Spionageskandal Ott: Wie konnte das passieren?
Von Anna Thalhammer
Schriftgröße
711 St 39/17d. Hinter dieser Aktenzahl verbirgt sich einer der mutmaßlich größten Spionage- und Politskandale in der Geschichte Österreichs. Alles dreht sich um eine Clique mutmaßlich korrupt gewordener Verfassungsschützer, die gegen Geld Geheimnisse aus den Eingeweiden der Republik verkauft haben sollen. Ihre Kunden waren Wirtschaftstreibende, heimische Politiker – und letztlich offenbar auch der russische Geheimdienst. Die Truppe taucht gleich bei mehreren großen Affären der letzten Jahre auf: Vom BVT-Skandal über Ibiza bis hin zu Wirecard. Der Fall erzählt auch viel über die Verfasstheit des Staates: Wie opportunistisch die heimische Politik geworden ist. Wie groß Sicherheitslücken klaffen – wie blind und langsam die Justiz agiert. Und wie leichteine kleine Truppe die Republik über Jahre narren konnte. profil liegen weite Teile des Ermittlungsakts vor – darunter auch brisante Haftanordnungen.
Egisto Ott hatte sich am Karfreitag in seinem geräumigen Haus in Kärnten wohl schon auf die traditionelle Osterjause samt Reindling und Osterschinken gefreut. Doch der Tag blieb für ihn einer der Entbehrungen. In der Früh klingelte die Polizei an der Haustür und nahm ihn fest. Schon wieder. Der hochrangige ehemalige Verbindungsbeamte und Ex-Nachrichtendienstler wurde ins Gefängnis gebracht. Schon wieder.
Der Vorwurf laut profil vorliegender Festnahmeanordnung, über die auch der "Falter" berichtete: Ott soll zum Nachteil Österreichs für Russland spioniert haben. Er soll die russischen Dienste systematisch mit geheimen, streng vertraulichen Informationen aus dem Verfassungsschutz sowie Personendaten aus Polizeidatenbanken versorgt haben. Schon wieder. Ein Richter verhängte am Ostermontag U-Haft wegen Tatbegehungs- und Verdunkelungsgefahr. Schon wieder. Denn bereits drei Jahre zuvor hatte man Ott schon einmal in diesem Zusammenhang festgesetzt. Die lahmende Justiz ließ ihn dann aber wieder laufen.
Verleumdungskampagnen
Die Sonderkommission „AG Fama“, welche die Ermittlungen im Bundeskriminalamt führt, ließ sich dadurch ebensowenig entmutigen wie durch persönliche Verleumdungen gegen Beamte. Denn Ott und sein Netzwerk taten viel, um lästige Ermittler loszuwerden, die ihnen schon seit Langem auf den Fersen waren.
Den Beamten wurde Parteilichkeit und Befangenheit vorgeworfen. Es wurden über sie mit Lügen gespickte Dossiers erstellt, in ihrem Privatleben gewühlt und auch Lebensgefährten diskreditiert. Auch die Autorin dieses Artikels, die in ihrer journalistischen Arbeit einen Schwerpunkt auf Geheimdienste hat und sich darum seit Jahren mit Ott und seinen Komplizen sowie deren Methoden auseinandersetzt, muss sich seit Jahren gegen Unwahrheiten wehren. Sie wurde bespitzelt, es wurde Verleumderisches und Rufschädigendes über sie verbreitet – unter Kollegen, Politikern und innerhalb der Nachrichtendienste. So wollte man an ihrer Glaubwürdigkeit rütteln, die Berichterstattung infrage stellen, wertvolle Kontakte zerstören und Informanten fernhalten.
Derartige Lügenpamphlets über Beamte und Journalisten wurden der Politik zugespielt, die das teils auch dankend nutzte, um in U-Ausschüssen oder via parlamentarischer Anfragen Stimmung zu machen und politisches Kleingeld zu schlagen. Allen voran spielten dabei Peter Pilz und verschiedene Funktionäre der FPÖ eine tragende Rolle, wie heute etliche Chats belegen.
