Landesgericht Wien
Investigativ

Prozess um Integrationsfonds-Immobilien: Von Gutachtern und Schlechtachtern

„Ich habe offensichtlich Fehler gemacht.“ – Zeugeneinvernahmen im Millionen-Prozess um den Österreichischen Integrationsfonds offenbaren ein eklatantes Qualitäts-Gefälle im Bereich der Immobilienbewertung. Und eine spannende Spur nach Liechtenstein.

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Es kommt nicht oft vor, dass man sich im Zuge einer Gerichtsverhandlung die Frage stellt, wer gerade mehr unter Druck steht: die Angeklagten oder die Zeugen. Im Millionen-Prozess um frühere Immobilien-Deals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) waren diese Woche mehrere Dienstleister aus dem Bereich der Liegenschafts- und Gebäudebewertung unter Wahrheitspflicht am Wort. Nicht alle davon machten gute Figur – ein bedenkliches Schlaglicht auf eine ohnehin oft mit Argwohn betrachtete Branche.

„Es kann sein, dass ich Fehler gemacht oder etwas vergessen habe. Aber das Endergebnis war nicht so falsch“. Diesen denkwürdigen Satz gab am Freitag ein Architekt zu Protokoll, der vor rund zwei Jahrzehnten für den ÖIF Bewertungsgutachten erstellte und den Sanierungsbedarf von Häusern mit Flüchtlingswohnungen beziffern sollte. Zur Erinnerung: Im Prozess geht es unter anderem um den Vorwurf, dass der ÖIF damals Wohnungen viel zu billig verkauft haben soll. Hauptangeklagter ist ein früherer Geschäftsführer des Fonds – der Verdacht: Untreue zulasten der österreichischen Steuerzahler. Mit ihm auf der Anklagebank sitzen weitere Personen, denen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine Beteiligung an den Deals vorwirft. Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten – profil berichtete ausführlich.

Nicht als Angeklagte vor Gericht verantworten müssen sich hingegen diverse Immobilien-Dienstleister die seinerzeit in unterschiedlichen Bereichen als Gutachter herangezogen wurden. Doch auch Zeugeneinvernahmen können Züge eines hochnotpeinlichen Verhörs annehmen, wie sich am Freitag eindrucksvoll gezeigt hat. 

Zeugen-Verhör

„Können Sie mir die wesentlichen Normen für die Immobilienbewertung sagen?“, wollte einer der Gerichtssachverständigen vom Architekten wissen, der für den ÖIF seinerzeit Bewertungsaufträge erledigte – und über mehrere Jahre hinweg dafür und für ähnliche Aufträge laut Anklageschrift mehr als 300.000 Euro kassierte. Die erstaunliche Antwort: „Kann ich nicht, nein.“ Er habe sich seit 2012 nicht mehr mit der Liegenschaftsbewertung beschäftigt, gab der Zeuge als Rechtfertigung zu Protokoll. Gerade noch einmal argumentativ von der Schaufel gesprungen? Nicht wirklich: „Damals waren sie (Anm: die wesentlichen Normen für die Immobilienbewertung) Ihnen bekannt?“, setzte der Gerichtssachverständige gnadenlos nach. „Sie haben mir das Gegenteil bewiesen“, gab der Architekt zerknirscht zu. Das seien jedoch „kleinere Lücken“ gewesen.

Viele kleinere Lücken ergeben zusammengenommen jedoch mitunter eine großes Loch. „Haben Sie sich ausreichend mit dem Mietrecht auseinandergesetzt“, wollte der Gerichtssachverständige wissen. „Nicht ausreichend“, bekannte der Architekt. „Nicht ausreichend oder gar nicht?“ lautete die Rückfrage des Sachverständigen. „Gar nicht“, die kleinlaute Antwort des Architekten. Frage: „Hatten Sie jemals Expertise zum Mietrecht?“ Antwort: „Nein.“

Wenn der Architekt argumentiere, dass das Ergebnis seiner Gutachten trotz der Fehler in einem passablen Wert-Bereich gelegen sei – sei das dann nur zufällig so gewesen, fragte der Gerichtssachverständige. Das könne er bestätigen, gab der Zeuge zu Protokoll. Auch eine denkwürdige Aussage.

