Öl, Blut, Gier – Die Akte OMV-Sudan
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- Die OMV war von 1997 bis 2004 Teil eines Konsortiums, das im südlichen Sudan Öl suchte und fand.
- In der Region herrschte Bürgerkrieg, bereits damals gab es Vorwürfe wegen potenzieller Menschenrechtsverletzungen.
- Die OMV verkaufte ihre Projektanteile letztlich mit einem Gewinn von rund 50 Millionen Euro.
- Im November 2021 erhob die schwedische Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei hochrangige Vertreter des Ölkonzerns Lundin, der seinerzeit das Konsortium anführte.
- Die Manager sollen Kriegsverbrechen des sudanesischen Regimes unterstützt haben, um das lukrative Bohrprojekt voranzutreiben.
- Vorliegende Ermittlungsakten geben auch Auskunft über das Verhalten der OMV.
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20. Februar 2002 in einem Dorf namens Bieh im südlichen Sudan – einer der unwirtlichsten Regionen der Welt, damals mitten in einem Bürgerkriegsgebiet gelegen. Menschen warten auf eine Hilfslieferung des World Food Programms der Vereinten Nationen. Doch anstelle lebensrettender Unterstützung kommt der Tod. Ein Kampfhubschrauber eröffnet das Feuer, am Ende liegen zwei Dutzend Zivilisten leblos am Boden, viele sind verletzt.
Genau in dieser Region ist damals unter anderem der österreichische Mineralölkonzern OMV aktiv. Ein wirtschaftliches Abenteuer, das nun – zwei Jahrzehnte später – erstmals im Detail ausgeleuchtet werden kann. Dafür sorgen Akten und Ermittlungsergebnisse der schwedischen Strafverfolgungsbehörden. profil hat diese im Rahmen einer umfangreichen Recherche ausgewertet.
Es ist der Fluch des Öls: Wo es im Boden schlummert, herrschen an der Oberfläche allzu oft Armut, Chaos, Diktatur und Krieg. Wird der vermeintliche Schatz dann gehoben, schafft er nicht den lang ersehnten Wohlstand für alle, sondern verstärkt Ungleichheit und Leid. Korrupte Eliten kassieren die Gewinne. Wer im Weg steht, muss weichen. Das schwarze Gold einiger weniger mischt sich mit dem Blut und den Tränen vieler.
In jenen Regionen der Welt, in denen Menschen systematisch unterdrückt werden oder keine funktionierenden staatliche Strukturen existieren, scheint es kaum möglich, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Dabei wäre es – in der Theorie – ganz einfach: Westliche Unternehmen, die mit ihrem technologischen Know-how die Ölförderung übernehmen, sollten nicht nur auf den eigenen Profit schielen, sondern gleichzeitig einen signifikanten Beitrag zu besseren Lebensbedingungen vor Ort leisten. Sie könnten Druck auf die Mächtigen ausüben, anstatt mit ihnen zu kuscheln. Sie könnten nachhaltige Aufbauprogramme unterstützen, anstatt Mensch und Umwelt auszubeuten.
Wer wäre dafür besser geeignet als die OMV – ein Konzern, der zu einem Gutteil der Republik Österreich gehört, einem der reichsten Länder der Welt? Da mutet es doch als geradezu selbstverständlich an, dass nicht nur die Rendite zählt, sondern auch die Umstände im Auge behalten werden, unter denen diese erwirtschaftet wird. Und dass entsprechende Konsequenzen gezogen werden, wenn diese Umstände nicht passen sollten. Doch die Praxis sieht – wie die profil-Recherche ergeben hat – völlig anders aus.
Riesiges Sumpfgebiet
Die OMV war von 1997 bis 2004 Teil eines Konsortiums, das im Sudan nach Erdöl bohrte. Als Konsortialführer und Betreiber vor Ort agierte bis 2003 das schwedische Unternehmen Lundin Oil (heute: Lundin Energy). Mit von der Partie waren jedoch auch der malaysische Ölkonzern Petronas und die sudanesische Staatsfirma Sudapet.
Das Konsortium erhielt von der autoritär herrschenden Regierung des Sudan unter Präsident Omar al-Bashir zunächst die Explorationsrechte für ein Gebiet namens „Block 5A“ zugesprochen, im Jahr 2001 dann auch jene für den benachbarten „Block 5B“ (wobei dort Petronas anstelle von Lundin als Betreiber fungierte). An Block 5A hielt die OMV rund 26 Prozent der Anteile, am Block 5B waren es 24,5 Prozent – keine unwesentlichen Größenordnungen. Beide Explorationsgebiete zusammen umfassten ursprünglich eine Fläche von rund 50.000 Quadratkilometern (Block 5A wurde dann 2001 von rund 30.000 auf 21.000 Quadratkilometer verkleinert). Zum Vergleich: Ganz Österreich ist knapp 84.000 Quadratkilometer groß.
Das Gebiet befand sich im Bereich des Weißen Nils und seiner Nebenflüsse – in wesentlichen Teilen eine unwirtliche Sumpflandschaft mit mehreren Monaten Regenzeit pro Jahr, was die Ölsuche nicht einfacher machte. Die topographischen und meteorologischen Widrigkeiten stellten jedoch noch eine vergleichsweise geringe Herausforderung dar. Das entscheidende Problem war ein machtpolitisches: Im Sudan herrschte seit vielen Jahren Bürgerkrieg.
Bürgerkrieg Norden gegen Süden
Der islamisch-arabisch orientierte Norden und die christlich geprägten afrikanischen Völker im Süden des Landes, die nach Unabhängigkeit strebten, bekämpften einander mit Waffengewalt. Regionale Warlords, die mal auf der einen, mal auf der anderen Seite standen, trieben darüber hinaus noch ihre eigenen blutigen Spielchen. 1997, als die Ölsuche in Block 5A beginnen sollte, schlossen die Machthaber in der Hauptstadt Khartum zwar ein Friedensabkommen mit einigen südlichen Milizen, dies allerdings unter Ausklammerung eines wichtigen Arms der südsudanesischen Rebellenarmee.
Das Explorationsgebiet von OMV und Konsorten befand sich im südlichen Teil des Sudan (im heutigen autonomen Staat Südsudan), dort allerdings nahe am Einflussbereich des Nordens (siehe Karte). Zwar sollte die Regierungsarmee nach dem Friedensabkommen in dieser Region nur noch begrenzt aktiv sein und die Verantwortung für die Sicherheitsangelegenheiten mit einer südlichen Miliz namens SSDF teilen. Die Führung in Khartum zeigte jedoch ungebrochenes Interesse an den erwarteten – nun jedoch ihrem unmittelbaren Zugriff entrückten – Ölvorkommen. Im ohnehin fragilen Frieden war somit von vornherein alles für die nächste militärische Eskalation angerichtet. Es brauchte nur einen Funken – und der sollte folgen. Spätestens als 1999 tatsächlich ein erstes vielversprechendes Ölvorkommen entdeckt wurde, mischte Khartum wieder direkt, aber auch über verbündete Milizen im Block 5A mit.
