Der Spionagefall des Jahrhunderts
Von Anna Thalhammer
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Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Und die Story von Wirecard erinnert teils mehr an einen Märchenwald als an die Realität. Aber bisweilen ist auch schier Unglaubliches schlicht Fakt – und die Fakten zu Jan Marsalek und Konsorten liegen eigentlich schon lange am Tisch. Man will sie offenbar nur nicht wahrhaben und scheut sich, die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Der „Spiegel“ brachte vergangene Woche eine abenteuerliche (und wahre) Cover-Story: Jan Marsalek, Ex-Wirecard-Vorstand, soll ein Spion für Russland sein. Seit seiner Flucht im Sommer 2020 soll er in Moskau aufhältig sein – sein Leben: eines mit Yachten, Kaviar und Champagner, Pornodarstellerinnen als Gespielinnen – und russischen Führungsoffizieren. Im Hintergrund: ein Netzwerk von österreichischen Ex-Nachrichtendienstlern und brutalen Söldnern, die zu jeder Tat bereit sind. Bis heute stehen sie in seinen Diensten, vermuten Ermittler.
Vieles von dem, was der „Spiegel“ episch aufs Tapet brachte, ist in Details bereits bekannt – nur dass diese
Story vorher noch niemand in der ganzen Tragweite ausgeleuchtet und die Zusammenhänge derart schillernd dargestellt hat. Auch das ist manchmal notwendig, um eingängig zu machen, was schon vorher aufgrund der Faktenlage glasklar gewesen sein müsste: Wir haben es wohl mit dem größten österreichisch-deutschen Spionageskandal der jüngeren Geschichte zu tun.
Wirecard ging im Sommer 2020 pleite. Der eine Hauptverantwortliche, der Österreicher Markus Braun, ging stante pede in Haft – und muss sich seit Monaten in einem historischen Prozess vor Gericht verantworten. Der andere, sein kongenialer Partner, der Finanzvorstand und Wiener Jan Marsalek, nahm Reißaus und einen Flieger nach Minsk. Seitdem sucht ihn die halbe Welt – auch Medien sind ihm dicht auf den Fersen. Die „Süddeutsche“ fand ihn in Moskau wieder – und deckte die abenteuerliche Geschichte seiner Flucht, in die österreichische Geheimdienstler involviert waren, gemeinsam mit „Die Presse“ auf.
Letztere berichtete auch exklusiv über die auffallend guten Geheimdienst- und Politkontakte Marsaleks. Eine Grillparty mit dem libyschen Ex-Geheimdienstchef hier. Ein Treffen mit einem russischen „Honorarkonsul“ da. Und ein höchstrangiger russischer Agent, der auf mindestens drei Seiten spielt, dort. Ein Trip nach Syrien mit dem Mann und Putins Wagner-Gruppe, Söldner ohne Gewissen. Zum Drüberstreuen ein paar österreichische Ex-Nachrichtendienstler, die für Geld fast alles taten.
Dunkle Familiengeheimnisse
Dieser Hang zum James-Bond-Leben hat in der Familie Marsalek offenbar Tradition: Schon Jans Großvater soll ein Spion für Russland gewesen sein, das findet sich zumindest in alten Akten der Staatspolizei wieder. Hans Marsalek war glühender Sozialist, landete als solcher im Konzentrationslager Mauthausen. Er überlebte, widmete sein Leben der Aufklärung der Nazi-Gräuel. Sein detektivisches Talent soll er auch dem KGB zur Verfügung gestellt haben, um Menschen ausfindig zu machen, sie zu entführen und zu foltern. Enkelsohn Jan Marsalek bekam die Faszination für Geheimdienste – und die Kontakte – quasi in die Wiege gelegt.
In Österreich kümmert sich eine Sonderkommission im Bundeskriminalamt um die Aufklärung der aktuellen Causa – die AG Fama. Sie ermittelt seit Marsaleks Verschwinden intensiv gegen ihn und seine Zuträger. Dafür gab es kein Lob, wenig Unterstützung – aber viel Gegenwind.
