Projekt #FactoryofFakes: Im Maschinenraum von Putins Propagandafabrik
Von Anna Thalhammer
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„Nachdem wir unsere Informationsangriffe sorgfältig vorbereitet und die Ziele des Projekts verstanden haben, glauben wir fest an den Endsieg. Das Schlachtfeld sind die Köpfe der Bewohner des Planeten Erde. Dieses Schlachtfeld wird hinter uns bleiben“, sagt ein Mann in Fantasie-Militär-Uniform in tiefer Stimme auf Russisch. Auf seinem Arm prangt ein Abzeichen mit der Aufschrift „Russische ideologische Streitkräfte“. Was klingt und aussieht wie ein gruseliger, dystopischer Film, ist eine Video-Selbstpräsentation der in Moskau ansässigen „Social Design Agency“ (SDA). Der Protagonist des kurzen Clips ist der Boss dieser Trollfabrik: Ilya Gambashidze. Er zählt zu den bekanntesten Politikberatern für Einfluss-Operationen des Kreml. Ihr Ziel besteht darin, das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen im Westen zu untergraben. Aus diesem Grund sind Gambashidze und sein Unternehmen auf den Sanktionslisten Europas und der USA gelandet. In seiner SDA sollen massive Desinformationskampagnen geplant und umgesetzt worden sein, um die Meinung der Bevölkerung zugunsten Russlands zu manipulieren und Wahlen im Westen dementsprechend zu beeinflussen. Das hält auch das FBI in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten, alarmierenden 260-Seiten-Bericht zu russischer Desinformation fest.
Dass der Kreml seit Jahren einen Krieg der Fake News gegen den Westen und seine Alliierten führt, ist nicht neu. Auch Ziel und Methodik sind seit Jahrzehnten dieselben: Es geht darum, den Westen zu schwächen, indem die Bevölkerung verunsichert und gespalten werden soll. Dies würde politische Einflussnahme von außen ermöglichen. Der Werkzeugkasten, um das zu erreichen, wird aber auch aufgrund technologischen Fortschritts immer manipulativer, ausgefeilter und perfider.
Internationale Recherche
profil ist als einziges österreichisches Medium Teil der internationalen Recherchekooperation #FactoryofFakes, die sich seit Monaten mit dem Thema beschäftigt – zuletzt erhielten „Süddeutsche Zeitung“, WDR, NDR und das estnische Medium „Delfi“ ein Datenleak, das die bisherigen Recherchergebnisse untermauert. Das Leak stammt aus Gambashidzes SDA. Gemeinsam mit einem Dutzend europäischer Medien, „Shomrim“ aus Israel und „Schemes“ aus der Ukraine hat profil einen Blick in den Maschinenraum dieser groß aufgesetzten Trollfabrik geworfen. Tausende Sitzungsprotokolle, Strategiepläne, Analysen, E-Mails, Memes, Posts, Screenshots von Überweisungen und Kontaktlisten wurden gescreent. Sie ermöglichen bisher noch nie da gewesene, ebenso tiefe wie detailreiche Einblicke. Die Projekte der SDA wurden direkt mit dem Kreml abgestimmt und von ihm finanziert.
© Grafik: Erich Schillinger
Putin führt einen Informationskrieg im Kampf um die Ukraine
Putin versucht das Nachbarland auch mittels Informationskrieg für sich zu gewinnen.
Der Kampf um die Ukraine wird nicht nur auf dem Schlachtfeld entschieden.
Putin versucht den Kampf um das Nachbarland auch mittels Informationskrieg zu gewinnen.
Inhalt Inhaltsverzeichnis
Die Architekten
Ilya Gambashidze ist ein Filmfreak und offenbar ein besonders großer Fan des Kino-Klassikers „A Clockwork Orange“. Auf seinen Social-Media-Profilen huldigt er dem legendären Werk von Stanley Kubrick, in dem es darum geht, Gehirnwäsche für eine „bessere Welt“ zu betreiben – auch mit Gewalt. Eine Philosophie, welcher der Kreml immer schon etwas abgewinnen konnten – und dabei auch vor brutalen Methoden wie Folter, Gulags und Arbeitslagern nicht zurückschreckten. Das Brechen mit der Realität, verschwimmende Definitionen von Normalität und Verrücktheit, die Umkehr von Gut und Böse, der Zwang zum Perspektivenwechsel sind zentrale Aspekte in den Arbeiten Kubricks – und auch der SDA, die zu einer der relevantesten russischen Gehirnwäschereien aufgestiegen ist.
