Integrationsfonds-Prozess: „Hin und wieder muss man eine Kröte schlucken“
An sich hätte die Causa das Zeug dazu, die Republik zu bewegen: Es geht um Steuergeld in zweistelliger Millionen-Höhe. Es geht um den Verdacht schwerer Wirtschaftsstraftaten kombiniert mit dem Vorwurf der Freunderlwirtschaft. Die Angeklagten mögen zwar keine Seitenblicke-Promis sein, zählen aber teilweise zum Spannendsten, was der polit-wirtschaftliche Komplex in Österreich abseits des Scheinwerferlichts zu bieten hat. Und immerhin spazieren seit Monaten hochrangige aktive und ehemalige Ministerialbeamte ins Wiener Straflandesgericht, um als Zeugen in der insgesamt durchaus peinlichen Angelegenheit auszusagen.
Die Grundfrage: Hat der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) in den Jahren 2006 bis 2009 seine Wohnhäuser und Wohnung weit unter Wert verkauft und andere fragwürdige Deals im Immobilienbereich getätigt – zum Schaden der öffentlichen Hand, aber zum Nutzen eines kleinen Personenkreises aus Freunden und Freundesfreunden?
Prozess kommt nicht in Fahrt
profil berichtet seit September regelmäßig aus dem Gerichtssaal – eigentlich aus den Gerichtssälen, aber dazu später mehr. Heute, Freitag, ist der Prozess nach wochenlanger Pause ins Jahr 2025 gestartet. Aber so richtig kommt die Angelegenheit bisher nicht in Fahrt. Das liegt auch an der Historie der Causa, die sich bereits seit 2015 zieht. Die Probleme, zu welchen diese lange Dauer führt, zeigten sich am Freitag einmal mehr überdeutlich.
Zunächst wurde ein Beamter aus dem Finanzministerium als Zeuge befragt. Der Mann war im relevanten Zeitraum Kuratoriumsmitglied des ÖIF gewesen. In diesem Gremium wurden besonders wichtige Entscheidungen abgesegnet – etwa die fraglichen Immobiliendeals. Allerdings hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) kein einziges der Kuratoriumsmitglieder angeklagt, sondern stattdessen den damaligen Geschäftsführer des Fonds, der für die operative Abwicklung zuständig war. Ihm wird vorgeworfen, das Kuratorium getäuscht zu haben – etwa in Bezug auf den wahren Wert der Immobilien. Er bestreitet – wie alle anderen Angeklagten auch – sämtliche Vorwürfe.
Entschleunigende Wirkung
Der Beamte aus dem Kuratorium wurde am Freitag nicht zum ersten Mal zur Sache befragt, sondern war auch schon von der Staatsanwaltschaft im Zuge des langen Ermittlungsverfahren einvernommen worden. Allerdings ist das Gericht angehalten, sich bei wichtigen Zeugen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Faktisch führte das zu der Situation, dass Richter Michael Tolstiuk mit dem Mann dessen Einvernahmeprotokoll aus dem Jahr 2017 durchging, um so zu Aussagen über Wahrnehmungen zu gelangen, die der Zeuge im Jahr 2006 gehabt hat. Dass das eine entschleunigende Wirkung hat, liegt auf der Hand. Auch bei den meisten anderen Zeugen ist das zumindest ähnlich.
Inhaltlich ließ der Beamte – ein als Zahlenfuchs geltender, leicht verschrobener, aber durchaus selbstbewusster Staatsdiener – keinen Zweifel daran, dass ihm seinerzeit durchaus bewusst war, dass die Wohnungen billig verkauft wurden. Es sei eine schwierige Entscheidung gewesen, aber: „Hin und wieder muss man eine Kröte schlucken.“ Die Marktlage sei schlecht gewesen, und es habe das Risiko bestanden, dass der ÖIF für die Sanierung der Wohnungen hätte aufkommen müssen, wenn er sie behalten hätte.
Lärm-Unterbrechung im Gerichtssaal
Sanierungsbedürftig ist übrigens auch das Landesgericht Wien. Bauarbeiten sind in vollem Gange. Das führt dazu, dass der Prozess im Vorjahr im großen Schwurgerichtssaal startete, dann in einen eher provisorisch eingerichteten Raum verlegt wurde, der stark von EDV-technischen Kinderkrankheiten geprägt war. Am Freitag startete die Verhandlung dann in einem schön renovierten Saal, der – streng genommen – eigentlich zu klein für ein Verfahren dieser Größenordnung ist. Zählt man Richter, Angeklagte, Verteidiger, Sachverständige und Schöffen zusammen, kommt man auf rund dreißig Personen. Die finden hier nur Platz, wenn sie auch die Zuschauerreihen bevölkern.