Die Ermittler sahen sich mit etlichen Vorwürfen und teils Verleumdungen konfrontiert: Bezeichnenderweise kamen die Angriffe immer von jenen, die nachweislich Kontakte zum Marsalek-Netzwerk pflegten und von gestohlenen und zweifelhaft besorgten Informationen profitierten. Darunter etwa ein Ex-FPÖ-Abgeordneter, der seine Freundschaft mit einer Hausdurchsuchung büßte.
Oder auch der Ex-Abgeordnete Peter Pilz, der einen der Hauptprotagonisten seine Opfer-Erzählung in seinem Blog auswalzen ließ – und nachweislich intensiv im Austausch mit dem Mann war. Mit einem Mann, gegen den seit 2017 wegen des Verdachts der Spionage ermittelt wird – Russland spielt eine Rolle. Pilz wusste darüber freilich Bescheid.
Keine Glaubensfrage
Aber wer hier was gemacht hat, ist keine Frage, welcher Seite man Glauben schenken möchte – oder eine Frage des Interpretationsspielraums. Es gibt Beweise, Fakten, Auswertungen aus sichergestellten Handys. Aus dem mittlerweile Tausende Seiten starken Ermittlungsakt, der profil vorliegt, geht eindeutig hervor, dass Marsalek ein Mann war, der hochrangigste Kontakte zur FPÖ pflegte, als diese in Regierungsverantwortung war.
Er tauschte mit blauen Top-Funktionären und deren russlandfreundlichen Freunden geheimdienstliche Informationen aus. Woher er die hatte? Offenbar aus den Tiefen des Innenministeriums, er muss dort beflissene Helfer gehabt haben – und, sofern man aktuellen Ermittlungen glaubt, noch haben. Manche Personen wurden bereits enttarnt.
Marsalek dockte auch mit dubiosen Flüchtlingsprojektideen beim österreichischen Innenministerium an, das damals unter Herbert Kickls Führung war. Jener Herbert Kickl, der mit seinen Getreuen federführend an der Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Februar 2018 beteiligt war. Diese Aktion zerstörte das Herz des österreichischen Sicherheitsapparats von innen nachhaltig.
Österreich verlor daraufhin das Vertrauen der so wichtigen westlichen Partnerdienste. Es wurde vom vertraulichen, internationalen Informationsfluss ausgeschlossen – eine gefährliche Situation für einen nachrichtendienstlichen Zwergenstaat, der auf die Ressourcen der großen Staaten angewiesen ist. Eine Reform sollte das Amt retten – und ein neuer Leiter, der bei seinen internationalen Kollegen eine Charmeoffensive gestartet hat.
Österreich allein zu Hause
Zarte Pflänzchen des Vertrauens zu Österreichs Diensten wachsen erst jetzt langsam wieder. Seit Kurzem bekommt Österreich nun langsam wieder klassifizierte Informationen für nachrichtendienstliche Ermittlungen. Einige drehen sich um Marsalek. Österreich hat etwa von britischer Seite Tausende Chats zur Auswertung bekommen. In London lief ein Großverfahren gegen einen Spionagering, der von Marsalek geleitet wurde – die Kommunikation zwischen den verhafteten Bulgaren und dem flüchtigen Ex-Wirecard-Boss wurde sichergestellt. Und auch wenn bisher keine Details bekannt sind, klar ist: Das waren keine Waisenknaben. Sie waren zu allem bereit: Das Spektrum reicht von Gewalt bis zu Mordaufträgen.
Auf ihren Listen: Gegner – und auch Journalisten, die kritisch berichteten und Marsalek dicht auf den Fersen waren. Sie wurden beschattet, ausspioniert. Manche brauchen darum noch heute Personenschutz – denn die Gefahr ist nicht gebannt.
Heute wissen wir: Die Konstrukteure des sogenannten BVT-Skandals stammen aus Marsaleks Stall.