Gambashidze, 1977 in Kiew geboren, soll nach Recherchen von „Voice of America“ allein von 2013 bis 2020 Aufträge aus Staatsgeldern in der Höhe von 2,7 Millionen Dollar bekommen haben. Mit der Invasion Russlands in der Ukraine im Frühjahr 2022 dürfte sich seine Auftragslage noch einmal deutlich verbessert haben – laut profil vorliegenden Listen besteht sein Mitarbeiterkernteam mittlerweile aus rund 110 Personen.
Ilya Gambashidze, der Architekt der Kampagnen
Gambashidze präsentiert in einem Video die Arbeit seiner "Social Design Agency".
Am russischen Desinformations-Markt gibt es Bedarf nach Männern wie Gambashidze, denn der langjährige König der russischen Trolle ist tot. Der Kreml braucht einen Nachfolger. Yevgeny Prigozhin kam im Sommer 2023 bei einem Flugzeugunglück ums Leben, wohl nicht ganz zufällig, nachdem er Monate zuvor eine Rebellion gegen Putin wegen dessen Kriegsführung in der Ukraine angezettelt hatte. Er war, bis er in Ungnade fiel, nicht nur einer der engsten Putin-Vertrauten und legendärer Chef der russisch-paramilitärischen Wagner-Group – er war auch Big-Boss einer riesigen Trollfabrik in St. Petersburg. Die „Agentur für Internetforschung“ führte über Jahre riesige, manipulative Kampagnen des Kreml aus. Prigozhins Tod hinterließ ein Machtvakuum, Gambashidze versucht das nun mit seiner SDA zu füllen. Er hat gute Chancen auf diese Thronfolge, denn er verfügt über beste Kontakte in den Kreml, für den er bereits in der Vergangenheit Aufträge zu dessen Zufriedenheit ausgeführt hat.
„Gambashidze wurde ausgewählt, weil er bereits über Erfahrung verfügt, er ist für Dutzende Projekte in verschiedenen Ländern verantwortlich. Er ist Teil des Regierungsapparats, aber nicht der Verborgenste“, heißt es aus einem europäischen Nachrichtendienst über ihn. Obwohl Gambashidze lange Zeit nur als innenpolitischer Technologe und PR-Manager bekannt gewesen sei, leite er nun verschiedene Einflussoperationen bis nach Lateinamerika.
Der König der russischen Trolle sucht einen Erben
Nach dem Tod von Yevgeny Prigozhin, dem König der russischen Trolle, sucht der Kreml einen Nachfolger. Gambashidze hat gute Chancen auf das Erbe.
Der SDA-Boss beschreibt seine Arbeit der vergangenen Jahre auf seiner – mittlerweile gelöschten – Homepage so: „Wir verfügen über erfolgreiche Erfahrung in der langfristigen Zusammenarbeit mit den Regierungsbehörden – wir sichern die Siege der von uns unterstützten Kandidaten und bekämpfen die Opposition systematisch, auch auf föderaler und internationaler Ebene. Das Team bietet sein Wissen und seine Erfahrung an, um alle sozialen und politischen Projekte oder individuellen Aufgaben sowohl in Russland als auch im Ausland umzusetzen.“
Wie gut seine Kontakte in den Kreml sind, belegt auch das #FactoryofFakes-Leak. Auf einer Liste stehen SDA-Mitarbeiter, die einen ständigen Zugang zur Staatsduma, Russlands Parlament, erhalten sollen. Unter dem Dateinamen: „ЕКК - список контактов штаба АП“ finden sich die wichtigsten Kontaktdaten direkt in die Präsidialadministration. Ein weiteres Dokument nennt Personen, die wiederum in internen SDA-Besprechungsprotokollen des #FactoryofFakes-Leaks als Teilnehmer auftauchen – ein eindeutiger Beleg, dass die Kampagnen vom Kreml direkt mitaufgesetzt wurden.
Gambashidzes Fantasie-Militäruniform
In einem Image-Clip präsentiert sich die SDA selbst. Gambashidze trägt in dem kurzen Film eine Fantasieuniform. Auf seinem Arm prangt ein Abzeichen mit der Aufschrift „Russländische ideologische Streitkräfte“.
