NS-Funde, „unterwanderte“ Corona-Demos, Waffen, undurchsichtige Geldströme, Vertuschungsversuche und Steiermarks FPÖ-Chef Mario Kunasek. Akten aus der Grazer FPÖ-Affäre bergen Sprengstoff für die Bundespartei.
Die FPÖ zeigte sich schon im Siegestaumel. Beim (leicht verspäteten) blauen Neujahrstreffen in Premstätten bei Graz wurden vergangenen Samstag „Volkskanzler“-Buttons verteilt, die „nahe Erlösung“ vom „Swingerclub der Machtlüsternen“ zelebriert und auf herbeigesehnte FPÖ-Triumphe angestoßen. „Das Schicksalsjahr hat begonnen“, donnerte Parteichef Herbert Kickl in die Schwarzlhalle und setzte die politische Konkurrenz von Bundeskanzler Karl Nehammer abwärts auf „Fahndungslisten“. Kickl strotzte vor Selbstbewusstsein: Er sprach von sich als kommendem Kanzler und von Steiermarks Landes-FPÖ-Chef Mario Kunasek als kommendem Landeshauptmann und „echtem Landesvater“ – ganz so, als ob die FPÖ im Superwahljahr 2024 nichts mehr stoppen könnte.
Herbert Kickl und Mario Kunasek freuten sich in Graz schon auf die blaue Machtergreifung. Dabei birgt gerade die steirische Landeshauptstadt eine der größten Gefahren für die FPÖ.
So wortgewaltig Kickl sonst derzeit ist – über ein Thema spricht er gar nicht gern: den Finanzskandal, der sich von der FPÖ Graz auf die FPÖ Steiermark ausweitet. Kickl versuchte im „ZIB 2“-Interview die Affäre kleinzureden: „Die Vorwürfe gehen ins Leere“, sagte er – und: Ermittelt werde gegen Kunasek nur wegen eines „anonymen Käsezettels“.
Von Eva Linsinger,
Stefan Melichar,
Max Miller und
Anna Thalhammer
Tatsächlich ist der Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft, der profil vorliegt, mittlerweile auf Tausende Seiten angewachsen. Die Vorwürfe wiegen schwer: Verdacht der Untreue, des Fördermissbrauchs und der Veruntreuung. Hunderttausende Euro an Steuergeldern, konkret Klubgelder, sollen über die Jahre veruntreut und für private Zwecke missbraucht worden sein. Mehrere (Ex-)FPÖ-Politiker werden als Beschuldigte geführt – von FPÖ-Landesparteiobmann Mario Kunasek abwärts, der bei der steirischen Landtagswahl als blauer Spitzenkandidat antritt. Ein hoher Ex-Funktionär der Grazer Freiheitlichen hat Selbstanzeige erstattet. Alle anderen bestreiten sämtliche Vorwürfe. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.
Mehr als brisant für die FPÖ, die sich selbst bevorzugt als „Sauberkeits“-Partei inszeniert – aber mitunter wie im Selbstbedienungsladen agiert. Und doppelte Standards pflegt: Wenn die Staatsanwaltschaft gegen Spitzenpolitiker anderer Parteien ermittelt, fordert die FPÖ prompt Rücktritte. „Politische Moral“ sei gefragt, wetterte Kickl etwa im Februar 2021 gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), der damals von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt wurde, und forderte Blümels Rücktritt. Blümel trat im Dezember 2021 zurück.
Für Kunasek und Co. scheinen andere Maßstäbe zu gelten. Wohlgemerkt: Kickl ist seit Langem in die Affäre involviert. Er schloss die Grazer FPÖ-Stadträtin Claudia Schönbacher, die sich auf die Seite der „Aufdecker“ gestellt hatte, höchstpersönlich aus der Partei aus. Der Bundesparteivorstand sei damit einem „einstimmigen Vorschlag der FPÖ Steiermark gefolgt“, heißt es auf profil-Anfrage.
Außerdem seien Ermittlungen „Sache der unabhängigen Justiz – und nicht Sache von Parteien oder Medien“. Auch diese betonte Zurückhaltung zelebriert die FPÖ eher nur, wenn es um Verfahren im Umfeld der FPÖ geht. Dass Kickl daran gelegen ist, den Skandal möglichst einzufangen, liegt freilich auf der Hand.
