Kritisches Gutachten zu Sigmund Freud Privatuni
Die Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) ist, wie der Name schon sagt, eine privatwirtschaftlich organisierte Bildungseinrichtung. 2003 hatte der international anerkannte Psychoanalytiker- und -therapeut Alfred Pritz eine Gruppe von Fachleuten um sich geschart, um „der Psychotherapie als Psychotherapiewissenschaft ein akademisches Fundament zu geben“, wie es auf der Website der SFU heißt.
Bald zwei Dekaden später hat die Privatuni ihren Platz im österreichischen Bildungssystem gefunden. Zuletzt wurden mehr als 5000 Studierende gezählt, das Studienangebot ist der anfänglichen Psychotherapiewissenschaft längst entwachsen. Mittlerweile bestehen auch Fakultäten für Psychologie, Medizin und Rechtswissenschaften, vier Ambulanzen und sechs Uni-Standorte – das Wiener Stammhaus, dazu Linz, Berlin, Paris, Laibach und Mailand.
Eine Erfolgsgeschichte, zweifellos, die nun allerdings zu reißen droht. Die SFU hat Probleme mit ihrer staatlichen Akkreditierung. Ein profil zugespieltes internes Gutachten - auch der STANDARD zitiert heute daraus - listet teils grobe Mängel im Unibetrieb auf – und empfiehlt der zuständigen staatlichen Stelle AQ Austria unter anderem „die Akkreditierung für den Masterstudiengang Humanmedizin zu widerrufen“.
Sechs statt zwölf Jahre
Um als höhere Bildungseinrichtungen anerkannt zu werden, müssen sich Privatuniversitäten in regelmäßigen Abständen „institutionell akkreditieren“ lassen. Seit 2012 ist dafür die Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria (AQ Austria) verantwortlich, sie untersteht dem Bildungsministerium (Ressortchef: Martin Polaschek, ÖVP).
Die SFU hatte ihre Erstakkreditierung im August 2005 erhalten, zuletzt war diese im August 2015 verlängert worden.
Eine Privatuni-Akkreditierung läuft grundsätzlich sechs Jahre, nach zwölf Jahren ununterbrochener Anerkennung kann die Dauer auf zwölf Jahre erstreckt werden.
Aus den profil vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass die SFU im November 2020 den Antrag auf eine zwölfjährige Akkreditierung bei der AQ Austria gestellt hatte. Die Agentur beauftragte daraufhin zwölf GutachterInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, die SFU auf Einhaltung der erforderlichen Standards prüfen, um so eine Entscheidungslage zu schaffen. Der Prüfprozess gestaltete sich aufwendig; die SFU ist groß und in fünf Ländern tätig, allein der bei der AQ Austria eingereichte Akkreditierungsantrag umfasste 5000 Seiten, die Pandemie tat das Ihre.
Mit Datum 22. Juli 2022 lieferte das Gremium schließlich ein 122-seitiges „Gutachten zum Verfahren auf Verlängerung der institutionellen Akkreditierung der Sigmund Freud Privatuniversität Wien“ bei der AQ Austria ab.
Das Gutachten enthält zwei zentrale Empfehlungen an die auftraggebende Agentur AQ Austria, welche beim Rektorat um Alfred Pritz nicht allzu gut angekommen sein dürften. Erstens: Dem Antrag auf eine Akkreditierungsdauer von zwölf Jahren kann laut den PrüferInnen „nicht entsprochen“ werden, sie plädieren für eine Akkreditierung von nur sechs Jahren – und dies „unter Auflagen“. Zweitens: Die Akkreditierung für das Masterstudium Humanmedizin soll wegen „gravierender Schwächen“ gleich gänzlich widerrufen werden.
51 Auflagen
Die Liste der Beanstandungen ist lang, sie betreffen die Fakultäten für Psychotherapiewissenschaften, Psychologie und Medizin in unterschiedlicher Form und Schwere: „Aus Sicht der Gutachter*innen bestehen in der abschließenden Gesamtbewertung mithin bzgl. der Erfüllung der Prüfkriterien zahlreiche Abweichungen von den geforderten Standards, was zu einer hohen Anzahl von empfohlenen Auflagen."
Die Liste der Auflagen, an welche eine weitere Akkreditierung geknüpft werden soll, umfasst 51 Punkte. Da geht es um offene Fragen zur Finanzierung, zu den Budgets, Ressourcen und Entwicklungsplänen, zum Personal- und Qualitätsmanagement, zu Forschungsschwerpunkten und zur Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen.