„Keine Beeinflussung“

In der Folge verneinte der Zeuge auf entsprechende Frage der Verteidigung klar, dass der angeklagte Ex-ÖIF Geschäftsführer jemals in irgendeiner Weise versucht hätte, die Ergebnisse der Gutachten zu beeinflussen. Der Architekt bestätigte auch, dass er überrascht gewesen sei, dass überhaupt Käufer für die Immobilien gefunden wurden.

Der Mann war nicht der einzige Zeuge aus dem Bereich der Immobilienbewertung, der in den vergangenen Prozesstagen mit einem fragwürdigen Berufsverständnis aufhorchen ließ. Zur Ehrenrettung der Branche: Nach dem Architekten war am Freitag ein Immobiliengutachter am Wort, der jede fachliche Frage souverän beantworten konnte. Dieser war allerdings seinerzeit bei den Immobiliendeals nicht beteiligt gewesen, sondern erst Jahre später mit einer Art Nachprüfung beauftragt worden.

Ein weiterer – sehr prominenter – Immobilienexperte sorgte dann vom Zeugenstand aus jedoch wieder für Stirnrunzeln im Gerichtssaal. Nicht alle konnte seiner vehement vertretenen Meinung folgen, dass der Zustand eines Zinshauses unwesentlich für dessen Wert sei, solange die Miethöhe nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz faktisch gedeckelt sei. Hintergrund der Diskussion: Mehrere Angeklagte verteidigen sich damit, dass die seinerzeitigen ÖIF-Wohnungen nicht zu billig verkauft wurden, sondern einfach in hohem Maße heruntergekommen gewesen seien. „Aber wie wirkt sich der desolate Zustand auf das Bewertungsgutachten aus?“, wollte einer der Anwälte nach längerer Diskussion wissen. „Kann ich jetzt nicht beantworten“, gab der Zeuge zu Protokoll.

Spur nach Liechtenstein

Zum schwierigen Berufsverständnis kann bei einzelnen Personen offenbar auch noch eine gewisse Bereitschaft dazukommen, fragwürdige Dinge zu tun. Der eingangs erwähnte Architekt mit diversen fachlichen Lücken in Bewertungsangelegenheiten spielt in der Anklageschrift auch noch eine andere Rolle. Sein Unternehmen soll insgesamt 90.000 Euro an eine Liechtensteinische Firma bezahlt haben, hinter der die WKStA den seinerzeitigen ÖIF-Geschäftsführer vermutet. Der Vorgang an sich ist in diesem Verfahren nicht angeklagt – dazu läuft ein separates Ermittlungsverfahren. Da der Zeuge nun schon einmal da war, wurde er aber auch dazu befragt.

Er selbst kenne diese Firma aus Liechtenstein gar nicht, gab der Architekt zu Protokoll. Sie sei ihm vom ehemaligen ÖIF-Geschäftsführer genannt worden. Dieser habe ihm gesagt, der ÖIF benötige bestimmte Expertisen und er solle diese beauftragen. „Warum sollten Sie die bezahlen?“, wollte der Richter wissen. „Das weiß ich nicht genau“, lautete die überraschende Antwort. „Haben Sie die Kosten an den ÖIF weiterverrechnet?“, fragte der Richter. „Nein“, behauptete der Architekt. Die Aufträge des ÖIF seien für seine Firma regelmäßig und wichtig gewesen. Er habe die Hoffnung gehabt, im Gespräch zu bleiben und weitere Aufträge zu bekommen.