Geldregen für die OMV
Die sudanesische Regierungsarmee rückte in das Gebiet ein, Kampfhandlungen prägten über Jahre das Geschehen im Block 5A. Letztlich zogen sich Lundin und auch die OMV aus dem Sudan-Abenteuer zurück. Der österreichische Konzern verkaufte seine Anteile im Jahr 2004 (rückwirkend per 1. Jänner 2003) an ein Unternehmen aus Indien. Mit einem fetten Profit: Dem Verkaufserlös von umgerechnet 105,6 Millionen Euro standen laut OMV-Jahresbericht 2004 tatsächliche kumulierte Kosten von 57,2 Millionen Euro gegenüber – das ergibt rechnerisch einen Gewinn von 48,4 Millionen Euro.
Heftige Kritik - „Öl im Feuer“
Die OMV sackte jedoch nicht nur auf einen Schlag einen dreistelligen Millionenbetrag ein, sondern nahm sich auch aus der Schusslinie, was internationale Kritik an der Ölsuche im Sudan anbelangte. Tatsächlich war diese ab 2001 immer lauter und unangenehmer geworden.
Nicht-Regierungs-Organisationen hatten massive Vorwürfe erhoben, was die Menschenrechtssituation anbelangte. profil berichtete bereits im Juni 2001 unter dem Titel „Öl im Feuer“ erstmals über das problematische Sudan-Geschäft der OMV. Kritik kam auch aus der Politik. Mit dem erfolgreichen Verkauf konnte man sich beim Mineralölkonzern in Ruhe zurücklehnen und war scheinbar aus dem Schneider.
Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Sudan-Abenteuer von OMV und Co. wird sich nun ein Strafgericht mit der Angelegenheit auseinandersetzen. Die Nationale Staatsanwaltschaft Schwedens hat im November 2021 Anklage gegen zwei Lundin-Vertreter erhoben. Bei einem von ihnen handelt es sich um den Milliardär Ian Lundin, dessen Familie seit Jahrzehnten im Öl- und Bergbaugeschäft tätig ist. Bei Lundin Energy mit Sitz in Stockholm bekleidet er die Funktion des „Chairman of the Board“ (vergleichbar einem Aufsichtsratspräsidenten). Der zweite Beschuldigte ist ebenfalls Mitglied in diesem „Board“.
Die Anklagebehörde wirft den Beschuldigten Beihilfe zu schweren Kriegsverbrechen vor. Die Manager stehen demnach im Verdacht der Mittäterschaft bei Verbrechen gegen das Völkerrecht, welche die damalige Führung des Sudan begangen haben soll, um die Ölbohrungen sicherzustellen. Die Lundin-Manager bestreiten diese Vorwürfe.
Staatsanwalt: systematische Angriffe auf Zivilisten
Die Staatsanwaltschaft ortet systematische Angriffe der Regierungstruppen und ihrer verbündeten Milizen auf Zivilisten: Bombardierungen aus Transportflugzeugen, Beschuss aus Helikoptern, Entführungen, Plünderungen, Niederbrennen von Dörfern. Als Konsequenz seien viele Zivilisten getötet, verletzt und aus dem Block 5A vertrieben worden, schrieb die Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung. Vertreter der schwedischen Anklagebehörde sprachen öffentlich gar von Tausenden potenziellen Opfern.
Den Beschuldigten könnten im Fall einer Verurteilung lange Haftstrafen drohen. Ob die Staatsanwaltschaft im Prozess gar die mögliche Höchststrafe – lebenslänglich – beantragen wird, ist bis dato nicht bekannt.
Die Rolle der OMV
profil liegt die 231 Seiten umfassende Anklageschrift aus Schweden vor. Diese enthält keine Vorwürfe gegen die OMV oder deren Verantwortliche, sondern konzentriert sich auf die beiden Angeklagten und die Firma Lundin, die innerhalb des Konsortiums für das operative Geschäft vor Ort zuständig war.
Nichtsdestoweniger liegen der Anklage einige Beweisstücke zugrunde, die auch die Rolle der OMV beleuchten. Diese haben für die OMV selbst keinerlei strafrechtliche Relevanz. Sie zeigen aber eindrücklich, dass auch bei einem teilstaatlichen österreichischen Konzern Grundwerte schnell einmal verräumt werden, wenn nur ausreichend Öl im Spiel ist.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Erhebungen 2010 gestartet und über ein Jahrzehnt hinweg unzählige Dokumente, interne Berichte, Mails, Fax-Nachrichten (ja, die gab es damals noch) aber auch Zeugenaussagen zusammengetragen. Der gesamte Akt umfasst rund 80.000 Seiten.
Bei einem Dokument, das profil darin gefunden hat, handelt es sich um einen 70-seitigen Bericht, den die britische Risiko- und Strategieberatungsfirma „Control Risks Group“ im Jahr 2002 für die OMV erstellt hat. Zum damaligen Zeitpunkt war die Explorationstätigkeit im Block 5A wegen der fortdauernden Kämpfe praktisch zum Erliegen gekommen. Unmittelbarer Grund für den Stopp war unter anderem der Beschuss eines Lundin-Helikopters im Dezember 2001 gewesen. Obwohl der Pilot von mehreren Kugeln in den Bauch und ins Bein getroffen worden war, konnte er – wie durch ein Wunder – den Hubschrauber noch 25 Minuten lang in der Luft halten und sicher landen. Als es in den Folgetagen dann auch noch zu einem Zwischenfall mit einer Landmine und zu Angriffen auf Fahrzeuge kam, legte das Konsortium aber schlussendlich die Arbeiten in Block 5A auf Eis.
Prekäre Sicherheitslage
Der geschäftliche Stillstand aufgrund der prekären Sicherheitslage dauerte an, und offenbar wollte sich die OMV – nach immerhin fünf Jahren – nun doch ein unabhängiges Bild von der Situation machen. Mitarbeiter der „Control Risks Group“ reisten im Auftrag des Mineralölkonzerns im Juni 2002 zehn Tage lang durch den Sudan und sprachen mit zahlreichen Personen vor Ort. Sie gelangten auch bis zum nördlichen Rand von Block 5A, bezeichnenderweise konnten sie den Großteil des Gebiets jedoch aus Sicherheitsgründen nicht betreten. Den Experten war es freilich auch so möglich, entsprechende Schlüsse ziehen und ihrem Auftraggeber OMV zu übermitteln.
Eine zentrale Erkenntnis: Die Existenz des Öls im Sudan hat den Bürgerkrieg verkompliziert und verschärft. Ohne Öl gäbe es viel weniger, worum man kämpfen könnte, hielten die Berater in ihrem Bericht fest. Block 5A sei die Frontlinie in diesem Konflikt. Auch, was die militärische Situation im Explorationsgebiet von OMV und Konsorten anbelangte, nahmen sich die Experten kein Blatt vor den Mund: Block 5A sei ein Kriegsgebiet. Beide Seiten würden rücksichtslos agieren, Zivilisten („non-combatants“) hätten massiv zu leiden gehabt. Strittig sei, inwieweit die Strategie der Regierung bewusst auf zivile Opfer abziele, heißt es im englischsprachigen Bericht. Es könne sich jedoch niemand damit trösten, falls Zivilisten lediglich zufällig betroffen wären. Die gegenwärtige Art der Kriegsführung und der Einsatz verbündeter Milizen durch die Regierung biete sich nämlich geradezu an, zu einer großen Zahl zufälliger Opfer zu führen.