Der Akt der Staatsanwaltschaft Wien wuchs trotz dieser Schattenkämpfe bestätig weiter, akribisch – wenn auch langsam – ging man jedem Vorwurf nach. Heute sind auf Tausenden Seiten viele kleinere und größere Ungereimtheiten, Indizien und Beweise rund um die Machenschaften von Ott und seinen Freunden angeführt.
Marsaleks Maulwurf: Egisto Ott
Der frühere BVT-Beamte soll Marsalek mit Informationen aus dem österreichischen Sicherheitsapparat versorgt haben. Laut dem aktuellsten Ermittlungsstand gelangten mit der Hilfe Otts auch Handys und Laptops mit sensiblen Daten europäischer Geheimdienste in die Hände Russlands. Als Umschlagsplatz soll die Wohnung von Otts Ex-Schwiegersohn in Wien-Floridsdorf gedient haben.
Die Festnahmeanordnung sowie weite Teile des Ermittlungsakts zu Ott und Konsorten liegen profil, „Süddeutscher Zeitung“ und dem WDR vor, die seit Jahren gemeinsam zu den Verwirrungen im österreichischen Verfassungsschutz, der Wirecard-Pleite und zum Ibiza-Skandal recherchieren - und auch zum Thema Russlandspionage kooperieren. Mittlerweile zeichnen auch die Strafakten ein Bild, das durch journalistische Recherchen schon länger immer deutlicher geworden ist: Das alles hängt zusammen und ein wichtiges Bindeglied heißt Egisto Ott. Dazu später mehr.
Die Enttarnung durch die USA
Laut den vorliegenden Akten steht Ott im Verdacht „schon im Zeitraum von Juli 2017 bis März 2021 in Wien als ehemaliger BVT Beamter (und danach als Polizeibeamter) zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen Nachrichtendienst der russischen Föderation dadurch unterstützt zu haben, dass er systematisch nicht für die Öffentlichkeit bestimmte geheime Tatsachen und Erkenntnisse sowie personenbezogene Daten aus polizeilichen Datenbanken zum Zweck der Übermittlung an Jan Marsalek (Anm.: flüchtiger Ex-Wirecard-Chef mit Geheimdienstkontakten) und an unbekannte Vertreter der russischen Behörden sammelte, indem er unter wahrheitswidriger Vorgabe eines dienstlichen Bezugs als Mitarbeiter des BVT und der SIAK/ZIA (Anmerkung: Sicherheitsakademie, Ott war dort ab seinem Ausscheiden im BVT 2017 tätig) sowie als suspendierter Polizeibeamter teils unter wissentlichem Missbrauch seiner hoheitlichen Befugnisse nicht öffentliche personenbezogene Informationen zu vorwiegend russischen Staatsangehörigen aus nationalen behördlichen personenbezogenen Datenbanken sowie im Rechtshilfeweg von italienischen und britischen Polizeibehörden einholte, an deren Gewinnung die russische Föderation und deren Nachrichtendienst ein Interesse hatte.“
Ott hat alle Vorwürfe immer bestritten: vor Journalisten, vor Vorgesetzten, in Beschuldigteneinvernahmen und vor Haftrichtern. Die Probleme begannen für ihn im Jahr 2017, als er gerade für das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) tätig war.
profil-Informationen zufolge hatten die westlichen Geheimdienste schon seit Längerem Sorge, weil immer wieder höchst vertrauliche Informationen in feindlichen Ländern gelandet waren. Um den Maulwurf zu finden, wandte man einen simplen Geheimdienst-Trick an: Seitens der USA wurden an verschiedene Akteure unterschiedliche Informationen gestreut. Dann wartete man, wo sich welche wiederfanden.
Die BVT-Zentrale: Angriff aus dem Innersten
Wie konnten die mutmaßlichen Spionage-Aktivitäten von Verfassungsschützern so lange unbemerkt bleiben?
Es waren jene Information, die an Österreich gegangen waren – konkret geriet Egisto Ott in Verdacht, Informationen Richtung Russland gespielt zu haben. Die Amerikaner scannten daraufhin seinen Gmail-Account und stellten fest, dass sich dort im Posteingang viele Informationen befanden, die ihrer Meinung nach den Tatbestand der Spionage nahelegten, und meldeten das dem damaligen BVT-Leiter Peter Gridling.