Dann wurde es brenzlig für den Zeugen. Eine der Zahlungen durch den Architekten an die Liechtensteiner Firma erfolgte laut Rechnung für eine Studie zur Errichtung eines Rehabilitationszentrums. Der Richter wollte wissen, ob der Architekt die Firma in Liechtenstein mit der Studie beauftragt hatte. Es ging dabei immerhin um 40.000 Euro. „Ich glaube schon“, gab der Mann zu Protokoll, der zuvor noch erklärt hatte, die Firma gar nicht zu kennen. „Dann stimmt die vorherige Aussage nicht, dass Sie bezahlt haben, ohne zu wissen warum“, hielt ihm der Richter vor. „Er könne das jetzt nicht aufklären“, beteuerte der Architekt. „Ich habe zwei Aussagen, eine muss falsch sein“, hielt der Richter dagegen: „Ich erinnere Sie: Falschaussage ist strafbar. Sie können sich das noch überlegen, bis Sie zur Tür hinausgehen.“

Der Architekt hielt schließlich fest, er habe die Firma in Liechtenstein beauftragt und bezahlt, „weil der ÖIF diese Expertise benötigt“ habe. Er habe bezahlt, damit er weitere Aufträge bekommen. „Ist tatsächlich eine Expertise erstellt worden?“, fragte der Richter. Die Antwort: „Das weiß ich nicht.“

Briefkastenfirma für Kick-Backs?

Die WKStA stellt im Rahmen der Anklageschrift in den Raum, dass es sich um eine Briefkastenfirma gehandelt habe, die es ermöglicht hätte, „die Entgegennahme von Kick-Back-Zahlungen“ zu verschleiern. Angeklagte hat sie den Umstand bisher nicht. Es läuft bis heute ein separates Ermittlungsverfahren dazu, weshalb der frühere ÖIF-Geschäftsführer am Freitag vor Gericht auch keine diesbezüglichen Fragen beantworten wollte: Er sei im Ermittlungsverfahren noch nicht einvernommen worden.

Dem Vernehmen nach soll sich in diesem zweiten Ermittlungsverfahren seit eineinhalb Jahren nicht allzu viel getan haben. Angeblich steht eine mögliche Verjährung im Raum, falls im nunmehrigen ÖIF-Prozess keine Verurteilung erfolgt.

Ohne genaue Aktenkenntnis ist das im Detail schwer überprüfbar. Auf profil-Anfrage teilte die WKStA mit, das Ermittlungsverfahren zur Liechtenstein-Firma sei noch nicht abgeschlossen, aber weit fortgeschritten. Es gebe bereits einen Abschlussbericht, welcher derzeit noch intern geprüft werde. Sollten aus Sicht der WKStA alle notwendigen Beweisergebnisse vorliegen, würde im nächsten Schritt ein sogenannter Vorhabensbericht an die Oberbehörden geschickt. Dann entscheidet sich, ob Anklage erhoben wird oder nicht.

In den Ermittlungen gehe es primär um den Verdacht der Untreue in Zusammenhang mit potenziellen Scheinrechnungen, lässt die WKStA wissen. Dazu kämen auch noch mögliche finanzstrafrechtliche Themen. Es werde überprüft, ob es reine Scheinrechnungen für nicht erbrachte Leistungen gegeben habe. Beschuldigt sind insgesamt vier natürliche Personen und drei Firmen. Die WKStA hält auf Anfrage fest, dass der ehemalige ÖIF-Geschäftsführer sehr wohl schon Gelegenheit gehabt hätte, seine Sicht der Dinge darzulegen. Auch in Bezug auf dieses Verfahren gilt für alle Betroffenen in vollem Umfang die Unschuldsvermutung.

Man wird also sehen, ob es irgendwann zu einem zweiten ÖIF-Prozess kommen wird. Bis dahin hat das Wiener Straflandesgericht aber jedenfalls mit dem ersten alle Hände voll zu tun. Vor Weihnachten ist noch ein weiterer Verhandlungstermin angesetzt. Im Jänner und im Februar sollen dann zumindest fünf Prozesstage folgen. Für Spannung ist gesorgt.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).