Ärztekammer-Skandal: Leere Aktenordner und entlarvende E-Mails
Es gibt gute Ideen, die krachend scheitern. Und es gibt weniger gute Ideen, von denen man am besten gleich die Finger lassen sollte. Seit Monaten sorgt eine Affäre um ein gescheitertes Firmen-Abenteuer für heftigen Wirbel in der Wiener Ärztekammer und darüber hinaus – profil berichtete.
Gegen Johannes Steinhart, seines Zeichens Präsident der Bundes-Ärztekammer sowie der Ärztekammer Wien, ermittelt die Staatsanwaltschaft. Gegen seinen Vorgänger Thomas Szekeres wurde vor einigen Tagen Anzeige erstattet – und zwar ausgerechnet durch die Spitze der Wiener Standesvertretung, in der sowohl Steinhart als auch Szekeres beheimatet sind. Unterlagen, die profil vorliegen, geben nun im Detail Auskunft über die schweren Vorwürfe, die im Raum stehen. Und sie zeigen, wie frühzeitige Warnungen einfach ignoriert wurden.
Das Projekt, das nun ein derartiges Nachspiel hat, reicht zurück ins Jahr 2019. Die damals von Steinhart geführte Kurie der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer Wien hegte einen kühnen Plan: Eine eigene Firma im Eigentum der Kurie sollte Ordinationsbedarf günstig einkaufen und möglichst billig an die Wiener Ärztinnen und Ärzte weitergeben. Die „Equip4Ordi“ (E4O) versprach einen „One Stop Shop“, in dem alles geboten wird, was das Ärzte-Herz begehrt. Das bittere Ende vorneweg: Daraus wurde nichts. Seit März 2023 befindet sich die Firma in Liquidation.
Aufklärungs-Hindernisse
Ein gekündigter Geschäftsführer der "Equip4Ordi" überließ seinen Nachfolgern einen Schrank voller leerer Aktenordner zu den Unternehmungen der Firma.
Doch schon der Kauf jener Firma, die ursprünglich „EndoNet“ hieß und später in „Equip4Ordi GmbH“ umbenannt wurde, wirft heikle Fragen auf: 295.000 Euro war die Kurie im März 2019 bereit, für das Unternehmen auf den Tisch zu legen, das als Produkt-Vertriebsplattform für Gastroenterologen aufgebaut worden war. „Der Kauf der EndoNet erfolgte zu einem klar überhöhten Kaufpreis“, heißt es in einem Gutachten der Anwaltskanzlei Körber-Risak, das profil vorliegt. Die Rechtsanwaltskanzlei war in den vergangenen Monaten federführend mit der internen Aufarbeitung der Affäre Equip4Ordi betraut.
Eine „ordentliche Unternehmensbewertung“ hätte schon damals ergeben, dass die Firma einen negativen Kaufpreis haben müsse, heißt es in dem Gutachten. Eine solche soll allerdings nicht durchgeführt worden sein. Die Mitglieder der Kurie seien nicht über die schlechte wirtschaftliche Lage informiert worden. Bei der Kurienversammlung sei eine Präsentation vorgelegt worden, die laut Gutachten „um kritische Aspekte gekürzt wurde“.
Leere Mappen
Auch seinen Mailserver löschte der Ex-Geschäftsführer, die Aufklärung ist entsprechend erschwert.
Strategisch so wichtig
Bereits ein halbes Jahr nach dem Kauf der Firma durch eine Holding der Kurie der niedergelassenen Ärzte geriet Equip4Ordi offenbar in finanzielle Turbulenzen. „Anfang Dezember 2019 war die E4O de facto zahlungsunfähig”, wird in dem Gutachten festgehalten. In Mails der damaligen Geschäftsführer fänden sich „Planungsrechnungen“, in denen für 2020 ein Finanzierungsbedarf von mehr als 840.000 Euro angenommen wird.
Die Firma brauchte also Geld. Aber woher nehmen? Bei einer Vorstandssitzung der Ärztekammer Wien am 10. Dezember 2019 wurde eine Umwidmung von Kammergeldern in Höhe von 900.000 Euro beschlossen. Im Rahmen der rund zwanzigminütigen Debatte hieß es zusammengefasst, das neue Unternehmen sei bei den Ärztinnen und Ärzten noch kaum bekannt, habe daher einen großen Informationsbedarf und brauche 900.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit und – unter anderem auch – den Aufbau eines Warenlagers. Der dringende Finanzierungsbedarf der Firma blieb unerwähnt.
Im weißen Mantel
Die Equip4Ordi wurde den Ärztinnen und Ärzten als große Chance verkauft. Im Hintergrund stand die Firma vor Problemen. Teilweise wollten Kunden des Vorgängerunternehmens EndoNet nicht mehr bei der Firma einkaufen, weil sie nun der Ärztekammer gehörte, wie das Protokoll einer Beiratssitzung vom 18. Dezember zeigt.
