Holz: Das wuchernde Business mit den Sauberkeits-Siegeln
Sie sind Teil eines milliardenschweren Geschäftszweiges, der mit dem Versprechen Geld verdient, die Welt besser zu machen: Prüfsiegel aller Art und durchaus uneinheitlicher Güte. Sie sollen unter anderem bestätigen, dass ein Produkt umweltschonend erzeugt wurde oder ein Unternehmen besonders verantwortungsbewusst agiert. Sobald ökologische Gesichtspunkte Teil des Business sind, ist ein passendes Zertifikat selten weit. Das gilt nicht zuletzt für die holzverarbeitende Industrie. Auch hier ist „Nachhaltigkeit“ das Zauberwort, das gleichzeitig den Planeten retten und die Kassen zum Klingeln bringen soll.
In der Holzbranche tummeln sich verschiedene, privatwirtschaftlich geführte Nachhaltigkeits-Siegel. So etwas wie der Goldstandard ist das sogenannte FSC-Zertifikat. „FSC“ steht für „Forest Stewardship Council“. Im Jahr 1994 gegründet, ist es das älteste freiwillige Zertifizierungssystem für Wälder und Holz-Produkte im weiteren Sinne. Mitte 2021 waren mehr als 200 Millionen Hektar Wald FSC-zertifiziert sowie rund 45.000 Unternehmen entlang der jeweiligen Lieferketten. Das Logo, welches aus einem grünen Häkchen besteht, dessen Ende in eine Baumform übergeht, ist praktisch omnipräsent.
Globales Rechercheprojekt
Weniger bekannt ist wohl, wie das Zertifizierungssystem genau funktioniert – und welche allfälligen Schwächen sich daraus ergeben könnten. profil hat sich dieser Frage im Rahmen einer globalen Recherchekooperation unter Leitung des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) gewidmet. An dem Projekt namens „Deforestation Inc.“, das verschiedene Aspekte der Abholzungs-Problematik behandelt, sind 140 Journalistinnen und Journalisten aus 27 Ländern beteiligt. In Österreich nimmt neben profil auch der ORF daran teil.
Ein Fokus der Recherche: die Funktionsweise von FSC-Zertifizierungen. FSC als Organisation sorgt zwar für die Aufrechterhaltung des Systems, die Überprüfung der zu zertifizierenden Unternehmen führen allerdings andere durch – sogenannte „Zertifizierungsstellen“. Das klingt sehr förmlich, fast schon amtlich. Faktisch handelt es sich dabei aber – zumindest teilweise – um gewinnorientierte Dienstleistungsunternehmen. Ein großer Player in diesem Bereich ist die Schweizer „SGS Société Générale de Surveillance SA“ – ein Warenprüfkonzern, der unter anderem auch FSC-Kontrollen durchführt. SGS notiert an der Börse. Im Geschäftsjahr 2022 verzeichnete das Unternehmen bei einem Umsatz 6,6 Milliarden Franken einen Gewinn von 630 Millionen Franken.
Ein Mann, mehr als 1000 Überprüfungen
Doch selbst ein Riese wie SGS schickt nicht zwingend eigene Angestellte los, wenn es um das Zertifizieren von holzverarbeitenden Unternehmen für die Ausstellung eines FSC-Siegels geht. Die tatsächliche Arbeit übernehmen oftmals Subauftragnehmer – freiberufliche Dienstleister, die in diesem Spezialbereich tätig sind. Einer von ihnen ist Andreas H., gelernter Diplom-Forstingenieur aus Bayern. H. brüstet sich auf seiner Unternehmenswebsite damit, seit 2003 mehr als tausend FSC- und PEFC-Audits als leitender Prüfer durchgeführt zu haben (bei PEFC handelt es sich um ein weiteres Holz-Siegel). Durchgerechnet sind das mehr fünfzig pro Jahr. Das wirft die Frage auf, wie sorgfältig derartige Überprüfungen durchgeführt werden.
