Der russische Zeuge
Einen ersten Höhepunkt im Prozess gab es allerdings bereits Ende Jänner. Da wurde per Video-Schaltung nach Moskau Valery Afinogenov als Zeuge einvernommen. Afinogenov soll gemeinsam mit einem zweiten Russen im Sommer 2023 den früheren Kurz-Vertrauten Thomas Schmid getroffen haben – angeblich wegen eines Jobangebots. Schmid versucht bekanntlich, in Bezug auf verschiedene Vorwürfe Kronzeugenstatus bei der WKStA zu erlangen. Er hat umfangreich ausgesagt und dabei sich selbst und viele andere prominente Persönlichkeiten schwer belastet.
Im Kurz-Prozess zauberte die Verteidigung eidesstattliche Erklärungen von Afinogeov und einem zweiten Russen hervor. Die Anwälte argumentieren, Schmid habe bei dem Treffen mit den Geschäftsmännern Dinge gesagt, die seine belastenden Angaben gegenüber den Ermittlern als unglaubwürdig erschienen ließen. Als Afinogenov dann mehrere Stunden lang direkt vom Richter befragt wurde, erklärte er allerdings, die eidesstattlichen Erklärungen seien gemeinsam mit dem Anwalt von Sebastian Kurz erstellt worden. Und Schmid habe bei dem Treffen im Sommer gar nicht zugegeben, dass er gegenüber der Staatsanwaltschaft falsch ausgesagt habe, um diese zu befriedigen. Er, Afinogenov, habe lediglich „den Eindruck“ gehabt, dass Schmid das gegebenenfalls tun würde.
Afinogenov behauptete übrigens, Schmid sei für den ihm angebotenen Job dann doch nicht in Frage gekommen. Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium und Chef der Staatsholding ÖBAG habe mit seinen belastenden Aussagen gegen Kurz & Co. nämlich gegen sein früheres „Team“ agiert. „Ich kann so einer Person nicht vertrauen“, gab Afinogenov zu Protokoll: „Vertrauen ist das Allerwichtigste in unserem Geschäft.“
Die Spuren in den Datenleaks
Das wirft die dringende Frage auf, in welchem Team eigentlich Afinogenov spielt, wem sich er quasi bedingungslos unterordnet – und ob der Russe tatsächlich so ein unbeschriebenes Blatt ist, wie es zunächst den Anschein hatte. Mögliche Antworten darauf geben gleich mehrere prominente Datenleaks aus der Welt der Steueroasen und Offshore-Firmen: nämlich die „Pandora Papers“ und die „Paradise Papers“. Außerdem findet sich eine weitere spannende Spur in den sogenannten „FinCEN Files“.
Diese drei Begriffe stehen jeweils für riesige Mengen geleakter Daten von Anwalts- und Treuhandkanzleien, aber auch von einer wichtigen US-Behörde. Diese Daten wurden und werden unter Führung des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) weltweit von Journalistinnen und Journalisten ausgewertet. Bei den „Paradise Papers“ spielte neben dem ICIJ die „Süddeutsche Zeitung“ eine zentrale Rolle, bei den „FinCEN Files“ das US-Onlineportal „BuzzFeed News“. profil ist eines der Partnermedien in Österreich und hat die Datensätze nun mit Blick auf den Kurz-Zeugen Afinogenov unter die Lupe genommen.
Der steuerschonende Jet-Import
Ein zentraler Fund ist der steuerschonende Import des Gulfstream-Jets, der sich aus den „Paradise Papers“ ablesen lässt. Dokumentiert sind die Vorgänge unter anderem in zahlreichen E-Mails zwischen involvierten Kanzleien und Offshore-Dienstleistern. In CC stand dabei wiederholt auch eine E-Mail-Adresse, die Afinogenov zuordenbar ist. Möglicherweise wurde er in der Informationsschleife gehalten, weil er eine Kontaktperson in Richtung der eigentlichen Jet-Eigentümern war. Diese dürften nämlich die Eigentümer jenes Immobilienunternehmens gewesen sein, das er damals leitet. Das eine oder andere Mal schaltete sich Afinogenov – den vorliegenden Daten zufolge – auch direkt in den E-Mail-Verkehr ein, der sich über viele Monate erstreckte. Skrupel, ein millionenschweres Steuerschlupfloch auszunutzen, ließ keiner der Involvierten erkennen.