Wir werden das vorhandene Potential unterwandern und mitmachen und uns einklinken.
Der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek
wollte die Corona-Demonstrationen im Winter 2021 politisch „unterwandern“
Abgesehen von strafrechtlichen Ermittlungen ist der Ermittlungsakt vor allem ein Schlüsselloch in die sonst strikt abgeschirmte Welt der FPÖ: Bei Hausdurchsuchungen wurden Berge an NS-Material gefunden. Protokolle des Landesparteivorstands zeigen, wie ungeniert die FPÖ das Corona-Thema nutzte: Am 3. Dezember 2021 berichtete Kunasek im Landesparteivorstand über den in der Bundes-FPÖ vereinbarten Umgang mit Corona-Demos. 60 Prozent der Demonstranten seien weiblich, 60 Prozent hätten Matura. „Deshalb wollen wir uns von den Demonstrationen nicht abwenden, sonst kommen andere Gruppierungen und nehmen uns ein etwaiges Wählerpotential weg“, wird Kunasek im Protokoll zitiert. Und: „Wir werden das vorhandene Potential unterwandern und mitmachen und uns einklinken.“ Obwohl man in Zusammenhang mit den Demonstrationen „natürlich ein gewisses Gefahrenpotential“ ortete, überwogen offenbar die parteitaktischen Gründe. Dass all das nun publik wird, birgt gehörigen Sprengstoff für das Superwahljahr.
Der Anfang der Misere: ein USB-Stick
Oktober 2021. Thomas R. schaut gerade nach, ob er Post bekommen hat, und wundert sich. Der Mann, der seit Jahren verschiedene Funktionen in der FPÖ Graz und der FPÖ Steiermark bekleidet, findet im Briefkasten einen USB-Stick, wie er später als Zeuge unter Wahrheitspflicht zu Protokoll geben wird: „Wer diesen in meinen Briefkasten warf, und warum die Person dies tat, wusste ich nicht. (…) Jedenfalls fand ich auf diesem Stick glaub ich vier Excel-Listen. Auf den Listen waren Datum, Verwendungszweck und Beträge angeführt.“ Zunächst habe er die Listen nicht zuordnen können, erzählt R. den Ermittlern.
Alles begann mit einem anonym abgelieferten Päckchen, in dem sich ein USB-Stick mit Excel-Listen befand.
Doch wenige Tage später sei ein Artikel in der „Kleinen Zeitung“ über die Finanzgebarung der Grazer FPÖ erschienen. Da habe er gewusst, „um welche Listen es sich handeln musste, nämlich um Klub- und/oder Parteifinanzen“, sagte R. aus. Er habe Angst bekommen, in seiner Funktion als Rechnungsprüfer der FPÖ Graz „in diese ganze Angelegenheit mithineingezogen“ zu werden und am 29. Oktober 2021 mehrere Verantwortliche der Stadt- und der Landespartei über seine „Bedenken bei der Rechnungsprüfung“ informiert – darunter Landesparteiobmann Mario Kunasek und Stadt-Parteichef Mario Eustacchio. Von da an brennt auf höchster Ebene der Hut.
Kunasek, Eustacchio und Co: Die Hauptdarsteller
Der Landeschef: Mario Kunasek
Mario Kunasek ist ein blaues Urgestein und Kickls großer Hoffnungsträger in der Steiermark. Von 2008 bis 2015 saß Kunasek im Nationalrat, danach wechselte er als Klubobmann in den steirischen Landtag. Ende 2017 avancierte Kunasek zum Verteidigungsminister der türkis-blauen Bundesregierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache – eine Position, die er bis zum Ibiza-bedingten Abgang der FPÖ-Regierungsriege im Mai 2019 innehatte. Nunmehr konzentriert sich der gebürtige Grazer als Landesparteichef – und erneut als Klubobmann – auf sein Heimatbundesland, wo die FPÖ ordentlich durchstarten will und Chancen hat, die Nummer eins bei den diesjährigen Landtagswahlen zu werden. Und dann das.
