Investigativ

Kurz-Prozess: Anwaltsservice für russische Zeugen gegen Schmid

Die Verteidigung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz soll zwei russischen Geschäftsleuten dabei geholfen haben, eidesstattliche Erklärungen gegen den Belastungszeugen Thomas Schmid abzugeben. Einer der Russen sagte, er sei kontaktiert worden und habe dann „aus allgemein menschlichen Gründen“ gehandelt.

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Mittwoch, 31. Jänner 2024, 13 Uhr – Großer Schwurgerichtssaal am Landesgericht für Strafsachen Wien: Allen Unkenrufen zum Trotz steht die Video-Leitung nach Moskau. Auf der großen Leinwand über dem Richtertisch zeichnet sich in matten Farben ein mit Hochspannung erwarteter Zeuge ab. Als Richter Michael Radasztics zur Befragung anhebt, hört nicht nur Sebastian Kurz aufmerksam zu. Auch im gut gefüllten Zuschauerbereich des Gerichtssaals wartet man gebannt, was nun im Prozess gegen den angeklagten Ex-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef ans Tageslicht kommen wird. So viel vorneweg: In den folgenden Stunden werden sich nach und nach höchst bemerkenswerte Vorgänge herauskristallisieren.

Es war der Knalleffekt schlechthin im seit Oktober laufenden Gerichtsprozess gegen Kurz wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss: Mitte Dezember präsentierte die Verteidigung des Ex-Kanzlers dem Gericht gleichsam aus dem Nichts heraus eidesstattliche Erklärungen zweier russischer Geschäftsmänner. Dies mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit des wichtigen Belastungszeugen Thomas Schmid im Mark zu erschüttern.

Angriff auf Schmid

Schmid strebt bekanntlich Kronzeugenstatus an, hat zu verschiedenen Vorwürfen Geständnisse abgelegt und Kurz sowie zahlreiche andere prominente Personen schwer belastet. Und dann das: Der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium und Vorstand der Staatsholding ÖBAG soll sich im August 2023 in Amsterdam mit zwei Russen getroffen haben, die ihm ein lukratives Job-Angebot unterbreitet und mit ihm auch über seine rechtlichen Probleme geplaudert haben sollen: „Thomas Schmid erzählte uns, dass er von den Staatsanwälten unter enormen Druck gesetzt wurde“, zitierte ein Sprecher von Kurz im Dezember aus einer der eidesstattlichen Erklärungen. Weiters: „Laut Thomas Schmid hat er dem Druck der Staatsanwälte nachgegeben und beschlossen, sich auf ihre Seite zu stellen und ihnen zu helfen, indem er in einer Weise aussagte, die die Staatsanwälte zufrieden stellte, obwohl diese spezifischen Aussagen jenseits dessen lagen, was er als wahr in Erinnerung hatte.“ Der zweite Russe soll in seiner Erklärung angegeben haben, Schmid habe gesagt, dass „er den Staatsanwalt mit seiner Aussage nur glücklich machen wollte, um einen Deal mit ihm zu machen, obwohl nicht alles, was er vor dem Staatsanwalt ausgesagt hat, seiner Erinnerung nach wahr war.“

Zusammengefasst: Schmid, der gerade in der Warteschleife hängt, ob ihm die Justiz den strafbefreienden Kronzeugenstatus zuerkennt, soll wildfremden Russen gegenüber erzählt haben, dass er die Staatsanwaltschaft belogen und unter anderem Sebastian Kurz fälschlich belastet habe. Schmid bestreitet vehement, falsche Angaben gemacht zu haben. Heute, Mittwoch, fand die mit Hochspannung erwartete Befragung zumindest eines der beiden russischen Zeugen statt – mit überraschenden Aussagen zum Zustandekommen und zum Inhalt der Erklärungen.

Treffen in Amsterdam

Valery Afinogenov – Generaldirektor eines Unternehmens mit Sitz in St. Petersburg, das sich mit der Herstellung künstlicher Diamanten beschäftigt – wurde per Video-Schaltung in der österreichischen Botschaft in Moskau befragt. Dies die meiste Zeit via Gerichtsdolmetsch in russischer Sprache. Einige Fragen erörterte Richter Michael Radasztics mit dem Zeugen jedoch auf Englisch, um die originalen Formulierungen zu hören, die Schmid beim Treffen in Amsterdam angeblich getätigt haben soll.

„Was war der Anlass für das Treffen mit Schmid?“, wollte der Richter eingangs wissen: „Wir haben einen CEO für ein Projekt in Georgien gesucht“, erklärte Afinogenov. Ein Projekt, „das mit Ölgewinnung zu tun“ habe, zu dem er aber leider keine Einzelheiten erzählen dürfe. Wie sei man auf Schmid gekommen, der weder Russisch noch Georgisch spreche und mit Ölprojekten bisher nichts zu tun gehabt habe, wollte Radasztics wissen. Die Sprachkenntnisse seien nicht so wichtig, behauptete der Zeuge. Er habe Schmids Lebenslauf über einen Freund namens Alexander B. erhalten. Der Lebenslauf habe ihm „sehr gut gefallen“. Schmid sei ein „guter Kandidat“ gewesen und habe „hervorragende Erfahrung für diese Stelle“ gehabt.

Was hat Schmid tatsächlich gesagt? 

