Hausbesuche: Wie es zur Razzia bei René Benko und Co. gekommen ist
Schriftgröße
Auch Top-Anwälte haben Hobbys – und nicht wenige von ihnen gehen gerne ins Fußballstadion. Vor allem, wenn das Österreichische Nationalteam gegen die Niederlande um den Aufstieg ins EM-Achtelfinale spielt. So weilten am vergangenen Dienstag offenbar gleich mehrere hochrangige Vertreter dieser Zunft in Berlin. Wie sich zeigen sollte: zur falschen Zeit am falschen Ort.
Manche von ihnen sollten nämlich noch deutlich vor dem Anpfiff einen Kick der anderen Art erleben: Hausdurchsuchung in der Villa von René Benko in Innsbruck, in seinem Zweitwohnsitz auf der Hungerburg, bei mehreren langjährigen Signa-Managern daheim und in den Büros der zusammengebröselten Immobilien-Gruppe. Juristischer Großkampftag also. Und das in Abwesenheit.
Der Zeitpunkt ist überraschend. Schließlich kracht es bei der Signa bereits seit dem vergangenen Herbst. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat im März bekannt gegeben, Ermittlungen eingeleitet zu haben. Seit mehreren Monaten gibt es beim Bundeskriminalamt eine eigene SOKO Signa, die im Auftrag der Staatsanwälte tätig wird. Und es passierte monatelang einfach: nichts. Warum also genau jetzt die Razzia?
profil liegt die Durchsuchungsanordnung vor. Offenbar haben die Ermittler gewartet, bis gleich eine ganze Reihe konkreter Verdachtsmomente vorliegt, um zuzuschlagen: Unter anderem statteten sie der pompösen Villa in Igls südlich von Innsbruck, in der René Benko seinen Hauptwohnsitz hat, einen Besuch ab. Und sie wollten auch in einem Luxusanwesen auf der anderen Seite der Tiroler Landeshauptstadt vorbeischauen, das eine Art Zweitwohnsitz des Signa-Gründers sein soll.
Was sie bei Benko suchten: „Mobiltelefone, Laptops, Tablets, Speichermedien“ und andere Unterlagen. So weit, so üblich. Doch es geht nicht nur um elektronische Daten und sonstige Dokumente. Die Ermittler suchten bei René Benko auch durchaus Handfestes zwecks Sicherstellung: und zwar Schusswaffen – sowie einen grauen Porsche 911 Speedster Type 991R, Baujahr 2019.
Die Waffen und der Porsche
Das ist ungewöhnlich und hat damit zu tun, dass nicht nur wesentliche Teile der Signa-Gruppe pleite sind, sondern auch René Benko. Der Signa-Gründer hat bekanntlich als Unternehmer Anfang März 2024 beim Landesgericht Innsbruck Konkurs angemeldet. Die WKStA hat sich daraufhin näher mit dem abrupten Vermögensverfall Benkos beschäftigt.
In der Anordnung heißt es: „Auffällig erscheint nach den vorliegenden Unterlagen, dass trotz eines sehr hohen Einkommens des Beschuldigten in den letzten Jahren und Eingängen im Millionenbereich auf den vom Insolvenzverwalter vorläufig ausgewerteten Konten im Vermögensverzeichnis nur verhältnismäßig geringe Vermögenswerte aufscheinen.“
Was den Ermittlern besonders ins Auge gestochen ist: Im Waffenregister sollen bei Benko „zahlreiche – teils hochpreisige – Waffen“ eingetragen sein, in der offiziellen Vermögensaufstellung im Konkursverfahren finden sich jedoch keine. Dabei sollen noch im Jänner 2023 vom privaten Girokonto Benkos 69.000 Euro für zwei Flinten bezahlt worden sein. Und im Oktober 2023 sei eine Glock-Pistole auf Benko registriert worden. Alles weg?
Auffällig erscheint, dass trotz eines sehr hohen Einkommens des Beschuldigten auf den vom Insolvenzverwalter vorläufig ausgewerteten Konten im Vermögensverzeichnis nur verhältnismäßig geringe Vermögenswerte aufscheinen.
