Investigativer Journalismus: Wo die wilden Klagen drohen
Ich soll etwas über investigativen Journalismus schreiben. Das ist nicht einfach. Es gibt dazu eigentlich nicht viel zu sagen. Die Ergebnisse von Recherchen zu veröffentlichen, ist das eine. Über die Recherchen an sich zu berichten, aber etwas völlig anderes. Gerade eben zum Beispiel komme ich von einem Gespräch mit einer Person, die keinen Namen hat. Sie arbeitet für ein Unternehmen, das keinen Namen hat – und dort sitzt ein mutmaßlich korrupter Manager, der natürlich auch keinen Namen hat. Vielleicht kommen all diese Akteure irgendwann zu ihren Identitäten, vielleicht auch nicht. Am Anfang einer Recherche lässt sich oft nicht sagen, ob diese jemals zu einer Veröffentlichung führt, und was dann überhaupt veröffentlicht werden kann.
Investigativen Journalismus zu betreiben, heißt auch, immer wieder daran zu scheitern.
I. Der leere Kilometer
Stefan Melichar und ich arbeiten seit einiger Zeit im Team. Wenn Sie profil aufschlagen oder profil.at online aufrufen, dann sehen Sie, was wir veröffentlicht haben. Und das war 2022 nicht wenig. Gemeinsam haben wir Artikel in einem Umfang von gut 900.000 Anschlägen geschrieben, damit ließen sich mehrere Bücher füllen. Was Sie aber nicht sehen, ist all das, woran wir recherchiert haben, ohne dass daraus je eine Geschichte geworden wäre. Weil die ursprüngliche Information fehlerhaft, gänzlich falsch oder jedenfalls nicht zu belegen war; weil die Information zwar korrekt war, aber so wenigen Leuten zugänglich, dass eine Veröffentlichung die Quelle gefährdet hätte; weil ein überwiegendes öffentliches Interesse nur schwer zu begründen war – wenn es an rechtliche Auseinandersetzungen geht, ist das ein ganz entscheidender Faktor; weil schutzwürdige Persönlichkeitsrechte im Spiel waren. Auch das ist sehr wichtig. Natürlich kann man eine Geschichte veröffentlichen, in welcher Personen, Firmen und Schauplätze allesamt anonymisiert wurden und auch die Handlungen unscharf bleiben. Haben wir auch schon gemacht, aber ganz ehrlich, gut verdaulich sind solche Texte nicht.
Recherchen sind stets auch leere Kilometer: Du wertest stundenlang Datensammlungen aus, nur um dann draufzukommen, dass das, was du suchst, nicht auffindbar ist – weil es entweder nicht da ist – oder du schlicht zu blöd bist, es zu finden (wobei: Wenn Stefan Melichar etwas in einem Datensatz nicht findet, dann ist es auch tatsächlich nicht da).
Du triffst dich mit Leuten, die dir „heiße“ Informationen in Aussicht gestellt haben, nur um dann draufzukommen, dass sie mit heißer Luft handeln. Wenn du Glück hast, bist du nur ein paar Stunden in einem Wiener Kaffeehaus gesessen. Hast du Pech, bist du tausende Kilometer gereist, um mit genau nichts heimzukehren.
Du schreibst immerfort Anfragen an Behörden, Institutionen, Unternehmen, Parteien, Beamte, Unternehmer, Politiker und/oder deren Rechtsanwälte (meistens eh gleich den Rechtsanwälten), nur um immerfort keine brauchbaren Antworten, zuweilen aber umso schärfere Klagsdrohungen zu empfangen. In Österreich gilt erstens das Amtsgeheimnis, zweitens das Bankgeheimnis und drittens überhaupt.
II. Foppen und Klagen
Du wirst zwischendurch auch mal ordentlich gefoppt in unserem Geschäft, das gehört dazu. Im November zum Beispiel veröffentlichten wir unsere Recherchen zur Wiener Euram Bank. „Österreichs privateste Privatbank“, wie wir sie nannten. Es ist nämlich so: Man weiß nicht recht, wem das Bankhaus gehört. Ein Teil der Eigentümer tarnt sich hinter Offshore-Konstruktionen, und auch die Bank selbst hat eine Vergangenheit im Offshore-Business. Also taten Stefan und ich das, was wir im Zuge einer Recherche eigentlich immer machen: Wir schickten der Bank eine umfangreiche E-Mail-Anfrage. In diesem Fall nicht die erste ihrer Art. Vor uns hatte schon die Agentur Bloomberg angefragt (und dazu einen sehr spannenden Artikel veröffentlicht), die Bank war also darauf vorbereitet. Dachten wir. Es war Donnerstagvormittag, wir ersuchten um Stellungnahme bis Freitagnachmittag. Eine Banksprecherin reagierte eine Stunde später und ersuchte uns um mehrere Tage Aufschub, schließlich seien unsere Fragen „umfangreich“, reichten „weit“ in die Vergangenheit zurück, weshalb man „Wissensträger“ dazu befragen müsse: „Wäre es möglich, dass wir uns im Laufe der nächsten Woche dazu melden?“
Auf unser Insistieren hin kam dann doch pünktlich eine Antwort, wenngleich sie einen gewichtigen Teil der Fragen ausließ, die zu den Offshore-Geschäften der Bank nämlich: „Zu dem Fragenkomplex können wir aufgrund des Bankgeheimnisses keine Detailauskunft geben. Ungeachtet dessen, dass der Sachverhalt über 10 Jahre zurück liegt, ist es uns per Gesetz auch nicht erlaubt zu sagen, wer nicht oder nicht mehr Kunde unserer Bank ist.“ Das wussten die Entscheidungsträger der Bank natürlich auch schon am Tag davor, aber man kann es ja mal probieren.