Sofia Zakharova, Mitarbeiterin der Präsidialsektion, in SDA-internen Unterlagen als „Projektleiterin“ angeführt, ist eine Schlüsselperson. Sie war von 2007 bis 2010 als Diplomatin in Wien bei den Vereinten Nationen akkreditiert und ist mit einem Offizier des russischen Militärnachrichtendiensts GRU verheiratet. Nachdem sie nach Moskau zurückgekehrt war, machte sie dort im Staatsdienst Karriere. Sie gilt als eine der führenden, russischen KI-Spezialistinnen – als solche hat sie freilich hilfreiche Skills, wenn es um die Planung von Desinformation und Fakes geht.
Ab dem Frühjahr 2022 – also ab der russischen Invasion in die Ukraine – soll neben Zakharova laut FBI-Dokumenten auch eine prominente Persönlichkeit regelmäßig am gemeinsamen Jour Fixe von SDA und Kreml teilgenommen haben: Sergej Kiriyenko. Einst war er mit 35 Jahren unter Präsident Boris Jelzin jüngster Ministerpräsident Russlands. Später kümmerte er sich vor allem darum, dass Wahlen in Russland zu Putins Gunsten abliefen. Seit Februar 2022 ist er stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung und in dieser Funktion das offizielle strategische Mastermind hinter Putins Propagandakrieg im In- und Ausland. In diesem Zusammenhang wird er auch als Putins „Rechte Hand“ bezeichnet.
Große Selbstinszenierung
Gambashidze gibt sich im Video cool - aber so cool ist es für ihn nach der Veröffentlichung des FBI-Berichts wohl nicht mehr. Er ist aufgeflogen.
Bei einem ersten Treffen in der Präsidialverwaltung im April 2022 wurde diskutiert, wie man die Propaganda um den Ukrainekrieg strategisch anlegen will. Kiriyenko schlug vor, auf zwei große Leitlinien zu setzen: Einerseits wäre Übertreibung das Mittel der Wahl. Andererseits müsse man eine „Atom-Psychose“ schüren – also die Angst eines Atomkrieges in die Köpfe der Europäer pflanzen. Putin droht mit diesem Szenario in regelmäßigen Abständen.
Laut FBI-Bericht gab es zwischen 2022 und 2023 etwa 20 derartige strategische Get-togethers in der Präsidialverwaltung – dort wurden auch jene Pläne geschmiedet, die die Social Design Agency später für Putin umsetzte. Der soll über all das übrigens auch bestens Bescheid gewusst haben. In dem FBI-Bericht heißt es auf Seite 25 zu einem Vermerk über ein Treffen vom 13. Januar 2023, an dem Gambashidze, Zakharova und andere teilnahmen, sie hätten „dem Präsidenten über das Projekt berichtet“. Damit sei laut Meinung des FBI eindeutig Putin gemeint gewesen.
Der Plan
Wladimir Wladimirowitsch Putin hat ein langfristiges Ziel: Den Westen zu destabilisieren. Er hat aber auch ein kurzfristiges, für ihn äußerst drängendes: Der Ukraine soll die Unterstützung seiner Alliierten abhandenkommen.
Darum wird in Moskau Ende 2022 ein ambitionierter Plan gefasst. In der Ukraine soll eine „Bewegung“ ins Leben gerufen werden: „Die andere Ukraine“. Ihr Anführer und Gesicht soll Viktor Medwetschuk sein – ein ukrainischer Oligarch und Putin-Mann. Er soll mit dem russischen Präsidenten auch persönlich bestens befreundet sein und gilt als sein Propagandaminister im Ausland. Medwetschuk steht auch hinter der aufgeflogenen, russischen Desinformationskampagne „Voice of Europe“, die im Jänner 2023 von Kiriyenko ins Leben gerufen wurde. Ziel: In der Ukraine solle die Unterstützung für Medwetschuk gesteigert werden, er solle als möglicher Ersatz für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj positioniert werden. Europäische Meinungsmacher sollten dafür gewonnen werden, Medwetschuk zu propagieren, indem sie Friedensgespräche „als mögliche Alternative zum Atomkrieg“ darstellen. Dafür sollten russlandfreundliche Abgeordnete mit Millionensummen von dem gleichnamigen Portal „Voice of Europe“ unterstützt worden sein. Die Kreml-Operation flog im Mai 2024 auf, führte zu Razzien im EU-Parlament. Maximilian Krah, der wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken unter Verdacht geratene Spitzenkandidat der AfD, flog aus seiner Delegation. Die Ermittlungen laufen weiter.