Auf Anfrage meint H., er sehe auch bei fünfzig Prüfungen im Jahr „absolut keine Gefahr, dass ein solches Audit oberflächlich ausgeführt werden müsste“, was seinerseits auch nicht geschehe. Forstingenieur H. berichtet aus dem Nähkästchen: Viele Audits würden „bei kleinen und einfachen Betrieben wie Händlern oder Druckereien“ stattfinden. Eine Überprüfung solcher Unternehmen dauere in der Regel sechs bis acht Stunden. Aufwändigere Audits hingegen könnten „schnell mehrere Tage dauern“. Nach allzu tiefgreifenden Ermittlungen klingt das freilich dennoch nicht.
Zuerst das Zertifikat, dann Vorwürfe gegen Lieferanten
Gerade einmal drei Tage dauerte ein Audit, das H. im März 2022 bei einem SGS-Zertifizierungskunden in Rumänien durchführte – ein mit Blick auf die Holzbranche höchst risikoreicher Markt. Zu überprüfen war auch nicht etwa ein Mini-Kunde, sondern das rumänische Tochterunternehmen des österreichischen Holzkonzerns Egger. Egger betreibt im Ort Radauti im Nordosten des Landes ein Werk, in dem verschiedene Arten von Spanplatten hergestellt werden. Ein riesiger Markt, seit Ikea und Co. mit günstigen Produkten zum Selbstaufbauen den Möbelmarkt gekapert haben. H. vermerkte bezüglich der rumänischen Egger-Firma im FSC-Prüfbericht übrigens keinerlei Beanstandungen („nonconformities“) – nicht einmal kleine. Doch der Diplom-Forstingenieur sollte nicht der einzige bleiben, der im Vorjahr Einblick in die Geschäfte von Egger in Rumänien begehrte.
28. September 2022: Rumänische Ermittlungsbeamte rücken in Bukarest und an 16 anderen Orten im Land zu insgesamt 146 Hausdurchsuchungen an. Die im Raum stehende Verdachtslage richtet auch gegen mehrere Lieferanten von Egger: Geschäfte mit illegal geschlägertem Holz sowie Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Unterschlagung. Auf Videoaufnahmen, welche die Behörden kurz nach der koordinierten Aktion ins Internet stellten, sieht man über einen Zaun kletternde Polizisten, bis obenhin mit Baumstämmen beladene Lkw-Anhänger und stapelweise geschlichtete Holzplatten auf einem Betriebsgelände – profil berichtete.
22.000 Dokumente an Behörden übergeben
Rumänien verfügt über große Urwälder, die zwar – zumindest teilweise – geschützt sind, aber trotzdem seit vielen Jahren abgeholzt werden. Illegale Schlägerung ist ein sensibles Thema, gerade auch für die großen Sägewerksbetreiber und Weiterverarbeiter im Land. Einer davon ist Egger. Auch das Werk des österreichischen Konzerns in Radauti erhielt an jenem Septembertag Besuch von den Behörden. Zwar betont Egger, dass es gegen das Unternehmen beziehungsweise dessen Mitarbeiter keine Anschuldigungen seitens der Ermittler gebe. Einer damaligen Stellungnahme zufolge würden die rumänischen Behörden jedoch „diverse Holzzulieferer“ verdächtigen, die unter anderem Egger beliefern. Dies trat gerade einmal ein halbes Jahr nach der FSC-Zertifizierung zutage, bei der null Mängel festgesellt worden waren – und, wie Egger selbst auf Anfrage anmerkt, drei Monate nach einem zusätzlichen Überprüfungs-Audit durch die übergeordnete FSC-Akkreditierungsstelle ASI (diese erteilt Prüffirmen wie SGS die Zulassung). Auch die ASI-Kontrolle endete Egger zufolge „ohne jede Beanstandung“.