„Einzeln für sich betrachtet ist die Umsetzung aus der Sicht Gutachter*innen ohne weiteres möglich. In ihrer Gesamtheit stellen die Auflagen jedoch sicherlich eine große strukturelle und auch finanzielle Herausforderung für die Privatuniversität dar“, heißt es in der Expertise. Die SFU hat laut Gutachten in der Vergangenheit zwar bewiesen, dass sie mit „großen Herausforderungen“ umgehen kann, die neuen Auflagen lassen die ExpertInnen aber daran zweifeln, ob sich das in angemessener Zeit machen lässt.
Schwerwiegend scheinen die Unzulänglichkeiten bei der Fakultät für Medizin zu sein. „Als nicht behebbar werden seitens der Gutachter*innen die Abweichungen im Bereich des humanmedizinischen Masterstudiengangs eingeschätzt. Hier bestehen in den wesentlichen Bereichen Personal, Forschung und Infrastruktur große Abweichungen von national und international üblichen Standards."
Offenbar trifft hier zu wenig Personal und Infrastruktur auf zu viele Studierende. „Die seitens der Privatuniversität zugesicherte Erhöhung des Personalstandes ist nicht erfolgt. Im Gegenteil, aktuell verfügt die Privatuniversität über weniger Personal als bei der Programmakkreditierung dargestellt, bei gleichzeitiger Verdreifachung der Studierendenzahlen.“
„Adäquate Forschungsleistung nicht leistbar“
Die SFU nutzt nicht nur hauptberufliches eigenes Lehrpersonal, sie setzt auch Nebenberufler und Externe ein, deren Anteil ist allerdings laut Gutachten „im Unterschied zu vergleichbaren universitären Einrichtungen ungewöhnlich hoch“: „Die Verortung des Personals an einer Vielzahl von kooperierenden Kliniken mit entsprechenden Verpflichtungen dort (und teilweise auch an anderen Universitäten) und das Fehlen einer ausgewiesenen (Universitäts-)Klinik machen es schwierig, die geforderten Kriterien zu erfüllen.“
Neben dem Personalmangel kritisieren die Prüfer unter anderem die zu knapp bemessenen Laborflächen, die mit 120 Quadratmetern angegeben werden. Mit der „vorhandenen Ausstattung“ sei eine „adäquate Forschungsleistung auf einem national und international konkurrenzfähigen Niveau nicht leistbar“.
Und weiter: „Die Gutachter*innen trauen der Privatuniversität grundsätzlich zu, einen guten Humanmedizin-Studiengang anbieten zu können, und mit der Einrichtung eines Simulationszentrums und der Etablierung eines Körperspendeprogramms sind wichtige Schritte bereits gesetzt.“ Eine Korrektur der Abweichungen von den Prüfkriterien sei allerdings mit Blick auf die Menge und den damit verbundenen hohen Aufwands „nicht innerhalb des gesetzlichen vorgegebenen Rahmens von maximal zwei Jahren möglich.“
Dass die weitere Akkreditierung der gesamten SFU nicht für (wie gewünscht) zwölf, sondern bloß für sechs Jahre erfolgen soll, begründen die GutachterInnen wie folgt: „Die insgesamt hohe Anzahl an (empfohlenen) Auflagen sowie die Schwächen im Bereich der Fakultät Psychotherapiewissenschaften und Psychologie, sowie der gravierenden Schwächen in den Bereichen Forschung, Personal und Infrastruktur in der Fakultät Medizin machen es aus Sicht der Gutachter*innen erforderlich, die Privatuniversität noch einmal zeitnah … zu überprüfen.“
„Strafrechtliche Konsequenzen werden geprüft“
Was sagt die SFU dazu? Ein von profil übermitteltes Ersuchen um Stellungnahme wurde von der Kommunikationsabteilung so beantwortet: „Es handelt sich um vertrauliche Informationen aus einem laufenden Verfahren. Die etwaigen strafrechtlichen Konsequenzen der Weitergabe werden im Moment geprüft. Eben weil das Verfahren noch keineswegs abgeschlossen ist, bitten wir um Verständnis dafür, dass wir die vorläufigen Inhalte nicht kommentieren dürfen.“ Man verweist auf die staatliche AQ Austria, die nun über die weitere Akkreditierung der Privatuniversität zu entscheiden hat.
Update 16.35 Uhr: profil hat bei der AQ Austria angefragt, nun liegt auch eine Stellungnahme von Geschäftsführer Jürgen Pedersen vor: Das streng vertrauliche Gutachten sei ein „regulärer Verfahrensschritt" unter anderen, die SFU habe selbstverständlich Gelegenheit, sich dazu zu äußern, das zuständige Board der AQ Austria werde im November zu Beratungen zusammentreten. Wann über die weitere Akkreditierung entschieden wird? „Das lässt sich noch nicht genau sagen, das Board der AQ Austria trifft seine Entscheidungen jedenfalls weisungsfrei."