Es gibt auch jene Fälle, wo wir wissen, was uns erwartet. Siegfried Wolf, zum Beispiel. Der Unternehmer und dessen Kontakte nach Russland haben uns 2022 wenig überraschend ziemlich beschäftigt, auf unsere gehäuften Anfragen hin hatte Wolfs Medienberater aber vorwiegend eine Antwort: keine. Im Jänner berichteten wir über Wolfs langjährige Wiener Gemeindewohnung und die Vorgänge rund um den notorischen „Steuernachlass“, im März zunächst über Wolfs vielfältige Beziehungen zum Oligarchen Oleg Deripaska, dann über eine Chat-Intervention bei Sebastian Kurz. Im April beschrieben wir erst den Russland-Bezug eines undurchsichtigen Wohnhausprojekts in Wolfs Wohnpark „Fontana“, anschließend Wolfgang Schüssels Landhaus in Wolfs zweitem Wohnpark „Aqualina“. Im Juni konnten wir aufzeigen, dass Wolf über eine Offshorefirma einige Jahre verdeckt am Baukonzern Strabag beteiligt gewesen war, im Oktober berichteten wir über eine weitere Chat-Intervention Wolfs bei Kurz und erst in der vergangenen Ausgabe wieder über das undurchsichtige „Fontana“-Wohnhausprojekt. Unsere zahlreichen Fragen an Wolf blieben fast ausnahmslos unbeantwortet, selten bekamen wir mehr als einen Satz zurück, einmal kam gar keine Antwort. Nur im Mai war’s etwas mehr. Da ließ Wolf uns eine Klagsdrohung übermitteln, „für den Fall einer unrichtigen Darstellung und oder unrichtigen Recherche“, wie es hieß. Zuvor hatten wir ihm Fragen zur Causa Eurofighter übermittelt. Es blieb bei der Drohung.
Keine Antwort als Antwort zu bekommen, verengt den Raum für Fehler übrigens erheblich. Siegfried Wolf hat gute Anwälte, René Benko auch, Novomatic sowieso.
Die Androhung rechtlicher Schritte ist längst eine Art Grußformel, wenn auch keine hohle. Willi Hemetsberger, zum Beispiel. Der Investmentberater hatte uns Ende 2021 in ein sonderbares Gerichtsverfahren hineingezogen. Über seinen Medienanwalt hatte Hemetsberger beim Wiener Straflandesgericht Anträge nach dem Mediengesetz stellen lassen: Er wollte Geld für eine „erlittene Kränkung“ und den Ersatz der Verfahrenskosten.
Warum? Weil wir ihn zuvor als einen der Angeklagten im (mittlerweile angelaufenen) Chorherr-Prozess namentlich genannt hatten. Hemetsberger, eine Person des öffentlichen Lebens, wollte plötzlich keine solche mehr sein. Und uns gleichsam per Gerichtsbeschluss aufzwingen, seinen Namen im Kontext des (öffentlichen) Chorherr-Prozesses nicht mehr zu nennen. Das Medienverfahren ging durch zwei Instanzen, Hemetsberger verlor in beiden, worüber wir im September berichteten.
Da war ein anderes Verfahren bereits erledigt. Im März hatten wir über den Ausgang einer von Novomatic 2020 angestrengten Klage vor dem Handelsgericht Wien geschrieben, da ging es um Unterlassung, Widerruf, eine Schadenersatzforderung und um einen Gesamtstreitwert von rustikalen 85.000 Euro. Entzündet hatte sich der Streit an einem Bericht vom Juli 2020, in dem wir gefragt hatten, ob es 2018/2019 womöglich einen „Deal“ zwischen der ÖVP und Novomatic gegeben habe. Der Artikel behandelte Vorgänge rund um die Casinos Austria und einen (nie umgesetzten) Geheimplan des ÖVP-regierten Finanzministeriums zur Liberalisierung des Glücksspielmarktes. Die erste Instanz wies die Klage ab, die zweite auch. Das Oberlandesgericht Wien entschied rechtskräftig: Die Frage war zulässig.
profil wird in rechtlichen Fragen übrigens von Rechtsanwalt Hubert Simon vertreten, der furchtlos-unerschütterlich für die Pressefreiheit einsteht; wir wissen, was wir an ihm haben.