Der Großteil der anwesenden Funktionäre ließ sich überzeugen: „Ich halte Equip4Ordi für strategisch so wichtig”, erklärte etwa der Arzt, damalige Kammerfunktionär und spätere Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) im Zuge der Sitzung seine Zustimmung: „Das Ding“ müsse „zum Funktionieren anfangen“. Auf profil-Anfrage ließ Mückstein nun wissen, er habe sich seit seinem Rücktritt als Minister nicht mehr öffentlich geäußert und wolle das auch weiterhin so halten.
Zeitdruck
Doch mit der Umwidmung der Mittel auf Kammer-Ebene war es nicht getan. Schließlich handelte es sich um eine Firma der Kurie. Der direkte Mittelzufluss musste über diese gemanagt werden. Und die Zeit drängte, wie aus Unterlagen hervorgeht, die profil vorliegen.
Wenige Wochen nach der Kammersitzung, Ende Jänner 2020, schrieb einer der damaligen E4O-Geschäftsführer in einem E-Mail: „Die Situation kann sich nur durch das Schreiben des Eigentümervertreters verbessern. Ansonsten sind wir insolvent.“ Gemeint war ein Unterstützungsschreiben gegenüber einer der Hausbanken, damit diese weitere Mittel freigeben würde. Und tatsächlich verfasste der damalige Kurien-Obmann Steinhart noch am selben Tag einen derartigen Brief.
Um eine dauerhafte Lösung des Finanzierungsproblems dürfte es sich dabei allerdings nicht gehandelt haben. Am 10. März 2020 stimmte die Kurie der niedergelassenen Ärzte einem Antrag Steinharts zu, der E4O ein Darlehen über 900.000 Euro zu gewähren. Nun sollte also jenes Geld weitergereicht werden, das im Dezember davor vom Vorstand der Wiener Ärztekammer freigegeben worden war. „Die EUR 900.000,- dienten vor allem dem Abbau bestehender Verbindlichkeiten der E4O”, heißt es im Gutachten der Kanzlei Körber-Risak nüchtern.
Politisches Millionengrab
Wie aus einem weiteren Rechtsgutachten hervorgeht, das profil vorliegt, soll sich das negative Eigenkapital der E4O per 31. März 2020 auf mehr als eine halbe Million Euro belaufen haben. Das Darlehen der Kurie sei daher nicht rückführbar gewesen, schreibt Rechtsanwalt Markus Höcher, der sich mit möglichen strafrechtlichen Aspekten der Affäre auseinandersetzt. Durch die Unterzeichnung des Darlehensvertrages könnten Steinhart und eine weitere Person der Kurie Schaden zugefügt haben, hält Höcher fest: „Der objektive Tatbestand der Untreue ist erfüllt.”
Steinhart könnte sich dem Gutachter zufolge also möglicherweise strafbar gemacht haben. Der Ärztekammer-Präsident, der nach einer gesundheitsbedingten Auszeit erst vor wenigen Tagen wieder in seine Funktion zurückgekehrt ist, hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Eine aktuelle Anfrage ließ er vorerst unbeantwortet.
profil liegen nun E-Mails vor, die zeigen, dass wesentliche Kritikpunkte in Zusammenhang mit Equip4Ordi nicht erst heute, Jahre später, auftauchen. Die Mails dokumentieren, dass es rechtzeitig Warnungen innerhalb der Ärztekammer gegeben hat. Diese wurden jedoch offenbar ignoriert.
Zu glauben, dass eine kleine Einkaufsgesellschaft der Wiener Kammer gegen Player wie Amazon … bestehen kann, erscheint mir etwas naiv.
Einer, der die Vorgänge rund um E4O bereits damals mit Argusaugen beobachtete, war demnach der Finanzreferent der Wiener Ärztekammer, Stefan Ferenci. Dieser schrieb unter anderem dem damaligen Ärztekammer-Präsidenten Thomas Szekeres am 12. März 2020 rundheraus, dass Steinhart den Kammer-Vorstand in der Sitzung am 10. Dezember 2019 „getäuscht” habe, und: „Politisch gesehen droht equip4ordi ein Millionengrab zu werden. Die Idee einer Einkaufsgesellschaft kommt Jahre zu spät, heute findet man per google suche innerhalb von Sekunden den günstigsten Anbieter für das benötigte Produkt”. Verbrauchsmaterialien würden viele Ärzte einfach über Amazon bestellen. „Zu glauben, dass eine kleine Einkaufsgesellschaft der Wiener Kammer gegen Player wie Amazon … bestehen kann, erscheint mir etwas naiv.” Ferenci ersuchte Szekeres, ein Veto gegen die Darlehensvergabe einzulegen.
