Gusenbauer an FMA-Chef: "Lieber Heli!"
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Zumindest in Frankfurt, bei der Europäischen Zentralbank (EZB), kann man über die Sache noch lachen. Da schreibt ein ehemaliger Bundeskanzler, der zu diesem Zeitpunkt längst auf der Payroll des Immobilienjongleurs René Benko stand, ein E-Mail an den amtierenden Chef der heimischen Finanzmarktaufsicht (FMA), mit dem er offenbar per Spitznamen verkehrt. Und will auf diese Weise augenscheinlich eine unangenehme EZB-Prüfung in eine günstigere Richtung lenken. Österreich wird seinem Ruf als Interventionitis-Paradies wieder einmal gerecht.
„Lieber Heli!“, schrieb Alfred Gusenbauer, Ex-SPÖ-Kanzler und damals noch Aufsichtsratsvorsitzender der Signa Prime, am 18. September 2023 an Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA) und seinerseits ebenfalls dem roten Republiksteil zugerechnet. Das E-Mail, über das Anfang der Woche zuerst „Kronen Zeitung“ und „News“ berichtet haben, liegt profil vor. Es ist ein Schreiben, das einmal mehr die dringende Frage aufwirft, warum es manchen Mächtigen in diesem Land so schwer fällt, zwischen privaten Netzwerken und beruflichen Wünschen zu trennen. Und zwar auch dann, wenn staatliche Interessen im Spiel sind.
„Wie zuletzt bei unserem Treffen im August angesprochen, führte ein Onside-Expection-Team (Gusenbauer meinte wohl „Onsite-Inspection“, eine Vor-Ort-Aufsichtsprüfung bei Banken, Anm.) der EZB bei österreichischen und deutschen Banken Überprüfungen der Immobilien-Kredite durch, die für SIGNA-Projekte gewährt wurden“, schrieb Gusenbauer an Ettl. Der Ex-Kanzler und der FMA-Vorstand kennen einander aus Jugendtagen, wie Ettl gegenüber profil in einer Stellungnahme erklärt. Man treffe einander in „unregelmäßigen Abständen zu einem privaten Gedankenaustausch“. Auch bei dem von Gusenbauer im E-Mail erwähnten Treffen im August habe es sich „um ein privates Treffen gehandelt, bei dem Alfred Gusenbauer von sich aus das Thema von EZB-Onsite-Inspections bei österreichischen und internationalen Banken zum Signa-Exposure“ angesprochen habe, teilt Ettl mit. Er selbst habe auf die Zuständigkeit der EZB verwiesen und lediglich geantwortet, dass es einen bereits öffentlich bekannten Aufsichts- und Prüfschwerpunkt zur gewerblichen Immobilienfinanzierung gebe.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Bankenaufseher, allen voran die EZB, bei zahlreichen Kreditinstituten vor allem in Deutschland und Österreich die Signa-Finanzierungen unter die Lupe genommen. Die Bankenprüfer, darunter eben auch Mitarbeiter der FMA, wollten wissen, wie hoch die Signa-Kredite sind und wie diese besichert sind. Immerhin schuldete Signa damals allein den heimischen Banken 2,2 Milliarden Euro. Einigen Instituten wurde auch empfohlen, die Risikovorsorge zu erhöhen, also Vorkehrungen zu treffen, falls ein Kredit abgeschrieben werden muss, weil Signa nicht mehr zahlen kann. Seit der Pandemie 2020 hatte man den Gewerbeimmobilienmarkt ins Visier genommen und hier hatte sich Signa als Sorgenkind entpuppt.
Prüfung irritierte Gusenbauer
Heute deutet vieles darauf hin, dass zum Zeitpunkt von Gusenbauers Mail etliche Signa-Gesellschaften kurz vor der Zahlungsunfähigkeit standen. Schließlich mussten ab Ende November die großen Signa-Firmen - die übergeordnete Holding, die Signa Prime und die Signa Development - Insolvenz anmelden. Das Gusenbauer-Mail klingt freilich nicht so, als würden sich irgendwelche Probleme anbahnen. Vielmehr störte Gusenbauer, dass die Bankenprüfer die Signa-Immobilien aus seiner Sicht zu niedrig bewertet hätten. „Für SIGNA ist dieses Faktum der Prüfung eines Einzelkunden insofern irritierend, weil dadurch die Banken mit einem Wertberichtigungs-Bedarf konfrontiert werden, der nicht den aktuellen Markt-Gegebenheiten entspricht.“ Als Beispiel nennt er drei Immobilien, die deutlich über den – aus aufsichtsrechtlicher Sicht wohl eher konservativ vorgenommenen – Bewertungen der EZB, verkauft worden wären.