Wie ist das möglich? Egger betont auf Anfrage, dass die FSC-Zertifizierungen nicht Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen in Rumänien seien und auch für die betroffenen Zulieferer die Unschuldsvermutung gelte. Dass die rumänische Justiz nicht wegen der Zertifizierung ermittelt, ist logisch – diese ist eine privatwirtschaftliche und keine behördliche Angelegenheit. Ungeachtet dessen birgt ein FSC-Siegel allerdings sehr wohl zumindest implizit das Versprechen, dass die jeweiligen Lieferketten sauber gehalten werden. Nun beschäftigen sich nicht mehr nur vom geprüften Unternehmen bezahlte Kontrolleure mit dieser Frage, sondern die Behörden. Egger wurde aufgefordert, Informationen zu den jeweiligen Geschäftsbeziehungen zur Verfügung zu stellen – Lieferverträge, Lieferscheine, Rechnungen, Übernahmeprotokolle. Insgesamt handle es sich um mehr als 22.000 Dokumente, teilte Egger auf Anfrage des Magazins „Der Spiegel“ mit, das ebenfalls am Projekt „Deforestation Inc.“ beteiligt ist. Man kooperiere vollumfänglich mit den Behörden. Eines steht wohl jetzt schon fest: Diese Papiermenge ernsthaft durchzugehen wird absehbarer Weise deutlich länger dauern als ein FSC-Audit.
Lücken bei Zertifizierungen
Mitte 2021 hat sich übrigens die Europäische Kommission eingehend mit den Zertifizierungen im Holzbereich befasst. Eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie gab damals die Einschätzung wieder, dass private Zertifizierungssysteme durchaus hilfreich sein können. Andererseits würden diese jedoch auch Lücken aufweisen – unter anderem seien nur relativ eingeschränkte Möglichkeiten vorhanden, um Korruptionsfälle zu erkennen. Ähnliches gilt demnach für Betrugspraktiken durch Forstverwalter im Rahmen der Lieferketten.
Es überrascht daher nicht wirklich, wenn sich private Siegel à la FSC in Rumänien oder in anderen Ländern schwertun, deren Holzwirtschaft besonders mit Korruption durchsetzt ist. Dennoch schiene es etwas zu kurz gegriffen, negative Erfahrungen alleine auf die schwierige Situation in bestimmten Märkten zu schieben. Die Recherchen im Rahmen des Projekts „Deforestation Inc.“ haben durchaus auch andere systematische Problemlagen zutage gefördert: Kurze Prüfdauern sind ein Thema, das Risiko potenzieller Interessenskonflikte ein weiteres. Forstingenieur Andreas H. zum Beispiel führt nicht nur FSC-Audits durch, sondern berät auf der anderen Seite Unternehmen, die eine Zertifizierung erlangen oder aufrecht erhalten wollen. H. ist damit in der Branche kein Einzelfall. profil hat zahlreiche vergleichbare Konstellationen gefunden.
Viele Prüfungen aus einer Hand
Für Egger habe er keine Beratungsleistungen erbracht, betonte H. auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“, die ebenfalls Teil der internationalen Medienkooperation ist. Die Prüffirma SGS aus der Schweiz, welche die Auftraggeberin von H. ist, ist allerdings in mehrerlei Hinsicht bei Egger engagiert, wie der österreichische Holzkonzern auf profil-Anfrage mitteilt. Demnach bestehen mit SGS ein Überwachungsabkommen betreffend Lieferketten aus Risikoländern nach der EU-Holzhandelsverordnung sowie eben auch der Auditierungsvertrag für das FSC-Siegel. Darüber hinaus prüft SGS die Egger-Gruppe noch mit Blick auf eine PEFC-Zertifizierung – und bezüglich der Einhaltung von ISO-Lieferketten-Standards.