Druck in der Kammer
Wenige Tage später schrieb Ferenci ein weiteres Mail, wobei Szekeres in CC stand. Darin hieß es: „Wenn diese Kammer sich nicht von einer person hertreiben lässt, dann wäre es das logischste, dass zuerst einmal unser finanzdirektor einblick in diese firma (Anm.: E4O) bekommt, wir halten möglicherweise einen toten Patienten am leben.” Steinhart habe „nachweislich gelogen, sich diese Summe mit unwahrheiten erschlichen.” Obwohl Ferenci von „Betrug” schrieb, erstattete er 2020 keine Anzeige: „Ich war damals weder Behördenleiter, noch gab es zu diesem Zeitpunkt ein entsprechendes Gutachten. Ich kannte die Details auch nicht in vollem Umfang”, erklärt er heute.
Jedenfalls verweigerte der Finanzreferent im Jahr 2020 seine Zustimmung, der Holding der Kurie 900.000 Euro „als kurzfristige Überbrückungshilfe zur Beschaffung des Hygienebedarfs aufgrund des Coronavirus“ zur Weitergabe an die E4O zu überweisen. „Man ist mir in keiner Weise entgegengekommen, meine Vorschläge für Transparenz wurden nicht gehört”, so Ferenci heute: „Ich wurde damals von einigen wenigen Leuten massiv unter Druck gesetzt.”
In seinen Mails habe Ferenci Szekeres „unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass er eine neue Beschlussfassung für notwendig hält”, schreibt Höcher: „Nach dieser klaren Aussage wurde Dr. Ferenci nicht mehr in den Informationsfluss eingebunden.” Es wurde ein Vertrag für ein nachrangiges Darlehen ausgearbeitet, wobei die Nachrangigkeit ausdrücklich mit der Vermeidung einer Insolvenzantragspflicht begründet wurde. Am 26.3.2020 überwies die Ärztekammer dann mit Unterschrift des Präsidenten Szekeres 900.000 Euro direkt an die E4O mit der Begründung „Überbrückungshilfe für Beschaffung von Hygienebedarf“.
Anzeigen und andere Beilagen
„Weil aus diesem Grund auch finanzielle Angelegenheiten der ÄKW betroffen waren, hätte der Finanzreferent der ÄKW, Dr. Ferenci, die Darlehensvereinbarung und die Weisung mitzeichnen müssen”, heißt es nun im Gutachten von Rechtsanwalt Höcher. Zusätzlich sei der Vertrag rechtswidrig gewesen: Szekeres habe seine Befugnis missbraucht, „der objektive Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt ist erfüllt.”
Als Folge des Gutachtens zeigte Ferenci, der in der zwischenzeitlichen Abwesenheit Steinharts die Geschäfte der Wiener Ärztekammer führte, Szekeres vor wenigen Tagen wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch an. Die Staatsanwaltschaft Wien prüft derzeit einen Anfangsverdacht. Szekeres wollte Fragen von profil mit Verweis auf die Anzeige aktuell nicht beantworten, betont aber: „Ich habe mir jedenfalls nichts vorzuwerfen.”
Tatsächlich zahlte die E4O noch im Jahr 2020 die 900.000 Euro an die Kurie zurück. Im Gutachten heißt es allerdings, dass das Geld dafür aus anderen Firmen der Kurie stammte – und somit erst recht wieder aus Kurienvermögen.
Auch das profil vorliegende Höcher-Gutachten wurde der Staatsanwaltschaft übergeben. Es enthält auch die erwähnten Vorwürfe gegen Steinhart, der amtierende Präsident wurde allerdings von der Ärztekammer nicht explizit erneut angezeigt: „In meiner Funktion als Behördenleiter war ich laut Ansicht der Juristen nur zur Mitteilung an die StA betreffend Thomas Szekeres verpflichtet”, erklärt Ferenci auf Anfrage. Prinzipiell muss die Staatsanwaltschaft bei sogenannten Offizialdelikten alle ihr vorgelegten Sachverhalte ohnehin selbst prüfen. Die Justiz ermittelt auch gegen zwei frühere Geschäftsführer der E4O sowie gegen einen früheren Mitarbeiter der Wiener Ärztekammer. Alle haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Steinhart war erst vergangene Woche überraschend früh als Präsident der Ärztekammer zurückgekehrt, wie die Rechercheplattform Dossier zuerst berichtet hatte. Zuvor hatte er sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen, Ferenci hatte ihn vertreten. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen läuft auch innerhalb der Ärztekammer die Aufklärung weiter: Ein Untersuchungsausschuss durchleuchtet die Vorgänge in und rund um die Equip4Ordi.
Wie zu hören ist, dürften einzelne Beschuldigte die Aufarbeitung allerdings nicht unbedingt tatkräftig unterstützt haben. So wurden allem Anschein nach im Büro von E4O zahlreiche leere Aktenordner gefunden. Ein ehemaliger Geschäftsführer soll alle seine Mails und Dateien gelöscht haben.