Assistierter Suizid
Sterbehilfe

Nach assistiertem Suizid steht die Kriminalpolizei vor der Tür

Institutionen machen Betroffenen das Sterben schwer: Ein Tiroler Hospiz verbietet Sterbehilfe. In Wien wollten Rettungskräfte eine Frau wiederbeleben, die das tödliche Präparat bereits eingenommen hatte. In anderen Fällen wurden Angehörige von der Polizei verhört.

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Es gibt nicht viele Menschen, die so gut vorbereitet aus dem Leben scheiden, wie ein fast 90-jähriger Mann aus Kufstein (Tirol). Bevor er starb, gestaltete er seine Parte mit, wählte die Urne aus und weihte sein engstes Umfeld über seinen Plan ein: Er wollte das Recht auf assistierten Suizid nützen. 

Vier Menschen waren im Raum, als der Mann aus Tirol an einem Donnerstagnachmittag im November 2024 zu seinem letzten Schluck ansetzte und das letale Mittel in flüssiger Form trank. Der Neffe, dessen Frau, ein enger Freund des Mannes – und dessen Begleitperson: Die Palliativärztin Christina Kaneider, die sich auf die Unterstützung von sterbewilligen Personen spezialisiert hat. 

Der Mann war sterbenskrank: er saß im Rollstuhl, war auf eine 24-Stunden-Pflege angewiesen, konnte nur mit Mühe sprechen und quälte sich durch den Tag. Im Geist war er aber noch fit. Er habe seinen Frieden gemacht, sagte er vor seinem Tod. 

Seit Anfang 2022 ist assistierter Suizid in Österreich erlaubt. 510-mal wurde das Präparat seither in Apotheken ausgegeben.

Sterbebett wird zu Tatort

Die Angehörigen waren an diesem Novembernachmittag auf vieles vorbereitet, auf Tränen, auf die beklemmende Stille nach dem Einsetzen des Todes. Doch dass sich der Raum um das Sterbebett zu einem Tatort verwandeln würde, hätten sie nicht erwartet. Eineinhalb Stunden nachdem sie den Arzt für die Totenbeschau verständigt hatten, kreuzte dieser mit zwei Kriminalisten auf. 

Sie schossen Fotos von der Leiche des Mannes und inspizierten den Becher, aus dem der Verstorbene das Präparat getrunken hatte. Mit anderen Worten: Sie suchten nach Anzeichen für Fremdeinwirkung.

Palliativmedizinerin Kaneider: „Wurden einzeln befragt“

Ärztin Kaneider schildert die Szenen: „Alle Beteiligten wurden einzeln befragt, in welchem Zusammenhang sie da sind und inwiefern sie mitgewirkt haben. Dann haben die Beamten mit einem Staatsanwalt in Innsbruck telefoniert, der hat gesagt: Obduzieren!“

Zwei Tage später war der Spuk vorbei, der Leichnam wurde fürs Begräbnis freigegeben. Ein großer Verwaltungsaufwand für ein erwartbares Ergebnis: Der selbstgewählte Tod des Mannes lief gesetzeskonform ab.

Der Fall aus Kufstein legt eine eklatante Schwäche des Rechts auf assistierten Suizid offen: Informiert der Arzt die Polizei über einen unnatürlichen Todesfall, muss sie sich laut Strafprozessordnung ein Bild von der Leiche machen und die Staatsanwaltschaft informieren. Der Vorfall in Kufstein dürfte kein Einzelfall sein, das Problem ist unter Juristen bekannt.

Es bei weitem nicht die einzige Hürde, die Betroffene zu meistern haben. profil recherchierte diese Fälle gemeinsam mit dem ORF. Drei Jahre nach der Legalisierung der Sterbehilfe scheinen Institutionen und Behörden überfordert zu sein – oder unwillig.

Die Ärzte müssten die Polizei bei einem assistierten Suizid gar nicht zwingend verständigen, tun es offenbar aber immer wieder, um sich abzusichern.

Alois Birklbauer

Strafrechtsprofessor

„Oft soll die Polizei mit Blaulicht und in Uniform angerückt sein, das ist für die Angehörigen sehr belastend“, sagt Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer von der JKU Linz im Interview mit profil und ORF. Birklbauer ist auf Medizinrecht spezialisiert.

Aus seiner Sicht handelt es sich um ein „Informationsdefizit“ unter den Totenbeschauärzten: „Die Ärzte müssten die Polizei bei einem assistierten Suizid gar nicht zwingend verständigen, tun es offenbar aber immer wieder, um sich abzusichern. Und dann beginnt die ganze Maschinerie zu laufen: Wenn sie informiert wird, muss die Polizei kommen.“

Birklbauer sieht zwei Wege, um diese – wie er es nennt – „Fleißaufgabe“ zu unterbinden und die Angehörigen zu entlasten: Eine Sensibilisierung der Totenbeschauärzte und eine bundesländerübergreife einheitliche Todesfalldokumentation, die assistierte Suizide berücksichtigt.

Von vornherein ausschließen dürfe man polizeiliche Ermittlungen nach Sterbehilfe-Fällen aber nicht, sagt Birklbauer: „Man kann Missbrauch nie ganz ausschließen.“

Notarzt missachtete Sterbewunsch

Schwierigkeiten machen aber nicht nur Totenbeschauer, sondern auch Rettungskräfte. Deren Vorgehen ruft jetzt Volksanwalt Bernhard Achitz auf den Plan.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.