ÖIF-Prozess: Integrationsfonds will 13 Millionen Euro – Zeuge rudert zurück
Schon bisher war klar, dass es in diesem Gerichtsverfahren um viel Geld geht. Nun ist es noch mehr. Seit vergangenem Sommer läuft am Landesgericht Wien ein Strafprozess rund um frühere Immobilien-Deals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) – profil berichtet regelmäßig aus dem Gerichtssaal. Der Verdacht: Der in der Einflusssphäre des Innenministeriums angesiedelte Fonds könnte von einem früheren Geschäftsführer und mehreren Mitbeschuldigten massiv geschädigt worden sein. Gestern, Dienstag, hat nun der ÖIF seine aktualisierte Schadenersatzforderung auf den Tisch gelegt: insgesamt mehr als 13,2 Millionen Euro – statt bisher 10,6 Millionen.
Der Fonds wird vor Gericht von der Finanzprokuratur – so etwas wie die Anwältin der Republik – vertreten. „Es geht um öffentliche Gelder, um Steuergeld, um unser aller Geld“, betonte der Repräsentant der Finanzprokuratur im Rahmen der Hauptverhandlung. Die 13,2 Millionen Euro ergeben sich als Summe aus mehreren Anklagepunkten. Zusätzlich fordert der Fonds auch noch vier Prozent Zinsen – je nach Anklagepunkt teilweise seit 2007. Das läppert sich.
Zeuge musste zurückrudern
Bezahlen sollen das nach Vorstellung der Finanzprokuratur – in abgestufter Höhe – mehrere zentrale Angeklagte der weitläufigen Causa im Falle einer Verurteilung. Hauptbeschuldigter ist ein früherer ÖIF-Geschäftsführer. Ebenfalls vor Gericht stehen unter anderem ein Immobilienunternehmer, der bei einigen der angeklagten Deals zum Zug kam, sowie ein Lobbyist, mit dem der Ex-ÖIF-Manager befreundet ist. Alle haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. In ihrer Anklageschrift aus dem Mai 2023 bezifferte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) den mutmaßlichen Schaden mit Blick auf den Hauptangeklagten übrigens noch mit rund 11,6 Millionen Euro. Da ist aus Sicht des Fonds offenbar noch einiges dazugekommen.
Im Zentrum des Verfahrens stehen der Verkauf von Wohnhäusern und Wohnungen des Fonds in den Jahren 2008 und 2009 sowie die – ebenfalls 2009 erfolgte – Einmietung des ÖIF in ein Haus im dritten Wiener Gemeindebezirk. Es gibt aber auch noch durchaus schwerwiegende Nebenvorwürfe, die teils auch mit anderen von der anderen Anklage erfassten Vorgängen verknüpft sind. Und zu einem solchen Seitenstrang der Causa musste ein hochrangiger Zeuge am Dienstag vor Gericht ordentlich zurückrudern.
750.000 Euro „rechtsgrundlos“ überwiesen?
Die WKStA wirft dem angeklagten Ex-ÖIF-Manager vor, im Jahr 2009 „rechtsgrundlos“ 750.000 Euro an eine Firma aus dem Einflussbereich des mitangeklagten Immobilienunternehmers überwiesen zu haben – dies unter dem Titel angeblicher Sanierungskosten. Der Unternehmer agierte nämlich nicht nur als Käufer diverser ÖIF Wohnungen, sondern war auch als Hausverwalter des ÖIF tätig. Der damalige ÖIF-Geschäftsführer habe bei der Auszahlung „bewusst den für solche – außerhalb der Besorgung der laufenden Geschäfte des Fonds liegende – Großüberweisungen satzungsmäßig vorgesehenen Beschluss des Kuratoriums nicht eingeholt“, heißt es in der Anklageschrift.
Das Kuratorium des Integrationsfonds war ein der Geschäftsführung übergeordnetes Gremium, in dem wichtige Beschlüsse getroffen wurden. Aus Sicht der WKStA hätte auch die Auszahlung der 750.000 gemäß Satzung des Fonds eines Kuratoriumsbeschlusses bedurft. Und wer sollte darüber besser Auskunft geben können, als der damalige Kuratoriumsvositzende, Karl Hutter?
Kuratoriumsbeschluss nowendig?
Hutter ist nicht irgendwer. Er ist Sektionschef im Innenministerium, ein Spitzenbeamter. Was er sagt, hat schon ganz automatisch Gewicht. Und als Hutter Ende Jänner das erste Mal als Zeuge im ÖIF-Prozess befragt wurde, sagte er unter anderem, dass – soweit er sich erinnern könne – die Fonds-Statuten eine „Deckelung“ für „Vermögensverfügungen“ durch die Geschäftsführung vorgesehen hätten. Auf Nachfrage des Richters meinte Hutter damals, er glaube, dass dies ursprünglich 50.000 Euro gewesen seien, die später irgendwann erhöht worden seien. Den Zeitpunkt könne er nicht mehr genau sagen. Angesichts des Umstands, dass der Kaufpreis, den der nunmehr angeklagte Immobilienunternehmer seinerzeit für ein bestimmtes Wohnungspaket an den ÖIF bezahlen musste, nicht viel höher lag als der Betrag, den er als Hausverwalter vom ÖIF erhielt, hätten die Überweisungen von 500.000 oder 750.000 Euro aber auf alle Fälle im Kuratorium diskutiert und beschlossen werden müssen.
