Investigativ

Dorfkaiser Riedl: Die Lärmschutzwand des Bürgermeisters

Alfred Riedl, umstrittener Bürgermeister von Grafenwörth, kommt nicht aus der Kritik. Seine Gemeinde zahlte 350.000 Euro für eine Schallschutzwand, um dahinter Grundstücke umwidmen zu können. Ein Profiteur: offenbar der Ortschef selbst.

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Kühle Morgenluft weht über den spiegelglatten Folienteich, irgendwo piepst ein Baustellenfahrzeug, weit entfernt kräht ein Gockelhahn. Es ist ziemlich ruhig auf der umstrittensten Großbaustelle Niederösterreichs – der als „Mini-Dubai“ verschrienen Retortensiedlung „Sonnenweiher“ in der Gemeinde Grafenwörth. Überraschend ruhig ist es insbesondere auch dafür, dass nur ein paar Meter entfernt der Schwerverkehr auf der Stockerauer Schnellstraße S5 vorbeirauscht. Eine Stille, die ihren Preis hat.

350.000 Euro zahlte die Marktgemeinde Grafenwörth für die Aufstockung einer Lärmschutzwand zwischen Schnellstraße und künftigem Siedlungsgebiet. 4,5 Meter hoch ist das imposante Konstrukt nun. Mehr als 200 Wohnhäuser sollen quasi in seinem Schatten entstehen, dicht an dicht um eine s-förmig angelegte künstliche Wasserfläche geschmiegt. Ein kleiner Teil der Gebäude ist bereits fertiggestellt, ein paar andere stehen im Rohbau da.

Doch nicht nur die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner des „Sonnenweiher“ können sich darüber freuen, dass die Gemeinde tief in die Tasche gegriffen hat, um für Ruhe vom lästigen Straßenlärm zu sorgen. Wie profil-Recherchen zeigen und auch die „Kronen Zeitung“ berichtet, dürfte unter anderem ein gewisser Alfred Riedl zu den großen Profiteuren zählen – der Bürgermeister von Grafenwörth, der die Lärmschutzwandaufstockung höchstpersönlich vorangetrieben haben soll.

Ohne Lärmschutz keine Widmung

Riedl ist seit 1990 für die ÖVP Bürgermeister seiner Heimatgemeinde – einem 3.500-Einwohner-Ort im Bezirk Tulln. 2017 wurde er Präsident des mächtigen Österreichischen Gemeindebundes. Seit einigen Wochen steht Riedl wegen einer Reihe von Grundstücksgeschäften jedoch schwer in der Kritik. profil berichtete vergangene Woche außerdem darüber, dass sich der Ortschef gegenüber seines Gemeindeamts ein privates Penthouse auf einen geförderten Wohnbau stellen ließ.

Die Kritik dürfte nun eher noch lauter werden: 2017 sei Riedl „im Namen der Marktgemeinde Grafenwörth mit dem Wunsch der Erhöhung der bestehenden Lärmschutzwand“ an die Asfinag herangetreten, heißt es in einer jüngst erfolgten Beantwortung einer parlamentarischen Anfragen des SPÖ-Nationalratsabgeordneten Andreas Kollross durch Infrastrukturministerin Leonore Gewessler: „Die Marktgemeinde Grafenwörth plante östlich des bestehenden Siedlungsrandes eine Erweiterung des Siedlungsgebiets. Aufgrund der Nahelage zur S5 Stockerauer Schnellstraße traten hier im Bestand Grenzwertüberschreitungen auf, die einer Umwidmung entgegengestanden wären. Um eine Zustimmung des Landes zur Umwidmung zu erhalten, müssen die Lärmgrenzwerte … eingehalten werden. Eine Änderung der Flächenwidmung in diesem Bereich war nur mit einer Erhöhung der bestehenden Lärmschutzwand … möglich.“

Gemeinde zahlte

Die Asfinag hätte allerdings nur dann selbst die Kosten für diese Erhöhung getragen, wenn es notwendig gewesen wäre, um schon länger bestehende und bewilligte Gebäude zu schützen. Nicht dann, wenn hinter der Lärmschutzwand nur ein Feld liegt, auf dem Bürgermeister à la Riedl ihre Zukunftsvisionen im gehobenen Siedlungsbau ausbreiten möchten. In einem solchen Fall kann die Asfinag die Lärmschutzwand zwar errichten lassen. Bezahlen muss es aber der, der das haben möchte – im konkreten Fall die Marktgemeinde Grafenwörth.

