Trotz Ukraine-Kriegs: Österreich kauft noch mehr Öl von Putins Gnaden
Von Stefan Melichar
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Schwarzes Gold von Putins Gnaden: 2.060.468 Tonnen Rohöl hat Österreich im ersten Halbjahr 2024 aus Kasachstan importiert – das zeigen vorläufige Zahlen der „Statistik Austria“ für diesen Zeitraum. Es ist so viel wie nie zuvor in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten. Kasachstan gilt zwar schon lange als Öl-Lieferland Nummer eins. Doch nun stieg der Anteil des zentralasiatischen Landes an den heimischen Rohöl-Importen von Jänner bis Juni sogar auf rekordverdächtige 57 Prozent.
Diese Entwicklung überrascht – und zwar nicht zuletzt aus einem geopolitischen Grund: Zwar sprudelt das Öl aus kasachischem Boden, der Transport eines Großteils davon läuft dann aber über eine Pipeline auf russischem Territorium. Wie beim Erdgas, bei dem sich Österreich gerade mühsam aus der Abhängigkeit von Moskau zu lösen versucht, verdient der Kreml daran riesige Summen. Diese nutzt er unter anderem, um gegen die Ukraine Krieg zu führen. Und wie beim Gas besteht zumindest das Risiko, dass der russische Machthaber Wladimir Putin auch das Öl als politisches Druckmittel gegen den Westen einsetzen könnte. Und dennoch wird hierzulande mehr und mehr davon eingekauft.
Projekt „Caspian Cabals“
profil ist Teil einer internationalen Investigativ-Kooperation, die verschiedenen problematischen Aspekten des sprudelnden kasachischen Öl-Business auf den Grund gegangen ist – von Umweltzerstörung über Korruption bis hin zur fragwürdigen Rolle Russlands. Unter Führung des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) haben mehr als zwanzig Partnermedien über viele Monate hinweg zehntausende Seiten an vertraulichen E-Mails, Unternehmenspräsentationen und Gerichtsdokumenten ausgewertet, hunderte Gespräche mit Insidern und anderen Personen geführt, aber auch in öffentlichen Quellen nachgeforscht. So wie dies profil etwa in den österreichischen Import-Daten getan hat.
Die Recherchen unter dem Projektnamen „Caspian Cabals“ (zu Deutsch: Kaspische Kabalen – also Intrigen oder Ränke) legen ein Muster aus problematischen Deals offen. Ein Muster, das unter anderem illustriert, wie einige große westliche Öl-Konzerne Bestechungsrisiken und Interessenskonflikte ignoriert haben. Und wie ihr Geld letztlich mithalf, anti-demokratische Eliten in Kasachstan zu bereichern und das Putin-Regime zu unterstützen.
Das Öl-Paradoxon
„Russland ist kein Partner“, schrieb die grüne Energieministerin Leonore Gewessler vor wenigen Tage auf der Plattform „X“ (vormals Twitter). Damals ging es um den unmittelbar bevorstehenden russischen Gas-Lieferstopp an den österreichischen Energiekonzern OMV. „Mit dem morgigen Tag endet aber auch eine Gefahr“, betonte die Ministerin: „Wenn wir keine russischen Lieferungen mehr beziehen, sind wir nicht mehr erpressbar. Unsere Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Wir werden sie weiter schützen.“
Österreich hat in den vergangenen Jahren mannigfaltige Erfahrungen mit der Abhängigkeit von russischem Erdgas gemacht. Wie ist es vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, dass Öl-Importe, die ebenfalls über die russische Einflusssphäre laufen, nicht nur nicht reduziert, sondern sogar noch erhöht werden?
Um das Problem zu erfassen, hilft ein kurzer Blick auf die Landkarte: Die wichtigsten Ölfelder Kasachstans liegen im Westen des riesigen Landes, nahe dem Kaspischen Meer. Dieses ist allerdings ein Binnengewässer. Um Öl auf Tankern in Richtung Europa zu verschiffen, muss man es ein gutes Stück weiter zum Schwarzen Meer befördern. Und der mit Abstand wichtigste Weg dahin verläuft über russisches Territorium.
