Kammerwahlen

Landwirtschaftskammer-Reform gescheitert: „Frust vermeiden“

Die österreichische Landwirtschaftskammer ist in Wahrheit keine Kammer, sondern ein Verein. ÖVP und Grüne wollten das ändern, scheiterten aber an unüberwindbaren Differenzen. Der Minimalkompromiss war der Status quo.

Drucken

Schriftgröße

Bei Wahlen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene gilt das Prinzip des gleichen Wahlrechts, demzufolge jede Stimme gleich viel Gewicht hat. Bei Landwirtschaftskammerwahlen läuft es etwas anders. Denn Landwirte, Forst- und Grundbesitzer oder ihre Familienangehörigen dürfen unter gewissen Voraussetzungen eine weitere Stimme abgeben. Etwa, wenn zum Beispiel ein wahlberechtigter Bauer zusätzlich eine Genossenschaft oder einen Verband vertritt, der ebenfalls eine Kammerumlage zahlt. Wer wahlberechtigt ist und wer nicht, wird auf Gemeindeebene entschieden. „Der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin kann sich dabei der Mithilfe der örtlichen Bezirksbauernkammer bedienen“, steht auf der Website der Landwirtschaftskammer Niederösterreich.

Im größten Bundesland Österreichs sind die Machtverhältnisse bei Landwirtschaftskammerwahlen klar verteilt: 83,7 Prozent erreichte der Bauernbund (ÖVP) bei der Wahl vor zehn Jahren, 85 Prozent vor fünf Jahren. Die Mobilisierungskraft der schwarzen Bauernschaft ist bekannt und zeigt sich auch bei Wahlen zu den Parlamenten auf allen Ebenen. Der bisher relevanteste Konkurrent des Niederösterreichischen Bauernbundes ist der Unabhängige Bauernverband (UBV) unter Herbert Hochwallner. Mit ihm wird im Vorfeld der Landwirtschaftskammerwahlen so umgegangen: Er hat allen Wahlberechtigten eine Broschüre seiner Fraktion zukommen lassen. Offenbar war es für eine Empfängerin irritierend, vor der Wahl Post von einer Fraktion zu bekommen, der man die eigenen Daten nie gegeben hat. Mit einer schnellen Recherche lässt sich allerdings feststellen, dass wahlwerbende Listen – nicht nur bei Kammerwahlen, auch bei Nationalratswahlen – für diese Zwecke auf das Wählerverzeichnis zurückgreifen dürfen. In Niederösterreich sieht man das anders.

Hochwallner erhielt nach seinem Postwurf eine Mail. Absender: eine Mitarbeiterin der Landwirtschaftskammer Niederösterreich, die einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung sieht. Sie schrieb: „Ich bitte um Auskunft bzgl unserer Daten bis morgen mittag. Sonst sehen wir uns gezwungen rechtliche Schritte einzuleiten.“ Das „wir“ steht laut E-Mail-Signatur für die Familie, die im Bezirk St. Pölten einen Bauernhof bewirtschaftet und mit einer Person auch in der Lokalpolitik vertreten ist. Als ÖVP-Gemeinderat.

Weil in den Kommunen oft die ÖVP dominiert, äußern die politischen Mitbewerber – am kommenden Sonntag sind das der Unabhängige Bauernverband (UBV), die Freiheitliche Bauernschaft (FB), die SPÖ Bauern und die Grünen Bäuerinnen und Bauern (GBB) – beinahe vor jeden Landwirtschaftskammerwahlen Kritik an der Erstellung der Verzeichnisse. profil liegen mehrere Fälle vor, bei denen sich Oppositionelle benachteiligt fühlen. Oft scheinen Kinder oder Familienangehörige von wahlberechtigten Landwirten nicht im Wählerverzeichnis auf. Sie müssen dann vor Ablauf der Frist hineinreklamiert werden, wofür die Gemeinden entsprechende Nachweise verlangen.

Gemeinde wünscht sich Reform der Wahlordnung

In einer Gemeinde im Bezirk Amstetten ist ein solcher Nachnennungsversuch im Junk-Mail-Ordner gelandet, der Betroffene beteuert, dass es deshalb nicht mehr möglich gewesen sei, die notwendigen Dokumente der Personen zu übermitteln. Ergebnis: Sie können am Sonntag nicht wählen. In der Gemeinde bedauert man den Vorfall – und spricht sich dafür aus, dass die Wahl künftig von der Kammer selbst abgewickelt werden sollte. In anderen Bundesländern sei das schließlich bereits heute der Fall.

