Spionage

Putins geheimer Krieg mit Österreich

Der neue Kalte Krieg hat längst begonnen. Russland will den Westen politisch, militärisch und wirtschaftlich unterwandern. Der Fall Ott ist ein Lehrbeispiel für Putins System – und zeigt die Schwachstellen der Republik.

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Egisto Ott ist ein Name, der in Österreichs Geschichtsbücher Eingang finden wird. Er steht für den wohl größten bekanntgewordenen Spionagefall des Landes. Der Ex-Nachrichtendienstler soll mit seinen Komplizen im Dienste Russlands gestanden und federführend bei einigen der prominentesten Skandale der jüngeren Geschichte mitgemischt haben: Sie waren Initiatoren der Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT), die das Amt über Jahre lahmlegte. Sie hetzten nach dem Ibiza-Skandal Parteien gegeneinander auf. Und dem Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der damals offenbar längst für Russland spionierte, verhalfen sie zur Flucht. 

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Der Verräter

Jan Marsalek sorgte als Vorstand des Finanztransaktionsanbieters Wirecard für eine Milliardenpleite. Er ist seit 2020 untergetaucht - und soll zuvor jahrelang für Russland spioniert haben.

Tarnen und Täuschen

Die Ermittlungen zum Fall Ott ziehen sich seit sieben Jahren. Wer sich damit beschäftigt, muss aufpassen, vor lauter Bäumen den Wald nicht aus dem Blick zu verlieren: So weitreichend und tief ist die Causa im Staats- und Sicherheitsapparat verzweigt, so groß ist das Netzwerk aus Personen, die involviert sind. Manche waren Täter, manche Opfer, manche nützliche Werkzeuge. Nicht immer ist klar, wer auf welcher Seite steht. Gut möglich, dass nicht allen Involvierten bewusst war, wem sie mit ihrem Handeln in die Hände gespielt haben. 

Tausende Seiten an akribisch geführten Ermittlungsakten der Sonderkommission „Fama“ (benannt nach der römischen Göttin des Gerüchts) erzählen von den mutmaßlichen Taten: Es geht um illegale Datenabfragen. Um abgezweigte Handys höchstrangiger Sicherheitsbeamter. Um Observierung jener, die gefährlich wurden. Es geht um Geld. Es geht um Spionageringe, die länderübergreifend agieren und tief in die Behörden hineinreichen. Es gibt derart viele Teilaspekte und Seitenstränge, dass der Fall insgesamt nur schwer erklärbar und greifbar ist. 

Das ist Teil der Strategie: Komplexität eignet sich bestens, um Verwirrung und Unsicherheit zu stiften. Das wiederum schafft Interpretationsspielräume, die wiederum manipulativ genutzt werden können. So arbeiten Nachrichtendienste, so arbeiteten Ott und Konsorten. Aber auch die Politik arbeitet so – nur dass die Waffen in den vergangenen Jahren teils nicht mehr fair waren. Mithilfe von Ott sammelte man Munition, um politische Gegner anzugreifen. Das höchste Gut eines Politikers ist seine Glaubwürdigkeit. Wer sie verliert, hat verloren.

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Der Spion

Der frühere BVT-Beamte Egisto Ott soll Marsalek mit Informationen aus dem österreichischen Sicherheitsapparat versorgt haben. Laut dem aktuellsten Ermittlungsstand gelangten mit der Hilfe Otts auch Handys und Laptops mit sensiblen Daten europäischer Geheimdienste in die Hände Russlands. Als Umschlagsplatz soll die Wohnung von Otts Ex-Schwiegersohn in Wien-Floridsdorf gedient haben.

Ott und seine Freunde versuchten in bester nachrichtendienstlicher Manier, den Ruf ihrer Gegner zu zerstören, um sie bis zur Handlungsunfähigkeit zu ramponieren. Das hat auch bestens funktioniert: Beamte, die für die Abwehr von Russlandspionage zuständig waren, mussten als Erste ihre Posten räumen. Beamte, die gegen Ott und Konsorten ermittelten, mussten sich zurückziehen. Man sorgte dafür, dass unangenehm gewordene Journalisten nicht ernst genommen wurden. Das erreichte man durch Verleumdungen und Lügen. Man versuchte, die Justiz für eigene Zwecke einzuspannen und zu Ermittlungen zu motivieren – denn wer als Beschuldigter in einem Strafverfahren geführt wird, ist erst einmal ausgeschaltet. Vielfach ist das gelungen. 

Die Lügen sollten noch dazu öffentlich verbreitet werden, um den Druck zu erhöhen. Das tat man mithilfe der Politik, die sich bei den „clandestinen Informanten“ andiente  und mit ihnen kooperierte. So wurden U-Ausschüsse missbraucht. Politiker boten an, die Lügen in Parlamentarische Anfragen zu gießen und öffentlich zu verbreiten. Ungeprüft, um sich zu profilieren. Das parlamentarische Interpellationsrecht wurde missbraucht – von Ott und Freunden, aber auch die Politik ging nicht verantwortungsvoll mit ihren Werkzeugen um. Das war kein Phänomen einer einzelnen Partei, sondern fast aller.

Putins Plan

So unterschiedlich und facettenreich die Taten von Ott und Konsorten wirken, sie dienten – wie sich aus der Verdachtslage ableiten lässt – letztlich einem Mann: dem russischen Machthaber Wladimir Putin. Der wiederum will die westlichen Demokratien zerstören. Wenn er das erreichen könnte, würden USA und EU ihre weltweite Vormachtstellung verlieren. Seine wichtigsten Gegner wären erledigt.

Der Präsident

Russlands Machthaber Wladimir Putin führt einen militärischen Angriffskrieg gegen die Ukraine - und unterwandert den Westen.

Der Westen befindet sich spätestens seit der Annexion der Krim 2014 mit Putin im Krieg – nur dass er sich dessen bisher offenbar nicht so richtig bewusst ist. Vor allem Österreich, das sich nach Ende des Kalten Krieges um Frieden und Kooperation bemüht hat, will das noch nicht wahrhaben. Nur so scheint es erklärbar, wie Ott und Konsorten derart einfach in den Staatsapparat vordringen und an seinen Institutionen rütteln konnten. Und das jahrelang unter den Augen der Justiz und mithilfe der Politik. Es geht hier nicht um einen Einzelfall, was hier passierte, ist symptomatisch für ein System. Es zeigt schmerzlich die Schwachstellen der Republik.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.