Vieles liegt hier offenbar in einer Hand. Das Schweizer Medienhaus „Tamedia“, ein weiterer Recherchepartner im Rahmen von „Deforestation Inc.“, übermittelte dem Konzern eine umfangreiche Anfrage. SGS wies in der Folge darauf hin, dass der Auditierungsprozess ein wichtiger Schutz für das Zertifizierungssystem sei, da dieser Bestätigungen durch unabhängige Dritte enthalte. Zertifizierungskontrollen seien jedoch kein Instrument, das die Aufgabe habe, die vollumfängliche Übereinstimmung alles gehandelten Holzes mit der Gesetzeslage zu bestätigen. Die Audits wären eine Momentaufnahme des Management-Systems – gefolgt von periodischen Überprüfungen. SGS habe über die vergangenen Jahre dazu beigetragen, Holz-Zertifizierungssysteme zu stärken, behauptet der Konzern. Man folge den vorgeschriebenen Prozessen und verfüge über Regeln zur Vermeidung von Interessenskonflikten. SGS biete unabhängige und effektive Audits durchgeführt nach den höchsten Standards.
„Greenwashing“-Kritik von Umweltschützern
Was sind diese Standards tatsächlich wert? Kritik am FSC-System kommt unter anderem vom Grünen Europa-Abgeordneten Thomas Waitz – selbst Forstwirt und ein Experte im Bereich der Holzindustrie. Einer seiner Kritikpunkte: Die Qualität von FSC-Siegeln würde sich von Land zu Land massiv unterscheiden. Darüber hinaus sei das FSC-System von seinen großen Lizenznehmern wirtschaftlich abhängig. Es gebe „zahlreiche Beispiele“, bei denen FSC seinen eigenen Kriterien nicht gerecht geworden sei. Aus Sicht von Waitz, handelt es sich bei FSC nicht um ein Zertifikat für „naturnahe Waldwirtschaft“. Verlassen könne man sich lediglich darauf, dass im FSC-kontrollierten Bereich kein Holz-Diebstahl im großen Ausmaß stattfinde und kein Urwald abgeholzt werde.
Waitz reiht sich mit seiner Kritik in eine ganze Riege von NGO-Vertretern ein, die im Oktober 2021 in einem Brief zu einer strukturellen Reform von FSC aufgerufen haben. Man glaube, das Zertifizierungssystem würde im steigenden Ausmaß die eigenen Ziele untergraben, anstatt diese zu stärken, hieß es in dem Schreiben. Unter anderem forderten die Umweltschützer eine Veränderung in der Grundhaltung: FSC müsse öffentlich anerkennen, dass die Abholzung im aktuellen globalen Ausmaß der Nachhaltigkeit fundamental widerspreche. Darüber hinaus forderten die NGO-Vertreter FSC auf, allfällige Interessenskonflikte zu beseitigen: Zertifizierungsstellen würden nämlich direkt von den zertifizierten Unternehmen bezahlt, woraus sich – laut Schreiben – ein gravierender Interessenskonflikt ergebe. Die Umweltschützer orten im FSC-System sogenanntes „Greenwashing“ – also den Versuch, bedenklichen Entwicklungen ein ökologisches Mäntelchen umzuhängen.
FSC: „Keine Entwaldung in zertifizierten Forsten“
Auf seiner Internetseite betont FSC, dass Bedenken bezüglich der globalen Abholzung Kern des Zertifizierungssystems seit dessen Gründung sei. FSC erlaube keine Entwaldung in zertifizierten Forsten. Die Zertifizierung sei ein Instrument, um Entwaldung zu bekämpfen. Auf Anfrage des ICIJ teilt FSC mit, man unterstütze Initiativen der Europäischen Union, um Greenwashing zu bekämpfen. Man spreche sich für hohe, aber faire Anforderungen aus. FSC sei ein effektives Instrument, um strenge Maßnahmen gegen die Entwaldung umzusetzen. Gleichzeitig handle es sich um ein freiwilliges Siegel, heißt es in der Stellungnahme: FSC behaupte nicht, dass es alleine vielschichtige Probleme wie jenes der Abholzung lösen könne. Die Zertifizierungsstelle ASI überwache die FSC-Prüfer mit Blick auf mögliche Interessenskonflikte, wird seitens der Organisation betont. Eine Person könne zwar gleichzeitig Prüfer und Berater sein, aber nicht in Bezug auf dasselbe Unternehmen.