Fundament war ein anonymes Konvolut, das im Wahlkampfsommer 2017 kursierte und durch die Finger vieler Journalisten ging. Sie erkannten auf den ersten oder spätestens zweiten Blick: Die Suppe ist dünn. Die Justiz aber leistete nicht einmal Basisarbeit, unterließ wichtige Vorerhebungen – und griff schnell zum äußersten Mittel: eine Hausdurchsuchung. Die nötige Sensibilität fehlte dabei komplett: Man kassierte höchst vertrauliche Daten von Partnerdiensten, berichtete davon in Gerichtsakten. Damit wurden einst geheime Informationen einem Personenkreis zugänglich, der diese nie zu Gesicht bekommen sollte: einem U-Ausschuss, und über die Akteneinsicht von Beschuldigten und Opfern über Umwege auch den Medien – und damit jedem, der es wissen wollte.
Das ist ein absolutes No-Go in der vertraulichen Welt der Geheimdienste und wohl auch international betrachtet beispiellos.
Mutmaßlicher Spionagering
Gutachten und Analysen verdichten den dringenden Verdacht, dass dieses erwähnte anonyme Pamphlet von Marsaleks Schergen mitverfasst wurde. Die Ermittler sind sicher: Es soll sich um ehemalige BVT-Mitarbeiter gehandelt haben, die Marsalek Informationen für Geld geliefert haben. Sie bestreiten alles, es gilt die Unschuldsvermutung..
Über die Motivlage kann nur spekuliert werden: Im besten Fall hat jemand das Pamphlet verfasst, weil man vielleicht wegen etwas persönlich gekränkt war und sich an ein paar Personen rächen wollte. Im schlimmsten Fall diente es einem größeren Zweck und war ein gezielter Angriff einer fremden Macht auf Österreichs Nachrichtendienst.
Die Einschätzungen der Ermittler zu jenen Ex-BVT-Beamten, die im Zentrum des BVT-Skandals gleichermaßen stehen wie des Falls Marsalek, finden sich im Akt:
„Jan Marsalek, Martin Weiss (Anm.: ehemaliger hochrangiger Abteilungsleiter im Nachrichtendienst) und Egisto Ott (Anm.: langjähriger BVT-Beamter) werden beschuldigt, in Wien und andernorts ab einem derzeit nicht näher bekannten Zeitpunkt jedoch zumindest ab dem Jahr 2016 bis zum heutigen Tage (…) zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen russischen Nachrichtendienst unterstützt zu haben, indem sie fortgesetzt teilweise öffentliche, teilweise nicht öffentliche Informationen an Angehörige dieses Nachrichtendienstes zur Erstellung von Personenprofilen russischer Staatsbürger durch Personenabklärungen, Lagebilder vorwiegend aus hochsensiblen staatsschutzrelevanten Behörden und Personenprofilen von Personen unterschiedlicher Ebenen und Funktionen, sowie Informationen weitergegeben haben, welche Angehörigen des Bundesministeriums für Inneres durch internationale Kontakte zugänglich geworden seien und einer Preisgabe einer ausländischen Macht einen Vertrauensverlust für Österreich und den dadurch eingeschränkten Zugang zu sensiblen staatsschutzrelevanten Informationen befürchten ließe, wodurch die Interessen Österreichs in einem internationalen Informationsaustausch in sicherheitspolitischen und staatsschutzrelevanten Belangen und am Schutz seiner Einrichtungen und seines Personals gefährdet worden seien.“
Es geht also um den schwerwiegenden Verdacht der Spionage zum Nachteil Österreichs.
Alles längst bekannt
Was im Jahr 2024 derart in den Akten aufschlägt, wird in Grundzügen seit 2017 ermittelt – also schon lange, bevor Wirecard ein Thema war: Egisto Ott wurde bereits vor vielen Jahren der Russlandspionage verdächtigt. Er wurde daraufhin aus dem BVT entfernt, bekam einen anderen Job im Innenministerium. Der langjährige Verbindungsbeamte nutzte seine guten Kontakte für seine Zwecke aber weiter. Was ist seitdem passiert? Die Ermittlungen wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen wurden eingestellt. Andere Verdachtsmomente sind noch aufrecht. Die Justiz wartet zu – man fragt sich, warum und auf was.