Zunächst wird das Öl durch eine mächtige, 1510 Kilometer lange Pipeline gepumpt. Betreiber ist das 1992 gegründete „Caspian Pipeline Consortium“ (CPC). Mit Abstand größter Teilhaber des Konsortiums ist Russland, das ursprünglich 24 Prozent der Anteile hielt und im Jahr 2008 weitere sieben Prozent vom Gründungspartner Oman erwarb. Gemanagt werden die Anteile vom staatlichen Pipeline-Konzern Transneft. Weitere 19 Prozent hält die staatliche kasachische Energiegesellschaft KazMunayGas. Zu den privatwirtschaftlichen Partnern zählen die westlichen Öl-Riesen Shell, Exxon, Chevron, BP und ENI. Wie die Recherchen zum Projekt „Caspian Cabals“ zeigen, hat es Russland geschickt verstanden, seinen faktischen Einfluss auf das Konsortium mit der Zeit auszubauen.
Das Ende der CPC-Pipeline findet sich im russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Dort wird das Öl auf Tanker verladen. Ein Teil davon gelangt per Schiff nach Triest und von dort über die „Transalpine Pipeline“ (TAL) nach Österreich und Deutschland. Abnehmer hierzulande ist die OMV, die das Öl in der Raffinerie Schwechat weiterverarbeitet.
Das Moskau-Risiko
Nun hat der Kreml gleich mehrere potenzielle Hebel in der Hand, um Interventionen zu setzen: einerseits durch seine bestimmende Rolle im CPC-Konsortium, andererseits durch staatliche Behörden und Gerichte. Schließlich kann bei einem Transport über russisches Territorium und einer Verladung in einem russischen Hafen viel passieren.
Als im Juli 2022 – just wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine – ein Gericht beschloss, das Öl-Terminal müsse für dreißig Tage seinen Betrieb einstellen, läuteten im Westen alle Alarmglocken. Behauptet wurde, CPC habe keinen ausreichenden Notfallplan für die Beseitigung eventueller Ölunfälle. Da der Kreml bekanntlich nicht davor zurückschreckt, die Justiz als Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen zu benutzen, gab es jedoch durchaus Zweifel an der offiziellen Darstellung. Es roch zu sehr nach einer Drohgebärde Moskaus gegen den Westen, der gerade dabei war, immer neue Sanktionen gegen die Kriegstreiber im Kreml auf den Weg zu bringen.
Warnungen von Experten wurden laut. Das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ (WIIW) attestierte bereits damals Österreich eine „hohe Verwundbarkeit durch russisches Gas und Öl aus Kasachstan“ und schrieb: „Heikel ist auch die hohe Abhängigkeit von Erdöllieferungen aus Kasachstan. Rund 40% und damit der Löwenanteil der österreichischen Ölimporte stammen aus dem zentralasiatischen Land. Das kasachische Öl wird über russisches Territorium transportiert. Russland könnte diese Lieferungen jederzeit blockieren.“
Ins selbe Horn stieß das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO: „Für Österreich ist Kasachstan das wichtigste Herkunftsland von Rohöl. Im Falle von russischen Gegenmaßnahmen sind EU-Ölimporte aus anderen GUS-Ländern gefährdet.“ Diese Importe könnten zwar durch eine Ausweitung von Lieferungen aus anderen Ländern kompensiert werden – jedoch „zu deutlich höheren Preisen“.
