Letzte Worte vor Grasser-Urteil: „Irgendwann wird es Gerechtigkeit geben“
Freitag, 21. März 2025, 13.47 Uhr. Karl-Heinz Grasser erhebt sich von seinem Angeklagten-Stuhl im prächtigen Verhandlungssaal des Obersten Gerichtshofs (OGH). Es ist der große Moment des früheren Finanzministers, Society-Lieblings und Langzeit-Beschuldigten. Der zweite von vier anberaumten öffentlichen Verhandlungstagen am OGH neigt sich dem Ende. Nun, ganz am Schluss – quasi nach fast 16 Jahren Verfahren – ist es an Grasser und seinen Ende 2020 in erster Instanz verurteilten Mitangeklagten, auch noch einmal selbst ihre Sicht der Dinge darzulegen. Und wenn jemand eine solche Gelegenheit zu ergreifen versteht, dann der politik- und öffentlichkeitsgestählte Ex-Minister.
„Es ist mir ein großes Anliegen, Ihnen zu sagen, dass ich keinen Geheimnisverrat begangen habe“, sagt Grasser gleich zu Beginn seiner rund zehnminütigen Schlussworte in Richtung des fünfköpfigen OGH-Richtersenats. Das ist ein zentraler Punkt: Wird dem früheren Finanzminister (zunächst FPÖ, dann parteifrei auf ÖVP-Ticket) doch vorgeworfen, bei der Privatisierung der einstigen Bundeswohnungsgesellschaften im Jahr 2004 einen entscheidenden Tipp an einen der Bieter weitergegeben zu haben – gegen eine beträchtliche Bestechungszahlung. Unter anderem dafür wurde Grasser im Dezember 2020 vom Landesgericht Wien – nicht rechtskräftig – zu acht Jahren Haft verurteilt. Sein Freund und Trauzeuge Walter Meischberger fasste sieben Jahre aus, der Lobbyist Peter Hochegger sechs. Sie alle haben gegen die Schuldsprüche Rechtsmittel eingebracht. Und nun, mehr als vier Jahre später, geht es vor dem Höchstgericht um alles oder nichts.
Grasser: „Höchstmöglicher Preis für Republik“
Es ist eine Situation, in der Grasser rhetorisch zur Höchstform aufläuft. Mit fester Stimme trägt er vor, was er den Richterinnen und Richtern mit auf den Weg ins Beratungszimmer geben will. Mal unterstreicht er das Gesagte, indem er mit den Händen gestikuliert. Mal bremst er sich, indem er die linke Hand in die Hosentasche steckt. Es ist eine Rede, die jedem Hollywood-Gerichtsfilm alle Ehre gemacht hätte.
Inhaltlich bleibt Grasser seiner bisherigen Verteidigungslinie treu: Er sei bis heute der Überzeugung, dass es gelungen sei, bei der Privatisierung der Wohnungsgesellschaften – darunter die sogenannte Buwog – den höchstmöglichen Preis für die Republik zu erzielen, betont der ehemalige Minister gleich zu Beginn. In erster Instanz wurde Grasser nicht nur wegen des Delikts der Geschenkannahme durch Beamte verurteilt, sondern auch wegen Untreue zulasten der Republik. Eine 9,6 Millionen Euro schwere Zahlung des siegreichen Bieters Immofinanz, die über Hochegger auf drei Konten in Liechtenstein floss, wäre an den Staat abzuführen gewesen, so der Vorwurf. Das Landesgericht sah darin nämlich eine Bestechungszahlung. Grasser hat den Verdacht, dass eines der Konten ihm zuzurechnen gewesen wäre, immer vehement bestritten.
„5.635 Tage und Nächte“
Vor dem Höchstgericht legt er nach: Auch bei der Einmietung der Finanz in den sogenannten „Terminal Tower“ in Linz – bei dem ebenfalls eine Provision über eine Hochegger-Firma geflossen sein soll – habe man die bestmögliche Lösung erzielt, sagt Grasser. Der Ex-Minister beklagt die lange Verfahrensdauer von bald 16 Jahren: „Wenn man nicht selbst betroffen ist, kann man diese Zahl nicht richtig fassen.“ Das sei fast ein Drittel seines Lebens. Das seien 5.635 Tage – und vor allem auch Nächte, „wo du den Schatten dieses Verfahrens nicht loswirst“.
Dann zitiert Grasser den verstorbenen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek: Dieser habe einmal gesagt, dass ein Verfahren selbst nicht zur Strafe werden dürfe. „Dieses Verfahren ist für mich zur Höchststrafe geworden“, beklagt der frühere Minister. „Sie entscheiden über mein Leben, mein Schicksal“, redet Grasser den Höchstrichtern ins Gewissen – nur um diese persönlichen Befindlichkeiten rhetorisch gleich wieder ein wenig hintanzustellen: „aber mehr noch: über das Vertrauen in unser Rechtssystem“. Und mit noch ein wenig mehr Dramatik hält der Ex-Minister fest: „Ich glaube an unsere Republik, an unseren Rechtsstaat.“
Grasser als „rechtmäßig Kämpfender“
Er habe sich immer gesagt: „Irgendwann wird es, muss es Gerechtigkeit geben“, legt der frühere Spitzenpolitiker nach. „Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich habe ein reines Gewissen. Ich kann mich in den Spiegel schauen.“ Dann holt Grasser die OGH-Richter – und das zahlreich erschienene Publikum – ins Hier und Jetzt: Über einem Gemälde im Verhandlungssaal prangt der lateinische Spruch „Legitime Certantibus“. Ein „rechtmäßig Kämpfender“ – so fühle er sich seit vielen Jahren, sagt der ehemalige Finanzminister.
Nach Grasser war Walter Meischberger am Wort: Das Erstgericht habe „ein Unrechtsurteil gesprochen“, betonte der frühere FPÖ-Politiker und Lobbyist. Insgesamt habe ein „organisierter Rufmord über eineinhalb Jahrzehnte“ stattgefunden. Das Verfahren sei „nie fair“ gewesen. Es sei „immer politisch motiviert gewesen“. Danach wandten sich noch Ex-Immofinanz-Boss Karl Petrikovics und zwei weitere Mitangeklagte persönlich an die Richter. Alle bestritten sämtliche Vorwürfe. Nicht erschienen war Peter Hochegger – dem Vernehmen nach wegen einer Hüftoperation. Es besteht beim OGH allerdings auch keine Anwesenheitspflicht.
Urteil am Dienstag
Bevor am Freitag die Angeklagten zu Wort kamen, hatten zwei Vertreter der Generalprokuratur – quasi die Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof – die mannigfaltigen Einwendungen gegen das Urteil erster Instanz von Grasser, Meischberger, Hochegger und Petrikovics in den wesentlichen Punkten zurückgewiesen. Kurz zusammengefasst: Die Richterin aus der ersten Instanz sei nicht befangen gewesen. Es liege sehr wohl rechtlich gesehen eine Untreue vor. Und man müsse das Urteil im Großen und Ganzen sehen und sich nicht einzelne Begrifflichkeiten herauspicken.
Nach den Schlussworten von Grasser & Co. war die eigentliche Verhandlung beendet. Die Vorsitzende des Richtersenats gab bekannt, man werde sich am Montag beraten – und am Dienstag um 10 Uhr vormittags das Urteil verkünden. Egal wie es ausgeht: Es wird mit Sicherheit als historisches Ereignis in die heimische Justizgeschichte eingehen.