Der ist ein alter Weggefährte Otts, man kennt einander aus jungen Polizistenjahren, diente in derselben Einheit. Gridling hatte Ott lange gefördert und unterstützt. Der Druck der Amerikaner wuchs aber derart, dass Gridling handeln musste. Er zeigte seinen alten Freund Ott an und versetzte ihn aus dem BVT in die Sicherheitsakademie. Ott hat die Vorwürfe immer bestritten und behauptet, er habe diese Unterlagen in seinem Gmail-Account zu dienstlichen Zwecken gebraucht. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Diese Vorfälle und der damit einhergehende Vertrauensverlust waren im Übrigen der eigentliche Grund, warum Österreich aus westlichen Geheimdienstgremien Ende 2017 ausgeschlossen wurde. Die Hausdurchsuchung im BBVT im Februar 2018 hat das Fass dann endgültig zum Überlaufen gebracht. Und auch da hatte Ott seine Finger maßgeblich im Spiel, aber auch dazu später mehr.
Die Verfolgung der Russlandkritiker
Die Ermittler erstellten eine Liste jener Personen, über die im Ott-Gmail-Account personenbezogene Daten gefunden wurden. Es sind rund 250 Namen, zu jedem Einzelnen musste ermittelt werden, was es damit auf sich hatte. Einiges davon war tatsächlich harmlos. Aber vieles brachte auch alarmierende Ergebnisse: Etliche Personenabfragen sollen – anders als Ott behauptet – keinen dienstlichen Bezug gehabt haben. Im Gegenteil. Ott war im BVT für Links- und Rechtsextremismus zuständig. Außerdem führte er einige verdeckte Ermittler in diesem Zusammenhang. Es fanden sich aber etliche personenbezogene Abfragen, die russischen Kontext hatten. Mit seinem Aufgabenbereich ist das nicht erklärbar. Mehr noch. Es handelte sich vielfach um Personen, die in Russland als Persona non grata galten oder seitens der russischen Behörden sogar strafrechtlich verfolgt wurden: Weil sie aus dem Staatsapparat desertierten. Weil sie Putin-kritisch waren – oder als Oppositionspolitiker galten.
Ein Beispiel: In einem Fall ging es um einen abtrünnigen FSB-Mitarbeiter. Der FSB (Federals Security Service) ist der russische Inlandsgeheimdienst, der nach Expertenschätzungen bis zu 350.000 Mitarbeitern zählt, die weltweit aktiv sind. Der Mann wurde wegen seines Verrats von den russischen Behörden per Fahndungsbefehl gesucht.
Er war aus Russland geflohen und hatte in einem europäischen Land politisches Asyl bekommen, wo er seitdem unter neuer Identität lebt. Er sieht sein Leben nach wie vor in Gefahr, der FSB sucht ihn – darum schützt profil seine Identität. Bereits vor der Flucht aus Russland war seine Wohnung in Moskau vom FSB durchsucht worden. Dabei wurden seine Fingerabdrücke sichergestellt – und Familienfotos von der Schuleinschreibung seiner Kinder.
Diese Aufnahmen waren daraufhin – Angaben des Mannes zufolge – ausschließlich in Besitz des FSB. Und landeten plötzlich bei Ott – ebenso wie seine Fingerabdrücke, die in Russland bei der Aufnahme in den Staatsdienst erkennungsdienstlich abgenommen worden waren.
Ott wurde mitgeteilt, dass sich der Mann derzeit auf einer Yacht mit einem gefälschten Ausweis befinden könnte. Und bei Ott wurde auch ein fotografierter Auszug einer Hotelgästeliste gefunden, auf der sich die Namen der Familienmitglieder fanden. Ebenso wurden bei Ott Informationen über eine Flugreise der Ehegattin samt der drei Kinder gefunden und Informationen über die in Israel lebende Schwester des Mannes.
Nach Ansicht der Ermittler kann Ott diese Informationen nur vom russischen Geheimdienst erhalten haben. Ott soll in weiterer Folge Personenabfragen zur ganzen Familie durchgeführt haben. Er verfolgte ihre Reisebewegungen und bat – unter einem dienstlichen Vorwand – Verbindungsbeamte anderer Länder, die Personen und allfällige Alias-Identitäten abzufragen. Er legte Dossiers zu der von den Russen gesuchten Familie an.
