Nach Betrugsfällen

Millionen hinter Gittern: Wie die Justiz das Vermögen von Opfern wegsperrt

Österreichs Justiz weigert sich seit Jahren, Millionen an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben – weil digitales Geld kein körperlicher Gegenstand ist. Chronik einer Rechtsposse.

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Einen Tag vor Weihnachten 2015 poppt bei der Leiterin der Buchhaltung eine Mail des Vorstandsvorsitzenden auf. Er will ein neues Unternehmen kaufen – schnell und geheim. Ohne Rücksprache mit anderen Personen soll die Mitarbeiterin 3,79 Millionen Euro an ein chinesisches Konto überweisen. Klingt komisch? Das Telefon der Mitarbeiterin läutet. Ein Anwalt, „Dr. Nürnberger“, bezieht sich in perfektem Deutsch auf das Mail und wischt alle Sorgen vom Tisch. Die Mitarbeiterin knickt ein und überweist die gewünschte Summe. Noch am selben Tag wird ihr klar: Die Mails waren falsch, den Anwalt gibt es nicht. Die Vorarlberger Verpackungsfirma Rondo Ganahl AG ist Opfer eines millionenschweren Betrugs geworden.

Ganahl erstattet am 23. Dezember 2015 Anzeige. Knapp nach Weihnachten wird das Konto der Betrüger in China eingefroren. Es gibt nur eine Einzahlung, keine Auszahlung und der Kontostand beträgt 3,79 Millionen Euro. Am rechtmäßigen Eigentümer des Geldes besteht kein Zweifel. Dennoch ist bis heute kein einziger Cent bei Ganahl angekommen. Es folgt ein vergeblicher Kampf des Unternehmens, das eigene Vermögen zurückzubekommen. Gegenspieler dabei ist paradoxerweise just die österreichische Justiz, die das Geld erfolgreich beschlagnahmt hatte.

Internationale Schwindler

Zunächst war China zögerlich. „Fake President-Fraud“, eine Masche, bei der sich professionelle Betrüger als Vorstände von Firmen ausgeben, hat 2015 Hochkonjunktur. Neben Ganahl wurde auch der Innviertler Flugzeugzulieferer FACC Opfer des ausgeklügelten Schwindels: Rund 40 Mails umfasst der Schriftverkehr, mit dem Betrüger dem österreichischen Unternehmen 50 Millionen Euro herauslockten. 10,8 Millionen Euro konnten – wie bei Ganahl – in China eingefroren werden.

Die Betrügerbande war bei beiden Unternehmen dieselbe: Im Oktober 2022 wurde David S. als Mitglied der internationalen kriminellen Organisation in Graz nicht rechtskräftig zu neun Jahren Haft wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs und Geldwäscherei verurteilt. Zwischen 2015 und 2016 soll er persönlich geholfen haben, fünf Unternehmen rund 57 Millionen Euro aus der Tasche zu ziehen. In zahlreichen weiteren Fällen soll er die Beute ins Ausland fließen haben lassen. Neben Websites und Mail-Adressen organisierten sich die Betrüger gefälschte Stempel, etwa der Pariser Generalstaatsanwaltschaft. Ihr Netzwerk erstreckte sich weit über Europa hinaus: S. ist französischer, tunesischer und israelischer Staatsbürger, lebte in Israel und soll von dort Konten etwa in Polen und China  eröffnet haben.

Hochdiplomatie nach Hochstaplerei

Die chinesischen Behörden wollten daher sichergehen, dass kein anderes Betrugsopfer Anspruch auf die eingefrorenen Konten hat, bevor sie das Geld zurück nach Österreich überweisen. Die Spitzen der heimischen Diplomatie warfen sich ins Zeug: Bereits am 27. Dezember 2015 bat die österreichische Botschaft in China, „dringend, dem Rechtshilfe-Ersuchen [der Staatsanwaltschaft Feldkirch] nachzukommen“ und die Millionen zurück nach Österreich zu schicken.

Ein Jahr später wandte sich der damalige Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) persönlich an seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi: „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir im Sinne der ausgezeichneten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern […] in dieser schwierigen Frage rasch eine gute Lösung finden können“, schrieb der spätere Kanzler. 