„Wir bitten Dich um Unterstützung bei der Aufklärung der Sachlage.“
„Wir bitten Dich um Unterstützung bei der Aufklärung der Sachlage“, schrieb Gusenbauer an Ettl – wobei man jederzeit auch für Gespräche mit Vertretern der EZB zur Verfügung stehe. Wieso interveniert ein Ex-Kanzler bei einem Jugendfreund, der jetzt FMA-Chef ist? Wieso glaubt er, damit erfolgreich zu sein? Woher weiß Gusenbauer, wie die EZB die einzelnen Immobilienprojekte bewertet hat? Die Berichte der Prüfer sind eigentlich vertraulich und für die betroffenen Banken vorgesehen, nicht für deren Kreditkunden. Und wieso wurde das E-Mail nicht dem laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgelegt? Immerhin musste dort schon ein anderer FMA-Vorstand, Eduard Müller, Platz nehmen und auch zu Signa Auskunft geben. Am 22. Mai ist dann Signa-Gründer René Benko selbst geladen.
Das Mail sei nicht an den Ausschuss übermittelt worden, weil es „nicht die Aufsichtstätigkeit der FMA betrifft, sondern die direkte Aufsicht der EZB“, erklärt Ettl auf profil-Anfrage. Es befinde sich „im Clearing-Prozess der EZB“. Demnach muss also die Europäische Zentralbank entscheiden, ob es geliefert werden kann.
Ettl lässt profil wissen, er habe seinerzeit weder eine Antwort an Gusenbauer geschickt, noch eine Reaktion gesetzt. Er habe das Mail „aber selbstverständlich an die EZB als zuständige Behörde weitergeleitet“. Warum habe Gusenbauer nicht den normalen Behördenweg eingehalten? Hält der FMA-Chef derlei Interventionen für zulässig? „Grundsätzlich steht es jedem, der von einer behördlichen Maßnahmen im weitesten Sinne betroffen ist, zu, sich an diese Behörde mit Fragen, Kritikpunkten oder Empfehlungen zu wenden. Die zuständige Behörde – in diesem Fall die EZB – habe das Vorbringen entsprechend zu würdigen“, meint Ettl. Er selbst habe sich jedenfalls nichts zuschulden kommen lassen und nicht interveniert.
Es ist gut möglich, dass man im Signa-Lager der Meinung war, die Eingabe bei der EZB hätte mehr Gewicht, wenn sie nicht direkt in Frankfurt aufschlägt, sondern über den FMA-Vorstand. Alfred Gusenbauer ließ eine profil-Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Signa beschäftigt die FMA jedenfalls schon länger. 2022 leitete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine Whistleblower-Meldung an ihre österreichischen Kollegen weiter, die es in sich hatte. Der Whistleblower warnte schon damals vor Ungemach bei Signa und wies auf eine Reihe von Unstimmigkeiten hin - profil berichtete exklusiv. Und tatsächlich wurde auch die FMA in der Sache aktiv. profil-Informationen zufolge soll sie sogar eine Sachverhaltsdarstellung an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft übermittelt haben.
Private Geschäfte
Indes tritt immer mehr zutage, dass auch abseits der Signa im Benko-Umfeld beträchtliches Immobilienvermögen existiert. Das deutsche „Handelsblatt“ berichtete zuletzt über mögliche Verbindungen von Benkos „Laura Privatstiftung“ zu Immobilien in Deutschland. Bereits Anfang des Jahres deckte profil auf, dass die Laura-Stiftung über Zwischenfirmen ein großes Immobilienvermögen in Tirol besitzt – darunter eine Reihe von Zinshäusern in Innsbruck im Gesamtwert von 120 Millionen Euro. Benko ist zwar einer der Stifter der Laura-Stiftung, zählt aber nicht zu deren Begünstigten. Sehr wohl fallen jedoch mehrere nahe Angehörige darunter. Nicht nur wesentliche Signa-Gesellschaften sind pleite. Auch Benko selbst musste in seiner Funktion als Beratungsunternehmer Konkurs anmelden. Für Gläubiger und frühere Investoren stellt sich daher zunehmend die Frage, ob und wie sie gegebenenfalls an das Stiftungsvermögen herankommen können. Die Liste jener, die Geld von Rene Benko wollen, wächst jedenfalls stetig.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.