Der Kreml betreibt riesige Trollfabriken
Die "Social Design Agency" von Ilya Gambashidze ist eine der relevantesten Trollfabriken Russlands.
Ein unangenehmer Rückschlag für den Kreml, aber man hatte freilich noch mehr Ideen in der Tasche, um Medwetschuk zu etablieren. „Die andere Ukraine“ solle als eine „Reaktion auf die Forderung der Bürger des Landes nach Frieden“ verkauft werden, heißt es in dem Strategiepapier, das in Kooperation von Kreml und SDA produziert wurde. Es soll eine „Demonstration der Existenz einer alternativen Position der Ukrainer gegenüber der internationalen Gemeinschaft“ und als eine „friedensfördernde Alternative zu einem möglichen Atomkrieg“ dargestellt werden, wird ausgeführt.
Und weil der Krieg in der Ukraine von Beginn an mehr als nur einer zwischen Nachbarstaaten um Territorium war, sondern einer zwischen Ost und West, muss Putin diesen Informationskrieg auch in den mit der Ukraine alliierten Ländern führen. Schritt eins: Ihm Wohlgesonnene stärken – die Rechten Parteien in Europa sollen gemeinsam mehr Schlagkraft entwickeln. In den SDA-Unterlagen ist auch ganz unverhohlen die Rede von Wahlmanipulation. In einem Besprechungsprotokoll vom 19. März 2024 werden in Hinblick auf die EU-Wahl etwa folgende Narrative für die Woche geplant „Wenn wir die Rechten wählen, wählen wir Frieden in Europa.“ Und: „Politiker in Misskredit bringen: Borrel (EU-Außenbeauftragter, Anm.), Ursula von der Leyen (EU-Kommissionspräsidentin, Anm.), Gesichter der Kriegspartei in Europa.“
Wie man die Rechten nach oben pushen will, ist ebenfalls minutiös geplant: Die AfD in Deutschland soll die 20-Prozent-Marke knacken. Ihre französische Schwesterpartei, Marine Le Pens „Rassemblement National“ soll ebenfalls auf 20 Prozent gepusht werden. Sie lag zuletzt weit darüber. Auch für weitere Länder wie Italien, Polen, Ukraine, Israel und auch Österreich wird der Propagandakrieg am Reißbrett geplant, um die Meinung des Volkes zu manipulieren, pro-russische Parteien zu pushen und das Wahlverhalten im Sinne Wladimir Putins zu drehen.
Schritt eins: „Der Anstieg des Indikators ,Zukunftsangst‘ in großen Politik-Umfragen über die 50-Prozent-Marke“. Um das zu erreichen, sollen Schreckenszenarien verbreitet werden.
Für Deutschland ließ man sich etwa diese Narrative einfallen: Die USA führten einen wirtschaftlichen wie „hybriden“ (Anm.: auf verschiedensten Ebenen) Krieg gegen Russland auf Kosten Deutschlands – das schadete vor allem den Deutschen. Der Krieg trage dazu bei, dass sich Deutschland in der tiefsten, wirtschaftlichen und sozialen Krise der jüngeren Geschichte befinde und die Bevölkerung verarme. Die USA würden antirussische Maßnahmen nutzen, um Deutschland in den Bankrott zu treiben. Deutschland sei zusehends unbewaffnet – die Waffen würden an die Ukraine verschenkt. Diese würde damit Kriegsverbrechen begehen oder sie am Schwarzmarkt verkaufen.
In Frankreich setzten sich die Organisatoren der russischen Desinformationskampagne folgende Ziele: Die Zahl der Franzosen, die für einen Austritt aus der NATO-Militärorganisation stimmen, müsse „mehr als 25 Prozent betragen“. Frankreich solle zur Politik von Staatspräsident Charles de Gaulle (1959-69) zurückkehren, unter dessen Führung sich Frankreich 1966 aus der NATO zurückzog.