„Möglichkeit für Gegensanktionen“
Ungeachtet dessen ist der Anteil kasachischen Rohöls an den österreichischen Öl-Importen seither noch deutlich gestiegen: von damals rund 40 Prozent auf mittlerweile – den vorläufigen Zahlen der Statistik Austria zufolge – deutlich mehr als 50 Prozent. Und die Lieferunterbrechung im Juli 2022 war kein Einzelfall. ICIJ-Recherchen zufolge ist es seit Beginn des Ukraine-Kriegs zu mindestens zwanzig Betriebsstörungen oder Stopps im Rahmen der Verschiffung gekommen. Eindeutige Belege dafür, dass diese einen politischen Hintergrund haben könnten, gibt es nicht. Doch das Risiko besteht jedenfalls.
WIFO-Ökonom und -Inflationsexperte Josef Baumgartner meint auf profil-Anfrage, einen Preiseffekt habe man aus diesen Unterbrechungen nicht feststellen können, da „sich auch der Rohölpreis aus Kasachstan am Weltmarkt orientiert und die Lieferunterbrechungen, die nicht lange andauerten, durch die heimischen Lager ausgeglichen werden konnten“. Kasachstan sei aber immer noch der wichtigste Lieferant für Rohöl nach Österreich und habe seinen Anteil zuletzt sogar noch ausgebaut.
Könnte Russland aus politischen Gründen den Transit stoppen? „Dieses Risiko besteht weiterhin“, konstatiert Baumgartner: „Der Transit läuft letztlich über die CPC-Pipeline auf russischem Staatsgebiet zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk, und Russland hat damit eine direkte Kontrolle. Würde Russland beschließen, den Rohöl-Transit nicht mehr zuzulassen, könnte es den Transportweg oder die Verladung unterbinden. Wenn zum Beispiel EU-Sanktionen verschärft werden, wäre das eine Möglichkeit für russische Gegensanktionen.“
WIFO-Experte Baumgartner erklärt, dass es „nur über diese Pipeline“ möglich sei, „größere Mengen Öl aus Kasachstan zu transportieren“. Über eine alternative Route via Kaspisches Meer und Aserbaidschan würde etwas mehr als zehn Prozent der kasachischen Ölexporte laufen. „Dieser Lieferweg wird ausgebaut, weil Kasachstan Russland nicht derart ausgeliefert sein will, aber das braucht Zeit. Das mittelfristige Ziel ist, etwa ein Drittel der Ölexporte über diese Route abwickeln zu können.“
„Das Risiko bleibt“
Auch WIIW-Expertin Alexandra Bykova sieht weiterhin eine gewisse Gefahr, dass Russland den Rohöl-Transit durch die CPC-Pipeline aus politischen Gründen unterbrechen könnte: Die Lage habe sich seit 2022 „ein bisschen entschärft“, meint Bykova zu profil. Die politischen Beziehungen zwischen Russland und Kasachstan hätten sich verbessert. Russland brauche Kasachstan als Verbündeten für eine geplante Steigerung russischer Gas-Exporte nach Zentralasien und China: „Aber das Risiko bleibt, weil weiterhin 80 Prozent aller kasachischen Öl-Exporte durch diese Pipeline gehen.“
Als im Juli 2022 die CPC-Sperre drohte, befand sich Österreich gerade in einer – auf paradoxe Weise – günstigen Position: Wegen eines langwierigen Gebrechens in der OMV-Raffinerie Schwechat konnte über Monate hinweg ohnehin nur eine sehr geringe Menge an Rohöl verarbeitet werden. Das zeigt sich auch in einem deutlichen Knick in der Importstatistik. Mittlerweile sprudelt das Öl jedoch wieder reichlich. Und der Anteil aus Kasachstan liegt – trotz der bestehenden Bedenken – sogar noch höher als vorher.