Professionelle Vorgehensweise
Der geflohene Ex-FSBler sagte später bei seiner Einvernahme durch die österreichischen Ermittler: „Ich würde noch hinzufügen, als ehemaliger Mitarbeiter des FSB, dass auf Grund dessen, was ich hier sehe und was Sie mich gefragt haben, dass Egisto Ott und der FSB sehr professionell gearbeitet haben. Er hat in kürzester Zeit seit 2017, unter dem Aspekt der Sicherheitsarbeit sehr professionell gehandelt mit dem Ziel der Fahndung nach mir und meiner Auffindung. Es ist offensichtlich, dass er im Sinne des FSB gehandelt hat und ich glaube, dass er das geheim gemacht hat, ich meine vor seinem Land. Ich erkläre, dass ich der Meinung bin, dass Egisto Ott ein Agent des FSB war und dass er gegen sein Land gearbeitet hat.“
© Jorghi Poll
Der Strippenzieher: Jan Marsalek
Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek soll seit vielen Jahren ein russischer Spion sein. Nach dem Auffliegen des Wirecard-Skandals flüchtete er nach Moskau. Von dort aus soll er weiterhin spioniert haben. Unterstützt wurde er laut Ermittlungsakten von zwei ehemaligen BVT-Beamten.
Der Strippenzieher: Jan Marsalek
Der Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek soll seit vielen Jahren für Russland spionieren. Nach dem Auffliegen des Wirecard-Skandals flüchtete er nach Moskau. Von dort soll er weiter Spionage-Aktivitäten in Europa geplant haben. Unterstützung bekam er laut Ermittlungsakten von zwei ehemaligen BVT-Beamten.
Der Mann war nur einer von vielen Russen, die ihrer Heimat auf Fahndungslisten standen und von Ott und seinem Netzwerk in den Sicherheitsbehörden in und außerhalb Österreichs verfolgt wurden. „Der russische Nachrichtendienst hat ein Interesse daran, dass staatlicher Druck auf die gesuchten Personen ausgeübt wird und diese lokalisiert werden. Dieses Interesse förderte Egisto Ott mit seinen Anfragen“, schlussfolgern die Kriminalisten.
Ein weiter prominenter Fall in den Ott-Akten dreht sich um den Journalisten Christo Grozev, Chefredakteur des oppositionellen russischen Aufdeckermediums „Bellingcat“. Grozev hat Familie in Österreich, sein Aufenthaltsort ändert sich allerdings laufend, weil er von russischer Seite mehrfach mit dem Tod bedroht wurde. In seine Wohnung in Wien wurde eingebrochen, ein Laptop und USB-Sticks wurden entwendet. Ott hat sich mit seinen Komplizen ausführlich über Grozev via Chat ausgetauscht, und ebenfalls Abfragen zu dem Mann durchgeführt, der sein Leben in Gefahr sieht, weil Putin höchstpersönlich seinen Mord in Auftrag gegeben haben soll. Grozev ist übrigens nicht der einzige Journalist, der von dem Netzwerk in Österreich bespitzelt wurde, weil sie russischen Spionen mit ihren Aufdeckungen unangenehm geworden sind.
Die Chats des MI5
Der Einbruch bei Grozev dürfte auf Auftrag des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek erfolgt sein. Das geht aus Chats hervor, die Österreich von den britischen Geheimdiensten erhalten hat und die dem Bild von Ott und seinen Auftraggebern eine neue Dimension geben. Die Chats stammen aus einem Verfahren gegen einen mutmaßlichen russischen Spionagering in London. Der britische Inlandsnachrichtendienst MI5 hatte im Februar 2023 die Wohnungen von fünf Bulgaren durchsucht. Man fand fingierte Presseausweise, Überwachungstechnik und gefälschte Reisedokumente. Als man den Männern ihre Handys abnahm, stießen die Ermittler auf überraschende Hinweise auf den Auftraggeber: Es war Jan Marsalek, der flüchtige Wirecardboss. Der verschwand nach der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Mitte 2020 nach Moskau – um dort seinen bisherigen Nebenjob offenbar zu seinem Hauptjob zu machen: den russischen Geheimdiensten dienlich zu sein.