Ebenfalls stutzig geworden ist die WKStA in Bezug auf den Porsche 911 Speedster. Der war gemäß Durchsuchungsanordnung nämlich von Oktober 2019 bis
Oktober 2023 auf Benko selbst zugelassen. Dann wechselte die Zulassung auf eine Firma namens Laura Bacchus GmbH. Und kurz drauf gingen auf einem Konto Benkos 150.000 Euro von dieser Firma ein. Die Ermittler gehen nun der Frage nach, ob da nicht unter Umständen zu wenig bezahlt wurde. Die Laura Bacchus GmbH steht zwar offiziell nicht im Eigentum von René Benko – gehört aber Benkos „Laura Privatstiftung“. Es gelte zu klären, ob es sich „um eine fremdübliche Transaktion zu einem angemessenen Preis“ gehandelt habe, schreibt die WKStA.
Der Verdacht, der sich laut Ermittlungsanordnung daran knüpft: Benko könnte im Vorfeld der Insolvenz Vermögensteile beiseitegeschafft und dadurch Gläubiger geschädigt haben. Der strafrechtliche Vorwurf: betrügerische Krida.
Darüber hinaus ging es bei den Hausdurchsuchungen aber natürlich auch um eine ganze Reihe von Verdachtsmomenten, die sich direkt auf Vorgänge rund um die Signa-Gruppe beziehen. Und da sind dann gleich ganz andere Geldsummen im Spiel.
Benkos Garten Eden
Das „Eden Reserve“ am Gardasee in Italien lässt nichts zu wünschen übrig in Bezug darauf, was der betuchte Urlaubsgast zum Ausspannen braucht. Die Luxusanlage besteht aus einem Boutique Hotel, Villen, die man mieten kann, und Ferienappartements.
Auf der Website steht: „Für den Gast mit besonderen Ansprüchen stehen fünf Designer-Villen von den Architekten David Chipperfield, Richard Meier und Marc Mark in verschiedenen Größen und Ausstattungen mit Pool, Spa und Fitnessbereich zur Auswahl. Jede der Villen ist ein Unikat und lädt mit vier bis fünf Schlafzimmern für maximal acht Personen zum Entspannen in der Sonne Italiens ein.“
Benko und der Gardasee – eine lange Liebesbeziehung. Der Signa-Gründer residierte dort selbst sehr gerne. Nicht im „Eden Reserve“, aber in einer anderen Villa. Doch nun befassen sich die Ermittler mit dem Thema. Ist es doch im August 2023 zu einer bemerkenswerten Transaktion gekommen.
Damals begann es rund um die Signa schon mächtig zu bröckeln. Das verfügbare Geld wurde immer knapper, frische Finanzierungen waren dringend gesucht. Da ist es doch schön, wenn es einen Käufer für Immobilien gibt. Und siehe da: Mit Kaufvertrag vom 18. August 2023 erwarb René Benkos liechtensteinische „INGBE Stiftung“ die Besitzgesellschaft des Villen-Eden-Projekts von der Signa Holding GmbH (siehe Faksimile). Die Signa Holding ist so etwas wie die Dachgesellschaft der Signa-Gruppe und mittlerweile pleite.
Es ging um eine Menge Geld für die Signa Holding, war doch laut Durchsuchungsanordnung ein stolzer Kaufpreis von rund 46 Millionen Euro vereinbart.
Schnäppchen?
Möglicherweise dennoch ein Schnäppchen: Laut profil-Recherchen wies die Luxemburger Holding-Firma per Ende 2022 nämlich ein Anlagevermögen von 58 Millionen Euro aus. Das ist aber offenbar gar nicht der Punkt, der den Ermittlern ins Auge gestochen ist. Diese widmen sich vielmehr der Frage, auf welche Art und Weise der Kaufpreis beglichen wurde.