Dieser ganze Tross musste im Laufe der heutigen Verhandlung aber ohnehin spontan weiterziehen. Im Laufe der vormittäglichen Zeugenbefragung steigerte sich nämlich der Baulärm in der unmittelbaren Umgebung des Saales auf ein Maß, dass man letztlich kein Wort mehr verstehen konnte. Eine gewisse Ironie in einem Prozess, in dem es viel um das Thema Wohnungssanierung geht.
Schwieriger Zeugen-Fahrplan
Ein weiteres Grundproblem des Verfahrens, welches das Gericht bisher nicht in den Griff bekommen hat, ist die zeitliche Komponente. Auch am Freitag war es wieder einmal nicht möglich, alle für diesen Tag geplanten Zeuge einzuvernehmen. Verhandelt wird von 9.30 Uhr bis 14 Uhr. Obwohl Richter Tolstiuk wegen der kurzfristigen Übersiedlung diesmal noch eine halbe Stunde dranhängte, war es nicht möglich, den zweiten Zeugen des Tages, einen Sektionschef aus dem Innenministerium, fertig zu befragen.
Auch dieser Spitzenbeamte saß einst zumindest in einem Teil des mutmaßlichen Tatzeitraums im Kuratorium des ÖIF. Spannend waren seine Aussagen weniger in Bezug auf die Wohnungsverkäufe als mit Blick auf einen der Nebenaspekte. Die WKStA wirft dem angeklagten Ex-Geschäftsführer des Fonds auch vor, noch 2009 insgesamt 750.000 Euro für Wohnungssanierungen an den ebenfalls angeklagten Hausverwalter ausbezahlt zu haben – obwohl man da ja gerade drauf und dran war, die letzten der Eigentumswohnungen zu verkaufen, um sich die Sanierung zu ersparen. „Das erschließt sich mir bis heute nicht“, sagte der Sektionschef nun vor Gericht.
Unübersichtliches Verfahren
Hat der damalige Geschäftsführer also am Kuratorium vorbeigearbeitet? Der Hauptangeklagte hat das bereits zum Prozessbeginn im Vorjahr zurückgewiesen: Die Mittel seien auf ein Treuhandkonto zugunsten des ÖIF bezahlt worden, damit sei das rechtliche Eigentum an dem Geld beim Fonds geblieben. Der Hausverwalter habe dann die Nutzung der Mittel korrekt belegt.
Am Freitag verwies Rechtsanwalt Johannes Zink, der den Angeklagten vertritt, auf eine Passage in einem Kuratoriumsprotokoll, aus der hervorging, dass der ÖIF nicht nur über die – dann verkauften – Eigentumswohnungen verfügte, sondern auch über angemietete Wohnungen, zu deren Instandhaltung und Sanierung der Fonds verpflichtet gewesen sei. Zink kündigte an, den Sektionschef seinerseits 30 bis 40 Minuten lang befragen zu wollen. Auch die anderen Verteidiger waren noch nicht an der Reihe. Der Zeuge muss also noch einmal erscheinen. Das wird allerdings dauern: Jetzt weilt er erst einmal bis Ende Februar in Afrika.
Befragungen, die nicht an einem Tag zu Ende geführt werden, lange Abstände zwischen Befragungen zu ähnlichen Themenbereichen und teils auch lange Abstände zwischen Verhandlungstagen führen dazu, dass Detailargumente und -aussagen zur Einordnung der durchaus komplexen Sachverhalte bald auch wieder in Vergessenheit geraten – jedenfalls in der unmittelbaren Verhandlungssituation im Gerichtssaal. Als der Hauptangeklagte seinerseits am Freitag ein Statement zu den bisherigen Zeugenbefragungen abgeben wollte, wurde er vom Richter nach zehn Minuten mit Blick auf den engen Zeitplan gestoppt. Nun sollen er und ein weiterer Angeklagter Ende Jänner ausführlicher Zeit zu Stellungnahmen erhalten. Für diesen Tag haben nämlich beide eigentlich in Frage kommenden Zeugen abgewunken.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Ein rasches Ende dieses Prozesses ist nicht in Sicht. profil bleibt dran.