Fall Ott

„Marsalek wollte, dass die schwarz-blaue Koalition funktioniert“

Ein bestens vernetzter österreichischer Russland-Freund diente als Kommunikations-Drehscheibe zwischen dem mutmaßlichen Kreml-Agenten Jan Marsalek und Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus. Marsalek wollte die Blauen offenbar unterstützen – und erhielt einen Termin im Innenministerium von Herbert Kickl.

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Dass sich die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG) um Verständigung zwischen Österreich und Russland bemüht, liegt in der Natur Sache. Sie tat das übrigens jahrelang mit viel Verve und getragen durch höchstrangige Funktionäre und Netzwerker aus ÖVP, SPÖ und FPÖ – sowie aus der Wirtschaft. Im einem besonders brisanten Fall dürfte die Völkerverständigung allerdings deutlich über das erwartbare Maß hinausgegangen sein.

Florian Stermann, einst Generalsekretär der ORFG, diente – eigenen Angaben zufolge – im Jahr 2017 und 2018 als Kommunikationsdrehscheibe zwischen Jan Marsalek und Johann Gudenus. Ersterer war damals Wirecard-Vorstand und, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, mutmaßlicher Kreml-Agent. Zweiterer saß als mächtiger Klubobmann der Regierungspartei FPÖ im Nationalrat. Dass es Chatnachrichten zwischen Stermann und Gudenus gibt, in denen es unter anderem um Interna aus dem Innenministerium und konkret auch um das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ging, ist seit Längerem bekannt. profil und der Tageszeitung „Der Standard“ liegt nun allerdings das Protokoll einer Zeugeneinvernahme Stermanns zu diesen Chats vor. Und das hat es in sich. 

 

„Munition für die FPÖ“

Anfang der Woche berichtete das ORF-Radio erstmals über das Protokoll und die Grundaussage Stermanns, er habe die fraglichen Chats quasi von Jan Marsalek bekommen und nur an Gudenus durchgeleitet. („Wenn ich nun zu den Chats gefragt werde, so gebe ich an, dass die Kommunikation zwischen Marsalek und Gudenus aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen teilweise über mich gelaufen ist.“) Wohl kein ganz üblicher Vorgang. Eine genauere Betrachtung offenbart nun jedoch auch die starke politische Note dieser Kommunikation. Marsalek war offenbar sehr daran gelegen, die FPÖ, die damals in Koalition mit der ÖVP von Sebastian Kurz stand, zu stärken.

In einem Chat ging es offenbar um die Frage, ob die ÖVP im vierten Quartal 2018 Neuwahlen anstreben könnte. Stermann übermittelte Gudenus zunächst diverse „Aufklärungsergebnisse“ und schrieb dann: „Trotzdem denke ich dass wir bis Ende des Jahres Munition für die FPÖ besorgen müssen, damit die ÖVP in der Koalition bleibt.“ Gudenus quittierte das mit „Ok“. 

Im Rahmen seiner Zeugenvernehmung beim Bundeskriminalamt im August 2020 gab Stermann diesbezüglich unter Wahrheitspflicht zu Protokoll: „Das ist ganz einfach. Das kam von Marsalek. Wir haben öfter auch über Telegram telefoniert. Ein Ziel von Marsalek war es, dass die schwarz-blaue Koalition funktioniert. Aus diesem Grund braucht es für die FPÖ eigene Inhalte.“

„Loyal“ zur FPÖ

Auch ein im Mai 2018 via Chat an Gudenus übermittelter Vorschlag, den Rechtsanwalt Georg Krakow als neuen österreichischen Geheimdienstchef zu installieren, sei nicht von ihm gekommen, erklärte Stermann den Ermittlern: „Das stammt 1:1 von Marsalek.“ (Krakow fungierte knapp zuvor im Zuge der damals hochkochenden BVT-Affäre übrigens als Vertrauensperson bei einer Zeugeneinvernahme des früheren BVT-Abteilungsleisters Martin Weiss. Weiss steht nun im Verdacht, gemeinsam mit Marsalek und dem Ex-BVT-Beamten Egisto Ott für Russland spioniert zu haben.) 

Damals schlug also der – wie man heute weiß – mutmaßliche Kreml-Agent Marsalek dem Klubobmann einer Regierungspartei eine bestimmte Person für die neu zu schaffende und höchst mächtige Position eines „nationales Geheimdienstkoordinators“ vor: „Info von Jan, er meint er hätte Interesse und wäre loyal zu uns“, schrieb Stermann an Gudenus bezüglich des Krakow-Chats. Als Zeuge erklärte Stermann dazu: „Mit Jan war Marsalek gemeint. Mit ‚loyal zu uns‘ habe ich die FPÖ gemeint.“ Er selbst sei nicht Mitglied der FPÖ.

Demnach hätte Marsalek die politischen Interessen der Blauen selbst in einer solch sensiblen Angelegenheit mehr als nur im Hinterkopf gehabt. Und tatsächlichen öffnete sich für Marsalek in Österreich bald darauf die Tür ins sicherheitspolitische Machtzentrum des Landes – ins Innenministerium (BMI), das damals vom heuten FPÖ-Chef Herbert Kickl geführt wurde.

Termin im Kickl-Ministerium

„Ägyptische Regierung würde Flüchtlingslager zustimmen und USA würden das unterstützen“, schrieb Stermann im Juli 2018 an Gudenus: „Kommt von Jan, bitte im BMI besprechen, ob wir aktiv werden sollen.“ Und offenbar wurde man aktiv. „Marsalek hatte die Idee, Flüchtlinge die über Ägypten nach Europa kommen, in Ägypten ‚abzufangen‘ bzw. dort in Lagern unterzubringen“, gab Stermann später als Zeuge zu Protokoll. „In diesem Zusammenhang gab es einen Termin im BMI. Ich weiß noch, dass Herr Teufel, der damalige Kabinettschef, teilgenommen hat. Marsalek, Gudenus und ich selbst waren auch dabei. Es gab auch noch 4-5 Vertreter aus den verschiedenen Sektionen im BMI.“ Die Angelegenheit sei unter dem Titel „Projekt Pyramide“ gelaufen. 