Im Oktober 2018 versicherte die heutige Sektionschefin des Justizministeriums, Barbara Göth-Flemmich, dass die Eigentumsverhältnisse klar festgestellt seien. Anfang November 2018 erklärte die Leiterin der WKStA, Ilse-Maria Vrabl-Sanda, schriftlich den chinesischen Behörden: „Sobald diese Summe eingelangt ist, wird sie an die Rondo Ganahl AG ausgezahlt werden.“ Um die Bedenken Chinas auszuräumen, erklärte die Firma Ganahl, das Geld sofort zurückzuzahlen, wenn andere Opfer ihre Ansprüche glaubhaft geltend machen könnten. Keine große Sache, war doch unstrittig, wem das Geld gehört.

Nicht greifbar

Am 28. April 2019 trugen die Bemühungen Früchte: Das Ministerium für öffentliche Sicherheit in China und das österreichische Außenministerium unterzeichneten in Peking ein „Memorandum of Understanding“. China würde die eingefrorenen Gelder dreier österreichischer Firmen, darunter die 3,79 Millionen Euro der Ganahl und die 10,8 Millionen Euro der FACC, an die heimische Justiz senden. Am 13. Mai 2019 langte das beschlagnahmte Geld der Ganahl auf einem Konto des Oberlandesgerichts (OLG) Wien ein. Seitdem weigert sich die Justiz, den heimischen Firmen ihre Millionen zurückzugeben.

Vertrag zwischen Staaten

Im "Memorandum of Understanding" sagte China 2019 die Überweisung von 13,387 Millionen Euro und 3,255 Millionen US-Dollar nach Österreich zu - damit die Republik das Geld an die Unternehmen weitergegeben werden kann.

Aber warum? Die Argumentation ist gewöhnungsbedürftig: Beschlagnahmte Gegenstände sollen zwar per „Ausfolgung“ so rasch wie möglich an ihre Eigentümer übergeben werden. Das beziehe sich aber „allein auf körperliche Sachen“, argumentierte die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien am 12. September 2019 in einer Weisung an die WKStA. „Unkörperliche“ Dinge, etwa elektronische Konten, seien davon nicht betroffen. Anders gesagt: Wird ein Geldschein gestohlen, kann er zurückgegeben werden. Wird das Geld digital erschwindelt, bleibt es bei der Justiz.

Streit um das eigene Geld

Die WKStA muss sich Weisungen ihrer Oberbehörde beugen – und schwenkte entsprechend um: Das Geld von Ganahl kam in Österreich an, blieb aber auf dem elektronischen Sparbuch des OLG Wien liegen. Dort bringt es vier Prozent Zinsen pro Jahr. Die 3,79 Millionen Euro könnte Ganahl als Vorarlberger Traditionsunternehmen mit mehr als 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber selbst brauchen. „Jede weitere Verzögerung der Ausfolgung der den Opfern redlich zustehenden Gelder verunmöglicht die Verwendung für operative Zwecke und Investitionen, was dem Standort Österreich kaum guttun kann“, findet auch FACC. Der Luftfahrtzulieferer scheiterte ebenfalls an Rechtsansicht der OStA Wien.

Es folgte ein juristischer Marathon, bei dem die Unternehmen stets gegen die Republik verloren. Die Ganahl wendet sich nun an das Oberlandesgericht Graz. Auch die FACC gibt nicht klein bei und fordert weiter die Ausfolgung ihrer Millionen: „Nach Jahren wäre es an der Zeit, dass diese unsägliche Situation gelöst wird und die Ausfolgung stattfindet.“

Für die Firmen steht viel auf dem Spiel: Sie sind auch als Privatbeteiligte im Strafverfahren, das der Staat gegen den mutmaßlichen Betrüger David S. führt. Das ist mittlerweile bei den Obergerichten zur Abhandlung angekommen. Werden die Opfer über diesen Weg vom Gericht entschädigt, würde der Staat den geschädigten Firmen nur Anteile zusprechen. Ob dann etwa Ganahl die gesamte Schadenssumme zurückbekommt, ist fraglich.  

