INVESTIGATIV

Kurz-Prozess: Der Ex-Kanzler liest seine Chats nach

Am vierten Verhandlungstag gegen Sebastian Kurz wegen des Verdachts der Falschaussage wurde nicht nur der erste Zeuge gehört, auch Kurz selbst meldete sich zu Wort. Er habe begonnen, sämtliche Chats mit Thomas Schmid zu lesen. Dabei will er Interessantes gefunden haben.

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Kaum etwas hat in den vergangenen Monaten und Jahren stärker die innenpolitischen Gemüter erhitzt als die berühmt berüchtigten Handychats zwischen dem einstigen Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz und dem früheren Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid. Nun hat Kurz – eigenem Bekunden zufolge – begonnen, das gesamte Whatsapp- und SMS-Oeuvre nachzulesen. Offenbar ein zeitaufwändiges Unterfangen.

„Ich habe noch nicht alle Chats wirklich lesen können“, sagte der Ex-Kanzler am Freitag vor Gericht, wo er sich bekanntlich wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss verantworten muss. Kurz bestreitet die Vorwürfe. Diese Woche fand der vierte Verhandlungstag in der Causa statt und der frühere ÖVP-Chef meldete sich an dessen Ende überraschend selbst zu Wort. 

„Begonnen zu lesen“

Hintergrund: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte in der vorigen Verhandlung am 23. Oktober 2023 dem Gericht den gesamten sichergestellten Chatverlauf zwischen Kurz und Schmid vorgelegt. Dies als Reaktion auf den Vorwurf der Verteidigung, die Ermittler hätten Chats selektiv einseitig zum Akt genommen. Dreieinhalb Wochen später ist der Ex-Kanzler zwar noch nicht durch mit den Chatprotokollen („Ich habe begonnen zu lesen.“), will aber gleich auf der ersten Seite fündig geworden sein: In einem Chat aus dem Jahr 2017 habe Thomas Schmid ihm gegenüber so getan, als würde er den Wechsel eines damaligen Finanzministeriums-Pressesprechers in die ÖVP-Parteizentrale unterstützen. Aus Chats zwischen Schmid und jenem Pressesprecher würde sich allerdings ergeben, dass Schmid versucht habe, den Wechsel hinterrücks zu torpedieren.

Die Frage ist, was der Vorgang mit den konkreten Vorwürfen gegen Kurz zu tun hat. Bei diesen geht es unter anderem um die allfällige Involvierung des Ex-Kanzlers in die Bestellung Schmids zum Chef der Staatsholding ÖBAG im Jahr 2019 – nicht um die Verschiebung von Pressesprechern im erweiterten ÖVP-Spektrum. Dass Kurz nun selbst zur Chatanalyse schreitet, ordnet sich allerdings nahtlos in seine Verteidigungslinie ein.

Checker Schmid?

Einerseits würde es wenig überzeugend wirken, der WKStA eine selektive Chatauswahl im Ermittlungsakt vorzuwerfen, wenn man dann selbst im zusätzlichen Material nichts Neues findet. Andererseits lautet ein Teil der Verteidigungsstrategie, Thomas Schmid habe Kurz gar nicht gebraucht, um ÖBAG-Chef zu werden. Schmid habe sich das selbst gecheckt und ohnehin sein eigenes Spiel gespielt. Diese Grundhaltung lässt sich – Kurz zufolge – nun durch die fast zwei Jahre früher stattgefundene Pressesprecher-Episode dokumentieren.

Gleichzeitig versucht die Verteidigung generell die inhaltliche Aussagekraft von Chatnachrichten in Zweifel zu ziehen – und die Glaubwürdigkeit Schmids zu erschüttern. Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium hat bekanntlich umfangreich gegenüber der WKStA ausgepackt und will Kronzeuge werden. Er belastet Kurz und zahlreiche andere Personen über das aktuell laufende Gerichtsverfahren hinaus. Dabei geht es unter anderem um den Verdacht der Inseratenkorruption. Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Nicht verfügbarer Zeuge

Eigentlich hätte ja Schmid selbst am Freitag als Zeuge vor Gericht aussagen sollen. Da der frühere ÖBAG-Chef jedoch „nicht verfügbar“ war, wurde von Richter Michael Radasztics ein anderer Zeuge im Prozessplan vorgezogen: Arnold Schiefer, erfahrener Manager mit FPÖ-Nähe, zuletzt Finanzvorstand bei den Österreichischen Bundesbahnen. Schiefer war in Wirtschaftsfragen ein wesentlicher Hintergrundakteur der Blauen in der gemeinsamen ÖVP-FPÖ-Regierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache. Quasi der Mann für Verhandlungen auf Expertenebene, wenn es um Themen wie die ÖBAG ging. Er dürfte in dieser Funktion so etwas wie das FPÖ-Pendant zu Thomas Schmid auf Seiten der Volkspartei gewesen sein.

Am Freitag wurde Schiefer unter anderem gefragt, ab wann für ihn klar war, dass Schmid vom Finanzministerium an die Spitze der damals noch zu gründenden ÖBAG wechseln wollte. Laut WKStA soll Kurz den Job Schmid bereits Mitte 2017 zugesagt haben, was der Ex-Kanzler bestreitet. Darüber hinaus wurde Schiefer intensiv zu einer Vereinbarung befragt, die er mit Schmid im Herbst 2018 bezüglich diverser Posten im staatsnahen Bereich verhandelt hatte. Diesbezügliche Aussagen von Kurz vor dem U-Ausschuss sind ebenfalls Teil des Strafantrags gegen den Ex-Kanzlers.

Politik als „Basar“

Schiefer ließ sich wenig Konkretes entlocken. Bezüglich der Karrierepläne Schmids meinte Schiefer, er sei „nicht der Personalentwickler der ÖVP“ gewesen. In die Finalisierung der verhandelten Posten-Vereinbarung auf politischer Ebene sei er nicht eingebunden gewesen. 

Insgesamt zeichnete der Manager ein ernüchterndes – wenn auch nicht per se strafrechtlich relevantes – Bild von Postenbestellungen im staatsnahen Bereich und Entscheidungen in der ÖVP-FPÖ-Koalition. „Politik ist auch ein bisschen ein Basar“, meinte Schiefer. Anstatt Sideletter über künftige Postenvergaben zu schließen, wäre es – seiner Meinung nach – besser gewesen, manches einfach per Handschlag zu regeln. Schiefer gab auch zu Protokoll, dass Kurz niemals bei ihm interveniert habe.

Der nächste Verhandlungstermin ist für 11. Dezember angesetzt. Da soll dann Thomas Schmid befragt werden. Vielleicht erhält das Gericht dann einen näheren Eindruck von der angeblichen Eigen-Durchsetzungskraft Schmids. Richter Radasztics ließ es sich übrigens am Freitag nicht nehmen, Kurz zum Ausgang der dargebrachten Pressesprecher-Episode zu befragen. Resultat: Im Endeffekt fand der Wechsel offenbar so statt, wie vom damaligen ÖVP-Chef gewünscht.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.