Aber auch Israel, als gewichtige militärische Macht mit großem Anteil an russischer Bevölkerung soll mit Propaganda angegriffen werden. In dem Papier ist zu lesen: „Gegenwärtig scheint die Situation im Staat Israel sehr günstig zu sein, um ein ernsthaftes Projekt zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Angriff zu nehmen. Das Ziel einer solchen Beeinflussung wäre es, Israel aus der rein westlichen antirussischen Agenda herauszuholen, eine stabile öffentliche Meinung zu schaffen, für die Neonazismus und Diktatur in der Ukraine inakzeptabel wären.“
„Die andere Ukraine ist“ ist nur eines von mehreren Projekten, die aus Gambashidzes Feder stammen. In den geleakten Papieren finden sich weitere: In der Türkei, die sich massiv für einen Getreidedeal zwischen Ukraine und Russland einsetzte, solle eine Desinformationskampagne gestartet werden. Es gab Pläne für eine Kampagne zugunsten von Gazprom und eine gegen den Internationalen Strafgerichtshof, der Putin wegen Kriegsverbrechen angeklagt hat.
Die Methodik
„Unsere Arbeit lässt sich in drei Bereiche unterteilen: Überwachung, Analyse und Kreativität (…) Die Abteilung sammelt täglich Informationen in sechs Sprachen von den 300 größten Medien in den Projektländern und von den Feeds der wichtigsten internationalen Nachrichtenagenturen. Auch die Beiträge der einflussreichsten Russland-Befürworter und -Gegner in den sozialen Medien der Projektländer werden analysiert. Diese Datenbanken umfassen mehr als 10.000 Meinungsführer“, führt Gambashidze in dem eingangs erwähnten Video selbst aus. Und: „Unsere Analyseabteilung prüft täglich Hunderte Artikel und Beiträge (…) Im Laufe eines Jahres wurden etwa 1500 Analysen verfasst, mehr als 1000 Karikaturen gezeichnet. Das Team übernimmt auch situative Aufgaben, wie die Erstellung von Pseudo-Verkehrspolizeiberichten, das Verfassen von Pressemitteilungen im Stil des deutschen Innenministeriums oder der polnischen Zollbehörde.“
© profil/Grafik
Putins Wahrheitskrieg
Putins Wahrheitskrieg
Putin will die westliche Gesellschaft verunsichern, spalten - und politisch beeinflussen.
Am Anfang steht die Feindbeobachtung: Die SDA screente jeden Tag Medien, analysierte die dort erschienenen Artikel und versuchte, rasch Gegenerzählungen zu stricken, die dann tagesaktuell rausgespielt werden sollten. Dafür wurden Gastkommentare für Medien vorbereitet und Listen von Journalisten und Medien geführt, die man als russlandfreundlich und ansprechbar einstufte – für Österreich findet sich die Online-Plattform „Exxpress“ wieder. Wenig überraschend, Ex-Chefredakteur Richard Schmitt hat immer wieder äußerst russlandfreundliche Positionen vertreten. Neben der versuchten Beeinflussung von etablierten Medien, fakte man diese: Dutzende Medien in den USA und Europa wurden in den vergangenen drei Jahren kopiert – Webseiten erstellt, die etwa jenen von „Spiegel“, „Süddeutsche“ oder „Tagesspiegel“ zum Verwechseln ähnlich sahen. Nur fand sich dort statt Qualitätsjournalismus zum Täuschen echt aussehende russische Propaganda. Das Ziel war dasselbe wie bei all den anderen Kampagnen auch: die Gesellschaft spalten, die Rechte stärken – und entlang dieser Bruchlinien russische Sichtweisen etablieren, um schließlich politische Beeinflussung auszuüben. Die groß angelegte Aktion ist als sogenannte „Doppelgänger“-Kampagne bekannt geworden – und war schlussendlich einer der Hauptgründe, warum Gambashidze im Herbst 2022 auf den US-Sanktionslisten landete. „‘Doppelgänger‘ ist die größte bisher bekannte russische Desinformationskampagne“, sagte der US-Justizminister Merrick B. Garland vor wenigen Tagen. Das US-Ministerium hat gerade wieder mehrere Dutzend Webseiten aus dem Netz genommen – aber trockenlegen konnte man den Sumpf noch nicht. Immer wieder tauchen neue Fake-Seiten auf.
