Die FPÖ-Chats zum ORF: „Weißmann, ein korrekter Schwarzer“

Die irren ORF-Chatprotokolle der früheren FPÖ-Spitze – wie Heinz-Christian Strache, Stiftungsrat Norbert Steger und Parteifreunde von „totalen Personalrochaden“ im ORF träumten – weil ihnen die Berichterstattung nicht passte.

Drucken

Schriftgröße

Der ORF war 2018/2019 eines der bestimmenden, wenn nicht das einzige Thema, auf der Medienagenda der damaligen Regierungspartei FPÖ. Das geht aus bisher unveröffentlichten Chatnachrichten hervor, welche die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in einem 166-seitigen Auswertungsbericht zusammengefasst hat, der seit Tagen für Aufregung sorgt – und die Karrieren von „Presse“-Herausgeber und -Chefredakteur Rainer Nowak und ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom erst einmal auf Eis legte. (Update: Schrom trat am Mittwoch als ORF-TV-News-Chefredakteur zurück.)

Laut dem Bericht setzte der damalige FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky im April 2018 eine FPÖ-Whatsapp-Chatgruppe zum ORF auf, in welcher er blaue Funktionäre versammelte, darunter Vizekanzler und Parteichef Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus, den FPÖ-Medienbeauftragten Hans-Jörg Jenewein sowie den späteren ORF-Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Steger.

Strache, Steger und Freunde entwarfen in weiterer Folge Konzepte für eine „ORF-Reform“, schworen sich auf die Abschaffung der GIS ein, beanspruchten leitende Funktionen, träumten von der Demontage des damaligen ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz, überhaupt von „totalen Personalrochaden“, um die ihnen allzu kritische ORF-Berichterstattung abzustellen. Dabei sahen sie sich gegenüber der ÖVP von Sebastian Kurz auch noch fortwährend im Nachteil.

Die bis ins Jahr 2019 hinein ausgewerteten Chatverläufe zeichnen ein erschütterndes Bild der türkis-blauen Medienpolitik.

Die Chats wurden mitsamt allfälliger Rechtschreib-, Satz- und Beistrichfehler übernommen.

 

28. Februar 2018

Der Unternehmer Markus Braun (nicht zu verwechseln mit dem früheren CEO von Wirecard) steht vor dem Einzug in den ORF-Stiftungsrat. Er bedankt sich bei FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache.

13. April 2018

Harald Vilimsky legt eine „ORF-Chatgruppe“ an, diese schließt (laut WKStA) Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer, Markus Tschank, Philip Trattner, Hans-Jörg Jenewein, Johann Gudenus sowie den damals bereits amtierenden ORF-Stiftungsrat Norbert Steger, -Publikumsrätin Barbara Nepp und den damals designierten -Stiftungsrat Markus Braun ein.

14. April 2018

In der blauen ORF-Gruppe wird angeregt über ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz diskutiert.

17./18. April 2018

Strache schreibt in die ORF-Gruppe. Er sieht sich gegenüber der ÖVP im Nachteil. Abermals ist von der ORF-Reform die Rede, sie soll jedoch erst nach dem Ende des EU-Ratsvorsitzes Österreichs (Anfang 2019) angegangen werden.

25. April 2018

Harald Vilimsky hat News für die ORF-Gruppe. Man hat sich mit der ÖVP nun offenbar doch auf eine ORF-Reform verständigt. Und dann wäre da noch die Schwächung des „roten Wien“.

3. Oktober 2018

Johann Gudenus und Heinz-Christian unterhalten sich darüber, ob ORF-Stiftungsrat Franz Maurer als „ORF-Direktor“ oder bei der Staatsholding ÖBIB eingesetzt werden könnte. Der sei ja schließlich ein „treuer Vollprofi“. Und so nebenbei werden auch Postenbesetzungen in anderen Staatsbetrieben besprochen.

19. November 2018

Norbert Steger, er ist zu diesem Zeitpunkt bereits Vorsitzender des Stiftungsrats, stellt in die ORF-Gruppe den Screenshot einer APA-Meldung ein, wonach der frühere ORF-Finanzdirektor Richard Grasl nunmehr Mitglied der „Kurier“-Chefredaktion sei. Steger bringt dabei einen „ORF-GS“ ins Spiel, also einen Generalsekretär (wobei in der Nachbetrachtung nicht ganz klar erscheint, ob die FPÖ Grasl für diese Funktion im Auge hatte, was überraschend wäre. Obenendrein gab es beim ORF keinen Generalsekretär, anscheinend wollte die FPÖ diese Funktion aber für sich erschaffen).

7. Jänner 2019

In der blauen ORF-Gruppe regt sich Unmut über die ORF-Berichterstattung, die GIS und Gernot Blümel. Steger fordert, dass „wer rausgeschmissen“ werden müsse, Strache will „totale Personalrochaden“.

