Karmasin-Umfragen fürs Land Niederösterreich: Sobotka, Thujen, Ketchup
Wer ernten will, muss säen: ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ist das, was man in Niederösterreich einen „Gschaftlhuber“ nennt. Seine politischen Ämter lasteten ihn nie voll aus, Sobotka suchte nach weiteren Präsentationsflächen – und gründete dafür Vereine wie das inzwischen eingestellte Alois-Mock-Institut. Bundesweit weniger bekannt ist Sobotkas erste große Initiative als Landespolitiker, bei der er seine private Vorliebe für die Gartenarbeit geschickt mit parteipolitischen Interessen verknüpfte.
„Natur im Garten“ ist eine fröhliche Öko-Initiative des Landes Niederösterreich, die so brav daherkommt, dass niemand etwas dagegen haben kann. Die 1999 gegründete „Bewegung“ (Eigenbezeichnung laut Website) setzt sich unter anderem für den Verzicht auf chemische Düngemittel und Torf ein. Wer dieser Regel folgt, kann sich beim Land eine „Natur im Garten“-Plakette mit einem Igel-Motiv bestellen und an den Gartenzaun schrauben.
Sobotkas Liebkind
Die Initiative war Sobotkas Liebkind als Landesrat für Umwelt (und später Finanzen), die er rasch zu einem Imperium ausbaute: Heute zählt die GmbH im Eigentum des Landes knapp 50 Mitarbeiter. „Natur im Garten“ hat seit 2006 eine gleichnamige ORF-Fernsehsendung, organisiert die Messe Garten Tulln und einen Masterlehrgang für Ökogärtner an der Donau-Uni Krems. Ein „Natur im Garten“-Bus tourt durchs ganze Land, und jede Gemeinde kann sich dem heiteren Landesgarteln anschließen. Es gibt Berater für Gartengestaltung, Förderungen und einen Onlineshop. Die besten Gärtnerinnen und Gärtner Niederösterreichs werden jährlich mit dem „Goldenen Igel“ ausgezeichnet.
Die Events garantieren der Initiative Dutzende Berichte in den Lokalmedien – perfekt für einen aufstrebenden Politiker, der am liebsten Landeshauptmann geworden wäre.
Karmasin-Umfragen aus Landesmitteln
Dieser Plan ging bekanntlich schief. An mangelnder Ambition kann es aber nicht gelegen haben. Penibel ließ Sobotka als Landesrat seine Initiative monitoren. Und zwar von der inzwischen in Verruf geratenen Meinungsforscherin Sophie Karmasin. Im Wege einer Anfrage nach dem NÖ Auskunftspflichtgesetz organisierte sich profil alle Studien, die Karmasin im vergangenen Jahrzehnt für das Land Niederösterreich durchgeführt hatte. Unter den acht Befragungen zu einem Gesamtpreis von knapp 360.000 Euro findet sich auch eine aus dem Zuständigkeitsbereich Sobotkas: „Natur im Garten 2014. Eine quantitative Untersuchung für das Amt der NÖ Landesregierung.“ Einzelpreis: 22.989,60 Euro. Problematisch sind weniger die Kosten, die für einen Fragebogen mit 55 Fragen marktüblich erscheinen. Problematisch scheint jedoch, dass in die von der öffentlichen Hand bezahlte Studie auch der eine oder andere parteipolitische Aspekt eingepflanzt wurde.
Meinungsforscherin für St. Pölten
Im vergangenen Jahrzehnt führte Karmasin insgesamt acht Umfragen und Studien für das Land Niederösterreich durch. Sie liegen profil nun exklusiv vor.
Hecken und "wilde Ecken"
Was den fachlichen Erkenntnisgewinn aus der Gartenstudie betrifft, so wirkt dieser eher durchwachsen: Aus der bisher unveröffentlichten Befragung unter 400 Gartenbesitzern geht etwa hervor, dass 61 Prozent von ihnen eine Hecke haben. Am beliebtesten sind Thujen oder Scheinzypressen, gefolgt von Mischhecken. Dank der Studie weiß das Amt der Landesregierung auch, wie viele Gärtner daheim ein „wildes Eck“ (35 Prozent) wuchern lassen und einen „Regensammelbehälter“ (66 Prozent) haben.