„Weitere Erpressungsversuche zu erwarten“
profil und die „Caspian Cabals“-Recherchepartner „Paper Trail Media“, „Der Spiegel“, ZDF und „Der Standard“ fragten im Klimaschutz- und Energieministerium von Leonore Gewessler nach. Dort findet man einerseits scharfe Worte in Richtung Moskau: „Dass Russland kein verlässlicher Partner ist, muss über 1000 Tage nach Beginn des brutalen Krieges gegen die Ukraine uns allen klar sein. Russland hat in der Vergangenheit immer wieder Energielieferungen gezielt eingesetzt, um die Inflation in Europa zu treiben und größtmöglichen Schaden aus der Energieabhängigkeit anzurichten. Dieses Risiko bleibt so lange aufrecht, solange es eine Lieferabhängigkeit von Russland gibt. Deswegen sind auch weitere Erpressungsversuche von Russland nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar zu erwarten.“
Gleichzeitig ist man jedoch um Beruhigung bemüht: „Sowohl Infrastruktur als auch Verfügbarkeit am Weltmarkt sorgen allerdings im Öl-Bereich für deutlich geringeres Erpressungspotenzial“, heißt es aus dem Ministerium. Die benötigten Mengen könnten „am Weltmarkt viel leichter substituiert werden.“ Die Verantwortung für die Lieferanten-Auswahl schiebt man im Gewessler-Ressort elegant in Richtung OMV: Der Import von Rohöl und auch Erdölprodukten nach Österreich werde „nicht von staatlichen Akteuren, sondern durch die einzelnen privatwirtschaftlichen Akteure vorgenommen“. Der Verwaltung der staatlichen Beteiligung an der OMV – die Republik hält 31,5 Prozent – obliege nicht dem Klimaschutzministerium.
OMV: Kasachstan „zuverlässiger Energielieferant“
Was sagt also die OMV dazu? Dort betont man auf Anfrage im Wesentlichen, dass Kasachstan „nicht nur für unser Land ein zuverlässiger Energielieferant“ sei, „sondern für die gesamte Europäische Union“. Man kaufe kein Öl direkt vom kasachischen Staat, sondern von diversen Öl-Konzernen.
Sollte das Öl aus Kasachstan tatsächlich so leicht ersetzbar sein, wie das Klimaschutz- und Energieministerium von Leonore Gewessler behauptet, stellt sich umso mehr die Frage, weshalb man den Anteil nicht spätestens nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zurückgefahren hat. ICIJ-Recherchen zufolge flossen seit Kriegsbeginn aus dem CPC-Konsortium Dividenden von umgerechnet zumindest 816 Millionen US-Dollar an die beteiligten russischen Staatsunternehmen Transneft und Rosneft. Darüber hinaus zahlte CPC alleine im Jahr 2022 Steuern und Abgaben im Ausmaß von rund 320 Millionen Dollar an russische Behörden. Und fest steht: In einem zunehmend auf Kriegswirtschaft getrimmten Land, kommen staatliche Einnahme letztlich in irgendeiner Form dem Krieg zugute.
Nicht ohne Grund hat die EU bereits 2022 ein Öl-Embargo gegen Russland verhängt. Das kasachische Öl, das über russisches Territorium transportiert wird, ist davon allerdings ausgenommen. Wie die Import-Daten der „Statistik Austria“ zeigen, lag der Anteil russischer Öl-Lieferungen nach Österreich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten deutlich hinter dem aus Kasachstan. In einzelnen Jahren konnten dennoch spürbare Mengen zustandekommen.
Doch Öl auch aus Russland?
Als Ende Mai 2022 bei einem EU-Gipfel in Brüssel das Öl-Embargo gegen Russland beschlossen wurde, strich ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer heraus, dass Österreich schon in den Monaten davor kein russisches Erdöl mehr importiert habe. Nun weisen die im Rahmen des Projekts „Caspian Cabals“ ausgewerteten Import-Daten der „Statistik Austria“ für die Monate Februar bis April 2022 tatsächlich keine Rohöl-Importe aus Russland aus. Ausgerechnet für jenen Monat – Mai 2022 –, in dem Nehammer die zitierte Behauptung aufstellte, finden sich in der Statistik jedoch Öl-Importe aus der russischen Föderation im Ausmaß von immerhin 54.751 Tonnen. Im Juni 2022 waren es weitere 169 Tonnen und im Oktober 2023 abermals 9.257 Tonnen.