Laut Verdachtslage wählte man nämlich eine Gegenverrechnungs-Variante. Wie sich aus der Anordnung ergibt, besaß die INGBE Stiftung über eine als Treuhänderin agierende Zwischenfirma Aktien der Signa Prime Selection AG. Zur Einordnung: Signa Prime war so etwas wie das Schmuckkästchen der Signa-Gruppe. Dort waren die wertvollsten Immobilien in den allerbesten Lagen gebündelt. Mittlerweile ist aber auch diese Signa-Sparte insolvent
Damals, wenige Monate vor dem Zusammenbruch, verkaufte Benkos „INGBE Stiftung“ der Signa Holding rund 580.000 Stück Signa-Prime-Aktien. Diese sollten – so die Grundlage des Deals – genau gleich viel wert sein wie das Villen-Resort.
Weshalb man die gegenseitigen Forderungen einfach aufrechnete. Vereinfacht betrachtet, hat die „INGBE Stiftung“ den Kauf des Eden-Projekts von der Signa Holding mit Signa-Prime-Aktien bezahlt. Nochmals anders formuliert: Man hat einfach getauscht – Villen gegen Aktien.
Nun gehen die Ermittler allerdings der Frage nach, ob die Aktien, welche die Signa Holding erhalten hat, überhaupt so viel wert waren. Aus Sicht der Ermittler liegt nahe, dass Hintergrund des Deals eine bestimmte Absicht gewesen sein könnte: nämlich, dass „die dem Beschuldigten René Benko zuzuordnende INGBE Stiftung ihr im Hinblick auf die nahe Insolvenz der SIGNA Prime Selection AG stark wertgemindertes Aktienpaket aus ihrem Vermögensbestand ausscheidet und gegen die demgegenüber werthaltige Beteiligung an einer Gesellschaft tauscht, die luxuriöse Immobilien hält, welche René Benko persönlich wichtig sein dürften.“
Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, wäre das natürlich ein Bombengeschäft für Benkos Stiftung gewesen – und ein echter Flop für Signa. Die WKStA ermittelt wegen des Verdachts der Untreue gegen Benko, zwei langjährige Signa-Manager und – nach dem sogenannten Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – auch gegen die „INGBE Stiftung“.
Der Stifter
Was hat es mit diesen ganzen Benko-Stiftungen nun auf sich? Wer beim Wort „Stiftung“ automatisch an eine gemeinnützige Wohltätigkeitseinrichtung denkt, liegt hier falsch. Bei Privatstiftungen geht es zwar schon auch um Wohltätigkeit, aber nur gegenüber einem gewissen Begünstigtenkreis.
Im Umfeld René Benkos sind bisher vier derartige Vermögens-Vehikel bekannt: die „Laura Privatstiftung“ und die „Familie Benko Privatstiftung“ in Österreich sowie die „INGBE Privatstiftung“ und die „ARUAL Stiftung“ in Liechtenstein. Benko ist zwar selbst nicht Begünstigter der Stiftungen – das sind hauptsächlich engste Familienmitglieder. Und er hat rechtlich gesehen auch keinen Einfluss auf die Verwaltung des Stiftungsvermögens.
Die WKStA schreibt dennoch klipp und klar: „Diese Konstruktionen wurden mutmaßlich allein deswegen gewählt, um den behördlichen Zugriff auf das Vermögen des René Benko zu erschweren und gleichzeitig René Benko – im Wege enger Familienmitglieder und Vertrauensleute – den Zugriff zu erhalten.“
Eines sei an dieser Stelle betont: René Benko hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Sein Anwalt Norbert Wess wollte zu den Details der Durchsuchungsanordnung nicht Stellung nehmen. Allgemein hat er die Vorwürfe jedoch als „vollkommen haltlos“ zurückgewiesen.
Ermittelt wird gegen Benko nicht nur wegen Krida- und Untreueverdachts, sondern auch wegen möglichen Betrugs. Dabei geht es einerseits um die Verlängerung eines Bankkredits und die Frage, was man den dortigen Verantwortlichen bezüglich der wirtschaftlichen Lage erzählt hat. Und es geht um den Verdacht, dass Investoren getäuscht worden sein könnten.