Schutz durch Regierungsarmee akzeptiert
Diese unverhohlene und schwere Kritik am Vorgehen der Führung in Khartum ist ein wesentlicher Punkt. Schließlich hatten die Ölfirmen akzeptiert, dass die Regierungsarmee den Schutz der Explorationstätigkeiten übernehmen würde – in einem Gebiet, das sie offensichtlich nicht beherrschte und in dem sie dem geltenden Friedensvertrag zufolge nur noch eingeschränkt zuständig war.
Massive Menschenrechtsverstöße, zivile Opfer
Falls es der OMV-Führung trotz kritischer Medienberichte und Vorwürfen eines UNO-Sonderberichterstatters sowie von Nicht-Regierungs-Organisationen bis dahin entgangen gewesen wäre, nun lag es ihr schwarz auf weiß vor: Das Sudan-Abenteuer hatte – gewollt oder ungewollt – zu massiven Menschenrechtsverstößen und zu zivilen Opfern in großem Ausmaß geführt. Was macht ein verantwortungsvolles westliches Unternehmen in einem solchen Fall? Verstärkt es nachhaltige Aufbaubemühungen vor Ort? Entschädigt es die Opfer? Nicht die OMV.
Der teilstaatliche Konzern hat – wie beschrieben – den Scherbenhaufen, für den er mitverantwortlich war, einfach liegen gelassen und bei gutem Wind auch noch zig Millionen Euro Gewinn aus dem Verkauf realisiert. Das mag weit unter jenem wirtschaftlichen Potenzial liegen, das der OMV bei einer erfolgreichen Entwicklung der Ölförderung im Sudan offen gestanden wäre. Eine enorme Summe ist es dennoch – zumal das Projekt ja eigentlich gescheitert ist.
OMV-Boss Schenz: „Hohes Risiko, hoher Ertrag.“
Als das Sudan-Abenteuer 1997 gestartet wurde, lenkte Richard Schenz als Generaldirektor die Geschicke der OMV. Wie profil bereits damals berichtete, beteiligte sich das Unternehmen ganz bewusst an Projekten, die amerikanische und britische Großkonzerne aus politischen Gründen ausließen. Eines davon war die Ölsuche im Sudan. Schenz meinte damals kaltschnäuzig: „Hohes Risiko, hoher Ertrag.“ Auf Schenz folgte Anfang 2002 dann Wolfgang Ruttenstorfer. Die Republik Österreich war über die staatliche Beteiligungsholding ÖIAG (heute: ÖBAG) seinerzeit mit 35 Prozent an der OMV beteiligt, aktuell sind es 31,5 Prozent.
Da die Vorwürfe rund um das Sudan-Projekt auch bestimmendes Thema bei einer damaligen Aktionärshauptversammlung gewesen sind, können sie den staatlichen Miteigentümern nicht verborgen geblieben sein. Und doch durfte die OMV das Kind still und leise weglegen.
OMV-Sudan-Manager: „Bericht nie vorgelegt bekommen“
Den Bericht aus 2002, auf den profil nun gestoßen ist und der das interne Wissen um die Misere im Sudan so deutlich wie nie dokumentiert, dürfte man bei der OMV jedenfalls mit großer Diskretion behandelt haben. Zwar wurde im Mai 2002 öffentlich bekanntgegeben, dass man die Expertenstudie in Auftrag gegeben habe. profil hat jedoch keine Hinweise darauf gefunden, dass jemals das Ergebnis veröffentlicht worden wäre.
Das Sudan-Projekt fiel OMV-intern in den Geschäftsbereich Exploration. Dort war Helmut Langanger zunächst als Bereichsleiter (1992 bis 2001), später als Vorstandsdirektor (2002 bis 2010) zuständig. Im November 2002 erklärte Langanger, die Endfassung des Control Risks-Berichts werde erst in einigen Wochen fertig sein. profil hat in den schwedischen Ermittlungsakten allerdings zwei Versionen gefunden, die deutlich früher erstellt worden waren: eine umfangreichere Fassung vom August 2002 und eine kürzere von Oktober 2002.
Die Version von August 2002 wirkt eigentlich fertig und enthält auch keinen Hinweis darauf, dass es sich nur um ein Zwischenergebnis handeln würde. Woher die Notwendigkeit gekommen sein sollte, nochmals monatelang daran herumzudoktern, erschließt sich nicht. Es sei denn natürlich, man wäre mit dem Ergebnis nicht glücklich gewesen. Bemerkenswert scheint auch, dass ein operativ für das Sudan-Projekt hauptzuständiger OMV-Manager bei einer Zeugeneinvernahme unter Wahrheitspflicht angegeben hat, er habe den Bericht nie vorgelegt bekommen (dazu später mehr).
„Keinerlei Aufzeichnungen“ zur Entstehung des Berichts
profil wollte von der OMV wissen, weshalb die Fassung von August 2002 noch verändert werden sollte, der Bericht nicht veröffentlicht wurde – und ob es nach dem Rückzug aus dem Sudan Hilfeleistungen für die Zivilbevölkerung in der Region gegeben habe. Letztere Frage ließ die Public-Relations-Abteilung des Mineralölkonzerns gänzlich unbeantwortet.
Zum Bericht der Control Risks Group teilte man mit, man gehe davon aus, „dass er nicht veröffentlicht wurde, da es sich um einen Erhebungsbericht für die weitere Entscheidungsfindung der OMV handelte und dem damaligen Leadership-Team zur Verfügung stand“. Dies sei jedoch nur eine Mutmaßung: „Es liegen uns nach all den Jahren keinerlei Aufzeichnungen dazu vor.“ Die OMV verfügt – ihren Angaben zufolge – lediglich über eine Fassung des Reports datiert mit 28. Februar 2002. Diese Version wäre demnach noch viel älter und müsste bereits vor der Vor-Ort-Mission der Control Risks Group entstanden sein. Die OMV blieb jedoch auch auf Nachfrage bei dieser Datierung.
Die „hohen Wertestandards“ der OMV
Bei der OMV-Hauptversammlung am 24. Mai 2002 erklärte Vorstand Langanger übrigens noch, er hielte es nicht für richtig, wenn sich Unternehmen mit hohen Wertestandards wie die OMV aus krisengeschüttelten Ländern zurückzögen: „Wir tragen das Unsere bei, dass es sich im Lande zum Besseren entwickelt“, betonte Langanger vollmundig. Einen unter Verschluss gehaltenen Risikobericht und 105,6 Millionen Euro später hat die OMV-Spitze das offensichtlich dann ganz anders beurteilt.
