Hitzige Rede vor Gericht: Kurz, Blümel und die ÖVP-„Schwarmintelligenz“
Es ist ein Szenenwechsel, der eingefleischten Ex-Politikern mitunter schwerfällt: Vom mächtigen Entscheider an der Spitze der Republik zum einfachen Staatsbürger vor Gericht.
Beispiel eins: Der frühere Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) war am Donnerstag im Prozess gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ebenfalls ÖVP) als Zeuge geladen. Zunächst erklärte Blümel den wartenden Journalistinnen und Journalisten, dass er weder vor, noch nach der „Sitzung“ ein Medienstatement abgeben werde. In der „Sitzung“, die eigentlich „Verhandlung“ heißt, sprach er dann den Staatsanwalt gleich mehrfach als „Staatssekretär“ an. Das könne ja noch werden, meinte der Ex-Minister, und: „Ich bin politisch so konditioniert.“
Beispiel zwei: Ex-Kanzler Kurz, der offenbar sogar noch als Angeklagter am liebsten das Kommando im Gerichtssaal übernehmen würde. „Ich würde gerne ein paar Dinge festhalten“, ließ Kurz, dem von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen wird, den durchaus geduldigen Richter Michael Radasztics wissen. Das sei ihm „ein Bedürfnis, wenn man da tagelang zuhört“. Und schon setzte der ehemalige ÖVP-Chef zu einer gut 25-minütigen Rede an, in der er im Verbal-Stakkato mit sich überschlagender Stimme und großen Gesten seine Position zu verschiedenen Verhandlungsthemen darlegte (auch, warum er „schön langsam Schwammerln“ bekomme und sich „ein bisschen gefrotzelt“ fühle).
„Nicht allzu päpstlich sein“
Kurz dehnte damit das Recht eines jeden Angeklagten, sich zu einer zuvor stattgefundenen Zeugenaussage zu äußern, einigermaßen aus. Geradeso, als wolle er ein Geschworenengericht nach Hollywood-Prägung beeindrucken und nicht einen Einzelrichter, der zuvor selbst jahrelang Staatsanwalt in politisch heiklen Verfahren gewesen war. Radasztics ließ Kurz gewähren („Wir sollten nicht allzu päpstlich sein.“) hörte stoisch zu und verzog keine Miene. Ganz getreu seiner bisherigen Linie, sich dem Ex-Kanzler und seiner Verteidigung gegenüber in Zweifelsfällen tendenziell von der konzilianteren Seite zu zeigen.
Beobachter rätseln bereits darüber, ob sich aus dieser Prozessführung etwas in Bezug auf das spätere Urteil ableiten ließe – und wenn ja: was. So weit ist allerdings noch nicht. Am mittlerweile neunten Verhandlungstag stand zunächst die mit Spannung erwartete Zeugenbefragung Blümels auf dem Programm. Der frühere Finanzminister gilt als enger Vertrauter von Sebastian Kurz. Er wurde bereits im Ermittlungsverfahren gegen Kurz befragt. Im Strafantrag gegen den Ex-Kanzler hielt die WKStA allerdings fest, Blümel habe dabei „offensichtlich falsch“ zugunsten von Kurz ausgesagt. Da Blümel damals – wenn auch in einem anderen Zusammenhang – selbst noch Beschuldigter war, stand er nicht unter Wahrheitspflicht. Ein Umstand, der sich nun vor Gericht anders darstellte.
Blümel: Entschlagung zu Sideletter
Hier entschlug sich Blümel nun – mit Duldung von Richter Radasztics – der Aussage zu einem bestimmten Themenbereich, um sich nicht der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Konkret ging es dabei um einen einst zwischen der ÖVP und der FPÖ abgeschlossenen Sideletter zum Koalitionsvertrag, in dem unter anderem Vereinbarungen zu Postenbesetzungen festgehalten waren. Zum Hauptthema im Kurz-Prozess, der konkreten Bestellung des Aufsichtsrats und des Vorstands der Staatsholding ÖBAG im Jahr 2019, musste Blümel allerdings sehr wohl Antworten geben. Kurz wird bekanntlich vorgeworfen, seine diesbezügliche Rolle im Ibiza-Untersuchungsausschuss unzulässig heruntergespielt zu haben.
Blümel wurde vor Gericht mit zahlreichen Chat-Nachrichten konfrontiert – darunter auch solche, die er einst selbst verfasst hatte. Der Ex-Minister verwies jedoch häufig darauf, keine konkreten Erinnerungen mehr zu haben beziehungsweise diese Erinnerungen nicht genau von späteren Erkenntnissen aus dem Aktenstudium oder aus anderen Quellen trennen zu können. Im Endeffekt zeigte sich der Blümel von 2024 unsicher darüber, wie der Blümel von 2017, 2018 oder 2019 zu verstehen sei. Vielfach ließ er offen, wie seinerzeit bestimmte Chatnachrichten konkret gemeint gewesen waren, und lieferte lediglich mögliche Interpretationen.