Ott soll – wie österreichischen Ermittler aus nun aus diesen Chats folgern - noch zwei Jahre nach Marsaleks Verschwinden im Sommer 2022 Aufträge für ihn erfüllt haben. Auf sein Geheiß sollen etwa illegal entwendete Handys von hochrangigen ehemaligen Innenministeriumsbeamten an den russischen Geheimdienst FSB übergeben worden sein. Die Handys waren den Beamten im Sommer 2017 bei einem Kanuausflug des Kabinetts ins Wasser gefallen. Katharina Nehammer, heute Kanzlergattin, war damals im Innenministerium tätig und hatte im Boot wild herumgewackelt, bis es schließlich kenterte.
Die Beamten – darunter der Kabinettschef – baten einen Techniker im BVT zu retten, was noch zu retten ist. Der behauptete allerdings, die Handys seien zu nass gewesen, um sie wiederherzustellen, und bot an, sie fachgerecht zu vernichten. Immerhin gehörten die Besitzer dieser Mobiltelefone zu den höchsten Geheimnisträgern der Republik. Nicht auszudenken, wenn die Kommunikation und Daten in falsche Hände geraten würden. Die Beamten konnten dieser Argumentation nur zustimmen und beauftragten die Vernichtung.
IT-Techniker Anton H. leistete dem aber offenbar keine Folge. Die Handys landeten bei Egisto Ott, die Daten daraus später bei Otts gutem Bekannten Peter Pilz – und die Mobiltelefone, so der Verdacht, letztlich beim Inlandsgeheimdienst der Russen. Dafür soll Ott laut Verdachtslage von einer Kontaktperson von Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek einen „nicht geringfügigen“ Geldbetrag erhalten haben.
Peter Pilz: Kontakt zu Ott
Pilz' Plattform „zackzack“ rückte in den vergangenen Jahren immer wieder zur Verteidigung von Egisto Ott aus. Es gebe „keine anklagetaugliche Grundlage zu den Vorwürfen“ stand dort 2022 zu lesen.
Nach Recherchen von profil, „Süddeutscher Zeitung“ und WDR gibt es Hinweise darauf, dass Marsalek bei der Informationsbeschaffung auch auf Helfer in Deutschland zurückgegriffen hat. Sie sollen Bargeld nach Wien gebracht haben, um anschließend die Handys und einen speziell verschlüsselten Laptop mit – gemäß Verdacht der Ermittler – streng geheimen europäischen Geheimdienst-Informationen in Richtung Russland abzutransportiert. „The laundry guys confirmed: they will pick up the cash today and make it available in Berlin tomorrow“, soll Marsalek geschrieben haben. „Laundry Guys“ bedeutet so viel wie „Geldwäsche Jungs“.
Derartige SINA-Laptops sind mit einer speziellen Technologie ausgestattet, die vor allem westliche Sicherheitsbehörden nutzen – und die nun offenbar in den Händen Russlands ist. Endadresse der Marsalek-Bestellung: Lubjanka, die Zentrale des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Nach Otts Verhaftung sind noch zwei weitere solcher Laptops in seiner Wohnung aufgefunden worden. In Deutschland und Österreich läuft nun eine fieberhafte Suche, wo diese herkommen – und wem sie gehören. Für den ersten soll Ott 20.000 Euro erhalten haben, wie die Ermittler aus Chatnachrichten schlussfolgern.
Die Wirecard-Achse
Marsalek war mit Ott und seinen Verfassungsschutzfreunden persönlich bestens bekannt. Martin Weiss, einst mächtiger Abteilungsleiter im BVT, heuerte nach seinem Ausscheiden aus dem Amt wegen Verwerfungen spätestens 2017 bei Marsalekan. profil-Informationen zufolge kannten die beiden Männer einander aber deutlich länger. Einem – vorerst unbestätigten – Hinweis zufolge sollen sich Weiss und Marsalek schon Jahre zuvor immer wieder in Dubai getroffen haben, wo Weiß heute lebt. Marsalek soll dort auch teure Hotelaufenthalte für Weiss und dessen Frau bezahlt haben.