War Signa noch liquide?
Zunächst zum Thema Bankkredit: Dieser Verdacht bezieht sich auf eine Kreditverlängerung einer Signa-Firma im Juni 2023. Laut Durchsuchungsanordnung erwirkten René Benko und der Signa-Manager Manuel Pirolt eine dreimonatige Verlängerung eines Kreditvertrags bei der Schelhammer Capital Bank AG. Ausständig waren noch 25 Millionen Euro. Benko und Pirolt sollen, so der Verdacht, die Bank über die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Signa-Gruppe getäuscht haben. Also im wesentlich darüber, ob Signa noch im Stande war, den Kredit zurückzuzahlen.
Als Benko und Pirolt bei den Schelhammer-Managern aufschlugen, hatten schon erste Berichte über massive Liquiditätsschwierigkeiten bei Signa in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Runde gemacht. Es war auch bekannt, dass die Europäische Zentralbank und die heimische Bankenaufsicht intensiv die Signa-Kredite bei heimischen Banken ins Visier genommen hatten. Auch Schellhammer bekam Besuch von der Aufsicht, wie alle Banken die Signa Geld geliehen hatten.
Benko soll persönlich um eine Verlängerung der Kreditlinie um ein paar Jahre angesucht haben. Tatsächlich wurde der Kredit nur um drei Monate verlängert. Nun besteht der Verdacht, dass die Verantwortlichen bei Schelhammer über „die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der SIGNA Gruppe und die Rückzahlungswilligkeit der SIGNA Prime Holding GmbH zur Prolongation eines Kreditvertrags“ getäuscht wurden. Die Bank hat diesbezüglich Anzeige erstattet und so die Ermittlungen ausgelöst.
Einmal im Kreis und zurück
Wurden 2023 rund 35 Millionen Euro im Kreis geschickt, um Investoren vorzugaukeln, dass René Benko beziehungsweise eine seiner Stiftungen für die kriselnde Signa frisches Geld in die Hand nimmt? Das ist ein weiterer Verdacht, dem die WKStA nachgeht.
In diesem Ermittlungsstrang stehen neben René Benko auch mehrere langjährige Signa-Manager im Fokus. Benko wird schwerer Betrug vorgeworfen. Im Zuge einer Kapitalerhöhung bei der Signa Holding GmbH sollen Co-Investoren getäuscht worden sein.
Im vergangenen Sommer brauchte Signa ganz dringend frisches Geld, also soll Benko bei seinen Investoren angeklopft und sie um weitere Millionen gebeten haben.
Schon aus der engsten zeitlichen Nähe, der exakt gleichen Höhe und der Anzahl der Überweisungen sowie der Involvierung mehrerer Unternehmen ergibt sich, dass das Vorgehen im Vorhinein genau geplant wurde.
Um mit gutem Beispiel voranzugehen und Vertrauen zu stiften, musste aber natürlich auch die „Familie Benko Privatstiftung“ ihrem Anteil gemäß rund 35 Millionen Euro in die Hand nehmen. Gemäß Verdachtslage soll das Geld aber gar nicht von Benko gekommen sein. Stattdessen hätte es sich um bereits einbezahlte Beträge anderer Investoren gehandelt haben.
Das Geld soll über mehrere Gesellschaften und Darlehensverträge im Kreis geschickt worden sein, bis es am Ende so aussah, als hätte die „Familie Benko Privatstiftung“ aus eigener Kraft einen Zuschuss geleistet.
„Schon aus der engsten zeitlichen Nähe, der exakt gleichen Höhe und der Anzahl der Überweisungen sowie der Involvierung mehrerer Unternehmen ergibt sich, dass das Vorgehen im Vorhinein genau geplant wurde“, schreiben die Ermittler im Antrag auf Hausdurchsuchung.
Die Rolle Benkos
Es gibt einen Punkt, der über die konkreten Verdachtsmomente hinaus besonders interessant scheint: Das ist die Rolle von René Benko – und wie die WKStA diese einschätzt.