Der Geständige: Matthias Eder
Auch durch den Rechnungsprüfer mit den mysteriösen Zahlungslisten alarmiert, muss Kunasek im Oktober 2021 rasch einen Umgang mit dem heraufdräuenden Skandal finden. Wenige Tage später kommt es zu einer bemerkenswerten Sitzung der Landespartei – dazu später mehr. Und nochmals drei Tage später platzt die Bombe: Matthias Eder, lange Jahre Klubsekretär des Grazer FPÖ-Gemeinderatsklubs, später Finanzreferent der FPÖ Graz, bringt über einen Anwalt eine Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft ein: Er gesteht, Klubgelder zweckwidrig verwendet zu haben, und zahlt umgehend 710.000 Euro zur Schadenswiedergutmachung an die Justiz. Damit hofft er, dass ihm „tätige Reue“ zuerkannt wird. Politisch entscheidend ist der letzte Satz der Selbstanzeige: „Ich möchte betonen, dass ich die obigen Taten alleine begangen habe, es hat mich dabei niemand unterstützt.“
Ein bekennender Einzeltäter aus der mittleren Parteiebene, der alle Schuld auf sich nimmt: wohl die günstigste Variante für Kunasek in der insgesamt unangenehmen Angelegenheit. Als Motiv führt Eder Kaufsucht und sonstige Großzügigkeit ins Treffen. Er habe sich gerne als Gönner gesehen, teure Geschenke gemacht und Menschen in seinem Umfeld mit Geld ausgeholfen. Auch daraus wäre also zunächst kein Auswachsen des politischen Skandals zu befürchten gewesen.
Mit wem Eder in den Tagen vor seiner Selbstanzeige in Kontakt stand, ließ sich dummerweise nicht mehr herausfinden. Sein Diensthandy gilt als verschollen. Ein paar Tage nach der Selbstanzeige endete Eders Arbeit als Bediensteter bei der Stadt Graz: „Ich habe irgendwann kurz vorher bzw. um diese Tage herum das Smartphone verloren, wobei ich das nicht mehr genau rekonstruieren kann“, sagte Eder später aus. Das habe aber nichts mit der „gegenständlichen Strafsache“ zu tun gehabt, es sei nur zufällig zeitlich zusammengetroffen. Mysteriöserweise gelang es der Stadt Graz nicht, das Telefon über eine darauf installierte App zu lokalisieren, wie den Ermittlern mitgeteilt wurde. Laut Rückmeldung der IT „deute alles darauf hin“, dass die App „am Handy gelöscht“ worden sei. Eder wiederum sagte aus, sich nicht erinnern zu können, eine App gelöscht zu haben.
Doch nur allzu bald sollte sich herausstellen, dass die Angelegenheit für Kunasek dennoch nicht gegessen war. Mittlerweile gilt er als Beschuldigter. Ein Aktenvermerk, über den „Der Standard“ zuerst berichtete und der profil vorliegt, zeigt, dass die Kriminalpolizei 2023 sogar die Landespartei durchsuchen wollte. In einer Dienstbesprechung zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei habe man sich allerdings dagegen entschieden, wie es aus der Staatsanwaltschaft Klagenfurt heißt. Die mögliche Razzia scheint vom Tisch, die Causa nicht – und das liegt nicht zuletzt an einem jungen blauen Mandatar aus Graz, der seit November 2021 für Kunasek zum unangenehmen Gegenspieler wurde.
Der Gegenspieler: Alexis Pascuttini
Alexis Pascuttini ist seit 2016 bei der Grazer FPÖ aktiv – damals als Bezirksparteiobmann. Der heute 27-Jährige übernahm nach dem Auffliegen des Finanzskandals im November 2021 die Führung des Gemeinderatsklubs. Also solcher ließ er zunächst einen Mandatar aus dem Klub werfen, der seine Rolle heruntergespielt haben soll. Das brachte Pascuttini zwar den Parteiausschluss durch Kunaseks Landespartei ein, was ihn aber nicht aufhalten konnte.
Der Klub benannte sich um, erstattete selbst mehrere Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft und legte auch ein eigenes Gutachten vor. Den vorläufigen Schaden aus den mutmaßlichen Malversationen bezifferte man mit 1,8 Millionen Euro. Und Pascuttini rüttelt kräftig an der Einzeltätertheorie: „Für mich ist es nicht glaubwürdig, dass nur eine Einzelperson betrügerisch tätig gewesen ist, zumal auf den relevanten Konten das Vieraugenprinzip vorherrschte“, sagte er als Zeuge aus.
