreich geliefert hat – profil berichtete.
Insgesamt sollen den Briten 80.000 Handynachrichten zwischen dem mutmaßlichen Kreml-Spion Marsalek und dem Anführer einer bulgarischen Agentengruppe vorliegen, die im Verdacht steht, für den russischen Geheimdienst Operationen in Europa durchgeführt zu haben. Marsalek führte die Bulgaren demnach bis nach Österreich – unter anderem zur Wohnung von Egisto Otts Ex-Schwiegersohn in Wien-Floridsdorf.
Im Juni 2022, nur zwei Monate nach der gar so vertrauensvollen Weiss-Befragung in München, soll dort ein Mitglied der Bande auf Marsaleks Geheiß mehrere Mobiltelefone abgeholt haben, und zwar getarnt als DHL-Kurier. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um abgezweigte Handys hochrangiger Mitarbeiter des Innenministeriums gehandelt hat. Ein anderes Mal soll dort ein mit spezieller Verschlüsselungstechnologie ausgestatteter Laptop gegen Zahlung von 20.000 Euro an einen der Bulgaren übergeben worden sein. Solche Geräte verwenden vor allem westliche Sicherheitsbehörden.
Den Chat-Nachrichten zufolge wurde das Gerät dann über die Türkei nach Russland gebracht – offenbar durch eine weibliche Botin, die Marsalek als „Tuesday-girl“ bezeichnete (die Schmuggelaktion fand an einem Dienstag statt). Die akribisch geplante Aktion klappte offenbar wie am Schnürchen: „Der Laptop ist gerade ohne Probleme durch den Zoll gekommen und befindet sich im Auto zur Lubjanka“, schrieb Marsalek dem Anführer der Bulgaren in flottem Englisch. Die „Lubjanka“ ist die Zentrale des russischen Inlandgeheimdienstes FSB.
Marsalek dirigierte offenbar nicht nur seine bulgarischen Handlanger – sondern auch die Kontaktpersonen für die Übergaben in ÖsterreichObwohl eigentlich sein Ex-Schwiegersohn in der Wohnung in Floridsdorf lebt, verfügte Ott über einen Schlüssel. In ihrem Anlassbericht geht die „AG Fama“ davon aus, dass die Kommunikation zwischen Marsalek und Ott über Weiss gelaufen sein dürfte. Nach seiner Festnahme sagte Ott aus, er sei an den bewussten Tagen „sehr wahrscheinlich“ alleine in der Wohnung gewesen.
Sein Ex-Schwiegersohn habe damit nichts zu tun. Ott stellte sich als Teil einer Gruppe dar, die „Schweinereien meistens mit nachrichtendienstlichem Hintergrund“ aufkläre, aber selbst keine geheimdienstliche Gruppierung sei. Handys von Ministeriumsmitarbeitern weitergegeben zu haben, bestritt er. Die habe er zwar einmal gehabt, aber „mit dem Fäustel zerschlagen“ und im Müll entsorgt.
Schon wieder eine Razzia
Mutmaßliche Handy- und Laptop-Übergaben waren beileibe nicht der einzige Grund für Otts Festnahme am Karfreitag dieses Jahres: Es wird wegen einer ganzen Latte an Delikten gegen ihn ermittelt – das reicht von dem Vorwurf der Spionage bis zum Amtsmissbrauch.
Seit Ostermontag sitzt Ott in Wien in U-Haft. Zuvor durchsuchten Beamte noch sein Haus in Kärnten und seine Wohnung in Wien. Egisto Ott hat in Dingen Razzien schon Routine – es wurden in den vergangenen Jahren einige durchgeführt. Laut profil vorliegenden Protokollen fiel Ott jedes Mal durch einigermaßen originelles bis aggressives Verhalten auf.
Als die Polizei am Karfreitag in Kärnten und Wien vor seiner Haustüre stand, war man auf Bröseln vorbereitet. Zurecht: Ott flippte auch dieses Mal aus. Bezeichnete die Beamten als „gschissen“, als „miese Drecksau“ – unterstellt den Beamten, die Razzia absichtlich an einem Freitag durchzuführen, damit sie Überstunden schreiben könnten. Dann verlangt er, duschen gehen zu dürfen. Als ihn die Beamten darüber belehren, dass er das tun könne, aber die Tür offen bleiben müsse, wurde Ott äußerst primitiv ausfallend. Als er dann endlich angezogen war, begann man mit der Durchsuchung. Ihm wurden auch einige Fragen gestellt.
Die Handys dreier hochrangiger ehemaliger Innenministeriumsbeamter habe er „redlich erworben und dann mit einem Hammer vernichtet“, behauptete Ott.
Angesprochen auf die SINA-Laptops , stellte er sich als investigativer Journalist dar und versuchte sich ob der Herkunft der Laptops auf das Redaktionsgeheimnis zu beziehen. Er brauche die Laptops, um mit Informanten und Journalistenkollegen zu kommunizieren. „Wir decken egal wo einfach Schweinereien mit nachrichtendienstlichem Hintergrund auf. Egal welcher Dienst oder Welche Operation von Ost bis West also weltumspannend.“ Auf die Frage, warum er denn den Laptop unter einem E-Herd verstecke, gab er an, dass er in seinem Leben „glaublich 8- oder 9-mal Opfer von Einbrechern war“.
Was die Beamten auch interessierte: Warum hat Ott eine Meldeabfrage des russlandkritischen Investigativjournalisten Christo Grozev gemacht, in dessen Wohnung eingebrochen wurde? Ott war der Meinung, nichts falsch gemacht zu haben.
Fundstücke
Obwohl bei Ott schon viele Razzien stattgefunden haben – und jedes Mal kompromittierendes Material gefunden wurde, ist die Liste der Fundstücke auch dieses Mal beeindruckend: Neben etlichen Laptops, Handys und anderen Datenträgern fand man einen Nazi-Orden („Eisernes Kreuz mit Hakenkreuz“), einen Revolver und einige interessante Verschlussdokumente namens „Die Gegenoperation“, „Kleines Spionagelexikon“; Eine Personenliste „mi6“; diverse Meldezettel Russischer Staatsangehöriger – und Unterlagen und Organigramme zu Nachrichten- und Sicherheitsdiensten Russlands. Ott kommentierte während der Durchsuchung: „Glaubst wirklich, dass ich etwas Belastendes zu Hause hätte? Nein, das hätte ich mit Sicherheit an einem sicheren Platz im Ausland.“
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).