Wurde der Öffentlichkeit fälschlicherweise vorgespiegelt, dass die Zeit der Rohöl-Importe aus Russland längst vorbei wäre, obwohl das gar nicht zutraf? Das Bundeskanzleramt ließ eine Anfrage bis Redaktionsschluss gänzlich unbeantwortet. Aus dem Energieministerium hieß es dazu: „Gemäß der nach Erdölstatistik-Verordnung 2011 erhobenen Daten sind nur im Jänner 2022 Rohöl-Importe aus Russland und Gasöl-Feedstocks-Importe bis März 2022 aus Russland ersichtlich, in allen anderen Monaten nicht.“
Was stimmt nun? profil fragte bei der „Statistik Austria“ nach. Dort erklärte man, keinen Einblick in die Methodik allfälliger anderer Statistiken zu haben. In Bezug auf die eigenen Daten hieß es zwar, dass man aus diesen nicht zwingend schließen könne, dass das Öl in den genannten drei Monaten von Russland nach Österreich geflossen sei. Das Öl könnte nämlich auch schon lange vorher von Russland in ein sogenanntes Zolllager geflossen sein. In diesem Fall hätte Österreich das Öl, das ursprünglich aus Russland stammte, in den betreffenden Monaten aus dem Zollager jedoch offiziell angenommen. Als Import-Zeitpunkt gelte in der Statistik dann der Zeitpunkt der Entnahme des Öls aus dem Zollager durch Österreich.
Abseits statistischer Spitzfindigkeiten hieße auch diese Variante freilich immer noch, dass Österreich auf russisches Öl zugegriffen hat – obwohl man gleichzeitig so getan hat, als bräuchte man dieses schon längst nicht mehr.
Die Kasachstan-Connection
Doch zurück nach Kasachstan: Selbst wenn der Transport des schwarzen Golds aus dem zentralasiatischen Land nicht hunderte Millionen Dollar in die Taschen des russischen Staaten spülen würde, stellt sich die Frage, weshalb Österreich derart stark auf die Ressourcen dieses Landes setzt. Seit Langem ist klar, dass Kasachstan weit davon entfernt ist, eine echte Demokratie zu sein. Einnahmen aus dem Rohstoffabbau kamen nicht zuletzt auch einer autokratischen Elite zugute.
Fest steht, dass Österreich eine besonders aufsehenerregende gemeinsame Vergangenheit mit Kasachstan hat. Höhepunkt war mit Sicherheit die jahrelange Affäre um Rakhat Aliyev, den Ex-Schwiegersohn des langjährigen kasachischen Machthabers Nursultan Nasarbajew. Aliyev war wegen Mordverdachts angeklagt. Er hat die Vorwürfe immer bestritten und verstarb letztlich im Februar 2015 unter viel diskutierten Umständen in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Josefstadt.
Doch damit nicht genug: Die Kasachstan-Connection von Ex-SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sorgte ebenfalls wiederholt für Schlagzeilen. Gusenbauer beriet vor Jahren gemeinsam mit anderen ehemaligen europäischen Spitzenpolitikern Nasarbajew, wofür hohe Honorare geflossen sein sollen. Der Ex-Kanzler behauptete, er helfe Kasachstan bei der Einführung von Demokratie – offenbar ein nicht allzu erfolgreiches Unterfangen.
Der Öl-Prinz
Der Rohstoff-Hunger des Westens brachte einer kleinen kasachischen Elite jedenfalls enormen Wohlstand. Im Zentrum der ICIJ-Recherchen steht nicht Aliyev, sondern ein anderer Schwiegersohn Nasarbajews: Timur Kulibayev – von manchen als „Öl-Prinz“ bezeichnet.