III. Der Blick in den Abgrund
Stefan Melichar und ich unterhalten uns oft darüber, was der Beruf aus uns macht. Oder genauer: Was er aus uns machen würde, wenn wir einander nicht hätten. Wenn Journalismus menschliches Verhalten beschreibt, dann beschreibt investigative Recherche dessen Abgründe. Und wer so gut wie jeden Tag in Abgründe blickt, kippt irgendwann womöglich selbst hinein (oder verliert den Glauben an das Richtige). Da baut sich mit der Zeit viel Enttäuschung auf, viel Frust, zuweilen auch Zorn – und weil Saufen nun auch keine Lösung ist, ist es umso wichtiger, sich austauschen zu können. Stefan ist mit einem robusten Naturell gesegnet und darob ziemlich belastbar, das hilft.
Und es geht ja nicht nur ums Händchenhalten. Anders als ein Alfred Worm selig stündest du heute als Einzelkämpfer auch inhaltlich vor unlösbaren Aufgaben.
IV. Sharing is caring
Wir sind seit Jahren Teil eines größeren Ganzen. In Österreich recherchieren wir regelmäßig mit dem ORF (und da besonders mit Ulla Kramar-Schmid und Martin Thür), zugleich arbeiten wir zunehmend intensiv an internationalen Projekten. 2022 veröffentlichten wir vier große und ein halbes Dutzend kleinere länderübergreifende Recherchen, die einer allein niemals bewältigt hätte (erst recht nicht im Kontext der nicht enden wollenden innenpolitischen Verwerfungen, siehe die ORF-Sideletters, siehe die Einvernahmeprotokolle von Thomas Schmid und Sabine Beinschab, siehe den ÖVP-Korruptionsausschuss, siehe die Nowak-Chats undundund).
Am 20. Februar enthüllten wir als Teil einer internationalen Recherchekooperation rund um die „Süddeutsche Zeitung“ und das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) die dunklen Geheimnisse der Schweizer Großbank Credit Suisse (Projekt „Suisse Secrets“). Vier Tage später überfiel Putin die Ukraine, weitere drei Wochen später hatten wir den „Russian Asset Tracker“ online, abermals ein OCCRP-Projekt, das die Besitztümer russischer Oligarchen im Ausland dokumentierte (wir arbeiten seit 2019 mit der international tätigen Investigativ-Plattform zusammen). Und weil das erst der Anfang war, setzten wir die Suche nach dem russischen Oligarchen-Geld ab April mit den „Pandora Papers Russia“ fort, dieses Mal als Teil eines Kollektivs rund um das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), dessen Mitglieder Stefan und ich sind (als einzige Österreicher).
Am 2. Juli folgte die „Akte OMV-Sudan“, eine gemeinsame Arbeit mit dem schwedischen Investigativ-Journalisten Ola Westerberg, welche die Beteiligung der OMV an einem umstrittenen Ölprojekt im Sudan Anfang der Nullerjahre neu aufrollte. Die Recherchen wurden kürzlich mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis in der Kategorie Online ausgezeichnet. Die Jury würdigte den Beitrag unter anderem als „meisterhaftes Beispiel vernetzter Recherche“ und „Paradebeispiel für investigativen Journalismus“ (wenn man das über sich selbst liest, entschädigt das dann doch wieder für die Mühen des Alltags).
Acht Tage nach der Akte OMV veröffentlichten wir die „Uber Files“, zu denen wir wiederum im ICIJ-Verbund monatelang recherchiert hatten. Anhand Tausender E-Mails konnten wir gemeinsam aufzeigen, mit welchen teils grenzwertigen Lobbying-Methoden der US-Taxi-Vermittler Uber in den Metropolen dieser Welt Fuß gefasst hatte. Und weil das Jahr zwölf Monate hat, legten wir Mitte November auch noch die „Shadow Diplomats“ vor, ein weiteres internationales Projekt des ICIJ, das in die Welt der Honorarkonsuln eintaucht. Ein Ehrenamt mit ein wenig diplomatischer Immunität, die immer wieder auch zum Missbrauch verleitet.
Ich sollte etwas über investigativen Journalismus aufschreiben. Schwierige Sache, hatte ich erwähnt. Weil man über die Hintergründe so wenig offenbaren kann, beschreibt man die Herausforderungen, vor denen man steht (was ich getan habe), vermisst die Hürden, gegen die man rennt (was ich auch getan habe) und preist die Leistungen, die man erbracht hat (was ich vor allem getan habe).
Nun gut, vielleicht schreiben der Stefan und ich ja eines sehr fernen Tages unsere Memoiren. Stoff hätten wir.