So könnte der flüchtige Marsalek laut Polizei München ausschauen
INVESTIGATIV

Post von Marsalek: Der Brief des Ex-Wirecard-Vorstands

Der flüchtige Jan Marsalek gibt mit einem Brief an die Justiz ein Lebenszeichen von sich. Das Schreiben liegt profil vor. Dubai rückt immer mehr ins Zentrum des Skandals. Ausgerechnet dort lebt heute der Ex-BVT-Beamte Martin W., den man wegen Fluchthilfe anklagen will.

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Immerhin eines ist nun gewiss: Er lebt. Seit dem Sommer 2020 sucht die Polizei auf der ganzen Welt nach dem 43-jährigen österreichischen Staatsbürger Jan Marsalek. Der Ex-Wirecard-Vorstand verschwand, bevor sein Imperium hinter ihm zusammenbrach. Die Pleite des Finanzdienstleisters ist einer der größten Wirtschaftsskandale der jüngeren deutschen Geschichte, es geht um angeblichen Bilanzbetrug in Milliardenhöhe. Während Ex-Vorstand Markus Braun seit Jahren in U-Haft sitzt und sich vor Gericht verantworten muss, machte sich sein Partner, Jan Marsalek, mit Hilfe österreichischer Ex-Nachrichtendienstler vom Acker. Er nahm am 19. Juni 2020 in Bad Vöslau einen Privatjet gen Minsk, seine Spur verliert sich in Moskau. Ob er dort im Schutz der Geheimdienste lebt, ob er überhaupt noch lebt, war bisher ungewiss. Nun gibt es ein Lebenszeichen des Ex-Managers – einen Anwaltsbrief, über den in den vergangenen Tagen auch die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. Das Schreiben liegt profil vor.

Anfang Juli flattert in München Gericht und Staatsanwaltschaft überraschend Post ins Haus. Sie stammt von Marsaleks Anwalt Frank Eckstein – und was der Jurist dort auf acht Seiten formuliert, lässt keinen Zweifel: Die Darstellungen wurden mit Marsalek direkt abgestimmt. Sein Anliegen: seine Unschuld zu untermauern. Und das tut er auf zweierlei Art. Erstens: Die Staatsanwaltschaft hegte bisher den Verdacht, dass es die sogenannten „Drittpartnergeschäfte“ des Zahlungsabwicklers in Wirklichkeit gar nicht gegeben hat. Das ist jener sagenumwitterte Geschäftsbereich, in dem 2020 dann angebliche Guthaben von knapp zwei Milliarden Euro nicht auffindbar waren. Dem widerspricht Marsalek vehement.

Die Verteidigungsstrategie

Es gibt Länder, in denen verfügte Wirecard über eigene Lizenzen – Europa zum Beispiel. In anderen Teilen der Welt, wo das nicht so ist, war man auf Drittpartner angewiesen – so von jeher die offizielle Darstellung. Sie sollen die Zahlungstransaktionen für Wirecard abgewickelt haben. Marsalek beschreibt im Wege des Anwaltsschreibens die angebliche Entwicklung dieses Geschäftsfeldes. Es sei – kurz gesagt – schwierig gewesen, dieses Geschäft im Kernbereich des Konzerns zu betreiben, weshalb sich mit der Zeit eine Art Parallelstruktur entwickelt habe, die fast schon unabhängig von Wirecard funktioniert habe. Marsalek meint auch, rückblickend seien bestimmte Aspekte dieser Struktur nicht wirklich mit den speziellen Anforderungen eines börsenotierten Unternehmens in Einklang zu bringen gewesen.

Marsaleks zweite Verteidigungsstrategie: Er versucht, an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Oliver B. zu rütteln. B. war als Wirecard-Manager für die Asien-Geschäfte zuständig. Früher trachtete er danach, Wirtschaftsprüfer von der Echtheit der Geschäfte in Asien zu überzeugen – nach der Pleievollzog er eine 180-Grad-Kehrtwendung und versucht nunmehr das Richtergremium davon zu überzeugen, dass die von ihm beaufsichtigten Geschäfte in Dubai reiner Schwindel waren.

Der Monsterprozess startete im Dezember 2022. Hauptangeklagter ist der frühere Vorstandsvorsitzende von Wirecard, der Österreicher Markus Braun. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm und zwei Mitangeklagten – darunter auch der Kronzeuge - gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Untreue vor. Braun hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Kritik am Kronzeugen

Im Zuge des laufenden Prozesses versucht Marsalek nun, seinen ehemaligen Mitarbeiter Oliver B. in ein schlechtes Licht zu rücken und Zweifel an dessen belastenden Aussagen zu nähren. Er wirft dem Kronzeugen via Anwaltsbrief – zusammengefasst – vor, mit unwahren Aussagen von eigenem Fehlverhalten ablenken zu wollen, um sich später, wenn er wieder frei sei, mit abgezweigten Wirecard-Geldern in Dubai ein schönes Leben zu machen und frühere Geschäftsverbindungen zu eigenen Gunsten zu nutzen. Darüber hinaus wolle der Kronzeuge laut Marsalek alte Rechnungen begleichen – dies teils aus lange bestehendem Neid heraus.