Etwa im Burgenland. Dort hat das Land im Vorjahr noch mit absoluter SPÖ-Mehrheit und gegen die Stimmen von ÖVP, FPÖ und Grünen das Landwirtschaftskammer-Wahlrecht geändert. Seither ist die Kammer selbst für die Abwicklung der Wahl und damit auch die Wählerverzeichnisse zuständig. Die Befürworter argumentieren: Die Gemeinden wurden dadurch entlastet und mehr Übersichtlichkeit geschaffen. Die Gegner monieren: In Summe stehen nun deutlich weniger Wahllokale zur Verfügung.

Versandete Reform 

Eine größere Reform, die sich unter anderem auch einheitlichen Wahlterminen in allen Bundesländern annehmen hätte sollen, wollte die aus dem Amt geschiedene türkis-grüne Regierung umsetzen: die Reform der Landwirtschaftskammer Österreich. Wobei es sich rechtlich gesehen um keine Bundeskammer handelt. In Ermangelung eines rechtlichen Fundaments ist der Bundesverband als Verein „Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreich“ organisiert. Mitglied ist neben den neun Landeskammern auch der Raiffeisenverband. Den österreichweiten Präsidenten wählen aber nur die neun Landespräsidenten aus ihrer Mitte. Aktuell ist der Oberösterreicher Josef Moosbrugger am Zug.

ÖVP und Grüne hatten an sich den Plan, diese Konstruktion auf rechtlich stabilere Beine zu stellen, scheiterten aber.

„Einerseits wollten wir, dass der Rechnungshof (RH) auch die Landwirtschaftskammer Österreich kontrollieren kann“, erklärt Olga Voglauer, Generalsekretärin der Grünen, das Vorhaben. Auf der anderen Seite sei es darum gegangen, die Landwirtschaftskammer auf Bundesebene von einem Verein in eine Körperschaft öffentlichen Rechts zu überführen, „um sie mit anderen Kammern wie der Arbeiter- oder Wirtschaftskammer, die sich auch regelmäßig in sozialpartnerschaftliche Verhandlungen einbringen, rechtlich gleichzustellen“, so Voglauer.

Warum kam es zu keiner Einigung?

Im Herbst 2022 wurde im Landwirtschaftsministerium eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Erklärtes Ziel: einen Gesetzesentwurf zur „Einrichtung einer Bundeslandwirtschaftskammer (Körperschaft öffentlichen Rechts) als Grundlage für eine Regierungsvorlage“ zu erarbeiten, steht im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe, der profil vorliegt.

Arbeitskreis aus mehr als 30 Personen

Mitglieder der Arbeitsgruppe: Kabinettsmitarbeiter von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Rechtsexperten, Mitglieder des Grünen Parlamentsklubs, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem damals grün geführten Klimaschutzministerium sowie Vertreter der Bundesländer, der LKÖ und der Landeskammern: Mehr als 30 Personen diskutierten (auch in Unterarbeitsgruppen) rund neun Monate lang darüber, wie dieses Vorhaben gelingen könnte. 

Dabei wurden auch zwei konkrete Vorschläge erarbeitet. Wobei, eigentlich nur einer, denn Vorschlag Nummer eins lautete „Beibehaltung des Status Quo“, beziehungsweise die bestehende Vereinsstruktur in eine Körperschaft zu überführen. Der zweite Vorschlag, der von den Grünen forciert wurde: ein gestaffeltes Delegiertensystem. Statt den neun Landespräsidenten (einer von ihnen wird von den anderen zum Präsident und Gesicht nach außen gewählt; Anm.) und zwei Raiffeisen-Vertretern sollte die Vollversammlung künftig aus den Präsidenten der Landeskammern und gewählten Delegierten bestehen. Wie viele Personen ein Bundesland entsendet, würde von der Betriebs- oder Flächenanzahl abhängen.