Nicht viel anders ist die Causa von Martin Weiss gelagert. Der einst hochrangige Nachrichtendienstler half Marsalek bei der Flucht und wurde dafür zwischenzeitlich sogar in U-Haft genommen. Aber die Justiz ließ ihn laufen. Er verließ das Land und ward seitdem zumindest in Österreich nicht mehr gesehen. Weiss blieb sogar einem Gerichtsprozess in Wien fern, in dem er als Beschuldigter geführt wurde. Konsequenzen? Keine. Die Münchner Staatsanwaltschaft gestattete ihm hingegen gleich von vornherein freies Geleit.
Weiss kam – angeblich –, um etwas Wertvolles in der Sache Wirecard auszusagen. Inhalt: wenig bis nichts. Könnte die Intention seines Auftritts eine ganz andere gewesen sein? Ist er zur Staatsanwaltschaft angerückt, um im Gespräch herauszufinden, was sie wissen? Die Justiz in Deutschland ließ ihn jedenfalls vom Haken.
Auch sonst bleiben die Erkenntnisse des Tausende Seiten dicken Ermittlungsakts der AG Fama bisher weitgehend konsequenzlos. Bisher gibt es keine Anklagen. Im Gegenteil: Manche Ermittlungsstränge wurden mit absurd scheinenden Begründungen eingestellt. Ein Beispiel: Gegen einen hochrangigen Funktionär der österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaft wurde wegen des Verdachts von Spionage ermittelt.
Es finden sich in profil vorliegenden Akten viele Mails zwischen Marsalek und dem Mann. Die Staatsanwaltschaft verfolgte das nicht weiter. Die Begründung, zusammengefasst: Es sei ja der Job des Mannes, mit Russland zu netzwerken – und da würde man eben auch Informationen austauschen.
Es scheint insgesamt grotesk: Noch nie wurde in Wien, der Hauptstadt der Spione, ein Verfahren wegen Spionage geführt. Auch deswegen fehlen der Staatsanwaltschaft die Erfahrung und die Sensibilität in solchen Fällen. Aber Spionage ist Realität und funktioniert anders als in Filmen – Agenten sehen auch nur selten aus wie James Bond und haben meistens auch keine Cocktails in der Hand.
Tröstlich: In Deutschland ist es nicht besser. Die Staatsanwaltschaft München, die den Wirecard-Skandal bearbeitet, kommt in Bezug auf die Geheimdienstaspekte ebenso nicht in die Gänge. Da werden Ermittlungsstränge einfach nicht verfolgt, liegengelassen – als nichtig statt wichtig erachtet.
Angst vor der Wahrheit
Aber warum ist das so? Hat es wirklich nur mit langsamen Mühlen der Justiz zu tun? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass der Fall Wirecard für beide Länder in Wahrheit hochnotpeinlich ist. Würde man das ordentlich aufarbeiten, müsste man erstens eingestehen, dass die Justiz gelinde gesagt einen Fokus auf die falschen Personen hatte – teils sogar eine regelrechte Täter-Opfer-Umkehr stattgefunden hat.
Man denke an die kleinen Beamten, die im Nachgang zu den BVT-Razzien als Bauernopfer vor Gericht gezerrt wurden. Sie gingen als freie Männer mit einem Berg an Schulden durch Anwaltskosten hinaus. Die Republik entschädigt sie dafür freilich nicht – nicht einmal ihre Jobs gibt man ihnen zurück. Der ehemalige, für Russland zuständige Spionageabwehrchef, den man erfolgreich ramponiert hatte, ist noch immer auf Jobsuche.
Oder: Die Marsalek-Truppe klaute dem Ex-Innenministeriums-Kabinettschef Michael Kloibmüller seine Handydaten – er war für viele Jahre einer der wichtigsten Geheimnisträger in Dingen Innere Sicherheit in diesem Staat. Ergebnis: Die Justiz ermittelte gegen den Mann. Man verdächtigte ihn, Jobs zugeschanzt zu haben. Bisher wurde fast alles eingestellt. Aber was ist mit den Dieben? Sie sind auf freiem Fuß.