Die schwedische Staatsanwaltschaft zieht in ihrer Anklageschrift den Bericht der „Control Risks Group“ unter anderem als Beweis dafür heran, dass die Ölexploration die Hauptursache für die Kämpfe im Block 5A gewesen sei und den Konflikt verschärft habe. Außerdem sehen die Ermittler in den Ausführungen der Experten einen Beleg dafür, dass die sudanesische Armee mit verbündeten Milizen offensive Militäroperationen durchführte, um die nötigen Bedingungen für die Ölexploration zu schaffen. Darüber hinaus verweist die Anklagebehörde darauf, dass in dem für die OMV erstellten Bericht kritische Angaben von Nicht-Regierungs-Organisationen als glaubwürdig erachtet worden seien.
6. Dezember 2018, knapp vor zehn Uhr vormittags. Am Wiener Landeskriminalamt geben sich ein Staatsanwalt aus Stockholm, zwei schwedische Ermittlungsbeamten, ein österreichischer Bezirksinspektor, ein ehemaliger OMV-Manager und ein Wiener Rechtsanwalt ein Stelldichein. Zuvor hatten die schwedischen Behörden in der Causa Sudan ein Rechtshilfeersuchen an Österreich gerichtet.
Einerseits hatte man um die Einholung bestimmter Unterlagen von der OMV gebeten, andererseits um die Einvernahme eines früheren Regionalmanagers des Ölkonzerns. Mittlerweile ist der Mann in Pension, von November 1999 bis ins Jahr 2003 war er jedoch bei der OMV für den Sudan zuständig gewesen. Der Ex-Manager wurde nun als Zeuge unter Wahrheitspflicht befragt. Den Kontakt zu dem Rechtsanwalt einer prominenten Wirtschaftskanzlei, von dem er sich begleiten ließ, hatte ihm übrigens die OMV gelegt.
Was wusste die OMV?
Von Interesse für die schwedischen Ermittler sind die Aussagen des Österreichers nicht zuletzt deshalb, weil sich sein Name auf den Protokollen vieler Konsortialsitzungen wiederfindet, an denen er als Vertreter der OMV – teilweise auch begleitet von weiteren Kollegen – teilgenommen hat. profil liegen zahlreiche derartige Protokolle und dazugehörige Sitzungs-Handouts aus den Ermittlungsakten vor. Sie ermöglichen einen guten Einblick, was die OMV in Bezug auf die prekäre Sicherheitslage im Block 5A schon vor dem Expertenbericht im Jahr 2002 gewusst haben müsste – auf welcher Managementebene auch immer.
Demnach war etwa ab Dezember 1998 die Rede davon, dass die sudanesische Regierungsarmee für die Sicherheit bei den bevorstehenden Aktivitäten des Öl-Konsortiums sorgen werde. Das ist deshalb bedeutsam, weil das damalige Friedensabkommen nach Lesart der schwedischen Staatsanwälte diese Verantwortung eigentlich bei einer südsudanischen Miliz verortet hätte. Durch das Engagement der Regierungstruppen quasi als Sicherheitsdienst für die Ölfirmen ebneten Letztere Khartum demnach den Weg zurück in den Süden.
Öl gefunden - Regierungsarmee übernimmt
Im Juni 1999 trafen einander die Konsortialpartner zu einem Projektmeeting im Hilton Hotel in Khartum. Knapp zuvor war man im Block 5A tatsächlich auf Öl gestoßen, man konferierte also unter neuen Voraussetzungen. Bei dem Meeting waren auch mehrere Vertreter der staatlichen sudanesischen Öl-Behörde OEPA anwesend. Einer von ihnen versicherte den Konsortialpartnern, dass die Sicherheit für den zeitgemäßen Start des nächstjährigen Arbeitsprogramms gegeben sein werde und von der regulären sudanesischen Armee gewährleistet würde.
In einer englischsprachigen Präsentationsunterlage hieß es zum Thema Sicherheitsplanung, die rasche Umsetzung und Stabilisierung des Areals sei nun der wichtigste Faktor, um den Erfolg des Arbeitsprogramms sicherzustellen. Diese Formulierung muss man nicht allzu sehr auf die Goldwaage legen, um zu bemerken, dass die Gegend eben nicht stabil war. Nun sollten Regierungstruppen diese Stabilität schaffen, obwohl sie eigentlich nicht dafür vorgesehen waren – jedenfalls nicht alleine. Dass das Widerstände bei anderen politischen und militärischen Kräften im Südsudan auslösen würde, hätte man wohl zumindest ahnen können.
Ölgebiet als No-go-Zone
Oktober 1999, wieder eine Konsortialsitzung unter OMV-Beteiligung, diesmal in Genf: Laut Protokoll diskutierte man über den Bau einer Straße, die auch in der Regenzeit befahrbar sein sollte – nicht zuletzt, um die Sicherheitssituation im Block 5A zu verbessern. Derartige Straßen spielen in der schwedischen Anklage eine wichtige Rolle. Laut Staatsanwaltschaft konnten sie nur gebaut werden, wenn vorher mit militärischer Gewalt die Kontrolle über das Gebiet hergestellt wurde.
Außerdem sprach man bei dieser Sitzung über die Anschaffung von Kommunikationsausrüstung um insgesamt 75.000 US-Dollar – offenbar auch, um die Armee damit auszustatten. Betont wurde, dass Sicherheit der wichtigste Faktor wäre, um den Erfolg des nächstjährigen Arbeitsprogramms zu gewährleisten. Man äußerte sich diesbezüglich jedoch optimistisch, da sich die Regierungsarmee entsprechend engagiert zeige, in den Block hineinzugehen.
Im Handout zur Sitzung war davon die Rede, dass eine große Zahl an Regierungssoldaten im Block 5A stationiert werden sollte. Vermerkt wurde auch, dass die Gegend, in der die Ölfirmen arbeiteten, als No-go-Zone für die lokalen Stammes-Fraktionen anzusehen sei. Dieser Vermerk ist von besonderer Bedeutung. Schließlich ist bereits in der Vergangenheit immer wieder der Vorwurf aufgekommen, die Regierung in Khartum hätte Einheimische aus den Ölregionen gezielt vertrieben.
Lange Liste mit Sicherheitsvorfällen
Im Juli 2000 trafen die Konsortialpartner einander – einem vorliegenden Handout zufolge – erneut in Genf. Berichtet wurde dabei auch über signifikante Sicherheitsvorfälle im Zeitraum Juni 1999 bis Juni 2000. Es waren so viele, dass die entsprechende Liste gleich zwei Seiten der Präsentationsunterlage füllte. Mehrmals waren Hubschrauber des Öl-Konsortiums beschossen, einmal eine Ölbohrung bombardiert worden – letzteres aus einem Versehen heraus von der Regierungsarmee. Ob jemand bei der Sitzung nachfragte, für wen diese 500-Pfund-Bombe tatsächlich gedacht war, ist nicht überliefert.