Der Gefallene: Mario Eustacchio
Es dauerte nicht lange, und das Ermittlungsverfahren dehnte sich auf weitere FPÖ-Parteigänger aus – nicht zuletzt auf den früheren Stadtparteichef Mario Eustacchio, der wenige Tage vor Eders Selbstanzeige den Hut genommen hatte. Gegen Eustacchio besteht unter anderem der Verdacht, er habe sich zu Unrecht den Großteil der sogenannten Parteisteuer, die jeder Funktionär zahlt, rückerstatten lassen. Der frühere Grazer FPÖ-Obmann wollte auf profil-Anfrage keine Stellungnahme abgeben. Im Ermittlungsverfahren hat er sämtliche Vorwürfe bestritten.
Der Ermittlungsakt zeigt, dass es rund um die Grazer Blauen zu Bargeldtransaktionen in enormer Höhe gekommen sein dürfte. Die Staatsanwaltschaft geht auch der Frage nach, ob Geld ohne entsprechende Gremienbeschlüsse an Vereine und Burschenschaften im Umfeld von Parteifunktionären geflossen ist – und vielleicht sogar teilweise wieder an die Funktionäre rückbezahlt wurde. Kickbackzahlungen, also.
Freundliche Ostergrüße waren noch das geringste Problem in den Finanzen der FPÖ Graz
Tatsächlich kristallisierte sich bisher zumindest ein Verein heraus. Ein Zeuge verwies darauf, dass die Landespartei von 2005 bis 2010 nicht im Landtag vertreten gewesen sei und somit keine ausreichende Parteienförderung erhalten habe, um die Organisation aufrechtzuerhalten. Die Grazer FPÖ habe hingegen über Mittel verfügt. Die Vermutung: Ein Verein soll als Scharnier zur Geldumverteilung gedient haben. So sollen etwa zwei Personen aus dem Umfeld der Landespartei dort angestellt worden sein.
Kunasek ließ eine profil-Anfrage dazu unbeantwortet.
Die Systematik der blauen Geldflüsse
Da Eder im Rahmen der Selbstanzeige behauptet, verdeckte Entnahmen teilweise mittels erfundener Verwendungszwecke getätigt zu haben, ist beileibe nicht bei allen in der Buchhaltung festgehaltenen Beträgen klar, wer welche Gelder tatsächlich empfangen hat. Doch auch unabhängig von einer möglichen strafrechtlichen Relevanz offenbart die Akte FPÖ-Graz bemerkenswerte Geldbewegungen rund um den Klub und die Stadtpartei. Der Gutachter, den Pascuttini beigezogen hat, stieß zum Beispiel auf eine Buchung über 3000 Euro unter dem Titel „Förderung Forschungsarbeit ‚Rechtsstellung des Bürgermeisters‘“. Zufall oder nicht: Ein hochrangiger Funktionär der Stadt-FPÖ soll eine Masterarbeit mit einem ähnlichen Titel eingereicht haben.
4000 Euro wurden wiederum für die Teilnahme eines Parteifunktionärs an einer Südamerika-Delegationsreise verbucht: Hierfür erschließe sich „die gemeindepolitische Öffentlichkeitsarbeit“ nicht, meint der Sachverständige. Ein früherer blauer Personalvertreter bei der Post, der dann beruflich auf Lebens- und Sozialberater umsattelte, soll über mehrere Jahre hinweg insgesamt mehr als 20.000 Euro für Suchtberatung im Namen der FPÖ erhalten haben. Der Mann sagte als Zeuge aus, mit Eustacchio und Eder in derselben Schülerverbindung gewesen zu sein und mit beiden eine mündliche Vereinbarung über die Suchtberatung geschlossen zu haben.
Der Nationalratsabgeordneter Axel Kassegger kaufte von Parteigeldern seine eigenen Bücher.
Bei der FPÖ Graz dürfte leider nicht für alle Funktionärswünsche Geld da gewesen sein. Ein Zeuge beschwerte sich in einem Schriftsatz an die Ermittler, er habe mit einer FPÖ-Bezirksgruppe im Gemeinderatswahlkampf einen „Hundewandertag“ veranstalten wollen, bei welchem auch ein Spendengutschein an einen Tierschutzverein übergeben werden sollte. Es seien jedoch im Bezirksbudget nur noch 500 bis 600 Euro gewesen, weil der Grazer FPÖ-Nationalratsabgeordnete Axel Kassegger (zuletzt bekannt geworden als Taliban-Besucher) als Bezirksobmann über das Budget Exemplare seines eigenen Buches gekauft habe. Dieses hätte an Wahlständen verteilt werden sollen.