Kulibayev saß in den Führungsetagen mehrerer Staatsunternehmen aus dem Rohstoff-Sektor. Heute umfasst das Imperium des 58-Jährigen mehr als 220 Firmen und Trusts in 22 Ländern. Er und seine Frau führen laut „Forbes“ mit einem gemeinsamen Vermögen von zehn Milliarden US-Dollar die Liste der reichsten Kasachen an. Kulibayev und seine Familie ließen riesige Summen in Immobilien, Kunstwerke und Privatjets fließen. Sein kometenhafter Aufstieg wird im Projekt „Caspian Cabals“ eingehend beleuchtet.
Die OMV, die Karibik und die Steppe
Wenn die OMV angibt, kein Öl direkt vom kasachischen Staat zu kaufen, sondern von anderen Energiekonzernen, mag das stimmen. Es heißt jedoch nicht, dass der teilstaatliche österreichische Öl- und Gaskonzern niemals selbst einen Fuß in die Steppe Kasachstans gesetzt hätte. Ganz im Gegenteil: Der OMV-Konzern förderte viele Jahre lang eigenes Öl in dem zentralasiatischen Land. Und dabei kam man offenbar auch in Kontakt mit einem Mann, dessen politische Connections durchaus für Schlagzeilen sorgten. Dies ergaben profil-Recherchen in den „Panama Papers“ von ICIJ und „Süddeutscher Zeitung“.
Bei den „Panama Papers“ handelt es sich um ein riesiges Datenleak aus der Welt der Offshore-Firmen. Und tatsächlich laufen einige interessante Fäden in Bezug auf das frühere Kasachstan-Business der OMV in der Karibik zusammen – in Road Town, Tortola auf den British Virgin Islands (BVI). Dort war nämlich eine Briefkastenfirma namens „Tasbulat Oil Corporation“ registriert – mehr als 10.000 Kilometer Luftlinie vom eigentlichen Ort des Geschehens entfernt.
Die „Tasbulat“ auf den BVI war Eigentümerin einer „Tasbulat Oil Corporation LLP“ aus Kasachastan – und diese wiederum hielt Lizenzen an drei kasachischen Ölfelder. Der rumänische Energiekonzern Petrom kaufte „Tasbulat“ im Jahr 1999, wurde 2004 jedoch selbst mehrheitlich von der österreichischen OMV übernommen. Ab da gehörten die Felder in Kasachstan zum OMV-Konzern – und zwar bis 2021, als man sich aus dem zentralasiatischen Land zurückzog. Die BVI-Eigentümerstruktur war bis 2017 aufrecht, danach wurden die Anteile an der kasachischen „Tasbulat“-Firma von OMV-Petrom ohne Zwischenfirma in der Karibik gehalten.
Bill Clinton und ein Spender
Wie profil-Recherchen in den „Panama Papers“ zeigen, war auch nach der Übernahme durch die OMV weiterhin ein russisch-britischer Geschäftsmann in dem Firmenkonstrukt involviert, dessen politisches Netzwerk seinesgleichen suchen soll: Sergey Kurzin. Dieser war von September 1999 bis immerhin April 2006 als einer der Geschäftsführer („Directors“) der Firma „Tasbulat“ auf den BVI eingetragen.
Etwas später – im Jahr 2008 – deckte die „New York Times“ eine durchaus pikante Angelegenheit rund um Ex-US-Präsident Bill Clinton auf, bei der Kurzin eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt haben soll. Demnach war es im Jahr 2005 einem kanadischen Bergbau-Investor mir-nichts-dir-nichts gelungen, einen heiß begehrten Uran-Deal in Kasachstan abzuschließen. Der Investor soll dazu gemeinsam mit Clinton nach Kasachstan geflogen und dort auf einem Bankett mit Präsident Nasarbajew aufgetaucht sein. Laut „New York Times“ sagte Clinton Nasarbajew enthusiastisch Unterstützung für dessen Ansinnen zu, dass Kasachstan auch einmal den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen könnte. Die OSZE kümmert sich um Demokratisierung. Für das autoritär geführte Kasachstan war der angestrebte – und später tatsächlich erreichte – OSZE-Vorsitz ein Propaganda-Coup sonder gleichen.