Der Deal lief folgendermaßen: Ziel war es offensichtlich, die Gulfstream mit der Kennung „M-ASIK“ über die Isle of Man in die EU zu importieren. Die Isle of Man ist so etwas wie eine europäische Steueroase unter Anbindung an Großbritannien. Und dort war es zumindest zur damaligen Zeit möglich, sich die Umsatzsteuer beim Flugzeug-Import in die EU zu ersparen. Findige Kanzleien setzten Strukturen auf, durch die es zumindest auf dem Papier so aussah, als würde der jeweilige Jet zu Geschäftszwecken genutzt. Gelang das, konnten sich die Eigentümer die Steuer bereits im Moment ihres Anfallens rückerstatten lassen.
Das Millionen-Schlupfloch
Im konkreten Fall ging es laut vorliegenden Unterlagen um rund 2,9 Millionen Pfund – umgerechnet also gut 3,3 Millionen Euro. Die geschäftliche Nutzung wurde dadurch dargestellt, dass die Eigentümerfirma des Jets, eine gewisse „Floremzane Limited“ mit Hauptsitz auf den British Virgin Islands (BVI), den Jet an eine andere Karibik-Firma verleasen sollte, nämlich an eine „Forellon Holdings Limited“. Die Forellon sollte dafür an die Floremzane ein marktübliches Entgelt bezahlen. Entscheidender Punkt: Floremzane und Forellon gehörten zur selben Firmengruppe. Das Geld sollte also offenbar nur von der linken in die rechte Tasche fließen. Das störte allem Anschein nach die – auf der Isle of Man legale – Steuervermeidungsstruktur nicht.
Was sehr wohl störte, war allerdings, dass die im Detail ausgetüftelte Konstruktion in der Praxis mehrere Jahre lang nicht funktioniert haben dürfte. Die Anwaltskanzlei, über welche der Jet-Deal organisiert wurde, warnte mehrfach davor, dass die notwendigen Voraussetzungen nicht eingehalten würden und dadurch eine Steuerpflicht entstehen könnte. Als die Kanzlei darauf drängte, dass zumindest ihre eigenen Rechnungen bezahlt würden, schaltete sich Afinongenov direkt ein. Die Rechnungen würden heute bezahlt, schrieb er im Dezember 2014.
Die Österreich-Connections
Schon bei dem Jet-Deal gibt es mehrere interessante Verbindungen nach Österreich: So wurde die Gulfstream bei ihrem Überstellungsflug auf die Isle of Man offenbar von einem Österreicher pilotiert. 2014 überlegten die russischen Jet-Eigner vorliegenden E-Mails zufolge, das Flugzeug in Österreich registrieren zu lassen. Ein Plan, der damals aber wieder verworfen wurde. Als Betreiber des Fliegers agierte zu diesem Zeitpunkt allerdings ein Luftfahrtunternehmen aus Salzburg.
Wer waren nun die russischen Eigentümer des Flugzeuges, denen Afinogenov bereitwillig zuarbeitete? Afinogenov war damals in leitender Position beim russischen Immobilienunternehmen „Patero Development“ tätig. Aus den „Paradise Papers“ ergibt sich, dass die Gründer von „Patero“ als tatsächliche wirtschaftliche Berechtigte hinter dem Privatjet-Deal standen.
Und hier ergibt sich gleich die nächste Verbindung nach Österreich: Die österreichische Immofinanz entwickelte gemeinsam mit Patero das riesige Einkaufszentrum „Golden Babylon“ in Moskau. Es scheint jedenfalls bemerkenswert, dass es schon früher durchaus dichte Verbindungen nach Österreich gab – und nun Afinogenov quasi aus einem Zufall heraus Zeuge im Kurz-Prozess wurde.
Die nächsten acht Offshore-Firmen
Afinogenov stand laut „Pandora Papers“ jedenfalls noch in Verbindung zu mindestens acht weiteren BVI-Firmen. Und auch hier lohnt sich ein genauerer Blick. Alle acht Firmen haben eines gemeinsam: Einer der drei Patero-Gründer schien als wirtschaftlicher Berechtigter auf – und zwar Teimuraz Khikhinashvili, der sich auch Temur Ben Yehuda nennt.
Khikhinashvili ist nicht nur in Russland, sondern auch international bestens vernetzt. Er ist Vorsitzender des „Israeli-Russian Business Council“ und Vizepräsident des „Euro-Asian Jewish Congress“ (EAJC). (Ein weiterer Vizepräsident des EAJC war übrigens früher Mitarbeiter der Meinl Bank – noch eine potenzieller Berührungspunkt zu Österreich.) Im Programm des „Eastern Economic Forum“ in Vladivostok im Jahr 2022 wurde Khikhinashvili zudem als Investor einer Firma namens „Almaz“ bezeichnet. So heißt das heutige Unternehmen des Kurz-Zeugen Afinogenov, das sich mit der Herstellung künstlicher Diamanten beschäftigt. Es spricht also einiges dafür, dass Afinogenov und Khikhinashvili bis heute geschäftlich verbunden sein könnten.