Kassegger ist mittlerweile Grazer Stadt-Parteichef. Eine profil-Anfrage ließ er – mit Verweis auf die Kurzfristigkeit – weitgehend unbeantwortet. Nur so viel: Er habe mit seinem Verlag eine Vereinbarung, in der er auf jegliches Honorar verzichtet habe. Aus einer Veräußerung des Buches „an wen auch immer“ habe er daher keinen finanziellen Vorteil haben können. Eine andere Hundewanderung fand allem Anschein nach sehr wohl statt. Diese findet sich mit 485,98 Euro in einer Kontoübersicht im Akt.
Die Grenzen des Rechts
Rechtlich gesehen ist das mit der zweckmäßigen Verwendung von Mitteln, die aus der Parteienförderung stammen, so seine Sache – wobei die FPÖ offenbar bemüht ist, die Grenzen möglichst weit zu ziehen. So legte die steirische Landes-FPÖ im Ermittlungsverfahren ein Gutachten vor, das der Verfassungsrechtler Heinz Mayer ursprünglich in Zusammenhang mit den Spesen-Vorwürfen gegen Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache erstellt hatte.
Darin finden sich unter anderem folgende beispielhafte Einschätzungen: „Lädt ein politischer Funktionär regelmäßig politische Freunde und Journalisten in seinen Garten, um sich beim Schwimmen in seinem Pool fotografieren zu lassen, so werden die Kosten dieses Pools, aber auch des sonstigen Umfelds der Partei zugerechnet werden können.“ Oder auch: „Private Geschenke werden in der Regel nicht der Partei zurechenbar sein; dies gilt allerdings dann nicht, wenn es sich um Geschenke handelt, die bei öffentlichen Auftritten verwendet werden. So z. B. teure Handtaschen für die Gattin eines Politikers, die regelmäßig an öffentlichen Auftritten teilnimmt.“ Am besten ist es freilich, wenn gar nie eine Debatte aufkommt.
„Verräter in den eigenen Reihen“
Zurück zum Anfang der Affäre. Dieses Mal ins Innerste der Partei, wo guter Wille auf traurige Realität stieß. Laut Protokollen predigte man: Wir müssen uns nach außen transparent zeigen und mit den Behörden zusammenarbeiten. Doch der Blick in den Strafakt zeigt, dass sich die Freiheitlichen am liebsten mit der Jagd auf „Verräter in den eigenen Reihen“ (Zitat!) beschäftigten – und dabei womöglich sogar die Arbeit der Justiz behinderten.
Nach ersten Medienberichten aber vor Eders Selbstanzeige wollte die Landespartei alle Finanzunterlagen der Stadtpartei prüfen lassen, mit mäßigem Erfolg: Nur zu zwei Konten waren Unterlagen auffindbar, eine korrekte Rechnungsprüfung konnte darum nicht durchgeführt werden. Dennoch fielen den Prüfern Ungereimtheiten in den Unterlagen auf: Landesparteichef Kunasek und sein Landesparteisekretär sollen jedoch in der Vorbesprechung gefordert haben, Kritikpunkte der Rechnungsprüfer nicht in den Prüfungsbericht aufzunehmen. „Jedes Schrifterl ein Gifterl“, soll Kunasek seine Freunde an eine alte österreichische Polit-Weisheit erinnert haben.
(benannt nach den Blumensträußen, die potenziellen blauen Sympathisantinnen mit dem Geld gekauft wurden) war bei der ersten Prüfung durch die Landespartei auffindbar. Viel mehr nicht.
Der Bericht durfte dann nur ein einziges Mal aus einem Kopiergerät, das explizit nicht am Netzwerk der Landesgeschäftsstelle angeschlossen war, ausgedruckt werden. Dem blauen Prüfer kam das suspekt vor, er fertigte heimlich eine zweite Kopie an und übergab sie rund ein Jahr später, im Herbst 2022, der Staatsanwaltschaft. Die FPÖ hatte ihr Exemplar hingegen monatelang sicher verstaut, anstatt es den Ermittlungsbehörden zu zeigen. Kurz zuvor war Landeschef Mario Kunasek von der Staatsanwaltschaft in der Causa als Zeuge bestellt. Er „vergaß“ die Dokumente bei seiner Befragung und gab zu Protokoll: Die „unübersichtliche“ Kostenstruktur der FPÖ Graz sei ihm vor Eders Selbstanzeige gar nicht bekannt gewesen.