Bei der Wirkmacht gab es, zumindest im Jahr 2014, Aufholbedarf. Rund 15 Jahre nach dem Start der Aktion und trotz eigener Fernsehsendung im ORF hatten nur 16 Prozent der Gartenbesitzer ihr Gartenwissen über die Initiative bezogen. Vier Fünftel waren noch nie auf der Website. Immerhin 60 Prozent der Gartenbesitzer kannten die Initiative – die meisten verbanden sie auch mit ökologischer Gartenpflege.
Parteipolitische Fragen
Politisch heikler ist die Frage 44: „Verbinden Sie ‚Natur im Garten‘ mit einem politischen Repräsentanten? Mit welchem?“, fragte Karmasin die Hobbygärtner. Man dürfte mit einem anderen Ergebnis gerechnet haben, denn in der Ergebnispräsentation ist wörtlich davon zu lesen, dass „nur“ eine kleine Gruppe von 21 Prozent die Initiative im Jahr 2014 mit einem Politiker verknüpfte. Dieses knappe Fünftel wurde von Karmasin dann noch gefragt, mit welchem konkreten Politiker die Initiative assoziiert wird. Das dunkelschwarze Resultat: „Wolfgang Sobotka“ (64 Prozent), „Erwin Pröll“ (23 Prozent) und „jemandem von ÖVP“ (17 Prozent). Jeweils fünf Prozent entfielen auf „Sonstiges“ und „keine Angabe/weiß nicht“.
Interessenskonflikt
In einer mit Landesgeldern finanzierten Umfrage wurden parteipolitische Fragen gestellt.
Warum bezahlte das Land für Fragen, die eigentlich nur parteipolitisch relevant sind? Und: Wie ist es erklärbar, dass eine von der öffentlichen Hand betriebene Aktion wie „Natur im Garten“ praktisch ausschließlich der ÖVP beziehungsweise einem ihrer Spitzenrepräsentanten zugerechnet wurde?
Kein Kommentar von Sobotka
Auf Anfrage ließen Sobotkas Pressesprecher ein Mail von profil unbeantwortet und waren auch telefonisch nicht zu erreichen. Der Nationalratspräsident weilte dieser Tage in den USA. Das Land Niederösterreich reichte die profil-Anfrage an „Natur im Garten“ weiter. Dort erklärte man: „Dass rund 80 Prozent der Befragten keinen politischen Konnex erkennen können, zeigt die ausschließlich fachliche Orientierung der NÖ-Umweltbewegung ,Natur im Garten‘“. Auf Grundlage der Befragung seien die Bildungsschwerpunkte der Initiative festgelegt worden.
Umfragen, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, gelten als potenzielles Einfallstor für parteipolitische Interessen. Einem entsprechenden Verdacht geht etwa die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Zusammenhang mit Auftragsstudien aus türkis-geführten Ministerien nach. Auch gegen Karmasin wird in Zusammenhang mit dem Vorwurf ermittelt, das Finanzministerium habe Umfragen zugunsten der ÖVP beziehungsweise Sebastian Kurz finanziert. (Erstinstanzlich – und somit nicht rechtskräftig – verurteilt wurde die Meinungsforscherin und ehemalige Familienministerin im Mai wegen des Verdachts wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Studienaufträgen aus dem Sportministerium.) Karmasin – und auch Kurz – haben die Vorwürfe immer bestritten.
Landesinitiative mit Parteinähe
Die Wege zwischen der Landesinitiative „Natur im Garten“ und der Landes-ÖVP sind jedenfalls kurz und weich gekiest. Einer der beiden Geschäftsführer der Initiative ist ÖVP-Stadtrat in Korneuburg. Der Pressesprecher der Initiative ist ÖVP-Stadtrat in Tulln. Der Aufsichtsratsvorsitzende Christian Rädler sitzt für die ÖVP im Gemeinderat von Bad Erlach – er ist seit Jahren ein enger Weggefährte Sobotkas, was sich etwa daran zeigt, dass Rädler der letzte Obmann des Alois-Mock-Instituts war, bevor es aufgelöst wurde. Im Aufsichtsrat des Gartenimperiums versammelt sich das Who’s Who der Landespolitik: Der wegen seiner Grundstücksdeals in der Kritik stehende ÖVP-Bürgermeister Alfred Riedl sitzt dort ebenso wie Ex-ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner, der kürzlich in die Bundespartei wechselte. Damit „Natur im Garten“ nicht ganz zur schwarzen Solo-Veranstaltung verkommt, hat auch SPÖ-Gemeindevertreter Rupert Dworak einen Platz bekommen. Wenn eine ÖVP-Ortspartei den „Natur im Garten“-Bus in ihre Gemeinde bestellen will, was laut Lokalzeitungsberichten immer wieder vorkommt, dann sitzt am anderen Ende der Leitung aber jedenfalls ein Parteifreund. Der Tour-Verantwortliche ist Gemeinderat in der Landeshauptstadt St. Pölten.