Jedenfalls zog Weiss nach seiner aktiven BVT-Zeit buchstäblich zu Marsalek: nämlich in dessen Villa in der Münchner Prinzregentenstraße. Dort gingen Geheimdienstmitarbeiter Russlands und Libyens ein und aus, wie profil vorliegende Fotos belegen. Einer, der besonders oft dort zu Gast war, ist Stanislav Petlinsky – ein enger Vertrauter Marsaleks. Der Mann, der auch mit einem Pass auf den Namen „Boris Grin“ reist, bezeichnet sich selbst als „Berater“ von Geheimdiensten. Es ist aber eher wahrscheinlich, dass er einem solchen angehört und einer der höchstrangigen russischen Spione überhaupt ist. Petlinsky soll gute persönliche Kontakte zu Wladimir Putin haben, und dem FSB angehören. Dieses Gerücht untermauert übrigens auch Petlinskys Alias-Pass. Er soll – den Ermittlern zufolge – in der gleichen Abteilung des russischen Innenministeriums ausgestellt worden sein wie die Reisepässe der beiden, „dem russsischen Geheimdienst zuzuordnenden Skripal-Attentäter“. Die Aufträge an das Ott-Netzwerk sollen nicht nur von Marsalek, sondern auch von Petlinsky selbst gekommen sein.
Marsaleks Fluchthelfer: Martin Weiss
Weiss, der Ex-Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), half Marsalek bei der Flucht aus Österreich. Schon zuvor pflegten die beiden einen engen Austausch, Weiss soll Marsalek öfter in München besucht haben.
Was Weiss für Marsalek in der Villa in der Prinzregentenstraße genau tat, ist nebulös. Klar ist, dass er Marsaleks Mann für geheimdienstliche Spezialaufträge war und zu seinen engsten Vertrauten gehört. Weiss holte dafür einige seiner alten Geheimdienst-Freunde an Bord. Einer davon war Egisto Ott, der Personenabklärungen für Marsalek gegen Geld erledigt haben soll. Weiss war eine der letzten Personen, die Marsalek vor seiner Flucht sah – bei der er ihm übrigens behilflich war, indem er ihm einen Flug von Bad Vöslau gen Minsk organisiert haben soll. Er stand auch nach Marsaleks Flucht mit ihm in Kontakt, wie man aus Chat-Auswertungen seines Handys weiß. Denn wie Ott war auch Weiss im Jahr 2021 schon einmal eben wegen seiner Verbindungen zu Marsalek in U-Haft gelandet.
Die Justiz ließ ihn laufen, weil man seinen Behauptungen Glauben schenkte. Weiss beteuerte dort unter Tränen, dass er an der Aufklärung mitwirken wolle. Auch seinen Kindern zuliebe, denen er ein guter Vater sein wolle. Es waren leere Versprechungen: Weiss folgte bisher keiner Einladung der österreichischen Justiz mehr. Selbst einem Prozess, bei dem er selbst angeklagt war, blieb er fern. Er haute nach Dubai ab, wo er lebt und arbeitet. Marsalek schreibt in den Chats, die der MI5 sichergestellt hat, davon, Weiss nach Dubai „evakuiert“ zu haben, damit die Ermittlungsbehörden keinen Zugriff mehr auf ihn hätten
Die Skandal-Sammlung
Dabei gäbe es mit Weiss – und Ott – einige Hühnchen zu rupfen. Auch abseits der aktuellen Causa rund um Russlandspionage und Marsalek. Da wären noch zwei große, österreichische Affären, die einer Klärung bedürften.
Da wäre die BVT-Affäre, die skandalöse Razzia im Geheimdienst im Februar 2018. Kickl war damals frischgebackener Innenminister. Heute weiß man: Marsalek hatte schon zuvor beste Kontakte zu FPÖ-Politikern, mit denen er auch über das BVT sprach wie man heute aus Chats weiß. Ja mehr noch, sogar Personalvorschläge machte. Die Razzia wurde damals von Ursula Schmudermayer angeordnet, Staatsanwältin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die gerade befördert wurde – trotz ihrer Fehlleistungen in dieser Causa. Grundlage für ihre (falschen) Einschätzung waren ein anonymes Pamphlet, das gespickt mit Vorwürfen gegen Innenministeriums- und BVT-Beamte war und ab dem Sommer 2017 kursierte. Die Vorwürfe wurden von den Aussagen mehrerer Hauptbelastungszeugen untermauert: Ott und Weiß gehören zu den Fixern der WKStA.