Kurz nach dem Bankett soll der von Clinton begleitete Investor mit der kasachischen Uran-Agentur erste Vorverträge abgeschlossen haben. Nachdem der Deal in trockenen Tüchern war, erhielt Clintons gemeinnützige Stiftung vom Investor 31,3 Millionen US-Dollar als Spende. Und ausgerechnet im Rahmen dieses Uran-Deals soll laut „New York Times“ auch Sergey Kurzin geholfen haben, die richtigen Fäden zu ziehen – wegen seiner guten Connections in Kasachstan. Kurzin selbst gab einige Zeit später dem Magazin „Forbes“ ein Interview, in dem es um seine genaue Rolle ging.
10 Millionen Dollar und ein Fragezeichen
Eine profil-Anfrage an Kurzin zu seiner Rolle bei der OMV-Firma „Tasbulat“ blieb unbeantwortet. Recherchen zeigen, dass Kurzin jedenfalls ganz von Beginn an in das Öl-Projekt involviert gewesen sein dürfte – noch bevor dieses 1999 von Petrom übernommen wurde. Kurzin war damals Vize-Präsident einer Firma namens „KazMinCo“, die später in „Orsu Metals“ umbenannt wurde. Diese Firma brachte offenbar das „Tasbulat“-Projekt maßgeblich auf den Weg, bevor sie es an Petrom veräußerte.
Einige Fragen ergeben sich aus der dahinter liegenden Firmen-Konstruktion: Ursprüngliche Eigentümerin der „Tasbulat“ auf den BVI war eine Firma namens „Lisburne“. „Orsu Metals“ hielt 55 Prozent an „Lisburn“, die restlichen 45 Prozent entfielen auf Minderheitsaktionäre. An dieses Konstrukt flossen von 1999 bis 2011 zumindest 9,7 Millionen Dollar: rund sechs Millionen aus dem Kaufpreis, weitere 1,3 Millionen an Lizenzgebühren und 2,4 Millionen aus einer Beendigungsvereinbarung in Bezug auf die vereinbarten Lizenzzahlungen.
profil wollte von der OMV wissen, wer die tatsächlichen wirtschaftlichen Berechtigten hinter dem schwer zu durchblickenden Konstrukt waren, in das über die Jahre Millionen aus dem OMV-Konzern flossen – konkret zumindest 5,9 Millionen Euro nach Übernahme der Petrom-Mehrheit durch die OMV im Jahr 2004. Der Energiekonzern ließ die Frage unbeantwortet. Nur so viel: Aus dem BVI-Konstrukt habe die OMV keinen steuerlichen Vorteil gehabt, da alle Steuern und Gebühren in Kasachstan gemäß den örtlichen Steuervorschriften geleistet worden seien.
Laut OMV- Geschäftsbericht beliefen sich diese Steuern alleine 2020 auf rund 4,1 Millionen Euro. Dazu kamen rund sieben Millionen Euro aus einem weiteren Kasachstan-Projekt, das ebenfalls 2021 veräußert wurde. Der autokratisch geführte Staat konnte sich also in nur einem Jahr über gut elf Millionen Euro von der teilstaatlichen österreichischen OMV freuen. Kleingeld im Vergleich zu den russischen Einnahmen aus der CPC-Pipeline oder zum Privatvermögen von „Öl-Prinz“ Kulimbayev. Aber Kleingeld aus vielen Quellen und über einen langen Zeitraum hinweg fällt irgendwann auch ins Gewicht – und in die eine oder andere Kassa.
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).