Kritik in Rumänien: Wie ein Holzkonzern aus Österreich Bäume kürzerrechnet
Österreichische Holzkonzerne und Rumänien – ein heikles Terrain. Seit Jahren sehen sich die großen Säge- und Spanplattenwerksbetreiber, die ihre Wurzeln in Österreich haben und in dem waldreichen osteuropäischen Land riesige Produktionsstätten unterhalten, schweren Vorwürfen ausgesetzt. So auch jetzt.
Die rumänische Holzindustrie gilt als hochgradig korruptionsanfällig: Den verarbeitenden Unternehmen sind Myriaden an Zulieferern vorgelagert, die teils undurchsichtigen Geschäften nachgehen. Zu groß scheint für manche die finanzielle Verlockung, mehr Holz aus den riesigen letzten Urwäldern Europas zu holen, als erlaubt. Erst im September 2022 ließ die rumänische Justiz 146 Hausdurchsuchungen an Firmensitzen und in Privatwohnungen durchführen. Wie profil, ORF und „Der Spiegel“ berichteten, wurden damals auch beim rumänischen Ableger des österreichischen Holzkonzerns Egger Beamte vorstellig, um Informationen einzuholen. Das Unternehmen betonte, dass weder Egger noch Egger-Mitarbeiter als Beschuldigte geführt würden – die rumänischen Behörden würden jedoch diverse Holzzulieferer verdächtigen, die unter anderem auch Egger beliefern würde.
Nebenher 34 Millionen Dollar?
Ein weiterer großer Player auf dem rumänischen Holzmarkt ist die „HS Timber Group“ – vormals „Holzindustrie Schweighofer Gruppe“ – mit Sitz in Wien. Der Konzern betreibt in Rumänien mehrere Sägewerke und ein Werk für Tischlerplatten. Auch HS Timber ist seit Jahren mit Kritik konfrontiert und versucht, mit einem eigenen „Aktionsplan“ gegenzusteuern, der eine saubere Lieferkette sicherstellen soll. Umso bemerkenswerter sind Recherchen, die das Investigativ-Netzwerk OCCRP Anfang dieser Woche veröffentlichte.
Demnach soll HS Timber mehr als ein Jahrzehnt lang von Lieferanten verlangt haben, zusätzliches Holz zu liefern, das nicht in offiziellen Papieren aufschien und auch nicht bezahlt wurde. Dies, indem die gelieferten Stämme länger waren als ausgewiesen. Obwohl es pro Stamm nur um einige Zentimeter geht, sollen - einer OCCRP-Schätzung zufolge – auf diese Weise in den vergangenen Jahren insgesamt rund 1,6 Millionen Kubikmeter zusätzliches Holz im Wert von 34 Millionen US-Dollar zusammengekommen sein.
Messen und abrunden
Was ist dran an dieser Kritik? profil ist dem Vorwurf nachgegangen – und tatsächlich offenbart sich eine seit vielen Jahren gelebte Industriepraxis, die Fragen aufwirft. Obwohl gelieferte Baumstämme längst mittels dreidimensionaler Lasermessung detailliert erfasst werden können, werden die Stämme für die Bezahlung der Lieferanten kürzergerechnet. Aus einer realen Länge von 4,07 Metern wird auf diese Weise – zum Beispiel – plötzliche eine nominale Länge von vier Metern. Auf Basis der nominalen Länge berechnet sich dann das Volumen.
Diese Praxis, die nicht nur für Rumänien und nicht nur bei HS Timber gilt, basiert offenbar auf dem Argument, dass Stämme eben ein paar Zentimeter länger sein müssen, als die Latten, die daraus gesägt werden. Schließlich können die Enden verschmutzt oder die Schnitte nicht exakt sein und das Holz bei Trocknung gegebenenfalls schrumpfen. So nachvollziehbar das klingt – Entwicklungen der vergangenen Jahre lassen Zweifel daran aufkommen, ob das Einfordern kostenloser Verschnittmengen – sogenannter Kappstücke – noch zeitgemäß ist.
Die Wertschöpfungs-Perfektion
Jenes Holz, das aus der gelieferten Überlänge beziehungsweise aus dem Abkappen auf die nächst niedrigere Standardlänge entsteht, bleibt nämlich längst nicht mehr ungenutzt liegen. Gerade HS Timber rühmt sich in seinem englischsprachigen Nachhaltigkeitsbericht für das Jahr 2021 unter dem Punkt „Perfection in Value Creation“ („Perfektion bei der Wertschöpfung“) damit, hundert Prozent des Rohmaterials zu nutzen. Das sei „nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich“ sinnvoll.