Nach Jahren wäre es an der Zeit, dass diese unsägliche Situation gelöst wird und die Ausfolgung stattfindet.

FACC

Ursprünglich hatte die Justiz auch gegenüber den chinesischen Behörden stets behauptet, dass die Eigentumsverhältnisse der beschlagnahmten Summen geklärt seien – aber warum wird dann das Geld nicht ausbezahlt? Robert Kert und Raphaela Bauer-Raschhofer vom Institut für Wirtschaftsstrafrecht der WU Wien haben eine Erklärung. Es gibt auch gute Gründe, warum Opfer auf Entschädigung mitunter lange warten müssen. Betrüger vermischen ihre Beute in der Regel rasch. Können Geldscheine und andere Gegenstände noch vergleichsweise leicht eindeutig identifiziert werden, ist das bei rein digitalen Werten schwieriger: Wessen Geld auf welches Konto verschoben wurde, ist oft nahezu unmöglich rekonstruierbar.

In der Regel wird elektronisch beschlagnahmtes Geld daher nach Ende des Strafverfahrens anteilsmäßig unter den Opfern aufgeteilt. „Es wäre ungünstig, wenn der Staat einem Opfer das ganze Geld gibt und danach muss man es auf drei andere rückabwickeln“, sagt Kert. Solange nicht vollständig geklärt sei, wem das Geld gehört, sei es daher nachvollziehbar, dass die Gerichte die Herausgabe verweigern, so Bauer-Raschhofer. Die lange Wartezeit für FACC und Ganahl sei jedoch „äußerst unbefriedigend“, findet Kert. 

Dass eine Regelung wünschenswert wäre, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke.

Landesgericht für Strafsachen Graz

Lücke gesucht

Im Fall der Ganahl waren die Behörden in China allerdings so schnell, dass kein Zweifel daran besteht, wem die 3,79 Millionen Euro auf dem chinesischen Konto tatsächlich gehören. Auch der FACC wurde die lückenlose Rückverfolgbarkeit der Beträge bestätigt. Die Gerichte sehen das strenger: Ganahl habe sich verpflichtet, das Geld bei berechtigten Ansprüchen Dritter zurückzuüberweisen. Ganz sicher sei ihr Anspruch folglich nicht. Dass dies eine Bedingung der Chinesen war, findet keine Berücksichtigung in der Entscheidung der heimischen Gerichte. Das „Memorandum of Understanding“ zwischen Österreich und China sei zudem nicht rechtlich bindend, wie auch das Außenministerium bestätigt. Vor allem aber würden aber die Begriffe „Ausfolgen“, „Rückgabe“, „Verwahrung“ und „Gegenstände“ im Gesetzestext eben darauf hinweisen, dass nur körperliche Sachen ausgehändigt werden dürften. Eine Lücke erkannte das Landesgericht für Strafsachen Graz darin nicht: „Dass eine Regelung wünschenswert wäre, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke.“

„Man kann schon sagen, dass die Ausfolgung von Geld auf elektronischen Konten einfach nicht ordentlich geregelt ist“, sagt hingegen Strafrechtsexperte Kert. Der Ball liegt nun beim Justizministerium. Seit Monaten ringen ÖVP und Grüne um eine Reform der Strafprozessordnung (StPO). Unter anderem wünschen sich die Grünen eine unabhängige Spitze der Staatsanwaltschaft, die Volkspartei eine Stärkung der Beschuldigtenrechte. Sollte sich die Regierung einigen,  wäre das ein Anlass, die Bestimmungen zur Ausfolgung ins  21. Jahrhundert zu heben: „Die geschilderte Fragestellung ist dem Ministerium seit Kurzem bekannt. Derzeit wird geprüft, ob es einer gesetzlichen Anpassung bedarf oder ob eine Lösung innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens möglich ist“, heißt es auf Anfrage aus dem Justizministerium. Im Außenministerium kennt man die laufenden Verfahren in Österreich angeblich nicht, man vertraue aber darauf, „dass die zuständigen Justizbehörden die Rücküberweisungen veranlassen“.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.