Die SDA setzt neben dem Kopieren von Medien auf intensives Trollen auf Social-Media-Kanälen. In dem Leak finden sich Tausende Memes und Comics, die das russische Narrativ für Europäer zugänglich verbreiten sollen.
Die SDA hat ihre Arbeit selbst genau dokumentiert – jedes Posting, jedes Meme, das erstellt wurde, jedes Fake-Profil, findet sich in einer Excel-Liste. Glaubt man den dieser Aufstellung, seien all diese extra produzierten Sujets Hundertmillionenfach von Usern wahrgenommen worden.
Das #FactoryofFakes-Rechercheteam hat versucht, jedes einzelne Posting nachzuvollziehen. Obwohl viele Profile mittlerweile gelöscht oder gesperrt sind, finden sich einige davon tatsächlich noch immer im Netz: Auf Facebook, Twitter, Telegram und anderen Kanälen. Die entsprechende Verbreitung wurde auch finanziell gepusht – im Leak finden sich zig Screenshots von Abrechnungen für Facebook- oder Tik-Tok-Werbung. Man hat weder Kosten noch Mühen gescheut.
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Die Desinformationskampagnen werden aus dem Kreml gesteuert
Putin schickt seine Trollarmeen
Putin soll von der SDA direkt informiert worden sein
Die Desinformationskampagnen wurden direkt vom Kreml mitentwickelt und bezahlt. Es werden keine Kosten und Mühen gescheut
Aber nicht alles spielte sich virtuell ab – der Mensch ist noch immer die wichtigste Ressource, wenn es darum geht, andere für sich zu gewinnen. In Deutschland plante man etwa groß angelegt, Demonstrationen von Unzufriedenen zu unterwandern. Etwas, das deutsche und österreichische Behörden immer wieder vermuteten, allerdings kaum belegen konnten.
Besonderes Gewicht legten die Betreiber der Desinformationskampagnen auf die Analyse und das Anwerben sogenannten „LOMs“ – gemeint sind Meinungsführer in den einzelnen Ländern. Die SDA beobachtete sowohl die russlandfreundlichen, als auch die russlandkritischen Stimmen. Auf manche, wie die Parteichefin Sahra Wagenknecht (Bündnis Sahra Wagenknecht), wurden in den Sitzungen regelrechte Loblieder gesungen. In den sozialen Medien wurde äußerst positiv über sie gepostet und zu ihrer Wahl aufgerufen. Seitens des Bündnis Sahra Wagenknecht heißt es auf Anfrage: „Ebenso wie andere Parteien und Politiker haben wir keinen Einfluss darauf, wer aus welchen Motiven unsere Positionen unterstützt oder weiterverbreitet. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Akteure aus dem Ausland handelt.“ Weder die Agentur NDA, noch Gambashidze, Kiriyenko oder Zakharova seien dem Bündnis bekannt.“
Auch Österreicher finden sich auf der Liste: Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung; Johann Gudenus, Ex- Klubobmann der Wiener FPÖ; Muna Duzdar, Ex-SPÖ-Staatssekretärin und Nationalratsabgeordnete, sowie der Künstler Gottfried Helnwein. Alle vier sagen auf Anfrage, dass sie die SDA nicht kennen würden und von ihr kein Geld erhalten hätten. Auf etwaige Zahlungen gibt es im Leak auch keine Hinweise. Warum sie in Moskau trotzdem offenbar äußerst positiv aufgefallen sind – und warum man das auch für sich nutzte, lässt sich aber durchaus nachvollziehen.
Die Knill-Gruppe hatte eine Vertriebsniederlassung in Russland. „In diesem Zusammenhang waren Kontakte und Reisetätigkeiten vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine notwendig. Die Niederlassung wurde geschlossen“, heißt es auf Anfrage. Und: „Wir verurteilen als Industrie den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und stehen hinter den Sanktionen, auch wenn sie da oder dort wirtschaftlich schmerzen, ist das der Preis, den wir zur Verteidigung der europäischen Werte bereit sind zu zahlen.“
Gudenus gilt seit jeher als bekennender Russlandfreund – sein Name tauchte schon zuvor in zumindest einem Leak auf, in dem es um russische Propagandaging. Er war mehrfach als Wahlbeobachter in Russland, und galt innerhalb der FPÖ immer als treibendes Element, wenn es um Kontakte nach Moskau ging.
