Umschalten und abdrücken
Stein des Anstoßes ist ein kleiner Bauteil – eine Art Schalter (auf Englisch: „switch“) –, der hinten an der Pistole angesetzt werden kann und den Auslösemechanismus beeinflusst. Die Waffe feuert dann, solange der Abzug gedrückt bleibt und Patronen im Magazin sind. Eine legale halbautomatische Faustfeuerwaffe wird dadurch zur Maschinenpistole. Und vollautomatische Waffen sind sogar im Schießpulver-Paradies USA für Zivilisten verboten – wegen ihrer verheerenden Wirkung.
8. April 2023: In einer öffentlichen Wohnanlage in Newark im Bundesstaat New Jersey feuert ein Schütze 28 Mal mit einer Neun-Millimeter-Glock-Pistole. Dafür braucht er nur etwas mehr als eine Sekunde, drei Menschen werden schwer verletzt, wie es in der Klage von Generalstaatsanwalt Matthew Platkin heißt. Dies sei möglich gewesen, weil die Waffe mit einem „Switch“ zu einer Maschinenpistole gemacht worden sei, hält Platkin fest. Derartige „Switches“ könnten für weniger als 20 US-Dollar gekauft und in nicht einmal fünf Minuten installiert werden. Glock-Pistolen, die auf diese Weise modifiziert sind, könnten eine Feuergeschwindigkeit von 1200 Schuss pro Minute erreichen. Der Rückstoß sei so schwer zu kontrollieren, dass sich die Kugeln üblicherweise unkontrolliert über ein größeres Gebiet verteilen.
„Glock hat die Angelegenheit einfach ignoriert“
Glock stellt die „Switches“ nicht selbst her. Viele davon kommen laut Klage aus China oder aus dem 3D-Drucker. Auch sind Glock-Pistolen nicht die einzigen Faustfeuerwaffen, die modifiziert werden können. Der Vorwurf, der in den USA nun laut wird, ist jedoch, dass dies bei gängigen Glock-Modellen besonders einfach möglich wäre. Dieser Umstand sei Glock auch bewusst. Dennoch weigere sich das Unternehmen, das Design der Waffen so anzupassen, dass die Modifikation entscheidend erschwert wird – obwohl dies zumutbar wäre.
„Glock hat die Angelegenheit einfach ignoriert und zugelassen, dass das so weitergeht“, meint Baltimores Bürgermeister Scott im profil-Gespräch. New Jerseys Generalstaatsanwalt Platkin wiederum warf den österreichischen Glock-Eigentümern in einer Aussendung im Dezember vor, ihre Taschen mit Gewinnen zu füllen, welche durch Blutvergießen in Amerika bezahlt würden. Ein Blutvergießen, das durch Glock-Produkte genährt werde. Platkin wirft dem Unternehmen vor, Gier vor die Sicherheit von Einwohnern und Polizisten zu stellen. Diese Zeiten seien jedoch vorüber.
Glock beantragte Abweisung
Was sagt Glock dazu? Auf profil-Anfrage gar nichts: Glock kommentiere laufende Gerichtsverfahren nicht, heißt es von der Pressestelle des Unternehmens. Doch das bereits am längsten laufende US-Verfahren – jenes, das von der Stadt Chicago angestoßen wurde – lässt auf Basis dort eingebrachter Schriftsätze zumindest eine erste Einschätzung zu, was die Argumentationslinie des Waffenherstellers betrifft.
Die österreichische Glock Ges. m.b.H. beantragte demnach im Oktober 2024 die Abweisung der Klage mit der Behauptung, diese sei nicht korrekt zugestellt worden – und außerdem falle die österreichische Firma nicht unter die Gerichtsbarkeit des US-Bundesstaats Illinois, in dem Chicago liegt.
Auch der US-Ableger von Glock, die Glock Inc. in Georgia, stellte den Antrag, die Klage abzuweisen. Vereinfacht zusammengefasst argumentiert das Unternehmen: Wenn kriminelle Dritte legale Produkte missbrauchen würden, könne Glock nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden. Die gesetzliche Grundlage, auf die sich Chicago beziehe, sei verfassungswidrig – unter anderem sei sie zu vage.
Weitere Klagen möglich
Eric Tirschwell ist Executive Director von „Everytown Law“, einer Organisation, die sich gegen Schusswaffengewalt einsetzt. Der Rechtsexperte hat sowohl an der Klage der Stadt Chicago als auch an jener von Baltimore und Maryland mitgearbeitet. Im profil-Interview will Tirschwell die Argumente von Glock nicht gelten lassen: Der Bundesstaat Illinois habe kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das Waffenhersteller verpflichte, nicht durch unangemessenes Verhalten („unreasonable conduct“) zu einer Schädigung der Öffentlichkeit beizutragen. „Wir erheben den Vorwurf, dass der Verkauf von Waffen, welche derart leicht modifiziert werden können, unangemessenes Verhalten ist“, hält Tirschwell fest. Entscheidungen zu Design, Marketing und Verkauf in den USA würden zumindest teilweise in Österreich gefällt. Außerdem würden Pistolenteile und auch ganze Pistolen aus Österreich in die USA kommen. Das sei ausreichend für eine Gerichtszuständigkeit in den Vereinigten Staaten, meint Tirschwell.
Für März ist eine mündliche Verhandlung im Chicago-Verfahren anberaumt. Dann werde das Gericht entscheiden, ob der Fall fortgesetzt werden kann, erklärt Tirschwell. Wenn ja, müsse Glock relevante Dokumente herausgeben, und Mitarbeiter sowie Manager des Unternehmens könnten unter Eid befragt werden. Sollte das Gericht die Klage abweisen, werde es wahrscheinlich ein Rechtsmittel dagegen geben. „Sofern Glock den Verkauf leicht modifizierbarer Waffen nicht stoppt, denke ich nicht, dass die jüngste Klage (Anm.: jene von Baltimore und Maryland) die letzte sein wird“, sagt Tirschwell.
Glock dürfte also noch länger nicht aus der Schusslinie sein.