Benko hatte nämlich seit 2013 keine gesellschaftsrechtliche Organfunktion bei Signa mehr. Er war lediglich Chef eines Beirats, der aber formell keine Geschäftsentscheidungen getroffen hat. Darüber hinaus hatte Benko Beraterverträge mit mehreren Signa-Gesellschaften und offenbar einen Dienstvertrag bei der Signa Holding. Letzterer war zwar prächtig entlohnt. Als offizieller Geschäftsführer war er jedoch nicht im Firmenbuch eingetragen.
Seit Langem besteht jedoch die Vermutung, dass Benko dennoch so etwas wie ein faktischer Geschäftsführer gewesen sein könnte. Wäre das der Fall, könnte das – über das Ermittlungsverfahren hinaus – für zahlreiche Rechtsstreitigkeiten von großer Bedeutung sein.
Und in der Durchsuchungsanordnung hält die WKStA nun fest: „Obwohl René Benko in den diversen Unternehmen der SIGNA-Gruppe zuletzt formal keine Funktion als Entscheidungsträger einnahm bzw. nur „beratend„ tätig gewesen sein soll, geht aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen hervor, dass er etwa in führender Rolle an Vertragsverhandlungen teilnahm, Geschäfte mit Großkunden anbahnte, über den Geschäftsgang informiert wurde und jene Person war, die bei wichtigen Entscheidungen letztentscheidungsbefugt war. Er ist sohin nach den Ermittlungsannahmen als faktischer Machthaber anzusehen.“ Eine potenziell weitereichende Einschätzung.
Der 80-Millionen-Euro-Deal
Im vorliegenden Ermittlungskomplex gibt es allerdings zumindest einen Verdachtspunkt, der sich nicht gegen Benko richtet, sondern gegen zwei langjährige Signa-Manager und mögliche Beitragstäter.
Es dürfte so etwas wie ein allerletzter Versuch der Schadensbegrenzung gewesen sein. Als am 14. Dezember 2023 zwei Geschäftsführer der Signa und drei hochrangige Vertreter der Wiener Ärztekammer in einer Notariatskanzlei in der Wiener Spiegelgasse zusammenkommen, wechselt ein Gebäude am Wiener Graben um 80 Millionen Euro den Besitzer (siehe Faksimile). Käuferin ist Wiener Ärztekammer.
Jetzt sind die Begleitumstände dieses Deals Gegenstand von Ermittlungen. Konkret geht es um den Verdacht „der Untreue in Zusammenhang mit dem Verkauf einer Innenstadt-Immobilie einer Signa-Gesellschaft“. Laut WKStA soll „ein Teil des Kaufpreises zweckwidrig verwendet worden und nicht zur Gänze der Signa-Gesellschaft als Verkäuferin zugekommen sein“.
Unabhängig von den strafrechtlichen Ermittlungen gibt es zum Graben-Deal viele Fragen. Wie später im Zuge der Signa-Insolvenz an die Gläubiger berichtet wurde, waren im Zuge des Verkaufsprozesses die beiden höchst zahlenden Käufer für umliegende Gebäude angesprochen worden. Das Angebot der Ärztekammer fiel jedoch gleich um rund 25 Prozent höher aus.
Zu diesem Zeitpunkt war die Signa Holding, also die Dachgesellschaft der Organisation, schon pleite. Signa Prime, dessen Tochterfirma die „Graben 19 Immobilien GmbH“ ist, schlitterte nur zwei Wochen später in die Insolvenz. Der Liquiditätsengpass bei Signa war bekannt. Sie brauchte schnell Geld und einen Käufer.