Die Kreml-Connection
Zurück zu den acht Karibik-Firmen aus den „Pandora Papers“. Diese hießen:
Khikhinashvili teilte sich – den vorliegenden Daten zufolge – die Eigentümerschaft der meisten dieser Offshore-Firmen entweder mit den beiden anderen Patero-Gründern oder mit weiteren hochrangigen Persönlichkeiten aus der russischen Elite. Darunter:
Andrey Reus: Er bekleidete in der ersten Amtszeit von Präsident Vladimir Putin in den frühen 2000er Jahren die Funktion eines stellvertretenden Ministers für Industrie und Energie. 2007 wurde er zum Generaldirektor von „Oboronprom“ ernannt, einer staatlichen Luftfahrtfirma, deren Tochter „Russian Helicopters“ Kampfhubschrauber herstellt. Reus wurde mit dem Ehrenorden für „Verdienste um das Vaterland“ ausgezeichnet. Die frühere von ihm geleitete Firma Oboronprom wurde 2022 von der EU mit Sanktionen belegt.
Diana Gindin: Sie ist die Ex-Frau des bekannten russischen Politikers Vladislav Reznik, der für die Putin-Partei „Einiges Russland“ in der Staatsduma – also dem Parlament – saß und bereits 2018 auf der Sanktionsliste der USA landete.
Sergei Evlakhov: Er bekleidete in den 2000er Jahren die Position des Vizepräsidenten der staatlichen Pipeline-Firma Transneft.
Es handelte sich also durchwegs um Mitglieder der russischen Elite, teils mit offensichtlichen Kreml- oder Polit-Connections. Und Afinogenov war allem Anschein nach in die Verwaltung ihre Offshore-Angelegenheiten involviert – dies vermutlich über die Immobilienfirma Patero bzw. deren Gründer Khikhinashvili. Diese Involvierung manifestiert sich in den „Pandora Papers“, als die BVI-Firmen 2016 beziehungsweise 2017 aufgelöst wurden: Die zuständige Kanzlei auf den British Virgin Islands schickte entsprechende Bestätigungsdokumente per DHL aus Road Town Tortola nämlich ausgerechnet an Valery Afinogenov in Moskau.
Bei der Pelwood Finance Limited schien Afinogenov übrigens selbst auch als einer der wirtschaftlichen Berechtigten auf. Insgesamt zeigt sich ein veritables Offshore-Netzwerk: Einzelne der genannten Firmen waren teilweise wiederum an weiteren Gesellschaften beteiligt, etwa auf Zypern. Andere hatten in russische Unternehmen investiert oder diesen Geld geborgt. Den vorliegenden Dokumenten zufolge ging es um zig Millionen Dollar, Euro und Rubel.
Im Visier der Aufsicht
Was darüber hinaus auffällt: Zumindest zwei der Karibik-Firmen gerieten in früheren Jahren ins Visier der Finanzaufsicht der British Virgin Islands. Die „Financial Investigation Agency“ der BVI übermittelte entsprechende Auskunftsersuchen an die für Geldwäschemeldungen zuständige Mitarbeiterin jener Kanzlei, welche die Firmen verwaltete. In Bezug auf eine der beiden Firmen kam es auch zu einer Geldwäscheverdachtsmeldung einer US-Bank an die dortige Aufsichtsbehörde FinCEN. Dies ergibt sich aus den sogenannten „FinCEN Files“. Auslöser für die Verdachtsmeldung waren Überweisungen von insgesamt rund zwei Millionen Dollar.
Zweiter Zeuge soll befragt werden
Es war also viel Geld unterwegs in jenem Offshore-Netzwerk, in das Kurz-Zeuge Valery Afinogenov zu unterschiedlichen Zeitpunkten involviert war. Er und Khikhinashvili ließen detaillierte Anfragen von profil unbeantwortet. Afinogenov hat seinen Auftritt im Kurz-Prozess bereits hinter sich gebracht. Einen zweiten Russen, der beim Treffen mit Thomas Schmid in Amsterdam dabei gewesen sein soll, will das Gericht morgen am voraussichtlich letzten Verhandlungstag befragen. Zuletzt war dem Zeugen kurz vor der Einvernahme plötzlich unwohl geworden. Es wird sich zeigen, ob der Mann morgen etwas zu Protokoll gibt – und wenn ja, was.
Weitere Hintergründe zu Valery Afinogenov haben ORF-Journalist Martin Thür sowie „Der Standard“ berichtet.