Investigativ

Kurz-Prozess: Ex-Kanzler will Schmid-Chats abschaffen

Im Verfahren wegen des Verdachts der Falschaussage gegen Sebastian Kurz hat dessen Verteidigung beantragt, alle sichergestellten Handychats von Thomas Schmid zu löschen. Diese spielen nicht nur bei der Anklage gegen Kurz eine wichtige Rolle.

Drucken

Schriftgröße

„Ich habe heute alles gelöscht“, schrieb der damalige Chef der Staatsholding ÖBAG im Oktober 2019 stolz an seine Assistentin. Gemeint hat der frühere Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium die WhatsApp-Chats auf seinem Handy. Doch bei der vermeintlichen Gesamtbereinigung des Schmid’schen Kommunikationsuniversums unterlief dem einstigen Vertrauten des damaligen Kanzlers und ÖVP-Chefs Sebastian Kurz bekanntlich ein folgenschwerer Fehler. Er wusste nicht, dass seine Handy-Nachrichten wohl verwahrt in einem Backup-Speicher lagen und nur darauf warteten, ein paar Wochen später von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Rahmen einer Hausdurchsuchung abgeholt zu werden.

Was die Ermittler auf der Festplatte fanden, hat seinen Teil dazu beigetragen, den nunmehrigen Ex-Kanzler Sebastian Kurz wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vor Gericht zu bringen. Prozessstart war im Oktober. Am Dienstag fand der mittlerweile zehnte Verhandlungstag statt. Und nun will der frühere Regierungschef offenbar das zu Ende führen, bei dem Schmid seinerzeit so kläglich versagte.

Kurz-Anwalt Otto Dietrich beantragte nichts weniger, als alle bei Schmid sichergestellten Daten und Chats aus dem Akt zu löschen oder nicht zu verwenden. Falls das Gericht darauf nicht einsteigt, verlangte Dietrich, dass zumindest keine Schmid-Chats verwendet werden dürfen, die vor dem 30. Juni 2018 geschrieben wurden. Weiters beantragte der Kurz-Verteidiger, Chats gegebenenfalls nur dann als Beweismittel zu verwenden, wenn alle daran beteiligten Personen vor Gericht dazu befragt werden. Und bei alldem stützt sich Dietrich auf nichts Geringeres als eine Entscheidung des Verfassungsrichtshofs (VfGH).

Die Sache mit den Handy-Chats

Tatsächlich entschied der VfGH im Dezember 2023, dass die bisherige Ermittlungspraxis, Mobiltelefone auch ohne richterliche Genehmigung sicherzustellen, verfassungswidrig ist. Zwar war die Hausdurchsuchung bei Schmid sehr wohl vom Landesgericht Wien genehmigt. Dietrich argumentiert aber, dass sich dies nur auf Daten zu den damaligen Ermittlungen rund um die Casinos Austria (Casag) bezog und nicht auf die ÖBAG. Kurz wird bekanntlich vorgeworfen, seine Rolle bei der Bestellung des Aufsichtsrats und des Vorstands der Staatsholding vor dem U-Ausschuss unzulässig heruntergespielt zu haben – er bestreitet das.

In Bezug auf die Casag-Ermittlungen sei der Zeitraum ab 30. Juni 2018 relevant gewesen, argumentiert Dietrich, weshalb er alternativ zu einer Gesamtlöschung nun zumindest eine diesbezügliche zeitliche Einschränkung verlangt. Die WKStA wirft Kurz vor, bereits 2017 geplant zu haben, dass Schmid später ÖBAG-Chef werden sollte. Gut möglich, dass durch einen derartigen Zeitschnitt die eine oder andere potenziell relevante Chat-Nachricht beweistechnisch in der Versenkung verschwinden würde. Der Anwalt des Ex-Kanzlers ortet in der bisherigen Vorgehensweise bezüglich der Schmid-Chats jedenfalls einen Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention und fehlende Waffengleichheit zwischen Anklagevertretung und Verteidigung: Die Daten hätten demnach gar nicht erhoben werden dürfen. 

WKStA: „Daten rechtmäßig sichergestellt“

Die WKStA beantragte umgehend die Abweisung des Antrags: Im Ermittlungskomplex sei sowohl durch das Landesgericht als auch durch das Oberlandesgericht Wien festgestellt worden, dass die Daten rechtmäßig sichergestellt und ausgewertet worden seien. Auch gelte die Entscheidung des VfGH nicht rückwirkend (tatsächlich ist sogar eine Reparaturfrist bis 1. Jänner 2025 vorgesehen). Ein wenig süffisant wies der Vertreter der Anklagebehörde auf den Umstand hin, dass die Kurz-Verteidigung zu Beginn des Verfahrens beantragt hatte, alle Schmid-Kurz-Chats zum Akt zu nehmen – dies mit dem Vorwurf, die WKStA habe Chats im Verfahren selektiv verwendet. Daraufhin wurde tatsächlich der gesamte Chat-Verlauf zwischen Kurz und Schmid vorgelegt. Nun zeigt sich die WKStA „verwundert“, dass die Verteidigung „ins krasse Gegenteil“ umschwenke.