Immer wieder gab es der Liste zufolge Kämpfe zwischen der Armee und Rebellengruppen. Als ein Vorteil in Bezug auf die Sicherheitssituation wurde jedoch vermerkt, dass eine Tito-Paulino-Armee-Allianz gegen den südsudanesischen Rebellenführer Peter Gadet bestehen würde. Bei „Tito“ und „Paulino“ handelte es sich um zwei andere Milizkommandanten. Es ist ein wesentlicher Vorwurf, dass sich die sudanesische Regierungsarmee auch lokaler Warlords bediente, um ihre und die Ziele der Ölfirmen voranzutreiben. Offenbar war das für die Konsortialpartner im Block 5A kein großes Geheimnis.
Gratulation an die Regierung
Im Oktober 2000 kam es laut Protokoll dann bei einer Konsortialsitzung zu Misstönen mit der staatlichen Ölbehörde. Auf einer Overhead-Folie (auch das gab es damals noch) stand demnach, dass keine glaubhaften Garantien für die Sicherheit im Block 5A abgegeben werden konnten. Die sudanesischen Regierungsvertreter fühlten sich auf den Schlips getreten, die Konsortialführer ruderten rasch zurück: Ganz im Gegenteil, man müsse der Regierung zur ihren vergangenen Anstrengungen und zu ihrem künftigen Engagement gratulieren, heißt es im Protokoll.
Die Sicherheitslage war demnach laufend ein Thema bei Konsortialsitzungen, bei denen auch OMV-Vertreter anwesend waren. Das bestätigte auch der frühere OMV-Regionalmanager bei seiner Zeugeneinvernahme im Dezember 2018: „Ja. Die Sicherheitslage war immer ein Thema, jedoch nicht das Hauptthema. Das Hauptthema war das Arbeitsprogramm.“ Die Grenze zwischen Arbeit und Sicherheit dürfte freilich fließend gewesen sein: „Die Sicherheitslage war deshalb ein Thema, da aufgrund des Fehlens der Sicherheit die Arbeiten eingestellt werden mussten“, gab der Projektverantwortliche zu Protokoll.
„Es gab auch Teile, wo es friedlich war“
Was die konkrete Konfliktsituation im Block 5A anbelangte, legte der Mann gegenüber den Ermittlern nur eher oberflächliches Wissen an den Tag. Möglicherweise ist das auch darauf zurückzuführen, dass in der Zwischenzeit viele Jahre vergangen sind. Auf die Frage, ob im Block 5A Krieg oder Frieden herrschte, gab der frühere Manager unter anderem diese bemerkenswerte Aussage zu Protokoll: „Der Block 5A war so ein riesiges Gebiet. Es gab auch Teile, wo es friedlich war.“
Höchst firm zeigte sich der frühere Manager allerdings, was die Arbeitsunterbrechungen aufgrund der Bedrohungslage anbelangte: „In meiner Zeit war der Bohrbetrieb für ca. 40 Monate eingestellt. (…) Im Jahr 1999 war der Betrieb für ca. ein halbes Jahr eingestellt. Erst gegen Ende 1999 konnte der Betrieb wieder aufgenommen werden. Im Jahr 2000 war der Bohrbetrieb komplett eingestellt. Im Jahr 2001 war der Betrieb teilweise eingestellt. Danach konnte man wieder zur Bohrung. Im Jahr 2002 war wieder 12 Monate lang keine Bohraktivität. Im Jahr 2003 hat die Fa. OMV beschlossen sich aus dem Gebiet zurückzuziehen, da es zu keinerlei Fortschritten gekommen ist.“
Dramatische Sicherheitslage – hohe Gewinnaussichten
Alleine aus diesen umfangreichen Arbeitsunterbrechungen könnte man eigentlich ableiten, dass die Lage im Block 5A im Großen und Ganzen dramatisch gewesen sein muss. Der ehemalige OMV-Manager bestätigte den Ermittlern freilich, dass wiederum das entdeckte Erdölvorkommen potenziell lukrativ für das Konsortium gewesen sei. Es habe sich um ein wachshaltiges Öl gehandelt, das für bestimmte Raffinerien „sehr interessant“ gewesen sei und „in Asien einen sehr guten Preis“ erzielen hätte können.
profil liegen interne Berechnungen von Lundin aus dem Dezember 2002 vor. Darin wurde das erste bestätigte Ölvorkommen gemeinsam mit den elf vielversprechendsten weiteren Fundstellen auf insgesamt rund 1,26 Milliarden US-Dollar taxiert. (Dies wohlgemerkt bei einem Ölpreis von 23 Dollar pro Barrel. Aktuell beträgt der Preis das Vier- bis Fünffache.) Möglicherweise akzeptierten OMV, Lundin & Co. auch wegen derart vielversprechender Gewinnaussichten die prekären Bedingungen im Sudan. Um nochmals Ex-OMV-Generaldirektor Schenz zu zitieren: „Hohes Risiko, hoher Ertrag.“
Staatsanwalt: OMV laufend über Kämpfe informiert
Im Wirtschaftsleben gibt es freilich nichts geschenkt. Die Kernfrage ist aber: Wer bezahlt am Ende die Rechnung? Im Sudan sind es damals nicht zuletzt Zivilisten gewesen, die in einem vom Öl angeheizten Mehrfrontenkrieg unter die Räder kamen.
Die Einvernahme mit dem ehemaligen OMV-Regionalmanager dient der schwedischen Staatsanwaltschaft unter anderem als Beweis dafür, dass die Sicherheitslage im Block 5A zu einem wiederkehrenden Thema bei Konsortialsitzungen wurde. profil hat mit Henrik Attorps, dem Chefankläger in der Causa Sudan, über die Rolle der OMV gesprochen. Für Attorps ist klar, dass die OMV laufend über die Kämpfe informiert war und auch über den Einsatz der Regierungsarmee für die Sicherheitsbelange des Ölkonsortiums Bescheid wusste. Nach schwedischem Strafgesetz seien jedoch nur die beiden beschuldigten Lundin-Manager zu belangen.