Die Tragweite ist abgesehen von der Ungerechtigkeit gegenüber Einzelpersonen aber noch weit größer: Würde man den Fall aufarbeiten, müssten sich Deutschland wie Österreich eingestehen, dass unter Umständen höchstsensible Daten Hunderttausender, wenn nicht Millionen von Staatsbürgern nun in russischen Händen sein könnten. Das DAX-Unternehmen Wirecard war ein riesiger Zahlungsdienstleister – die Daten zu den Transfers wären pures Gold für fremde Mächte.
Wer sie besitzt, wüsste etwa, wer wie viel an wen bezahlt hat.
profil-Recherchen in den Zigtausenden Mails von Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek legen nahe: Der Informationsabfluss könnte über mehrere Jahre gelaufen sein – denn die mutmaßlichen Spione, die Marsalek angeworben haben sollen, hatten seit 2014 einen Fuß bei Wirecard in der Tür.
Alles dreht sich um sie: Natalia Zlobina, Marsaleks russische Geliebte. Sie soll ihn für den Dienst rekrutiert haben. Zlobina war 2014 Mitarbeiterin einer russischen Tech-Firma, die Softwarelösungen für Handys entwickelte. Das Unternehmen trat an Wirecard heran, man setzte laut profil vorliegenden Unterlagen gemeinsame Millionenprojekte auf. Das bedarf freilich eines intensiven Austauschs – das belegen etliche E-Mails. Und so lernten sich Zlobina und Marsalek gut kennen. Man machte 2014 eine gemeinsame Reise nach São Paulo. Man traf sich wenig später im Four Seasons in München.
Über das ehemalige Erotikmodel Zlobina lernte Marsalek schließlich auch einen mutmaßlich sehr hochrangigen Agenten der Russen kennen, der wohl eine Schlüsselrolle in der ganzen Causa spielt. Stanislav Petlinsky heißt im bürgerlichen Namen Boris Grin. Er selbst bezeichnet sich als „Sicherheitsberater“ russischer Dienste, in der Welt der Agenten ist der Mann berühmt und berüchtigt. Offiziell ist Petlinsky Unternehmer – und Zlobina ist seine Geschäftspartnerin, war in seinen Unternehmen tätig. Zlobina verdrehte Marsalek den Kopf, und „Stas“, der zu einem engen Vertrauten Marsaleks wurde, wie Fotos belegen, richtete ihn in seinem Sinne wieder gerade.
Aber was ist seit 2014 an Informationen aus Wirecard herausgeflossen? Welche Daten sind Richtung Russland gewandert? Dabei könnte es nicht nur um Millionen an Zahlungsdaten von Privatpersonen oder Unternehmen gehen – was schon schlimm genug wäre.
Der Staat und Wirecard
Auch etliche staatliche Einrichtungen nutzten Wirecard als Zahlungsdienstleister. In Österreich arbeiteten mehrere Ministerien mit Wirecard – etwa wurden Strafregisterauszüge oder Melderegisterabfragen mit Wirecard abgewickelt. In Deutschland ist es noch schlimmer: Der deutsche Nachrichtendienst (BND) hat Zahlungen mit Wirecard abgewickelt – seine Mitarbeiter sollen laut profil-Informationen auch verdeckte Informanten mit Wirecard-Karten bezahlt haben. Weiß Russland jetzt, wie viel Deutschland an welche Informanten bezahlt hat?
Sollten diese Daten im Kreml gelandet sein, wäre das ein Desaster. Dass die öffentliche Hand viel zu wenig bis nichts dafür tut, das endlich und sauber aufzuklären, die Verantwortlichen noch immer nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden, um klaffende Sicherheitslücken angesichts einer wachsenden Bedrohung Russlands gegenüber dem Westen konsequent zu schließen, kommt langsam, aber sicher einer Bankrotterklärung gleich – mit ungeahnten sicherheitspolitischen Folgen.
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.