Richter Michael Radasztics will morgen, Mittwoch, beim nächsten Verhandlungstag über den Antrag entscheiden. Egal wie die Entscheidung ausfällt – sie kann Folgen weit über den aktuellen Gerichtsprozess hinaus haben. Schmid hat sich bekanntlich in der Zwischenzeit der WKStA als potenzieller Kronzeuge angedient und umfassend ausgesagt. Er belastet nicht nur Kurz in Bezug auf den Falschaussage-Vorwurf, sondern – in unterschiedlichen Zusammenhängen – unter anderem den früheren Finanzminister Hans-Jörg Schelling, ÖVP-Klubobmann August Wöginger, das Verleger-Ehepaar Christoph und Eva Dichand, die „Österreich“-Macher Helmuth und Wolfgang Fellner, den Investor Siegfried Wolf, den gefallenen Immobilien-Tycoon René Benko und abermals Kurz in Bezug auf andere Verdachtslagen. Alle haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Gelänge es der Kurz-Verteidigung, die Schmid-Chats in ihrem Verfahren praktisch abzuschaffen, wären wohl auch allfällige belastende Chat-Nachrichten in diesen anderen Verfahrenssträngen nicht als Beweismittel verwertbar. Bliebe einzig und allein der Casag-Vorwurf – wobei Schmid ausgerechnet zu diesem keine belastenden Aussagen getätigt hat. Verteidigungstechnisch ein Volltreffer.

Ex-Kabinettschef als Zeuge

Wie auch immer Radasztics am Mittwoch entscheidet, am Dienstag wurden Zeugen sehr wohl noch mit Schmid-Chats konfrontiert. Darunter Bernd Brünner, der ehemalige Kabinettschef von Sebastian Kurz im Bundeskanzleramt, der unter anderem Handynachrichten erklären musste, in denen es um die Besetzung des Post-Aufsichtsrats und eine allfällige Involvierung des Kanzleramts ging. Der frühere hochrangige Kurz-Mitarbeiter sagte, er könne sich daran nicht erinnern, gehe aber davon aus, als Kabinettschef Informations- bzw. Kommunikationsdrehscheibe gewesen zu sein. 

Als der Richter wissen wollte, von wem denn Informationen zu Postenbesetzungen kamen, zog sich Brünner darauf zurück, „Tausende Mails bekommen und weitergegeben“ zu haben. „Ließ man sich einfach informieren oder wollte man Personalvorschläge transportieren?“, wollte Radasztics wissen. „Es mag sein, dass die Wahrheit in der Mitte liegt“, gab der ehemalige Kurz-Mitarbeiter zu Protokoll. Die Entscheidungen seien jedoch in den jeweiligen Ministerien getroffen worden.

Weitere Zeugen waren am Dienstag der frühere Aufsichtsratschef der ÖBAG, Helmut Kern, sowie die ÖBAG-Aufsichtsrätin Susanne Höllinger. Letztere sagte, es habe vor ihrer Bestellung keinen Termin bei Kurz gegeben und der Kanzler habe auch „ganz sicher nicht“ bei ihr angerufen. Kern wiederum bestritt Zurufe von außen bezüglich der Bestellung Schmids zum Alleinvorstand der Staatsholding im März 2019.

Kurz wieder am Wort

Sebastian Kurz, der alle Vorwürfe bestreitet, machte auch am Dienstag von seinem Recht Gebrauch, sich als Angeklagter zu den Zeugenaussagen zu äußern. Anders als in der Vorwoche zeigte sich der Ex-Kanzler dabei allerdings deutlich weniger emotional: „Ich habe mir noch einmal die Frage gestellt: Wie wird man ÖBAG-Chef?“, sagte Kurz, um sich gleich darauf folgende Antwort zu geben: „Durch Beschluss der Aufsichtsräte.“ Und die bisher als Zeugen befragten Aufsichtsräte hätten – so Kurz – ausgesagt, dass er darauf keinen Einfluss genommen habe. Wichtig sei ihm außerdem, dass nicht von einem Umstand auf andere geschlossen würde – was Kurz als „Größenschluss“ bezeichnet. „Es gibt in einigen Bereichen SMS, die auf einen Wunsch von mir hindeuten“, sagte Kurz: „Bei der Schmid-Bestellung nicht.“

Was es bekanntlich sehr wohl gibt, ist eine Chatnachricht von Schmid an Kurz nach erfolgter Bestellung zum ÖBAG-Vorstand: „Dass du mir diese Chance gibst mich zu beweisen ist so grenzgenial! Habe mörder Respekt davor und es wird echt cool! Danke für alles und es taugt mir so in Deinem Team sein zu dürfen!“ Zweimal Bussi-Smiley, zweimal Herzchen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.