Als das Zertifikat flöten ging
Ein ganz besonderer Fall in der Geschichte der FSC-Zertifizierung betrifft den österreichischen Holzkonzern HS Timber (vormals: Schweighofer). Auch HS Timber ist in Rumänien aktiv. Nach schweren Vorwürfen suspendierte FSC im Juni 2016 zunächst die Zertifizierung von HS Timber, bevor diese dem Konzern im Februar 2017 gänzlich entzogen wurde.
Was nach verantwortungsvollem Handeln von FSC klingt, weist ein bemerkenswertes Vor- und Nachspiel auf. Dieses FSC-Siegel hatte Schweighofer nämlich erst wenige Monate vor der Suspendierung von einer österreichischen Zertifizierungsstelle erhalten. Dieses Prüfunternehmen wurde in der Folge selbst von der übergeordneten Akkreditierungsstelle ASI vorübergehend für FSC-Zertifizierungen gesperrt. Die drastisch anmutende Begründung laut ASI-Internetseite: „Detection of a total breakdown of a system“ – zu Deutsch: Feststellung eines kompletten Systemzusammenbruchs.
Rumänien? „Einfach speziell“
Doch schon wenige Monate später kam es zu einer interessanten Wendung: Im November 2016 wurde die Suspendierung des österreichischen Zertifizierungsdienstleisters von ASI wieder aufgehoben. Das Unternehmen führt bis heute FSC-Zertifizierungen durch. Auf Anfrage teilte man seitens der österreichischen Firma mit, die Suspendierung sei nach einer neuerlichen Überprüfung durch ASI aufgehoben worden, wobei zwei Personen zwei Tage lang zahlreiche Geschäftsfälle kontrolliert hätten. Dieses Audit habe man erfolgreich bestanden. Man habe jedoch die Lehren aus dem Vorgang gezogen, heißt es seitens des österreichischen Unternehmens. Unter anderem führe man keine Prüfungen in Rumänien mehr durch. Dieses Land sei „einfach speziell“, und man müsse dazu wirklich Leute vor Ort haben. (HS Timber hat in der Zwischenzeit seine internen Kontrollsysteme verbessert und im Vorjahr für ein erstes Werk wieder ein FSC-Zertifikat erhalten – nach einer Prüfung durch einen anderen Zertifizierungsdienstleister. Ganz ausgeblieben sind neue Vorwürfe in dem wichtigen, aber heiklen Mark dennoch nicht. )
Kontrollen, die nur ein paar Tage dauern. Keine Prüfer, die ständig vor Ort sind. Audits durch freiberufliche Sub-Auftragnehmer, die nebenher als Berater werken. All das vermittelt nicht unbedingt den Eindruck, dass privatwirtschaftliche Zertifizierungen besonders in die Tiefe gehen würden. Doch warum ist es wichtig, dass ein solches System zumindest grundsätzlich hält, was es verspricht? Einerseits sollen Kunden, die nachhaltig hergestellte Produkte erwerben wollen, darauf vertrauen können. Und andererseits können sich zertifizierte Unternehmen bessere Marktzugänge erhoffen – und gegebenenfalls auch höhere Preise verlangen.
Amtliche Ermittlungen trotz Zertifikat
Allerdings zeigen die Recherchen, dass sich auch im Bereich der angeblich sauber agierenden Betriebe schwarze Schafe tummeln. Das ICIJ konnte mehr als 340 Unternehmen identifizieren, die über ein FSC- oder ein anderes Nachhaltigkeitssiegel verfügten und dennoch mit Vorwürfen von Behörden, Umweltorganisationen oder regionalen Initiativen konfrontiert waren – dies beginnend mit 1998. Rund fünfzig dieser Unternehmen waren demnach entsprechend zertifiziert, als sie von Behörden mit Strafen belegt oder verurteilt wurde.