Auch auf Anfrage von profil teilte HS Timber zunächst mit, dass „Sägenebenprodukte, zu denen auch Kappstücke gehören … verkauft oder zu Hackschnitzel oder Pellets verarbeitet“ würden. Bekanntermaßen hat die Pellets-Nachfrage zuletzt massiv angezogen. profil wollte daher wissen, wie sich bei HS Timber die Umsatz- beziehungsweise die Gewinnsituation bezüglich Weiterverarbeitung und Verkauf der Kappstücke verändert habe. Doch urplötzlich ruderte das Unternehmen zurück: Man verarbeite lediglich rund 50 Prozent der Sägenebenprodukte zu Pellets, ließ man wissen. „Wir brauchen dafür kein Holz aus Überlängen.“
„Keine goldene Nase“
Das heißt freilich nicht, dass man damit kein Geld verdient – insbesondere, wenn man Perfektion bei der Wertschöpfung für sich reklamiert. Die OCCRP-Berechnung mit den 34 Millionen US-Dollar wies HS Timber gegenüber profil zurück. Konkrete Zahlen zu Umsatz und Gewinn aus Weiterverarbeitung sowie Weiterverkauf der Kappstücke blieb das Unternehmen jedoch schuldig. HS-Timber-Sprecher Johannes Vetter teilte jedoch mit: „Wenn Sie jetzt meinen, mit den Resten würden wir uns eine goldene Nase holen, so muss ich Sie enttäuschen: Unsere Experten haben nachgerechnet und schätzen den Wertanteil von weiterverkauften Holzschnitzeln bei 0,15 bis 0,3 Prozent einer LKW Ladung!“.
Nur zur Mengeneinordnung: Gemäß Nachhaltigkeitsbericht 2021 wurden im Vorjahr Holzstämme mit einem Gesamtvolumen von 4.123.571 Kubikmetern an drei HS-Timber-Sägewerke in Rumänien und eines in Deutschland geliefert. Nicht auszuschließen, dass bei derartigen Größenordnungen auch kleine Prozentzahlen zu absoluten Beträgen führen, die wirtschaftlich relevant sein können. Insbesondere, wenn man für den Rohstoff nicht bezahlen muss.
„Es wird nicht der Stamm gekauft“
An letzterem Faktum ändert auch die mittlerweile gefundene Kommunikationslinie von HS Timber wenig, die Überlängen wären „integraler Bestandteil der zugelieferten Ware, für die wir natürlich den vereinbarten Preis zahlen“. In einer früheren Beantwortung hatte das Unternehmen noch deutlich unumwundener mitgeteilt: „Es wird eben der grundsätzlich nutzbare Zylinder, nicht der Stamm gekauft.“
HS Timber betont, dass es sich dabei um nichts Unrechtes handle, sondern dieses Vorgehen auf den handelsüblichen Standards der Holzwirtschaft beruhe und in ganz Europa so gehandhabt werde. Nun ist nicht alles gut, nur weil es alle machen: Das wachsende Geschäft mit Pellets und Biomasse rechtfertigt – mit Blick auf die gesamte Holzindustrie – jedenfalls die Frage, ob alle, die zur Wertschöpfungskette beitragen auch fair an dieser partizipieren. Unternehmenssprecher Vetter schreibt: „Wenn Sie meinen, dass die Holzindustrie schlechte Standards pflegt, kann man das Ihnen natürlich nicht nehmen, aber man kann das nicht an HS Timber festmachen.“ Kann man schon – jedenfalls, wenn es um Rumänien geht.
Probleme mit neuer Gesetzeslage
Einerseits rühmt sich HS Timber, als einziges Holzunternehmen in seinen Werken in Rumänien eine lückenlose Lasermessung durchzuführen und somit die ungenauere Maßbandmessung der Lieferanten nicht akzeptieren zu müssen. Trotz dieser genauen Messung rundet man – den rumänischen Industriestandards gemäß – aber auf 25- bzw. 50-Zentimeter-Stücke ab (bis 2014 sogar auf ganze Meter), ohne für die Differenz zumindest einen gewissen Ausgleich zu leisten. Andererseits ist die Holzvermessung in Rumänien nicht nur ein Thema privatwirtschaftlicher Standards, sondern – in bestimmten Zusammenhängen – auch der staatlichen Gesetze.
Illegale Abholzung ist in Rumänien ein heikles Thema. Weicht die tatsächlich gelieferte Menge so stark von jener, die auf dem Lieferschein ausgewiesen ist, ab, dass ein gewisser Toleranzwert überschritten ist, wird die gesamte Lieferung als illegal angesehen. Die Forstbehörde muss informiert werden. Diese beschlagnahmt das Holz und verwertet es zugunsten des rumänischen Staates.
„Diskurs“ mit dem Ministerium
Seit April 2022 sieht jedoch die Gesetzeslage vor, dass nicht mehr die nominale Länge (also die gekürzte Länge laut Industriestandard) zur Feststellung des Volumens heranzuziehen ist, sondern die „effektive“. Bei HS Timber weiß man offenbar nicht, wie man damit umgehen soll. „Nachdem der Terminus ‚effektiv‘ nirgends definiert ist, sind wir seit dieser Zeit mit dem rumänischen Ministerium im Austausch, um diese Norm auch in der Praxis richtig anwenden zu können“, heißt es von HS Timber. Das Ministerium habe „auch nach vielen Monaten des Diskurses keine klärenden Antworten gegeben“. Wäre aus Sicht der rumänischen Regierung einfach nur der Industriestandard umzusetzen, wäre es wahrscheinlich nicht so kompliziert, eine Antwort zu finden.