MINISTERRAT: RIEDL

Acker vergoldet

Riedl setzte sich als Bürgermeister von Grafenwörth für eine Lärmschutzwand ein, die Gemeinde bezahlte dafür 350.000 Euro. Ein Teil des dahinter liegenden Feldes gehörte ihm selbst. Die Wand war offenbar Voraussetzung dafür, dass Riedls Grundstücke zu Bauland umgewidmet werden konnten. Und er mit dem Verkauf einen großen Gewinn erzielte.

Und die Marktgemeinde unter Riedls Führung meinte es offenbar durchaus ernst mit ihrem Anliegen: Laut Gewesslers Anfragebeantwortung gab es dazu am 30. November 2017 eine erste Besprechung. Dann wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine Erhöhung auf 4,5 Meter technisch möglich wäre. Im November 2020 wurde eine Finanzierungsvereinbarung unterfertigt, 2021 sei es zur Umsetzung des Projekts gekommen.

Im Schutze der Wand

„Da … seitens der Asfinag kein Handlungsbedarf zur Erhöhung der bestehenden Lärmschutzwand bestand, waren die Kosten der Erhöhung zu 100 Prozent von der Marktgemeinde Grafenwörth zu tragen“, heißt es in der schriftlichen Beantwortung: „Seitens der Gemeinde Grafenwörth erfolgte eine Zahlung in der Höhe der laut Vertrag pauschal festgelegten 350.000 Euro zur Erweiterung der bestehenden Lärmschutzmaßnahme von rund 1.450 Quadratmetern.“

Zusammengefasst heißt das: Riedl suchte im Namen der Marktgemeinde Grafenwörth um die Erhöhung der Lärmschutzwand an. Aus Sicht der Asfinag wäre diese Erhöhung nicht notwendig gewesen, aus Sicht der Gemeinde schon, weil sonst Grundstücke für das zukünftige Siedlungsgebiet nicht hätten entsprechend umgewidmet werden können. Grafenwörth bezahlte dafür 350.000 Euro.

profil vorliegende Grundbuchauszüge zeigen allerdings, dass Riedl auch privat vom besseren Lärmschutz profitiert haben dürfte. Im Jahr 2017, als Riedl bei der Asfinag vorstellig wurde, war er bereits Eigentümer zweier Flächen, die heute direkt hinter der Wand liegen. Die Grundstücke wurden 2019 dann von Ackerland in Bauland umgewidmet und von Riedl an jene Projektentwicklungsfirmen verkauft, die dort nun den „Sonnenweiher“ aus der Erde stampfen. Gewinn für den Bürgermeister: rund eine Million Euro vor Steuern und Abgaben.

Ein Riedl, drei Rollen

Als profil und „Krone“ den Bürgermeister 2021 zur schiefen Optik des Deals befragten, erklärte der Ortschef, er hätte bei den beiden Grundstücken „nie im Traum daran gedacht, dass sich so ein Projekt in Zukunft entwickeln könnte“. Sein Einsatz für die Lärmschutzwand deutet freilich stark darauf hin, dass er sich zumindest ab 2017 sehr wohl ernsthaft mit einer derartigen Entwicklung auseinandersetzte.

Retortensiedlung

Der Bau des Projekts "Sonnenweiher" in Grafenwörth ist noch im Gange. Die Aufarbeitung der Causa ebenso.

Riedl dürfte die Retortensiedlung an der S5 ein großes Anliegen gewesen sein, denn im Jahr 2018 ersteigerte er zwei weitere Grundstücke, auf denen nun das Mini-Dubai errichtet wird. Der „Wiener Zeitung“ erklärte Riedl vor drei Monaten, dass er die zwei zusätzlichen Flächen als Treuhänder für die Projektentwickler erstanden hat – und sie deshalb ohne Gewinn an sie weiterreichte.

Riedl hat im Zusammenhang mit dem Projekt „Sonnenweiher“ demnach zumindest drei Rollen eingenommen: Grundsätzlich sind Bürgermeister die Baubehörde in erster Instanz – Riedl setzte sich zudem als Ortschef für die Lärmschutzwand ein. Als Privatmann hielt er zwei Grundstücke, die er mit großem Gewinn veräußerte. Und als Treuhänder – Riedl ist gelernter Steuerberater – arbeitete er für den Bauträger.

Das ist aber noch nicht alles: Der Projektentwickler, die VI Engineers Development GmbH, steht im Mehrheitseigentum der Niederösterreichischen Versicherung. Multifunktionär Riedl sitzt dort im Aufsichtsrat.