Auch in Österreich gab es bereits Fälle, in denen das zuständige „Bundesamt für Wald“ trotz Vorliegen von FSC-Zertifikaten Anzeigen wegen mutmaßlicher Verletzungen der Holzhandelsgesetze erstattete.
Verdächtiger Kiefern-Import
17. Dezember 2018: Ein Unternehmen mit Sitz im Bezirk Bruck an der Leitha in Niederösterreich importiert – über einen Händler aus Rumänien – Kiefernholz aus der Ukraine. Das Bundesamt für Wald wird kurz darauf auf das Geschäft aufmerksam, kündigt Anfang Jänner 2019 eine Kontrolle gemäß EU-Holzhandelsverordnung (EUTR) an und fordert den Betrieb auf, alle Dokumente und Informationen mit Blick auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu übermitteln.
Grundsätzlich sollen die entsprechenden Vorschriften verhindern, dass illegal geschlägertes Holz in die EU kommt. Dazu müssen unter anderem Lieferketten entsprechend überprüft und dokumentiert werden. Die Firma aus Niederösterreich übermittelte daraufhin einige Unterlagen, die aus Sicht des Amtes aber offenbar nicht ausreichten. Im Februar 2019 erstattete das Bundesamt für Wald Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha. Sukkus: Aufgrund der vorgelegten Unterlagen sei eine ordnungsgemäße Bewertung des Risikos, „illegal geschlägertes Holz und daraus gefertigte Holzprodukte auf den Markt zu bringen“, nicht erfolgt. Die Bezirkshauptmannschaft verhängte eine Geldstrafe. Das Unternehmen erhob jedoch Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht (LVwG) Niederösterreich – und argumentierte unter anderem, dass der rumänische Händler über eine FSC-Zertifizierung verfüge.
Ein Zertifikat alleine reicht nicht
Letztlich hob das LVwG im Jahr 2021 das Straferkenntnis auf, weil es die Rechtsansicht vertrat, die Bezirkshauptmannschaft in Bruck sei in diesem Fall nicht die zuständige Behörde gewesen. Inwieweit ein FSC-Zertifikat als Beleg für eine ordnungsgemäße Holzherkunft dient, blieb damit vom Gericht unbeantwortet. Von Seiten des Bundesamts für Wald hieß es auf profil-Anfrage, dass eine „von Dritten überprüfte Regelung und diesbezüglich ausgestellte Zertifikate“ Teil des Sorgfaltspflicht-Prozederes sein könne, sofern das jeweilige Unternehmen auch bestimmte andere Maßnahmen und Verfahren anwendet: „Eine aufrechte Produktzertifizierung des zum Import beabsichtigten Holzes/Holzerzeugnisses kann somit einen Teil der Sorgfaltspflichtregelung eines Marktteilnehmers darstellen, entbindet ihn aber nicht von seiner Pflicht, eine solche vollumfänglich anzuwenden. Die Beurteilung der Aussagekraft der von Dritten überprüften Regelungen ist also grundsätzlich abhängig von der jeweiligen Konstellation aus Produkt, Holzeinschlagsland und Lieferketten und somit pauschal nicht möglich.“
Das musste im Jahr 2019 auch ein Parketthersteller aus der Steiermark zur Kenntnis nehmen. Wer sich an dieser Stelle fragt, weshalb ein derartiges Unternehmen überhaupt Erfahrungen im Bereich der Holzimporte haben sollte: Im weithin berühmten steirischen Eichenparkett findet sich nicht immer nur Eiche aus der Steiermark. Mitunter kommt sie auch aus der Ukraine – so wie im vorliegenden Fall.