„Ortsgruppe Wolfsgraben“
Ein Beispiel: „Hab dir heute deine öbib gerettet“, schrieb Blümel im August 2018 an den damaligen Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid. „ÖBIB“ hieß die staatliche Beteiligungsholding, an deren Umbau zur heutigen „ÖBAG“ damals gerade gefeilt wurde. „SchmidAG fertig!“, schrieb Blümel dann im Dezember 2018 abermals an Thomas Schmid, der ein paar Monate später neuer ÖBAG-Vorstand werden sollte, sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht einmal beworben hatte. Warum „deine öbib“, wollte Radasztics wissen: Weil es ein Gesetzesvorschlag des Finanzministeriums gewesen sei, an dem Schmid gearbeitet habe, stellte Blümel in den Raum. „Man könnte auch interpretieren, Sie sehen ihn als neuer Chef“, hakte Radasztics nach. „Ich gehe eher davon aus, dass gemeint war: Das ist euer Gesetzesvorschlag“, blieb Blümel vage, aber standhaft. Dann wollte es die WKStA noch einmal genauer wissen: Hatten die Chats nicht doch vielleicht eine besondere persönliche Bedeutung für Schmid? Blümel bestritt nicht, dass man es vielleicht auch so interpretieren könne, es sei aber „genauso legitim zu sagen: Er hat mit diesem Gesetz lange zu tun gehabt und daher eine enge Beziehung dazu gehabt“.
Schmid hat sich bekanntlich der WKStA in anderen Zusammenhängen als Kronzeuge angedient und belastet Kurz schwer. Dem damaligen Kanzler sei eine Art Vetorecht bei Personalentscheidungen zugekommen, so die Kernaussage Schmids. Blümel meint dazu, dass Schmid die Meinung von Kurz vielleicht besonders wichtig gewesen sein könnte. Dass vor Entscheidungen von verschiedenen Seiten Vorschläge gekommen wären oder man solche eingeholt habe, sei sicherlich der Fall gewesen. Er als Minister habe aber Entscheidungen in seinem Bereich selbst getroffen, sagte Blümel vor Gericht. Auch der damalige Finanzminister Hartwig Löger habe die – für den Kurz-Prozess zentrale – Bestellung des ÖBAG-Aufsichtsrats selbst entschieden: „Punkt aus.“ An anderer Stelle der Befragung musste Blümel Richter Radasztics allerdings auf entsprechende Nachfrage zugestehen, dass es schon einen Unterschied machen kann, ob ein allfälliger Zuruf „von der Ortsgruppe Wolfsgraben“ erfolgt oder aus dem Bundeskanzleramt.
„In gewisser Weise Schwarmintelligenz“
Nachdem Blümel aus dem Zeugenstand entlassen war, setzte Kurz am Beginn seiner Verteidigungsrede inhaltlich beim Thema politische Personalauswahl fort: Als Kanzler sei man nicht der einzige, der im Vorfeld von Postenentscheidungen um eine Meinung gefragt werde. Es gäbe Vorschläge aus den Bundesländern, von Kammern und anderen Organisationen. Hierbei gäbe es aber keinen organisierten Prozess, sondern „in gewisser Weise Schwarmintelligenz“, gab Kurz zu Protokoll.
Der Ex-Kanzler blieb dabei, im U-Ausschuss die Wahrheit gesagt zu haben. Bezüglich eines bestimmten Argumentationsstrangs der WKStA meinte der Ex-Kanzler gar: „Irgendwie krieg ich schön langsam Schwammerln. Was soll das für ein Motiv sein.“ Manche Handychats würden genutzt, um „ein Stück weit ein verfälschtes Bild zu zeichnen“. Er fühle sich „ein bisschen gefrotzelt“.
Wie Richter Radasztics das alles einschätzt, wird sich voraussichtlich am 23. Februar zeigen – da soll aus jetziger Sicht das Urteil fallen. Vorher bahnt sich jedoch noch ein besonders spannender Verhandlungstag an: Kommenden Mittwoch sollen per Zoom-Schaltung aus Moskau zwei Russen als Zeugen einvernommen werden, mit deren Hilfe die Kurz-Verteidigung an der Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Thomas Schmid rütteln will. Sollte es tatsächlich gelingen, die Zoom-Einvernahme auf die Riesenleinwand im Schwurgerichtssaal zu projizieren, steht dort in mehrerlei Hinsicht großes Kino bevor. profil wird berichten.