Das wollten aber die Vertreter der Bundesländer nicht: „Die Landesamtsdirektorinnen- und Landesamtsdirektorenkonferenz (also die jeweils ranghöchsten Beamten der neun Länder; Anm.) sieht in Anbetracht der geltenden Verfassungslage und vor dem Hintergrund der aufrechten Beschlusslage der Landeshauptleutekonferenz keine Möglichkeit der Einrichtung einer Körperschaft öffentlichen Rechts als Vertretung der Land- und Forstwirtschaft auf Bundesebene. Die gemeinsamen Ländervertreter/innen werden beauftragt, diese Haltung in allfälligen weiteren Beratungen zu vertreten.“

Knackpunkt Genossenschaften

Ein weiterer Knackpunkt dürfte laut profil-Informationen auch der Umgang mit Genossenschaften gewesen sein. „Nach überwiegender Meinung wäre auf eine entsprechende Vertretung des genossenschaftlichen Sektors Bedacht zu nehmen“, steht im Abschlussbericht. Zur Erklärung: In Niederösterreich werden am Sonntag 36 Sitze der Vollversammlung der Landes-Landwirtschaftskammer gewählt. Für vier der insgesamt vierzig Sitze besitzt der Raiffeisen-Verband ein Vorschlagsrecht, die nominierten Personen müssen dann von den 36 Kammerräten gewählt werden. Die Mehrheit der Arbeitsgruppe wünschte sich demnach, dass ein solcher Modus auch in einer Bundeslandwirtschaftskammer angewandt wird.

Dagegen sträubten sich jedoch die Grünen, denn: „Die direkte Beschickung der Vollversammlung durch Genossenschaften / Raiffeisen-Verband ist ein Unikum der LK NÖ bzw. der PräKo (Verein Präsidentenkonferenz, Anm.), und kein Standard in den anderen Bundesländern“, steht im Abschlussbericht. Das Argument der Grünen: Genossenschaftsmitglieder seien in der Regel Bäuerinnen und Bauern. Diese hätten gewissermaßen zwei Wahlen (Wahl in der Genossenschaft und Wahl in der Landwirtschaftskammer). Eine solche Ungleichbehandlung verschiedener Wahlberechtigter sei nicht nachvollziehbar, so die Grünen.

Bliebe also Variante 1, also die Umwandlung des Vereins in eine Körperschaft. Aber nicht mit den Grünen, wie ein Klubmitglied laut Bericht bekräftigte: Denn die rechtliche Aufwertung des Vereins in eine Bundeslandwirtschaftskammer (BLWK) hätte „keinerlei Mehrwert im Sinne einer Stärkung der landwirtschaftlichen Vertretung und des ‚Wir-Gefühls' der Bauernschaft“, weshalb keine Akzeptanz im Grünen Klub zu erwarten sei.

Frustrierenden Aufwand vermeiden

Josef Hechenberger, Nationalratsabgeordneter der ÖVP und Präsident der Landwirtschaftskammer Tirol, hält laut Abschlussbericht außerdem fest, dass „der Beschluss der LAD-Konferenz vom 12. Mai 2023 zu respektieren ist und aktuell kaum eine Verfassungsmehrheit im Nationalrat erzielbar ist.“

Einen Konsens erzielten die Verhandlerinnen und Verhandler dann aber doch noch, nämlich „keine weitere Detailarbeit zu leisten, um frustrierten [sic] Aufwand zu vermeiden, die Tätigkeit der AG zu beenden und mit den zwei erarbeiteten Umsetzungsoptionen die politische Ebene zu befassen bzw. dem Herrn Bundesminister einen Abschlussbericht vorzulegen.“ Die letzte Sitzung fand am 13. Juni 2023 statt, das Vorhaben wurde nach oben delegiert und vom Landwirtschaftsministerium schließlich nicht mehr weiterverfolgt, wie Voglauer im Gespräch mit profil erzählt.

Sind diese Vorhaben nun auf später verschoben oder ganz gestoppt? Eher zweiteres, denn in den Verhandlungen der Dreierkoalition spielte diese Reform der Landwirtschaftskammer Österreich keine Rolle. Gibt es dennoch Pläne dazu? Nein, heißt es aus dem SPÖ-Parlamentsklub, ÖVP und Neos ließen die Anfrage unbeantwortet.

Die Landwirtschaftskammer wird sich auf Bundesebene also weiterhin nicht wie andere Kammern, sondern als Verein, organisieren. Es ist nicht die erste Reform, die am Widerstand der Länder scheiterte.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.