Steirisch-ukrainische Eiche
Konkret hatte das Unternehmen alleine im Dezember 2018 dreimal Eichensägefurniere aus der Ukraine nach Österreich eingeführt. Im Jahr 2019 erstattete das Bundesamt für Wald Anzeige – in diesem Fall bei der Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark. Letztere verhängte eine Strafe gegen den Parketthersteller: Es seien bei einer Kontrolle keine ausreichenden Unterlagen hinsichtlich der Erfüllung der Sorgfaltspflichtregelungen vorgelegt worden. Außerdem seien bei den Importen keine Maßnahmen zur Risikominderung getroffen worden, obwohl diese notwendig gewesen wären. Das Unternehmen wehrte sich dagegen und zog vor das LVwG Steiermark. Aus dessen Erkenntnis vom 5. Mai 2021 geht hervor, dass auch in diesem Fall dem Bundesamt für Wald ein FSC-Zertifikat nicht ausreichte, um die betreffende Lieferung als unbedenklich einzustufen.
In mehreren Schriftsätzen im Verfahren beklagte sich der Parketthersteller auch in anderer Hinsicht bitterlich über das Vorgehen des Amtes und betonte: „Wir müssen Sie sorgfältigst informieren, dass wir… keine Kriminalbehörde oder Ähnliches sind. Wie in der EUTR (Anm.: EU-Holzhandelsverordnung) gefordert, können wir nur, und das erledigen wir auch, die Dokumente, welche wir von unseren Lieferanten erhalten, auf ihre Richtigkeit überprüfen. Ob in der Erstellung der Dokumente ein krimineller, betrügerischer Hintergrund versteckt liegt, können wir nicht ermitteln und ist das auch nicht unsere Aufgabe. Sollte in der Ukraine im staatlichen Forstsektor Korruption im Ausmaß wie vom BFW (Anm.: Bundesamt für Wald) beschrieben vorherrschen, können wir als österreichisches Unternehmen hier aufgrund fehlender gesetzlicher Instrumente keine Maßnahmen dagegen setzen.“ Seitens des steirischen Betriebes gelangte man deshalb zu einer bemerkenswerten Conclusio: „Die einzige sichere Möglichkeit, die besteht, um den illegalen Import von Holz aus der Ukraine zu verhindern, besteht darin, jeglichen Import aus der Ukraine in die EU zu sanktionieren und damit zu verbieten. Sollte die Korruption tatsächlich über den gesamten Staatsapparat verteilt stattfinden, wäre dies die einzige Möglichkeit, allen Unternehmen der EU dieselben Möglichkeiten zu bieten, da die aktuelle Auslegung der EUTR-Richtlinie von den Behörden in den Mitgliedsstaaten der EU voneinander abweicht.“
Der Trick mit der „sanitären Fällung“
Das Unternehmen behauptete, dass zumindest ein Teil des Holzes aus „sanitären Fällungen“ stammte – also letztlich von kranken Bäumen, die ohnehin geschlägert werden müssten. Das hätte der Nutzbarkeit für Parkettböden offenbar keinen Abbruch getan: „Ein Großteil der mit dem geprüften Import gelieferten Ware wurde als rustikale Ware unserer Sortierung Country gekauft“, behauptete die Firma: „Da auch in FSC-zertifizierten Wäldern sanitäre Fällungen stattfinden und dieses Holz ebenso am Markt verkauft wird, stellen sanitäre Fällungen und eine Zertifizierung der Waldfläche für uns keinen Widerspruch dar.“
Tatsächlich können „sanitäre Fällungen“ genutzt werden, um Naturschutzregeln zu umgehen. Ob das in der konkreten Causa der Fall war, blieb offen – auch hier sah das LVwG keine örtliche Zuständigkeit bei der involvierten Bezirkshauptmannschaft. Eines steht freilich fest: Hätte die Parkettfirma nur echte steirische Eiche verwendet, wäre ihre einiges an Aufregung erspart geblieben.
Ergänzung am 17. März 2023 um 15:30 Uhr:
Hier finden Sie eine Stellungnahme von FSC zum Projekt „Deforestation Inc.“.