Diese hätten den entscheidenden Einfluss auf die Aktivitäten gehabt und seien verantwortlich für die wesentlichen Kontakte mit dem sudanesischen Regime gewesen, meint Attorps. Die Frage, wie sich die OMV-Vertreter in den Sitzungen verhalten hätten sollen, wollte der Ankläger nicht kommentieren: „Sie müssen bedenken, dass wir nach schwedischem Recht keine Haftung für Untätigkeit haben, nur für aktive Handlungen. Als Staatsanwalt sollte ich nicht über andere Aspekte spekulieren.“
NGO-Vertreter: Rolle des damaligen Managements untersuchen
Weniger gnädig mit dem österreichischen Mineralölkonzern zeigt sich Egbert Wesselink von der niederländischen Friedensbewegung Pax. Wesselink ist Hauptautor eines Berichts der NGO-Plattform „European Coalition on Oil in Sudan“ (ECOS), der die schwedischen Ermittlungen ursprünglich ausgelöst hat. Im Gespräch mit profil betont der Aktivist: „Die OMV hielt ein Viertel der Anteile. Es handelte sich um eine gemeinsame Operation. In Konsortialsitzungen hätte jeder sagen können, dass er das oder jenes nicht möchte. Und wenn es die anderen dennoch wollten, hätte man gehen können.“
Wesselink zufolge hätten alle Konsortialmitglieder gewusst, was die sudanesische Regierung getan hat. Sie hätten den Machthabern in Khartum sagen können, dass sie anders handeln sollten oder man sonst aussteigen würde. „Indem man das nicht tut, wird man zum Komplizen.“
ECOS habe die OMV im Jahr 2001 über die Kritikpunkte informiert, sagt Wesselink. „Wir sagten: ‚Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, ist es, dass Sie der Regierung sagen, dass Sie die Aktivitäten solange einstellen, bis Frieden hergestellt ist.‘ Das hat die OMV nicht getan. Sie haben weitergemacht – und ich denke, das macht sie zumindest moralisch zu Mittätern.“
„Regierung hat weggeschaut“
Nachdem die OMV aus dem Anteilsverkauf rund 50 Million Dollar kassiert hatte, habe man gefragt, ob es die Bereitschaft gäbe, einen Teil des Gewinns für innerstaatliche Flüchtlinge im Sudan zur Verfügung zu stellen, erzählt Wesselink. OMV-Vorstand Langanger habe geantwortet: „Nein, es ist nicht die Aufgabe der OMV, nach dem Ausstieg aus dem Konsortium karitativ in der Region noch etwas zu machen. Man finanziert Projekte nur für die Zeit des Engagements und sieht bei sich keine Verantwortung für ein darüber hinaus laufendes Engagement im Sudan.“ Wesselink meint jedenfalls, die Strafverfolgungsbehörden sollten auch die Rolle des damaligen OMV-Managements untersuchen.
Kritik äußert der NGO-Vertreter zudem an der österreichischen Regierung. Diese habe weggeschaut und die Management-Entscheidungen als Aktionär unterstützt. Österreich habe direkt von Kriegsverbrechen profitiert, indem die OMV 50 Millionen US-Dollar kassiert habe. Abhilfe und Reparationszahlungen für Opfer seien ein zentrales Element der Menschenrechte.
„Man würde erwarten, dass ein staatlicher Aktionär das bedenkt“, meint Wesselink: „Die Aktivitäten der OMV stehen in direktem Zusammenhang mit den schlimmsten Verbrechen, die wir kennen – und die österreichische Regierung hat nie ein Wort dazu gesagt. Sie zeigt null Engagement in Bezug auf die Menschenrechte.“ Spätestens mit der schwedischen Anklage könne niemand mehr behaupten, dass all dies nur NGO-Propaganda wäre. Die OMV solle die Opfer substanziell entschädigen.
Ex-OMV-Chef Ruttenstorfer: „Ausstieg richtige Entscheidung“
profil hat mehreren früheren OMV-Managern umfangreiche Anfragen zukommen lassen. Richard Schenz war zwischen 1992 und 2001 Generaldirektor, bis heute ist er Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich. Schenz teilte mit: „Nachdem ich schon mehr als 21 Jahre nicht mehr für die OMV tätig bin, fühle ich mich nicht in der Lage Ihre Fragen zu beantworten.“ Eine dieser Fragen war, ob man die Menschenrechtssituation im Sudan schon früher hinterfragen und die Kritiker ernst nehmen hätte müssen.
Nachfolger von Richard Schenz an der Konzernspitze war Wolfgang Ruttenstorfer (2002 bis 2011). Er verwies darauf, dass ihm keinerlei Unterlagen zu der Angelegenheit vorlägen: „Aus Ihrer Darstellung ergibt sich aber klar, dass die Entscheidung der OMV, sich im Sudan zu beteiligen, vor meinem Wiedereintritt in die OMV getroffen wurde. Weiters lässt sich erkennen, dass die OMV unter meiner Führung ab 1. Jänner 2002 bald den Ausstieg aus dem Sudan betrieben und dann auch rückwirkend mit 1. Jänner 2003 umgesetzt hat. Ich halte die Entscheidung, aus diesem vom Bürgerkrieg heimgesuchten Land auszusteigen, nach wie vor für die einzig richtige.“
Ruttenstorfers Nachfolger war Gerhard Roiss (2011 bis 2015): „Wir waren Teil eines Konsortiums, Lundin war ein langjähriger Kooperationspartner, zu dem wir Vertrauen hatten.“ Dem Vorstand sei zwar bewusst gewesen, dass die Region „nicht die Schweiz“ sei, andererseits habe die OMV selbst kein Personal vor Ort gehabt, das direkt nach Wien berichten hätte können.
Im Mai 2001 war Roiss Teil einer Fact-Finding-Mission im Sudan. Was er dort vorfand? „Keine kriegerischen Handlungen. Aber nach der Reise war mir klar, dass, wenn wir dort bleiben wollen, wir den Menschen etwas zurückgeben müssen.“ Roiss betont, er habe sich nach seiner Rückkehr für die Errichtung eines Spitals in der Region starkgemacht, sich damit aber nicht durchgesetzt. „Als wir schließlich die Berichte von Control Risks vorliegen hatten, war klar, dass wir den Ausstieg einleiten müssen. Und das ist auch geschehen.“
OMV: „Hohes Maß an sozialer Verantwortung“
Ex-OMV-Explorationsvorstand Helmut Langanger teilte auf Anfrage mit, er sei im September 2010 aus der OMV ausgeschieden und ersuche deshalb, „dass Sie sich bezüglich Ihrer Fragen an das Unternehmen wenden“. Das hat profil ohnehin auch getan.
Die Public-Relations-Abteilung des Öl- und Gaskonzerns übermittelte eine Stellungnahme, die profil im Anschluss an diesen Artikel zur Gänze veröffentlicht. Festgehalten wurde unter anderem, dass die OMV nicht der Betreiber des Öl-Konsortiums im Sudan gewesen sei, und daher auch keine OMV-Mitarbeiter vor Ort tätig gewesen seien.
Weiters heißt es, die OMV habe damals eine Politik gehabt, der zufolge „alle ihre Investitionen, auch in Entwicklungsländern wie dem Sudan, ein hohes Maß an sozialer Verantwortung erforderten“. Daher habe „die OMV gemeinsam mit ihren Partnern einige humanitäre Projekte“ unterstützt, die „darauf abzielten, der lokalen Bevölkerung in Gebieten rund um das Explorationsgebiet zu nutzen“. Zur Erinnerung: Die Berater der Control Risks Group bezeichneten die Auswirkungen der Entwicklungsprogramme 2002 als „marginal“.
Zum im Schweden anhängigen Verfahren könne man – so die OMV – als „Nichtbeteiligte“ nicht Stellung nehmen. Man verfüge im Wesentlich nur über die öffentlich vorhandenen Informationen. Wenn durch die Staatsanwaltschaft oder die Behörden – zum Beispiel im Rechtshilfeweg - Unterlagen oder Berichte angefordert wurden, habe man diese „selbstverständlich im vorhandenen Umfang übermittelt“.