Im September 2022 wird es für Kunasek noch enger: Der FPÖ-Gemeinderatsklub warf dem Funktionär Roland Lohr vor, von fragwürdigen Geldflüssen zwischen Partei und Vereinen (er war Rechnungsprüfer) gewusst zu haben. Lohr verteidigte sich. Auch Kunasek habe über Anstellungen von Parteigängern in den Vereinen Bescheid gewusst. „Wenn du diese Büchse spielst – fürchte hoit – do foit daun drüben (gemeint: in der Landespartei) a einiges!“, ist in einem Klubsitzungsprotokoll zu lesen. Lohr bestreitet, diese Aussage getätigt zu haben. Ende September 2022 wurde er auf Betreiben von FPÖ-Stadtchefin Claudia Schönbacher und Klubobmann Alexis Pascuttini aus dem Gemeinderatsklub ausgeschlossen.
Razzien im Morgengrauen
Wie geht die FPÖ mit einem verdächtigen Mandatar um, der vom eigenen Klub verstoßen wird? Sie stellt sich hinter ihn. Schönbacher und Pascuttini wurden zur Zielscheibe. Am 1. Oktober 2022 beschloss der Landesparteivorstand auf Kunaseks Drängen, dass Lohr wieder in den Grazer Gemeinderatsklub aufzunehmen sei. Die Klubführung unter Pascuttini ignorierte dies. Zwei Wochen später führte die Staatsanwaltschaft ihre Hausdurchsuchungen durch – auch bei Lohr, bei dem NS-Material gefunden wird, wie sich später herausstellen sollte.
Von Eva Linsinger,
Stefan Melichar,
Max Miller und
Anna Thalhammer
Bei Eder wiederum stach den Beamten eine Pistole der Marke „Glock 17“ samt sechs Patronen ins Auge, die Eder in eine Reisetasche gepackt hatte. Er habe sie soeben eingepackt, um aufs Land zu fahren, rechtfertigte er sich. Allem Anschein nach besitzt er die Waffe rechtmäßig. Den Ermittlern war es dennoch lieber, dass er sie „für die Dauer der Amtshandlung“ wieder im verschlossenen Waffenschrank verstaute. Der frühere Grazer Stadt-Parteiobmann Mario Eustacchio wiederum wies sich bei einer Beschuldigtenvernehmung im Anschluss an die Razzia mit seinem Waffenpass aus.
Am 15. Oktober 2022 führte die Polizei zwölf Hausdurchsuchungen durch.
Pascuttini bekam keinen Besuch von der Polizei, aber schlechte Nachrichten aus der Partei: Er wurde hinausgeschmissen. Einen Tag später folgte Schönbacher, sie wurde von FPÖ-Bundeschef Herbert Kickl höchstpersönlich gefeuert.
Schönbacher und Pascuttini sowie zwei weitere rausgeworfene blaue Gemeinderatsmitglieder behalten ihre Mandate in Graz. Nach einer Klagsdrohung der Freiheitlichen nennen sie sich fortan „(Korruptions-)Freier Gemeinderatsklub“ (KFG). Der FPÖ stößt das bitter auf: Denn der KFG stellt den Anspruch, Nachfolger des alten FPÖ-Klubs zu sein. Er sieht sich als Geschädigter des Finanzskandals, dessen Klubgelder missbraucht worden seien. Der KFG hat somit Einsicht in die Justizakten, die Pascuttini helfen, sich als Aufdecker im blauen Sumpf zu inszenieren. Vor der kommenden Nationalratswahl will er ein „Enthüllungsbuch“ über den Finanzkrimi veröffentlichen.
Gefährlich für die FPÖ im Superwahljahr.
Die Mühlen der Justiz
Von Anfang an versucht die FPÖ zu unterdrücken, dass die Malversationen an die Öffentlichkeit dringen. Man solle „aufpassen, was man gegenüber den Medien äußert, denn die Staatsanwaltschaft wird jedem Hinweis nachgehen und ihn überprüfen“, erinnerte der Landesparteivorstand Anfang Dezember 2021 mit Nachdruck. Auch protokolliert: Bereits Ende Jänner 2022 fürchtete Kunasek Hausdurchsuchungen in seiner Landespartei. Zu Unrecht, denn die Mühlen der Justiz mahlen langsam. So langsam, dass ihr (Nicht-)Vorgehen selbst zum Thema wird.