Der Schweigebürgermeister

profil wollte von Riedl wissen: „Warum haben Sie die betreffenden Grundstücke nicht als Gemeinde angekauft und weiterentwickelt? Diesfalls wäre der Gewinn in die Gemeindekassa geflossen. Haben Sie beim Projekt ‚Sonnenweiher‘ Häuser/Immobilien gekauft beziehungsweise haben Sie das noch vor? Wenn ja: Welche? Haben Sie sich irgendetwas vorzuwerfen?“

Der umtriebige Bürgermeister ließ die Anfrage unbeantwortet.

SPÖ-Nationalratsabgeordneter Kollross – seines Zeichens Ortschef von Trumau – richtet seinem Amtskollegen aus: „Als Bürgermeister finde ich nichts Verwerfliches daran, wenn Lärmschutzwände zur Erschließung neuer Siedlungen aufgestellt werden. Verwerflich wird es aber, wenn diese Wände auf Kosten der Gemeinde und somit der Steuerzahler aufgestellt werden, damit der Bürgermeister schönen Profit machen kann.“

Selbst Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, eine Parteifreundin Riedls, musste im Zusammenhang mit dem „Sonnenweiher“-Projekt bereits eine „schlechte Optik“ eingestehen. Die Gemeindeaufsicht des Landes prüft seit August alle Grundstücksankäufe und -verkäufe der Gemeinde Grafenwörth in den vergangenen 15 Jahren. Doch in Bezug auf Geschäfte Riedls und seiner Immobilienfirma bestehe keine Prüfungsbefugnis, wurde vonseiten des Landes festgehalten. Damit ist bereits heute klar, dass sich Riedl vor dem Ergebnis der Kontrolleure eher nicht fürchten muss.

Riedl: „Anschuldigungen nicht nachvollziehbar“

 Der Ortschef, nach dem auch das „Alfred Riedl Stadion“ des örtlichen Fußballklubs benannt ist, denkt jedenfalls nicht daran, Konsequenzen aus seinen Grundstückdeals zu ziehen. Erst Mitte September bekräftigte er bei einer Gemeinderatssitzung: „Ich werde nicht zurücktreten! Ich habe nichts gestohlen, für mich sind die Anschuldigungen nicht nachvollziehbar!“ Seine Funktion als mächtiger Gemeindebund-Präsident hat er allerdings ruhend gestellt. 

Laut den „Niederösterreichischen Nachrichten“ ging Riedl bei der Sitzung in die Gegenoffensive: Er werde „alle, die in diesem Zusammenhang in Grundbücher geschaut und Amtsmissbrauch betrieben haben, zur Verantwortung ziehen“. Was der Bürgermeister, Grundstückshändler, Aufsichtsrat, Lärmwandverfechter, Treuhänder und Steuerberater sicher weiß: Das Grundbuch ist öffentlich und gegen Gebühr für jeden einsehbar.

Selbst wenn Riedl einen Rücktritt bisher vermeiden konnte: Die Kritik an ihm ist so laut geworden, dass selbst die höchste Lärmschutzwand Niederösterreichs sie nicht gänzlich zum Verstummen bringen könnte.

Ergänzung

Riedl ließ, wie bereits erwähnt, eine ausführliche profil-Anfrage unbeantwortet. Er bestätigte auf Anfrage der Austria Presse Agentur, dass die Erhöhung der bestehenden Lärmschutzwand eine Auflage für die Umwidmung gewesen sei. Der Gemeinde seien jedoch keine Kosten entstanden - ein Teil sei von der Asfinag übernommen worden, der Rest durch den Projektbetreiber von "Sonnenweiher", VI-Engineers, sagte der ÖVP-Politiker. Dem widerspricht allerdings die Asfinag: "Seitens der Asfinag sind keine Zahlungen geflossen, inwiefern der Gemeinde Teile dieser Kosten durch Dritte ersetzt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis", stellte das Unternehmen auf Anfrage klar. Festgehalten wurde, dass Maßnahmen, die über die Vorgaben der Dienstanweisung Lärmschutz hinausgehen, durch Zahlungen Dritter umgesetzt werden können. "Zwischen der Asfinag und der Gemeinde Grafenwörth wurde ein Vertrag geschlossen, wonach die Gemeinde die Kosten für die Erhöhung der Lärmschutzwand in der Höhe von 350.000 Euro zur Gänze zu tragen hat", hieß es. Diese Summe sei entsprechend der vertraglichen Modalitäten seitens der Gemeinde Grafenwörth in voller Höhe überwiesen worden, erläuterte die Asfinag.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.