Muna Duzdar setzte kurz vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine folgendes Posting ab, das dem Kreml gefallen haben könnte: „In diesem Russland-Ukraine-Konflikt hätte ich gerne verstanden, warum ein Militärbündnis wie die Nato unter amerikanischer Dominanz, als Relikt des Kalten Krieges, seit 20 Jahren ständig in Osteuropa vorrückt, immer näher an die Grenzen Russlands. Was hat man sich angesichts einer derartigen Entwicklung erwartet? War es nicht voraussehbar, dass sich Russland das auf Dauer nicht gefallen lassen würde, umgeben von Nato-Staaten zu sein? Was es nun braucht, ist Abrüstung bei Waffen und den Worten auf beiden Seiten.“ Auf Anfrage sieht sie ihr Posting heute selbstkritisch: „Zum damaligen Zeitpunkt war ich noch nicht Abgeordnete. Es handelte sich um meine persönliche Meinung. Ich stehe zu meiner allgemeinen Kritik an der Nato und an ihrer verheerenden Rolle in internationalen Krisenherden wie z.B. Afghanistan und Libyen. Ich stehe auch zu meiner Kritik an mächtigen Nato-Partnern wie etwa der Türkei und Frankreich, deren eigennützige militärische Abenteuer oftmals mehr Instabilität und Unsicherheit im Nahen Osten oder im afrikanischen Raum produzierten, anstatt zu helfen. Was die Ukraine betrifft, so kritisierte ich in einem Posting - nochmals erwähnt: zeitlich vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine - dass die Nato in den letzten Jahrzehnten immer näher an die Grenzen Russlands vorgerückt ist. Ich habe damals nicht damit gerechnet, dass es so bald zu einem russischen Angriffskrieg kommen würde. Mit dem heutigen Wissensstand – dem immensen menschlichen Leid, der von russischer Seite begangenen Kriegsverbrechen und Massakern an der ukrainischen Zivilbevölkerung – wäre mehr Sensibilität in meiner Formulierung angebracht gewesen.“
Versuchte Wahlbeeinflussung
Russland versucht nachgewiesener Maßen, Wahlen mit Desinformationskampagnen zu manipulieren.
Gottfried Helnwein dürfte dem Kreml wegen eines profil-Interviews im März 2022 aufgefallen sein, in dem er sich russlandfreundlich äußerte, die „Propagandamaschine USA“ beklagte und befand: „Putin hat versucht, mit diktatorischen Mitteln die Souveränität Russlands zu retten.“ Man sollte, bei aller Kritik an Putin, „nicht das größte Ungeheuer, den militärisch-industriellen Komplex der USA, übersehen.“ Auf Anfrage, ob er eine Erklärung dafür habe, warum sich sein Name auf den Listen des Kreml findet, sagt er: „Ich bin politisch völlig inaktiv und glaube nicht, dass ich wichtig genug bin, um auf irgendeiner politischen Liste zu landen. Ich halte stets eine gesunde Distanz zu allen Ideologien, Glaubenssystemen und politischen Intressensgruppen und widme mich ausschließlich der Kunst.“
Auch wenn sich Österreicher auf der Liste des Kremls befinden, ist die Alpenrepublik nicht Hauptziel der Kampagnen. Warum auch? Hier gibt es wenig zu erkämpfen. Die FPÖ, die 2016 sogar einen offiziellen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei unterzeichnete, liegt stabil auf Platz eins. Österreich hat geopolitisch verglichen mit Ländern wie Frankreich oder Deutschland bedeutend weniger Einfluss. Dort hingegen arbeitet man mit allen Mitteln: Von Beeinflussung der Medien, über große Social-Media- und Graffiti-Kampagnen bis hin zu Plänen, Demonstrationen zu unterwandern. Auch dazu finden sich Listen und Pläne in den Strategiepapieren – und all das wirkt, weil es im gemeinsamen deutschsprachigen Raum stattfindet, freilich auch bis nach Österreich.