„Hat Thomas Schmid gesagt, dass seine Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht richtig gewesen wären?“, kam Radasztics alsbald zum inhaltlichen Hauptpunkt. Worauf Afinogenov allerdings eher vage blieb: „So konkret haben wir das nicht besprochen. Schmid hat erklärt, dass er mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet und der Staatsanwaltschaft Hilfe leisten will, damit diese befriedigt ist. Ich hatte den Eindruck, dass Schmid auch etwas sagen würde, was nicht der Wahrheit entspricht, damit die Staatsanwaltschaft befriedigt ist.“

Afinogenov hatte „den Eindruck“, dass Schmid das gegebenenfalls tun „würde“? Radasztics nutzte die Gelegenheit, um den Zeugen via Dolmetscherin an die Wahrheitspflicht vor Gericht zu erinnern. Dann fragte er auf Englisch, ob Schmid ihm gesagt habe, er hätte die Staatsanwaltschaft belogen – oder ob das nur sein eigener Eindruck gewesen sei. „Nein, ich würde sagen, es war mein Eindruck“, gab der Geschäftsmann auf Englisch zu Protokoll. Dann ergänzte er sinngemäß, Schmid würde so etwas nicht direkt sagen, da dieser ein kluger Kerl („a rather smart guy“) sei.

Der Weg zur Botschaft

Warum hat Schmid den angeblichen Job eigentlich nicht bekommen? Weil sich dieser „als Mitglied eines Teams (Anm.: gemeint war das Team um Sebastian Kurz) – aus welchem Grund auch immer – entschieden habe, gegen dieses Team zu agieren“, lautete die Antwort: „Ich kann so einer Person nicht vertrauen.“ Details über die mutmaßlichen Straftaten Schmids habe ihm sein eigenes Team nicht gesagt, gab der Zeuge zu Protokoll. Aber: „Vertrauen ist das Allerwichtigste in unserem Geschäft.“ Die gesuchte Position sei – Afinogenov zufolge wegen einer Projektverzögerung – übrigens bis heute nicht besetzt. Er habe auch keine weiteren Kandidaten getroffen.

Was Afinogenov und ein Geschäftspartner sehr wohl taten, war, zur österreichischen Botschaft in Georgien zu gehen, um die belastenden eidesstattlichen Erklärungen beglaubigen zu lassen. „Wie kam es dazu?“, wollte Radazstics wissen, um die durchaus überraschende Antwort zu erhalten: „Ich habe gar nicht vorgehabt, eine Aussage zu machen. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt haben mich die Rechtsanwälte kontaktiert“ – und zwar wegen eines E-Mails, das er nach dem Schmid-Treffen an Alexander B. geschickte habe. Die Anwälte hätten von dem Mail gewusst und ihn gefragt, ob darin die Wahrheit stünde. Daraufhin sei er gebeten worden, die eidesstattliche Erklärung abzugeben.

Die Rolle des Kurz-Anwalts

Nach und nach kristallisierte sich heraus, dass Afinogenov – seinen Angaben zufolge – von Kurz-Anwalt Otto Dietrich kontaktiert wurde sowie von einem weiteren österreichischen Rechtsanwalt, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern könne. Die Idee zur eidesstattlichen Erklärung habe ihm der Anwalt erklärt. Er, Afinogenov, habe „aus allgemein menschlichen Gründen“ zugestimmt. Geld habe er dafür nicht erhalten. Das Anwaltsservice der Kurz-Verteidigung für den Zeugen ging laut Afinogenov allerdings über die reine Ideengebung hinaus. Radasztics wollte wissen, ob er die Erklärung selbst geschrieben habe oder ihm ein Muster zur Verfügung gestellt worden sei: „Natürlich haben wir das mit einem Rechtsanwalt gemacht“, gab der Geschäftsmann zu Protokoll. Und zwar mit Kurz-Anwalt Dietrich. Wie dieser ursprünglich vom Mail an Alexander B. erfahren habe, wisse er nicht.

 

Zweiter Zeuge plötzlich erkrankt

Im Laufe der Befragung erreichte Richter Radasztics per E-Mail die Information, dass der zweite russische Geschäftsmann, der ebenfalls als Zeuge befragt werden sollte, erkrankt sei und abgesagt habe. Afinogenov wirkte durchaus überrascht: „Heute in der Früh haben wir miteinander gesprochen. Er wollte kommen.“ Radasztics will ihn nun für den vorerst letzten Verhandlungstermin am 23. Februar laden, meinte aber: „Ich kann nicht ausschließen, dass er sich beim nächsten Termin wieder unwohl fühlt. Vielleicht fühlt er sich auch wegen des Termins unwohl.“

Eigentlich war für den 23. Februar bereits die Urteilsverkündung geplant. Nun soll nicht nur der zweite Russe, sondern auch Thomas Schmid nochmals befragt werden – letzterer ebenfalls per Video-Schalte. Schmid-Anwalt Roland Kier betonte bereits im Dezember, dass die behaupteten Aussagen beim Gespräch in Amsterdam nicht gefallen seien.

Kurz wird in diesem Prozess bekanntlich von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vorgeworfen, im U-Ausschuss seine Involvierung in Postenbesetzungen rund um die Staatsholding ÖBAG unzulässig heruntergespielt zu haben. Er bestreitet das vehement. Werner Suppan, Anwalt des mitangeklagten früheren Kabinettschefs von Kurz, der ebenfalls die Vorwürfe zurückweist, hielt nach der Verhandlung fest, alle befragten ÖBAG-Aufsichtsräte hätten bestätigt, dass es keinen Einfluss von Kurz gegeben habe. Zum russischen Zeugen meinte Suppan mit Verweis darauf, dass manche ursprünglich sogar an dessen Existenz gezweifelt hätten: „Es gibt ihn, wie wir sehen.“ Wie man zu dem Zeugen gekommen ist, ließ der Anwalt allerdings beharrlich unbeantwortet. 

 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).