Vor genau sieben Jahren, Ende Februar 2018, führte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine groß angelegte Razzia im BVT durch – befeuert durch die blaue Ressortspitze im Innenministerium. Auslöser für die Ermittlungen war ein anonymes Konvolut mit – teils abenteuerlichen – Vorwürfen. Mittlerweile vermuten Ermittler, dass Ott einer der Verfasser gewesen sein könnte. Die Hausdurchsuchung wurde übrigens später für rechtswidrig erklärt.
Kampf hinter den Kulissen
Damals, im Jahr 2018, setzte hinter den Kulissen allerdings ein Kampf um die Deutungshoheit ein: War das Vorgehen der WKStA völlig überzogen gewesen und der Todesstoß für eine grundsätzlich funktionierende Behörde? Oder handelte es sich – von der anderen Seite betrachtet – beim BVT um einen dysfunktionalen Haufen aus ÖVP-Parteigängern, die ein „schwarzes Netzwerk“ gebildet hatten, eine Art Staat im Staat? War die Razzia schuld daran, dass Österreich vorübergehend aus dem sogenannten „Berner Club“ flog – jenem informellen Gremium, in dem sich westliche Nachrichtendienste austauschen? Oder war der schon zuvor aufgetauchte Verdacht der Russland-Spionage gegen Ott der Grund dafür? In Parteifarben betrachtet: Wer war verantwortlich für die gefährliche Lähmung des zivilen Nachrichtendienstes der Republik – FPÖ oder ÖVP?
Mittlerweile haben sich die Vorwürfe gegen das BVT in Luft aufgelöst. Damals wurde jedoch eigens ein BVT-Untersuchungsausschuss des Nationalrats eingerichtet, in dem Jenewein als blauer Fraktionsführer agierte – und offenbar in reger Verbindung mit Egisto Ott stand. Folgt man der Argumentation der Staatsanwaltschaft, so soll die Achse Ott-Jenewein dabei allerdings mitunter die Grenzen des Erlaubten überschritten haben.
Die Achse Ott-Jenewein
Vorwurf eins: Ott soll im November 2018 im Auftrag Jeneweins einen Beamten, dessen Identität offenbar bis dato nicht ermittelt werden konnte, beauftragt haben, „Informationen zu Teilnehmern eines Treffens europäischer Nachrichten- und Geheimdienste zu beschaffen“. Insbesondere habe man wissen wollen, welche BVT-Mitarbeiter an dem Treffen teilgenommen haben. Dabei ging es um den „Berner Club“.
Ott soll außerdem im Mai 2019 Jenewein Namen von BVT-Mitarbeitern weitergegeben haben – verbotenerweise, wie die Staatsanwaltschaft meint. Jenewein wiederum soll als Mitglied des BVT-U-Ausschusses Fotos von Auskunftspersonen gemacht und an Dritte übermittelt haben. Weitere Teil-Vorwürfe beziehen sich auf Handlungen von Ott und Jenewein in Zusammenhang mit einer anderen blaue Groß-Affäre – dem Ibiza-Skandal beziehungsweise dessen Aufarbeitung. Der strafrechtliche Vorwurf: Verletzung des Amtsgeheimnisses. In Bezug auf Jenewein ortet die Staatsanwaltschaft zusätzlich noch das Vergehen der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach dem Datenschutzgesetz.
Beamtin angestiftet?
Vorwurf zwei: In einer zusätzlichen Anklageschrift, welche im Dezember 2024 eingebracht wurde, wirft die Staatsanwaltschaft Wien Jenewein vor, als Mitglied im BVT-Untersuchungsausschuss eine damalige Beamtin des Innenministeriums beauftragt zu haben, ihm unter anderem „Berichte mit Informationen zu den Teilnehmer:innen zweier Treffen europäischer Nachrichten- und Geheimdienste“ zu übermitteln. Damit soll er die nunmehr mitangeklagte Beamtin zum Amtsmissbrauch angestiftet haben.
Vorwurf drei – die Lederhosen-Affäre: Es geht wieder um die Weitergabe mutmaßlich geheimer Informationen an Jenewein. Die genauen Umstände wirken zumindest auf den ersten Blick jedoch einigermaßen bizarr: Ott habe im September 2018 dem blauen Mandatar „zwei im Juni 2016 angefertigte Fotos samt namentlicher Nennung der zu sehenden Personen“ übermittelt, heißt es in einer Presseaussendung der Staatsanwaltschaft. Auf dem ersten Foto seien „ein Beamter des BVT und ein Vertreter eines ausländischen Nachrichtendienstes“ zu sehen gewesen, auf dem zweiten Foto „ein weiterer Beamter des BVT und ein Vertreter eines ausländischen Nachrichtendienstes in Lederhosen“. Durch die Weitergabe der Fotos wurde laut Staatsanwaltschaft „die Aufrechterhaltung der öffentlichen nationalen Sicherheit“ gefährdet – und der Erfolg zukünftiger nachrichtendienstlicher Aktivitäten.