Marsalek behauptet, der Ex-Manager sei damals über jene interne Sonderprüfung gar nicht glücklich gewesen, die 2020 endgültig zur Aufdeckung des Skandals führte. Was eine allfällige einstige Nahebeziehung zwischen Braun und dem Kronzeugen anbelangt, will Marsalek eine solche nicht wahrgenommen haben – womit der flüchtige Ex-Manager letztlich zugunsten des angeklagten ehemaligen Vorstandschefs Stellung bezieht.

Arabische Geschäfte

Dubai. Das ist ein Ort, dem in Zusammenhang mit Wirecard immer größere Bedeutung zukommt. Nicht nur ein großer Brocken des Wirecard-Geschäfts und Kronzeuge B. waren dort. Auch Marsalek selbst wurde früher regelmäßig in Dubaier Luxushotels gesichtet. Nach dem Niedergang von Wirecard zog sich dorthin auch Marsaleks mutmaßlicher Fluchthelfer zurück. Martin W. war einst mächtiger Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und wurde in den vergangenen Jahren zur Schlüsselfigur in einigen Skandalen, die das Land erschütterten: Er war Hauptbelastungszeuge rund um die BVT-Razzia im Jahr 2018, die dem Amt den Todesstoß versetzte. Seine Aussagen stellten sich dann als haltlos heraus. Gerade erst vor wenigen Tagen wurde einer seiner ehemaligen BVT-Mitarbeiter freigesprochen. Diesem war vorgeworfen worden, einen syrischen General auf Geheiß des Mossad rechtswidrig in Wien untergebracht zu haben. Der Mitarbeiter sagte aus, dass dies mit seinem Vorgesetzten besprochen war: Martin W. Dieser tauchte übrigens nicht bei der Verhandlung auf, obwohl als Beschuldigter dort freilich sein Erscheinen angeordnet wurde. Er soll angebliche gesundheitliche Probleme ins Treffen geführt haben.

Erst BVT, dann Marsalek-Villa

Nach seinem Ausscheiden aus dem österreichischen Nachrichtendienst im Jahr 2017 dockte W. bei Marsalek an, hatte sein Büro in Marsaleks Villa in der Münchner Prinzregentenstraße. Die beiden pflegten ein enges Verhältnis wie etliche, profil vorliegende Chats und Fotos belegen. Und W. war auch einer der letzten, mit denen Marsalek gesichtet wurde. Schließlich vermittelte W. auch den Privatjet, mit dem der Wirecard-Boss floh. Gegen W. ist nach profil-Informationen deshalb auch ein Anklagevorhaben wegen Begünstigung anhängig und wartet auf Entscheidung. Es wird vermutlich nicht der einzige Tatbestand bleiben, wegen dem die Justiz W. im Wirecard-Zusammenhang zur Rechenschaft ziehen will. Das betrifft auch andere Ex-BVT-Beamte, die – so vermutet die Justiz – für W. gearbeitet haben und dabei die Grenz des Zulässigen überschritten haben sollen. Es sind etliche Ermittlungsverfahren anhängig. Alle haben die Vorwürfe immer bestritten.

W. ist heute Sicherheitsberater einer kleinen Bank in Dubai. Warum diese Bank einen Ex-BVTler als Sicherheitsberater brauchet, blieb auf Anfrage bisher unbeantwortet. Dass wiederum Marsalek eine Bank brauchen könnte, ist evident – dass W. nach Marsaleks Flucht noch weiter mit ihm in Kontakt stand, aktenkundig. Die österreichischen Behörden würden W. gerne befragen, aber er meidet es, in Österreich einzureisen.

In Dubai leben übrigens auch noch andere ehemalige österreichische Freunde und Auftragnehmer Marsaleks – darunter ehemalige Exekutivbeamten, die heute teils mit großem und plötzlichem Reichtum auffallen. Auch sie ignorierten bisher jede Anfrage. Die Ermittlungen laufen.

profil berichtete wiederholt zu den Österreich-Connections – unter anderem mit Blick auf das BVT, aber zum Beispiel auch in Bezug auf einen bemerkenswerten Wirecard-Deal mit den ÖBB. In einem ausführlichen Interview erzählte Wirecard-Aufdecker Dan McCrum, wie er den Vorgängen im DAX-Konzern auf die Schliche kam.

Strategiefragen

Zurück zu Marsaleks Brief: Die Richter im Prozess gegen Markus Braun haben noch nicht entschieden, ob sie ihn als „schriftliche Zeugenerklärung“ zu den Akten nehmen. Die Verteidiger des Kronzeugen haben die Behauptungen des ehemaligen Vorstands postwendend als „Blödsinn“ bezeichnet.

Stellt sich die Frage, weshalb sich Marsalek gerade jetzt erstmals zu Wort meldet. Im Anwaltsbrief heißt es, Marsalek beobachte die Vorgänge und werde allenfalls wieder von sich hören lassen. Vordergründig stützt er mit seinen nunmehrigen Angaben die Verteidigungsstrategie Brauns. Es lässt sich freilich trefflich darüber spekulieren, ob nicht auch ein bisschen Eigennutz mitschwingt: Sollte das Gericht jetzt die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen und die Grundthese des erfundenen Drittpartnergeschäfts einzementieren, könnte das irgendwann auch für Marsalek selbst zum Problem werden. Freilich nur, wenn die Behörden ihn schnappen. Muss er fürchten, dass seine angebliche Wahlheimat Russland ihm irgendwann die Unterstützung versagt? In diplomatisch volatilen Zeiten kann jemand in Marsaleks Lage schnell zum Verhandlungsgegenstand werden – und zum Tauschobjekt.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.