7. Jänner 2019

Nach dem Chat in der ORF-Gruppe schreibt Strache an Gernot Blümel und Norbert Hofer.

16. Jänner 2019

Wieder die ORF-Reform, Strache wendet sich nun an Sebastian Kurz und Gernot Blümel.

10. Februar 2019

Strache schreibt an Hofer und Vilimsky. Abermals: Der böse ORF.

11. Februar 2019

Und wieder sucht die blaue ORF-Gruppe nach loyalen Leuten in den eigenen Reihen.

14. Februar 2019

Der damalige ORF-Stiftungsrat Gerhard Anderl meldet sich bei Strache. Er hat ihn im Fernsehen gesehen, auf Fellners oe24, wo unter anderem auch Rainer Nowak einen Auftritt hatte.

14. Februar 2019

Gegen Mitternacht beschwert sich Strache beim damaligen ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom über ein Interview der ZiB24 mit dem Schriftsteller Doron Rabinovici, in welchem dieser den Antisemitismus der FPÖ scharf kritisiert hat. Strache schickt Schrom einen Link zum Beitrag in der ORF-TVthek. Der bereits bekannte Chatverlauf hat mittlerweile zu Schroms Rücktritt als ORF-TV-Chefredakteur geführt.

15. Februar 2019

Strache leitet Schroms Wording an Norbert Steger weiter.

15. Februar 2019

ORF-Stiftungsrat Franz Maurer schaltet sich ein. Er berichtet Strache, dass die ÖVP bei der ORF-Reform auf der Bremse stehe (Strache hat ihn übrigens unter „Mauerer“ abgespeichert). Und abermals geht es um die Berichterstattung des ORF.

15. Februar 2019

Strache kontaktiert noch am gleichen Tag Gernot Blümel.

17. Februar 2019

Für den Abend ist die österreichische Erstausstrahlung von David Schalkos Miniserie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ auf ORF1 angekündigt – eine Woche zuvor hatte  der Krimi Weltpremiere bei der Berlinale. Am 12. Februar hat die deutsche „Zeit“ dazu unter anderem Folgendes geschrieben. „Schalko, der das Drehbuch gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Filmeditorin Evi Romen, geschrieben hat, wuchtet der Mördersuche noch mehr Aktualität über, indem er einen rechtspopulistischen Innenminister (Dominik Maringer) installiert, der optisch dem amtierenden österreichischen Kanzler Sebastian Kurz und politisch dem amtierenden Innenminister Herbert Kickl ähnelt. Der fiktive Minister versucht, wenig verwunderlich, aus dem Verschwinden der Kinder Kapital für seine Zwecke zu schlagen, die Bevölkerung aufzuhetzen gegen Straftäter, Ausgangssperren zu verhängen und Grundrechte außer Kraft zu setzen.“

Am Vormittag des 17. Februar schreibt der damalige ORF-Stiftungsratsvorsitzende Norbert Steger in die blaue ORF-Chatgruppe.

18. Februar 2019

Heinz-Christian Strache reagiert auf den am Vorabend gelaufenen ersten Teil von Schalkos „M“. Er schreibt an Gernot Blümel.

19. Februar 2019

Strache wendet sich offenbar immer noch in Sachen Schalko an Parteifreund Norbert Hofer.

5. März 2019

Die ORF-Reform nimmt aufseiten der Blauen weiter Fahrt auf. Strache schreibt in die ORF-Gruppe.

31. März 2019

Der damalige ORF-Stiftungsrat Gerhard Anderl meldet sich erneut bei Strache – und berichtet von einem Treffen mit Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.

7. April 2019

Rainer Nowak hat in der „Presse“ einen Kommentar zum möglichen Ende der türkis-blauen Koalition verfasst. Zitat: „Kanzler Kurz zieht die rote Linie: Die FPÖ soll sich von den „widerlichen“ Identitären distanzieren. Sonst? Fliegen sie raus. Das nennt sich Fahnenfrage“.

Norbert Steger postet daraufhin in die blaue Chatgruppe.

26. April 2019

Strache chattet mit seinem Kabinettschef Heimo Probst (Anm: Wir hatten Probst ursprünglich und irrtümlich dem Kabinett von FPÖ-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs zugeordnet). Offenbar sind die Blauen der Abschaffung der GIS einen Schritt näher gekommen. Stichwort: Sideletter.

27. Juni 2019

Das „Ibiza“-Video ist öffentlich, Strache FPÖ-Vizekanzler Geschichte – und nun will auch Rainer Nowak auf Distanz zum eigenen ORF-Postenwunsch gehen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.

Sebastian Pumberger

Sebastian Pumberger

war von Jänner 2022 bis Juni 2023 bei profil. Davor war er bei der Tageszeitung "Der Standard".