Zum Ökosystem der Landesinitiative gehören beziehungsweise gehörten auch mehrere Vereine: Die „Freundinnen und Freunde von Natur im Garten“ (Präsident: Wolfgang Sobotka) und ein Verein, der so hieß wie die Initiative selbst (Obmann: der bereits erwähnte Christian Rädler), deren genaue Aktivitäten unklar sind – beide Vereine wurden Ende 2020 und Anfang 2021 aufgelöst.
Ein Verein besteht bis heute, die „European Garden Association – Natur im Garten International“. Der Präsident heißt – erraten – Wolfgang Sobotka. Mit diesem Verein versucht der Nationalratspräsident bis heute, seine Vision der ökologischen Gartenarbeit auch in andere Bundesländer und EU-Staaten zu exportieren, darunter Tschechien, Deutschland und die Slowakei.
Krabbelnde Käfer
Die Gartenstudie war nicht die einzige Umfrage Karmasins für das Land Niederösterreich. Die meisten Aufträge erhielt sie, nachdem sie als Familienministerin auf einem ÖVP-Ticket aus der Regierung ausgeschieden war.
Einige der Studien werfen mehr Fragen auf als sie beantworten. 2020 führte Karmasin eine „Jugendstudie“ zu den Themen „Klima, Energie und Natur“ durch. Dabei wurde auch das Wissen der Jungen abgefragt, wobei die Fragen teils banal waren: „Woraus wird Ketchup hergestellt? Aus Erdbeeren, Karotten oder Tomaten?“ 97 Prozent wussten die korrekte Antwort. Neun von zehn Jugendlichen wissen auch, dass an „sogenannten Strom-Tankstellen“ Elektroautos und nicht etwa Handys oder Laptops aufgeladen werden.
Das Ketchup-Rätsel
Manche Passagen der Karmasin-Jugendstudie für das Land Niederösterreich werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.
Mit einer „Verhaltensmatrix“ wollte Karmasin wissen, welche „naturnahen“ und „klimagerechten“ Tätigkeiten die Jugendlichen bereits jetzt umsetzen und welche sie sich in Zukunft vorstellen können. Darunter: „Müll trennen“, „Baumhaus bauen“, „Schulhefte aus Recycling-Papier kaufen“ und: „Einen Käfer über meine Hand krabbeln lassen“.
Ergebnis der Studie laut Karmasin: Das Wissen im Bereich Umwelt, Energie, Klima steige mit der Schulstufe, während die Bereitschaft, das persönliche Verhalten zu ändern, sinke. Fazit: „Es gilt also das erworbene Wissen auch stärker auf das eigene Verhalten umzulegen.“ Eine solche Befragung könnte hilfreich sein, um die Lehrpläne anzupassen – allerdings liegt die Kompetenz dafür beim Bildungsministerium und nicht bei den Ländern.
Homeoffice-Studie
Deutlich aufwendiger und teurer war eine groß angelegte Homeoffice-Studie am Höhepunkt der Coronapandemie, an der auch drei Abteilungen des Landes mitwirkten. Dabei wurden in zwei Befragungswellen private Unternehmen und Arbeiternehmer zu Chancen und Risiken befragt.
profil wollte wissen, welche politischen Ableitungen das Land aus der Studie traf. Die Landesamtsdirektion teilte mit: „Insbesondere wurden die Ergebnisse zur Festlegung des Homeoffice-Betriebes für Landesbedienstete verwendet.“ Inwieweit dafür eine Befragung im Sektor der Privatwirtschaft hilfreich war, wurde auf neuerliche profil-Nachfrage nicht beantwortet.
Und was wurde aus „Natur im Garten“, nachdem Sobotka von der ÖVP aus dem niederösterreichischen Garten Eden nach Wien beordert worden war? Die Initiative ressortiert seit diesem Jahr ausgerechnet bei Sobotkas Widersacherin um den wichtigsten Job im Land, bei Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Sie ließ es sich heuer nicht nehmen, die Verleihung der „Goldenen Igel“ persönlich vorzunehmen. Keine schlechte Bühne für eine, die Landeshauptfrau bleiben will.