Siege und Gegenwehr
Das Leak zeigt: Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um Putins großem Masterplan an der Informationsfront zum Sieg zu verhelfen. Aber wie erfolgreich waren die Anstrengungen nun? Am 9. Juni 2024, dem Tag der Wahl zum Europäischen Parlament, kam die erste Abrechnung – und die fiel für Moskau mehr als erfreulich aus. Die beiden wichtigsten Mitgliedstaaten der EU erlebten ein politisches Erdbeben. Die Regierungsparteien in Frankreich und Deutschland fuhren Wahlschlappen ein. Die AfD lag in fünf Bundesländern auf Platz eins, zum Teil mit knapp über 30 Prozent. Marine Le Pens Rechtsaußen-Partei Rassemblement National holte bei der Europawahl 31,3 Prozent, die die Fratelli d’Italia von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kamen auf 28,75 Prozent. Die FPÖ wurde mit 25,36 Prozent ebenfalls stimmenstärkste Partei. Die Rechte scheint in vielen Ländern Westeuropas unaufhaltsam vorzurücken und fährt historische Wahlsiege ein. Durchaus mit Wladimir Putins Hilfe.
Den Vormarsch der Rechten aber als Russlands Leistung und Sieg zu verbuchen, ist zu kurz gegriffen. Die Analyse des #FactoryofFakes-Leaks zeigt nämlich: So erfolgreich wie gewünscht war vieles dann doch nicht. Die groß angelegten und teuren Kampagnen gingen teils nicht auf, wie man auch in Sitzungen beklagte. Telegram-Channels, die groß geplant waren, hoben nicht ab. Narrative wurden nicht weiterverbreitet. Ist die Resilienz des Westens doch größer als gedacht? All das ist schwer messbar.
Verdrehte Wahrheit
Gehirnwäsche ist Teil der hybriden Kriegsführung des Kreml.
Dass man russische Desinformation aber als veritable Gefahr – vor allem für Wahlen – betrachtet, sieht man am Vorgehen der Behörden. Die USA haben den Bericht des FBI vergangene Woche auch mit der Begründung veröffentlicht, dass man die anstehenden Wahlen vor Beeinflussung von außen schützen müsse. Man hat das getan, um die Öffentlichkeit aufzuklären, Transparenz soll gegen russischen Einfluss bei den anstehenden US-Wahlen am 5. November schützen. Man hat aus Erfahrungen der Vergangenheit gelernt: Bereits im Wahlkampf 2016 kämpften russische Trolle und Hacker an der Seite von Donald Trump für seinen Sieg – nach Ansicht der US-Geheimdienste wiederholte sich das Schauspiel auch im Jahr 2020. Die Wahl 2024 soll anders laufen.
Auch auf EU-Ebene wurde eine Stelle für Desinformation eingerichtet – und tatsächlich konnte im Vorfeld vieles abgefangen werden – wie die Ermittlungen gegen „Voice of Europe“ eindrucksvoll belegen. In Österreich wird am 29. September gewählt. Sowohl Innenministerium als auch Bundeskanzleramt sind alarmiert und setzen auf eine eigene Kampagne, die auf die Gefahr von Fakes und Desinformation hinweist. Es gibt Schulungen, Vorträge, Informationsseiten. Die Bevölkerung soll Resilienz entwickeln, indem sie geschult wird, derartige Manipulationsversuche zu erkennen – und indem klassische Medien, die Qualitätskriterien unterliegen, wieder mehr gefördert werden. Seit 2020 ist Österreich Teil eines Wahlkooperations-Netzwerks im Rahmen des EU-Aktionsplans gegen Desinformation. Vertreten sind neben dem Bundeskanzleramt auch Außen- und Verteidigungsministerium, die sich am EU-weiten „Rapid Alert System“ (RAS) beteiligen.
Wie groß ist die Gefahr gerade? Omar Haijawi-Pirchner, Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) sagt: „Desinformation bedroht unsere Demokratie – gerade Russland versucht, unsere Werte und Systeme zu manipulieren. Wichtig ist es daher, Informationen nicht ungefiltert zu übernehmen, sondern diese auch zu hinterfragen. Gerade bevor man sie teilt oder weitergibt. Der österreichische Verfassungsschutz identifiziert Desinformationskampagnen ausländischer staatlicher Akteure und verhindert diese durch Prävention.“ Wie das genau passiert, da will man sich nicht in die Karten schauen lassen.
Die am Projekt #FactoryofFakes beteiligten Medien haben übrigens auch den Kreml um eine Stellungnahme gebeten – und nicht ganz unerwartet keine Antwort bekommen.
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.