Beschluss Nr. 512 vom 14. April 2022, Artikel 15, Absatz 1, Buchstabe b
„Für geschältes Rundholz mit einem Durchmesser am dünnen Ende von 24 cm oder mehr wird das Volumen in Kubikmetern je Holzart für Holz ohne Rinde mit mindestens zwei Dezimalstellen auf der Grundlage des effektiven Längenmaßes in Metern mit zwei Dezimalstellen bestimmt.“
Eine weiteres Thema in Zusammenhang mit den Überlängen: Die – von den Lieferanten ausgestellten – Lieferpapiere enthalten laut HS Timber die „Nennlänge“ und das daraus ermittelte Volumen auf Basis der vereinbarten Vermessungsstandards. Wie viel Volumen tatsächlich aus dem Wald gezogen wird, lässt sich damit naturgemäß nicht sagen.
„Lieferanten in der Pflicht“
Die Lieferung und Abrechnung von Überlängen vereinbart HS Timber mit seinen Lieferanten übrigens vertraglich. Grundsätzlich ist allerdings festzuhalten, dass die Orientierung an - de jure – freiwilligen Industriestandards und das Schließen von Verträgen Gesetze nicht außer Kraft setzen kann, wie sich an der Debatte um die „effektive Länge“ zeigt.
HS Timber bestreitet jedenfalls vehement, in Zusammenhang mit den Überlängen gegen die rumänische Gesetzeslage zu verstoßen oder – faktisch – nicht deklariertes Holz zu verwenden. „Unsere Lieferanten bekommen für jede Lieferung ein Einzelstammprotokoll, wo die Reallänge und das Abrechnungsmaß transparent dargestellt werden“, teilt das Unternehmen mit. Die rechtliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Dokumentation der tatsächlich aus dem Wald entnommenen Menge treffe nicht HS Timber, sondern die „für die Waldbewirtschaftung beauftragte Firma (zumeist unseren Lieferanten)“. Lieferanten würden dann gegen die Gesetzeslage verstoßen, wenn sie mehr Volumen liefern als auf den Lieferdokumenten ausgewiesen. Sollte die Toleranzgrenze überschritten sein, werde dies bei HS Timber mittels der 3D-Lasermessung entdeckt und der Forstbehörde gemeldet. „Nur welchen Grund hätte der Lieferant, deutliche Überlängen zu liefern?“, fragt Unternehmenssprecher Vetter, um gleich selbst die erwünschte Antwort zu geben: „Es gibt keinen plausiblen Grund dafür!“
„Mund gehalten und weitergemacht“
Man könnte allerdings auch fragen, warum sich Lieferanten grundsätzlich auf Industriestandards und vertragliche Verpflichtungen einlassen, die unbezahlte Überlängen (und seien es nur wenige Zentimeter) sowie automatische Abrundungen auf Viertel-Meter oder mehr vorsehen. OCCRP zitiert eine anonyme Quelle, angeblich einen langjährigen Lieferanten von HS Timber. Dieser wird dahingehend zitiert, dass er sich nicht beschwert habe, weil er Sorge vor der Marktmacht von HS Timber gehabt hätte: „Jeder hat seinen Mund gehalten und weitergemacht.“
HS Timber teilte profil auf Anfrage mit, es gebe „sehr geringe Beanstandungen“ durch Lieferanten, die mit der Abrechnung unzufrieden seien. Könnte das auch daran liegen, dass der Konzern einer von wenigen großen Abnehmern ist und es sich Lieferanten nicht verscherzen wollen? Dazu heißt es vom Unternehmen: „Partnerschaftlichkeit ist für uns ein Grundwert. Grundsätzlich möchten wir festhalten, dass wir mit unseren Lieferanten langfristige Beziehungen pflegen, die für beide Seiten wirtschaftlich sind und auf Transparenz und Kontrolle fußen. Mehr als 50 Prozent unserer Lieferanten arbeiten mit uns seit mehr als fünf Jahren zusammen.“ Dies, weil HS Timber ein verlässlicher Partner sei, transparent agiere und zeitgerecht und verlässlich zahle. HS Timber sei in Rumänien „zweifellos ein großer Player in der Holzindustrie“. Das Unternehmen sei jedoch gesetzlich auf maximal 30 Prozent des jährlich auf den Markt gebrachten Holzvolumens limitiert. „Damit können wir per Definition keine dominierende Stellung einnehmen.“
Definition und Praxis klaffen am rumänischen Holzmarkt mitunter freilich ähnlich weit auseinander wie die reale und die auf Lieferscheinen ausgewiesene Länge von Baumstämmen: Im Jänner 2021 verhängte die Wettbewerbsbehörde des Landes gegen 31 Unternehmen wegen verbotener Absprachen eine Gesamtstrafe von umgerechnet etwas mehr als 26 Millionen Euro. Rund zehn Millionen Euro davon entfielen auf HS Timber.