Dies blieb Ende Jänner unwidersprochen im Raum stehen. Nach dem vorsitzenden Richter stellten noch zwei der anwesenden Sachverständigen und ein Vertreter der WKStA dem Sektionschef Fragen. Die Verteidiger kamen – aus Zeitgründen – am damaligen Verhandlungstag jedoch nicht mehr an die Reihe. Hutter musste erneut geladen werden, was nicht rasch möglich war, da der Sektionschef bald darauf eine mehrwöchige Fernreise antrat.
Zeuge: Doch keine Wertgrenze
Gestern, Dienstag, war es dann soweit. Hutter erschien erneut als Zeuge – und diesmal kam auch die Verteidigung an die Reihe. Johannes Zink, der Anwalt des Hauptangeklagten Ex-ÖIF-Geschäftsführers, hielt Hutter die Satzung des Fonds aus dem Jahr 2009 vor, scrollte auf dem Computerbildschirm nach unten und bat den Zeugen, „stopp“ zu sagen, sobald dieser die erwähnte Wertgrenze für Auszahlungen sehen würde. Allein, sie kam nicht: „Soweit ich hier sehe, gibt es keine Wertgrenze“, meinte Hutter nun. „War Ihre Aussage in diesem Punkt falsch?“, hakte Zink nach. „Ich glaube nicht“, meinte Hutter. Es könne sein, dass er es „zeitlich nicht genau eingeordnet“ habe. In späteren Jahren habe es eine Wertgrenze gegeben.
Wie sich in der Folge herausstellte, hat Hutter möglicherweise auch noch etwas Anderes in Bezug auf die 750.000 Euro nicht genau eingeordnet. Ende Jänner gab der Sektionschef vor Gericht zu Protokoll, dass – wenn ein derartiger Betrag in der Bilanz des Fonds ausgewiesen gewesen wäre – man im Kuratorium das sicher diskutiert und hinterfragt hätte. Man habe schließlich sogar die Telefonkosten in der Jahresbilanz hinterfragt. Er könne sich aber nicht erinnern, dass das jemals diskutiert worden wäre.
750.000 Euro in der Bilanz übersehen?
Waren die 750.000 Euro also im Jahresabschluss nicht ersichtlich? Anwalt Zink hielt Hutter in der gestrigen Einvernahme dann die 2009er-Bilanz des Integrationsfonds vor, in der ein Verrechnungskonto der Hausverwaltungsfirma des angeklagten Immobilienunternehmers angeführt war. Dieses wies Ende 2009 einen um rund 800.000 Euro höheren Stand auf als im Jahr zuvor. Zink zufolge handelte es sich dabei um ein Treuhandkonto des ÖIF bei der Hausverwaltung, der Anstieg sei durch die 750.000 Euro bedingt gewesen. Der Anwalt wollte wissen, ob das Geld also weiterhin dem Integrationsfonds gehört habe, weil es ja lediglich ein Treuhandkonto gewesen sei. Hutter meinte, er gehe davon aus. „Kann es sein, dass Ihnen dieser Budgetposten entgangen ist“, hakte der Verteidiger nach. „Das kann durchaus sein“, gab Hutter zu: „Wenn es Gelder des ÖIF sind, die nicht ausgegeben wurden, hat es ja auch keine Relevanz.“
Laut dem angeklagten Ex-ÖIF-Manager wurden 650.000 Euro tatsächlich für Wohnungssanierungen aufgewendet und 100.000 Euro vom Hausverwalter wieder rücküberwiesen.
Noch 38 Zeugen beantragt
Der Schwenk Hutters in seiner Einvernahme offenbart ein Grundproblem des ÖIF-Prozesses: Die mutmaßlichen Taten liegen so lange zurück, dass Zeugen sich mitunter gar nicht mehr oder nicht richtig erinnern. Niemand hat am Dienstag im Zuge der Verhandlung auch nur ansatzweise einen Falschaussagevorwurf gegen Hutter erhoben. Über so viele Jahre hinweg kann man schon einmal etwas durcheinanderbringen. Die Wahrheitsfindung vor Gericht erleichtert das aber wohl nicht. Vor allem dann nicht, wenn Befragungen einzelner Zeugen etappenweise mit teils wochenlangen Unterbrechungen durchgeführt werden. Die Würdigung von Zeugenaussagen und sonstigen Beweisen ist im ÖIF-Verfahren einem Schöffensenat vorbehalten.
Ein Ende im ÖIF-Prozess ist allerdings bisher nicht in Sicht. Am Dienstag erwähnte Richter Michael Tolstiuk, dass es 38 weitere beantragte Zeugen gäbe. Dabei handelt es sich offenbar erst um jene, welche die WKStA einvernehmen möchte. Bisher konnte im Schnitt zwei bis drei Zeugen pro Termin befragt werden. Auch wenn die Verfahrensparteien zustimmen, Vernehmungsprotokolle einzelner Zeugen aus dem Ermittlungsverfahren vor Gericht zu „verlesen“, anstatt die Personen direkt zu befragen, kann das dauern. Bis zur – zumindest erstinstanzlichen – Klärung, ob der ÖIF eine Chance auf die 13,2 Millionen Euro plus Zinsen hat, wird noch einige Zeit vergehen.