Viele Unterlagen würden der OMV – fast zwanzig Jahre später – nicht mehr vorliegen. Es habe „mehrere weitgehende Umstellungen der Archivierung“ gegeben beziehungsweise seien Unterlagen wohl an den Käufer der Sudan-Anteile übergeben worden. So gut wie alle enger mit der Angelegenheit befassten Mitarbeiter hätten das Unternehmen seit langem verlassen. Daher sei es zum Teil schwierig, die von profil gestellten Fragen umfänglich zu beantworten. (Die gesamte Stellungnahme finden Sie im Anschluss an diesen Artikel.)
24. November 2017, Nairobi, Kenia. In den Räumlichkeiten der schwedischen Botschaft treffen die Ermittler in der Causa Lundin eine von vielen Zeuginnen, die sie nach und nach zu den Vorgängen im Sudan einvernehmen wollen. Es handelt sich um Personen mit Opferstatus, die nach schwedischem Recht auch als Kläger im Verfahren auftreten. Die Zeugin Sara zum Beispiel, wurde 1983 in Leer geboren, einem Dorf im späteren Block 5A. 2001 konnte sie ins Nachbarland Kenia fliehen. Sara wird in der Anklageschrift der schwedischen Staatsanwaltschaft als Zeugin zu einem ganz speziellen Thema angeführt: Luftangriffe.
Mittels Dolmetscherin für die südsudanesische Stammessprache der Nuer gab Sara einen Vorfall zu Protokoll, der sich – ihren Angaben zufolge – im Jahr 1999 an einer Wasserstelle in „Thornyor“ (für viele Dörfer gibt es unterschiedliche Schreibweisen, der Lagebeschreibung nach ist wohl Thonyor gemeint, siehe Karte) ereignet hatte: Sara und mehrere andere Frauen holten gerade Wasser. Dabei eröffnete ein Kampfhubschrauber das Feuer. Im Dorf seien jedoch nur Zivilsten gewesen, keine Soldaten. Viele Menschen starben laut Saras Aussage direkt an Ort und Stelle. Sie habe gewusst, dass es sinnlos wäre wegzulaufen und habe sich einfach hingelegt. Als alles vorbei war, sei sie aufgestanden und habe überprüft, ob die um sie herumliegenden Menschen tot waren oder lebendig. Viele seien tot gewesen. Sie habe ein kleines Mädchen mit einem Bauchschuss gefunden, gab Sara zu Protokoll. Es sei nach drei Tagen gestorben.
Der Tod aus der Luft
Der spezielle Typ Kampfhubschrauber, von dem Sara erzählte, ist unter der Bezeichnung „Gunship“ (formelle Typenbezeichnung: Mil Mi-24 Hind) bekannt. Dabei handelt es sich um Helikopter, die mit Maschinengewehren und Raketenwerfern ausgestattet sind. Sie können in geringer Höhe fliegen und eine verheerende Wirkung entfalten. Dies ist auch auf einer der oben gezeigten Folien der „CPMT“-Militärbeobachter erkennbar – Stichwort: „Strafing Run“ (zu Deutsch: Tiefflugangriff). Für bürgerkriegsartige Konflikte sind „Gunships“ ein ideale Waffe. Das besondere mit Blick auf den Sudan: Als einzige Konfliktpartei, die über Luftstreitkräfte verfügte, galt die Regierungsarmee. Ein Luftangriff auf Zivilisten kann demnach nur von den Truppen des Regimes aus Khartum verübt worden sein.
Die Glaubwürdigkeit von Saras Angaben wird gegebenenfalls vom Strafgericht in Schweden zu überprüfen sein. Fakt ist jedoch, dass es einen ähnlichen Vorfall in Block 5A gegeben hat, der quasi vor den Augen einer internationalen Organisation stattgefunden hat und somit unbestritten ist. Es handelt sich um jenen – am Beginn dieses Artikels erwähnten – Angriff im Dorf Bieh. Auch die Experten der „Control Risks Group“ hielten diesen Akt des Schreckens in ihrem Bericht an die OMV fest.
Ihrer Darstellung zufolge stellten sich am 20. Februar 2002 im Ort Bieh im Süden von Block 5A Frauen und Kinder an, um vom World Food Programm der Vereinten Nationen Nahrungsmittelhilfen zu erhalten. Ein „Gunship“ soll zunächst Aufklärungsflüge durchgeführt haben. Dann schwebte es etwa zehn Meter über dem Boden und eröffnete das Feuer. Mindestens 24 Menschen starben, viele weitere wurden verletzt. Die Regierung behauptete später, es habe sich um einen Fehler gehandelt, man hätte in der Gegend Rebellen verfolgt – eine Erklärung, welche die Experten der „Control Risks Group“ nur schwer mit Augenzeugenberichten in Einklang bringen konnten. Praktisch hätte es auch bedeutet, dass die Regierungsarmee Zivilisten bei einer Nahrungsmittelverteilung aus wenigen Metern Höhe nicht von militärischen Zielen unterscheiden hätte können.
Protestbrief an den Minister
Dieser barbarische Akt führte übrigens dazu, dass Ian Lundin schriftlich beim sudanesischen Minister für Energie und Bergbau protestierte. Als Betreiber von Block 5A sei man extrem alarmiert über diese Art von militärischer Aktivität und ihre Auswirkung auf Zivilisten, schrieb Lundin. Darüber hinaus sei man besorgt über die Schlussfolgerung, dass das Vorgehen „zu unserem Vorteil“ („for our benefit“) erfolgt sei. Es werde suggeriert, dass die Angriffe es Lundin und ihren Partnern ermöglichen sollen, ihre Aktivitäten fortzusetzen. Lundin schrieb, man sei der Überzeugung, dass die einzige Lösung ein langfristiges Friedensabkommen sei.
War der Öl-Milliardär ehrlich erzürnt über ein einmaliges tragisches Ereignis? Unterlagen aus dem schwedischen Ermittlungsakt lassen darauf schließen, dass „Gunship“-Einsätze in Block 5A immer wieder vorkamen – auch wenn die konkreten Ziele unklar bleiben. Die Kampfhubschrauber dürften nicht zuletzt von einem Flugplatz in einem benachbarten Ölfördergebiet aus operiert haben. Doch auch auf dem Flugfeld beim Lundin-Camp an der Grenze zum Block 5A machte man offenbar entsprechende Erfahrungen.
Filmen verboten
In einem internen Bericht rapportierte ein für Lundin tätiger Sicherheitsmann im Februar 2001 einen Vorfall, bei dem eine andere Person – offenbar ein Neuankömmling im Lundin-Camp - Videoaufnahmen eines „Gunship“-Helikopters angefertigt hatte, der auf dem Flugplatz gelandet war. Dies war einem anwesenden Vertreter der staatlichen Öl-Sicherheitskräfte aufgefallen. Letzterer hatte daraufhin verlangt, dass ihm die Aufnahmen ausgehändigt würden. Laut Bericht hätte er gemurmelt: das sei nicht gut, das sei schlecht für den Sudan.