Mehrere Gutachten legen heute nahe, dass Ott der Verfasser des Pamphlets war. Selbstredend haben beide immer alles bestritten. Die Razzia hatte jedenfalls weitreichende Konsequenzen: Vertrauensverlust des Landes, ein großes Sicherheitsrisiko für Österreich – und Jobverlust von Schlüsselfiguren. Der ehemalige Spionageabwehrchef, Bernhard P., wurde derart mit Vorwürfen beschossen, dass er gehen musste. Er war auf die Abwehr von Russlandspionage spezialisiert. Von den Vorwürfen ist nichts mehr übrig – er ist nach wie vor ohne Job und sitzt auf einem Berg Schulden durch Rechtsanwaltskosten. Die Republik hat sich bisher nicht um Wiedergutmachung geschert.
Ein gutes Jahr darauf passierte die Ibiza-Affäre, die Vizekanzler Heinz-Christian Strache dazu zwang, den Hut zu nehmen. Zur Erinnerung: In einer geheimen Aufnahme wurden Strache und sein Adlatus, Klubobmann Johann Gudenus, in einer Villa in Ibiza ziemlich betrunken gefilmt als sie gerade über Postenschacherei, Parteispenden und den Kauf von Medien fabulierten. Die FPÖ war nach Auffliegen am Boden. Ott schrieb damals Nachrichten an den Generalsekretär des blauen Außenministeriums, Johannes Peterlik, dass die Strache Video „laut I vom Griedling BVT Umfeld“ kommen würden. Dann nannte er mehrere Namen von BVT-Beamten, versuchte es ihnen in die Schuhe zu schieben.
Gebotene Selbstreflexion
Denn das ist es, was Ott und seine Freunde – in bester nachrichtendienstlicher Manier taten. Sie versuchten die Politik durch „Informationen“ zu beeinflussen. Pamphlete, Verleumdungen und Gerüchte sollten Misstrauen gegen wichtige Akteure und Instiutionen schüren. Sie hatten Erfolg, denn der Staatsapparat war anfällig dafür: Ott hatte Kontakt zu fast allen Parteien, die dankbar seine „Insider-Informationen“ für U-Ausschüsse und parlamentarische Anfragen nutzen. Kritische Distanz und Aufklärung fehlten. Der Sicherheitsapparat wurde über Jahre in derartige Unruhe versetzt, dass die Beschäftigung mit sich selbst jede Aufmerksamkeit für die dubiosen Machenschaften überlagerte. Manches wollte man aber offenbar auch schlicht nicht mit der nötigen Konsequenz verfolgen, denn immerhin läuft seit sieben Jahren ein Ermittlungsverfahren.
Es ist grotesk: In Wien, der Hauptstadt der Spione, hat es im Sprengel der Staatsanwaltschaft Wien noch nie eine Anklage wegen Spionage gegeben. Im Gegenteil: Im Fall von Ott und Weiß ließ man die beiden mehrfach vom Haken. Im Schatten dieses Systemversagens könnte es nun sein, dass Daten der wichtigsten Informationsträger der Inneren Sicherheit in Moskau gelandet sind – und wer weiß was noch.
Deutschland ist nicht besser dran: Was, wenn Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek die Zahlungsdaten von Millionen Menschen und Institutionen an Moskau geliefert hat? Der BND hat seine Informanten via Wirecard bezahlt – müssen sie nun mit Enttarnung rechnen. Bisher hüllte die Politik über all das gern eher einen Mantel des Schweigens als für Aufklärung zu sorgen – obwohl vieles auch medial auf den Tisch gelegt wurde. Am 9. April wird Karl Nehammer den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. Auch in Deutschland wird das Thema jetzt auf die oberste politische Ebene gehoben.
Die Aufklärung wird Selbstkritik bedürfen, die auch weh tut. Sonst wird der Westen die nötige Resilienz gegen derartige Methoden nicht aufbauen können, um den Krieg, den Putin jetzt schon mit derartigen Waffen führt, gewinnen zu können.
Illustration: Jorghi Poll
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.