In einer anonymen Anzeige wurde im März 2022 behauptet, dass Informationen aus der Staatsanwaltschaft Graz an Mario Eustacchio geflossen seien. Um den Anschein von Befangenheit zu vermeiden, übernahm die Staatsanwaltschaft Klagenfurt. Die wirkte motivierter: Im Juni 2022 befragte sie erstmals Pascuttini und Kunasek, Mitte Oktober führte sie zwölf Hausdurchsuchungen durch. Nach der Befragung weiterer Zeugen zweifelt sie an Kunaseks Aussagen unter Wahrheitspflicht. Bereits im Jänner 2023 will die Kriminalpolizei daher auch gegen den FPÖ-Landeschef ermitteln.
Doch dann kommt das Verfahren wieder ins Stocken: Kunasek bestreitet im April 2023 alle Vorwürfe vehement. Er will nur ausführlich Stellung nehmen, wenn Pascuttini und Co. aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Damit würden sie keine Akteneinsicht mehr bekommen – und hätten keine Informationen zum Stand des Verfahrens. Die Strategie war erfolgreich, die Staatsanwaltschaft Klagenfurt folgte Kunaseks Wunsch. Das Oberlandesgericht Graz revidierte diese Entscheidung im November 2023.
Es gibt eine weitere Hürde: FPÖ-Chef Kunasek genießt als Landtagsabgeordneter Immunität. Er muss vom Landtag ausgeliefert werden, damit gegen ihn ermittelt werden kann. Die Staatsanwaltschaft fordert das im Jänner 2023, der Landtag kommt dem Wunsch im April nach. Dazwischen ist allerdings schon wieder etwas passiert: Der Ex-Minister soll laut einer anonymen Anzeige Parteigelder für seinen privaten Hausbau missbraucht haben. Also braucht es noch einen zweiten Antrag auf Aufhebung der Immunität.
Mario Kunasek ist mit Sicherheit der allerbeste Spitzenkandidat.
FPÖ-Chef Herbert Kickl
vertraut einem beschuldigten Spitzenkandidat
Kunasek bestreitet auch diese Vorwürfe vehement – und stimmte am 4. Juli 2023 der eigenen Auslieferung erneut zu. Die Vorgänge im steirischen Landtag hat man in Klagenfurt offenbar nicht mitbekommen. Erst durch eine Medienanfrage der „Kleinen Zeitung“ wurde auch dort bekannt, dass man mit den Ermittlungen gegen Kunasek fortfahren kann.
„Nicht das Thema“
Auf profil-Anfrage betont Kunaseks Anwalt Johann Pauer, dass die Vorwürfe gegen seinen Mandanten falsch seien. Zu Details des Verfahrens äußere man sich nur gegenüber der Staatsanwaltschaft. Allfällige Malversationen auf Grazer Stadtebene hätten der Landespartei nicht auffallen können. Dieser seien nahezu 200 Regionalorganisationen zugeordnet. Bezüglich des Hausbaus seien den Ermittlungsbehörden sämtliche Rechnungen und Überweisungsbestätigungen vorgelegt worden, um „diese verleumderischen und anonym erhobenen Anschuldigungen so rasch wie möglich zu entkräften“. Mario Kunasek zeigte sich beim blauen Neujahrstreffen zuversichtlich: „Ich bin überzeugt, dass in meinem Fall nichts überbleiben wird, dass es eingestellt wird.“ Und: „In den Gesprächen mit den Menschen fällt mir auf, dass das nicht das Thema ist.“
In der Tat ist die Finanzaffäre kompliziert. Die Vorwürfe, wie in der FPÖ mit Geldern umgegangen sein soll, sickern nur langsam. Auch daher gab sich FPÖ-Obmann Herbert Kickl im „ZIB 2“-Interview zu Jahresbeginn überzeugt: „Mario Kunasek ist mit Sicherheit der allerbeste Spitzenkandidat.“
Ein Satz, den er mit Fortgang der Ermittlungen noch bereuen könnte.
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.