Nichtsdestoweniger bot die Ärztekammer 80 Millionen Euro für das Haus. Das war deutlich mehr als die Signa-interne Bewertung der Immobilie. Signa Prime hatte das Haus am Graben 19 im Jahr 2022 selbst mit 63,8 Millionen Euro bewertet. Aus der Wiener Ärztekammer heißt es auf Nachfrage: „Das im Rahmen der Transaktion eingeholte Wertgutachten diente dabei als „Wertgrenze“ für den maximal zu bietenden Kaufpreis gegenüber dem Verkäufer. Der Gutachter hat den Verkehrswert der Immobilie mit 82,3 Millionen Euro beziffert. Der Kaufpreis liegt somit unter dem eingeholten Verkehrswertgutachten.“
Der Gutachter hat den Verkehrswert der Immobilie mit 82,3 Millionen Euro beziffert. Der Kaufpreis liegt somit unter dem eingeholten Verkehrswertgutachten.
Doch auch der Kaufvertrag selbst birgt eine Auffälligkeit: Er ist überraschend kurz und umfasst lediglich vier Seiten -für eine 80-Millionen-Euro-Transaktion. Im Dokument findet sich nicht einmal eine Kontonummer, auf welche die Kaufsumme zu überweisen ist. Die Fälligkeit des Kaufpreises ist nicht definiert. Es ist nicht einmal die Zahlung der Grunderwerbssteuer und Eintragungsgebühr geregelt, was in solchen Fällen üblich ist. Die Ärztekammer sagt dazu: „Die Transaktion wurde treuhändig durch den Rechtsvertreter der Ärztekammer für Wien abgewickelt, welcher den Kaufpreis auf ein Konto der Verkäufergesellschaft zur Auszahlung gebracht hat.“
Es gibt auch keine Details zu etwaigen Haftungen oder bestehenden Mietverhältnissen. Dabei hat das Haus am Graben einen langjährigen Mieter, welcher Signa jahrelang ein Dorn im Auge war – das Luxus-Lebensmittelgeschäft „Meinl am Graben“. Die „Julius Meinl am Graben GmbH“ hat nämlich einen überaus günstigen, indexierten Alt-Mietvertrag. Versuche seitens Signa, die Miete zu erhöhen oder den Mietvertrag aufzulösen, scheiterten. In internen Signa-Unterlagen, die profil vorliegen, heißt es, die „Julius Meinl am Graben GmbH“ behalte ihre aktuell niedrige Miete für die angemietete Fläche, „ohne absehbare Aussicht, die Miete in Zukunft zu erhöhen“.
Die Ärztekammer fühlt sich auf Nachfrage jedenfalls betont wohl mit dem Deal: „Das Gebäude wurde lastenfrei zu einem Kaufpreis von 80 Millionen erworben. Der gesamte Kaufprozess unterlag den Compliance-Richtlinien des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, welche u.a. eine Detailprüfung der Wirtschaftlichkeit sowie der technischen und rechtlichen Gegebenheiten der Immobilie durch Sachverständige und externe Berater vorsehen.“
Und dann ist da noch die Sache mit der Vermittlungsprovision, über die zuerst „Krone Zeitung“ berichtete. Bei dem Deal soll nämlich eine Immobilienmaklerin mitgewirkt und auch eine Vermittlungsprovision kassiert haben. Pikant ist, dass es sich dabei ausgerechnet um die Ehefrau eines Signa-Managers gehandelt hat, in dessen Zuständigkeit die Immobilie gefallen ist. Beide haben eine profil-Anfrage unbeantwortet gelassen. Ob die Provision auch Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist, ist nicht bekannt.
Betrug, Untreue, betrügerische Krida: Die Vorwürfe gegen René Benko und – in unterschiedlicher Ausprägung – die anderen Signa Manager wiegen jedenfalls schwer. Neben Benko dürften derzeit zumindest vier weitere Personen zum Beschuldigtenkreis gehören. Dazu kommen Ermittlungen gegen eine der Stiftungen und eine Firma nach dem sogenannten Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Nach Österreichs größter Wirtschaftspleite, könnte die Akte Signa nun jedenfalls auch zu einer der größten und längsten Verfahrensschlachten in der Zweiten Republik werden. Mit der Hausdurchsuchung wurde jedenfalls der nächste Akt im Signa-Drama eröffnet.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.