Hat Marsalek über die Gudenus-Stermann-Schiene tatsächlich Zugang zum Innenministerium und Kabinettschef Reinhard Teufel, der rechten Hand des damaligen Ministers Herbert Kickl, erhalten? Auf Anfrage von profil und „Standard“ bestätigt Teufel den Termin. Dieser habe „über Vermittlung des damaligen Klubobmannes Johann Gudenus“ stattgefunden: „Gudenus sagte mir nur, dass er jemanden an der Hand habe, der sich vor Ort in Ägypten auskenne und auch über gute Kontakte in die USA verfüge und uns so Möglichkeiten zur Eindämmung der Flüchtlingssituation eröffnen könne.“

„Kickl informiert“

Mit Vorschlägen zur Eindämmung der Flüchtlingskrise fand man bei der FPÖ offenbar leichten Zugang – selbst wenn die Ideen vom Vorstand eines Zahlungsdienstleistungsunternehmens kamen und nicht von einem Migrationsexperten. Ihm sei der Termin „nicht ungewöhnlich“ erschienen, teilt Teufel mit. Der Wirecard-Vorstandsvorsitzende Markus Braun sei schließlich sogar in einer Task-Force im Bundeskanzleramt gesessen. 

Letztlich dürfte es mit der Sachkenntnis Marsaleks in migrationspolitischen Fragen jedoch nicht allzu weit her gewesen sein: „Nach dem Gespräch hatten wir alle eher den Eindruck von unkonkreten Hintergrundinformationen“, lässt Tuefel wissen: „Darüber habe ich dann auch den Minister informiert.“ Minister war damals – wie erwähnt – Herbert Kickl.

Die Russland-Freunde

Den Eingang ins blaue Netzwerk dürfte Marsalek bereits Jahre zuvor über die ORFG gefunden haben. Ihm selbst sei Marsalek „glaublich 2009“ von Wirecard-CEO Markus Braun vorgestellt worden, gab Stermann als Zeuge zu Protokoll. Braun sei „ein Vorstandskollege bzw. Senator“ in der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft gewesen und habe gewollt, das auch Marsalek dort Mitglied wird: In diesem Zusammenhang habe Wirecard der ORFG „seit glaublich 2011 jedes Jahr 10.000 Euro gespendet“. Profil berichtete 2022 ausführlich über die Freundschaftsgesellschaft. 

Gudenus sei ebenfalls im Vorstand der ORFG gesessen, erzählte Stermann den Ermittlern. Über die Freundschaftsgesellschaft hätten Marsalek und Gudenus einander persönlich kennengelernt: „Es ist möglich, dass sie sich 2015 im Zuge unserer 15-Jahr-Feier kennengelernt haben.“ Er, Stermann, könne sich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt erinnern, ab wann Marsalek ihm Nachrichten geschickt habe, die er an Gudenus weiterleitete: „Ich kann das alles leider nicht mehr nachvollziehen, weil ich mein Handy mittlerweile zwei Mal, erstmals vor einem Jahr, zuletzt vor ca. zwei Monaten verloren habe.“ Gudenus und Marsalek hätten jedoch nicht nur über ihn kommuniziert, sondern „jedenfalls auch persönlichen Kontakt“ gehabt. 

Wie sich nun zeigt, dürfte die ORFG hier den Boden für eine österreichisch-russische Freundschaft der ganz besonderen Art bereitet haben. Stermann und Gudenus ließen Anfragen von profil und „Standard“ bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Soweit bekannt, wird gegen sie in Zusammenhang mit der Affäre um Jan Marsalek, Martin Weiss und Egisto Ott nicht ermittelt. Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Der Grüne Abgeordnete David Stögmüller ist auf 180

"Ein wichtigen neuen Aspekt finde ich auch, dass Marsalek besonders bedacht war, dass die FPÖ weiter in der Regierung bleiben musste. Warum nur? Natürlich um weiter den Nährboden für Russland auszubreiten, zum Glück kam Ibiza der FPÖ und Marsalek in die Quere", sagt Stögmüller zu "profil".

Kickl und Teufel werden morgen, Donnerstag, im U-Ausschuss befragt. David Stögmüller, Abgeordneter der Grünen, hatte die Österreichisch russische Freundschaftsgesellschaft schon 2020 drei Mal angezeigt und fühlt sich nun durch die neuen Erkenntnisse bestätigt: "Russland hat hier Politiker, Beamte und Wirtschaftstreibende zusammengeholt. Neu ist, dass über Florian Stermann der Kontakt mit dem ehemaligen Klubobmann Gudenus und Jan Marsalek über heikle informationen stattgefunden hat. Dass hier die Parteispitze nicht informiert war ist doch komplett weltfremd. Die Chats geben ebenso Einblicke, dass Marsalek viel mehr Informationen bekommen hat als er von Ott und Weiss bekommen konnte. Also gehe wir noch von einem größeren Marsalek-Russland-Netzwerk aus, dass die Sicherheitsstruktur Österreich untergraben hat."
Dass Marsalek derart bedacht war, dass die FPÖ weiter in der Regierung bleiben müsse könne für ihn nur einen Grund haben: "Natürlich um weiterhin den politischen Einfluss in Österreich zu haben. Ibiza kam ihnen nur in die Quere."

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.