Die Lederhosen-Affäre
Ein Agent in Lederhosen? Es dürfte sich um einen Mitarbeiter des südkoreanischen Geheimdienstes gehandelt haben. BVT-Beamte trafen sich offenbar früher wiederholt mit den Südkoreanern beim Heurigen. Zum Thema wurde das in den ursprünglichen BVT-Ermittlungen der WKStA, weil im anonymen Konvolut auch der Vorwurf enthalten war, dem südkoreanischen Geheimdienst seien vom BVT verbotenerweise Rohlinge aus einer großen Bestellung nordkoreanischer Reisepässe weitergegeben worden. Die Nordkoreaner hatten die Pässe bei der in Privatbesitz stehenden Österreichischen Staatsdruckerei in Auftrag gegeben. Vom Vorwurf blieb letztlich nichts übrig, die Ermittlungen wurden eingestellt. Ein zünftiges Foto vom feuchtfröhlichen Heurigenbesuch in Lederhosen-Tracht hätte aber zumindest zwischenzeitlich wohl das Zeug gehabt, die Affäre weiter am Köcheln zu halten.
Ursprünglich prüfte die Staatsanwaltschaft Wien, ob beabsichtigt gewesen sein könnte, das Foto an die Medien zu spielen. Diesbezügliche Ermittlungen gegen Jenewein – den mutmaßlichen Empfänger der Fotos – wurden aber eingestellt. Die Ermittler fanden keine Anhaltspunkte für eine „Bestimmungshandlung“ und auch nicht dafür, dass Jenewein seinerseits die Fotos weitergeleitet hätte.
Noch ein neuer Vorwurf
Zu Vorwurf vier ist bisher am wenigsten öffentlich bekannt. Wie profil herausgefunden hat, reicht dieser jedoch besonders tief in die Schlapphut-Community hinein. Involviert ist neben Ott auch noch ein Bekannter des Ex-BVTlers – ein deutscher Staatsbürger mit Geheimdienstbeziehungen. Die Staatsanwaltschaft vermutet nicht nur ein freundschaftliches Verhältnis des Mannes zu Ott, sondern auch zum ehemaligen BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss. Weiss gilt – neben Ott – als Beschuldigter in Zusammenhang mit den Spionagevorwürfen rund um den ehemaligen Wirecard-Vorstand und mutmaßlichen Russland-Agenten Jan Marsalek. Diese Vorwürfe sind allerdings noch im Ermittlungsstadium – profil berichtete wiederholt.
Die nunmehrige Anklageschrift beschränkt sich auf Informationsweitergaben von Ott an den deutschen Bekannten im Jahr 2020. Einmal soll Ott dem Mann Daten über die frühere dienstliche Verwendung von Weiss und von einem weiteren hochrangigen Ex-BVT-Mitarbeiter übermittelt haben. Ein weiteres Mal schickte Ott laut Anklage Informationen über einen Mann, der früher als verdeckter Ermittler des Bundeskriminalamts tätig gewesen war – die Staatsanwaltschaft Wien sieht darin eine Verletzung des Amtsgeheimnisses. Ott soll von seinem Bekannten zuvor per Handy-Chat gezielt nach der Person gefragt worden sein: „Kennst du den? Im Sicherheitsgewerbe“ – laut Staatsanwaltschaft eine Anstiftung. Otts Bekannter ist strafrechtlich gesehen kein unbeschriebenes Blatt. Im Vorjahr wurde er wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu zwölf Monaten bedingter Haft verurteilt.
Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Die Anwälte von Ott und Jenewein ließen profil-Anfragen bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Im April 2024 erklärte Jeneweins Rechtsvertreter per Presseaussendung unter anderem, es sei für Jenewein nicht „auch nur irgendwie denkbar“ gewesen, dass Ott mit russischen Geheimdiensten in Verbindung stehen könnte. Ende 2024 wurde Jenewein, der als langjähriger Vertrauter von FPÖ-Chef Kickl gilt, übrigens wieder für die Freiheitlichen tätig – als parlamentarischer Mitarbeiter.