Aus dem Bericht ist nicht ableitbar, dass von Lundin-Seite Protest eingelegt worden wäre, dass ein „Gunship“ den Flugplatz nutzte. Stattdessen übergab man dem staatlichen Sicherheitsmann die Videoaufnahmen. Zwei Tage später konfiszierte dieser überhaupt gleich die Kamera. Quasi nach dem Motto: Was im Sudan passiert, bleibt im Sudan.
Kinder als Soldaten
Ein weiteres heikles Thema ist der Einsatz von Kindersoldaten. Zeugen berichteten im schwedischen Ermittlungsverfahren von Zwangsrekrutierungen. Sicherheitsmitarbeiter aus einem benachbarten Explorationsblock hatten schon seinerzeit auch ein genaues Auge auf die Vorgänge in und um den Block 5A. In einem internen Sicherheitsbericht von Dezember 2001 hielten sie fest, dass der Milizenführer Paulino, über dessen Allianz mit den Regierungstruppen man sich im Lundin-Konsortium gefreut hatte (siehe oben), über 650 neue Rekruten verfügen würde. Der Großteil von ihnen sei gezwungen worden, der Miliz beizutreten, hieß es. Es seien auch minderjährige Kindersoldaten darunter. Der „Wali“ – eine Art regionaler Gouverneur – habe dann die Freilassung von 400 dieser „Soldaten“ verhandelt. „Vorerst“ („for now“), wie extra angemerkt wurde.
Was wusste man im OMV-Konsortium von derartigen Vorgängen? Einem internen Tagesbericht zufolge war Ian Lundin am 23. März 2001 mit einem schwedischen Journalisten unterwegs im Block 5A. Der Journalist interviewte Einheimische, die sich offenbar durchaus positiv über die Anwesenheit der Ölfirma äußerten. Dann fragte der Journalist Lundin allerdings bezüglich einiger Milizionäre, die ihm aufgefallen waren. Laut dem Bericht hätten diese nicht älter ausgesehen als zwölf Jahre. Lundin soll seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht haben und zugesagt haben, dies an höherer Stelle zum Ausdruck zu bringen. Dass dieses Problem bis dahin niemandem bei der Öl-Firma aufgefallen wäre, scheint freilich unwahrscheinlich.
Feilschen um 5000 Dollar
Sowohl Lundin als auch die OMV wiesen Kritiker schon in der Vergangenheit gerne darauf hin, dass man ein Unterstützungsprogramm für die lokale Bevölkerung ins Leben gerufen hatte – dies vor allem in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Man bohrte Brunnen, verteilte Wasser, lieferte Schulunterlagen und unterstützte Kliniken. Also war in Wahrheit doch alles bestens? Die Experten der „Control Risks Group“ bezeichneten das Programm in ihrem Bericht zwar als gut gemeint, sie merkten jedoch an, dass eine strategische Ausrichtung fehlen würde. Die zunehmenden Kämpfe im Block 5A führten außerdem dazu, dass ein Großteil des Gebiets von den Unterstützungsleistungen abgeschnitten blieb. Dass das Thema für manche ohnehin kein echtes Herzensanliegen gewesen sein dürfte, zeigt eine Episode von Anfang Juli 2003 – kurz nach dem Rückzug von Lundin aus dem Block-5A-Konsortium.
Einem vorliegenden Briefentwurf zufolge, hatte ein regionaler Gouverneur die Ölfirma um 10.000 US-Dollar gebeten. Mit dem Geld sollte eine Schule ausgestattet werden, die zuvor im Rahmen des Lundin-Unterstützungsprogramms errichtet worden war. Ian Lundin war offenbar nicht bereit, weitere 10.000 Dollar zur Verfügung zustellen. Dem vorbereiteten Antwortschreiben zufolge war er der Meinung, dass zu jener Zeit, als man die Anteile an Block 5A verkauft habe, die Bauarbeiten fast abgeschlossen gewesen seien. Festgehalten ist lediglich die Bereitschaft, eine Ausnahmeförderung („exceptional grant“) von 5000 Dollar vorzunehmen.
Der Öl-Milliardär war also bereit, um 5000 Dollar zu feilschen, die er in Gönnermanier gerade noch genehmigen würde. Zur Orientierung: Wenige Tage zuvor hatte die Firma Lundin ihre Anteile an Block 5A um 142,5 Millionen Dollar verkauft.
Lundin Energy: „Waren positive Kraft für den Sudan“
Zwei Jahrzehnte später könnte die große Abrechnung ins Haus stehen. Die schwedische Staatsanwaltschaft beziffert den wirtschaftlichen Nutzen für die heutige Lundin Energy aus den mutmaßlichen Straftaten im Sudan mit rund 1,4 Milliarden Kronen (umgerechnet rund 130 Millionen Euro). Diesen Betrag soll das Gericht bei einer Verurteilung für verfallen erklären.
Sowohl Lundin Energy als auch die beiden angeklagten Manager haben sowohl sämtliche Vorwürfe als auch die Gewinnkalkulation der Staatsanwaltschaft immer bestritten. Der zweite Angeklagte neben Ian Lundin ist Schweizer Staatsbürger und bestreitet auch, dass Schweden ihn überhaupt vor Gericht stellen darf. Eine Entscheidung darüber ist noch ausständig.
Auf profil-Anfrage teilte das Unternehmen mit, man könne nicht verstehen, weshalb zugelassen wurde, dass die Ermittlungen mehr als zwölf Jahre dauern würden, und dass der Staatsanwalt sich entschieden habe, die Fakten zu ignorieren und Anklage zu erheben. Man sei überzeugt davon, dass Ian Lundin, das zweite mitangeklagte Board-Mitglied und das Unternehmen in einem allfälligen Prozess vollständig freigesprochen würden.
Lundin Energy hält fest, dass die Vorgängerfirmen des Konzerns im Block 5A verantwortungsvoll agiert hätten – in völliger Übereinstimmung mit einer Politik des konstruktiven Engagements, wie sie damals von der UNO, der EU und Schweden befürwortet worden sei. Man sei fest überzeugt davon, dass Lundin eine positive Kraft für die Entwicklung im Sudan gewesen sei, indem man sich aktiv eingebracht habe und für Frieden durch friedliche Mittel aufgetreten sei.
Ein Unternehmenssprecher verwies auf eine von Lundin Energy eingerichtete Internetseite zur Causa und speziell auf eine anwaltliche Einschätzung sowie auf einen vom Lundin-Direktorium beauftragten Anwaltsbericht .
Ein Verhandlungstermin zeichnet sich noch nicht ab. Wann auch immer die Sache vor Gericht geht: Auch bei der OMV wird man den Prozessverlauf mit Sicherheit genauestens verfolgen.
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Stellungnahme der OMV
Online-Produktion: Sebastian Pumberger