Investigativ

Rechtskräftig: Vier Jahre Haft für Grasser wegen Korruption und Untreue

„Schwere Straftaten mit schweren Folgen“ – Der Oberste Gerichtshof hat das erstinstanzliche Urteil gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und mehrere Mitangeklagte in der Causa Buwog im Wesentlichen bestätigt. Wegen der langen Verfahrensdauer wurden die Strafen reduziert.

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„Es handelt sich um schwere Straftaten mit schweren Folgen.” Korruption durch einen Finanzminister mit einer Schadenssumme von fast zehn Millionen Euro zur eigenen persönlichen Bereicherung sei „in Österreich beispiellos”. Es sind diese harten Worte der Vorsitzenden Richterin am Obersten Gerichtshof (OGH), die am Dienstag so etwas wie das Ende einer schier unendlichen Skandal- und Justiz-Geschichte bildeten. Einer Geschichte, die für Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser deutlich anders ausgegangen ist, als von ihm erhofft. Grasser, einst Strahlemann der österreichischen Innenpolitik, fasste rechtskräftig vier Jahre Haft aus. Und absehbarer Weise wird er das Gefängnis auch tatsächlich von innen sehen.

Dienstag, 25. März 2025, 10.02 Uhr: Die Eingangsformalitäten für die mit Hochspannung erwartete Urteilsverkündung am OGH sind erledigt. Nun kommt der Moment, auf den alle seit Jahren gewartet haben. Ist Grasser tatsächlich schuldig, wie es das Landesgericht Wien in erster Instanz bereits Ende 2020 festgestellt hat? Schuldig, bei der Privatisierung der Bundeswohnungsgesellschaften – darunter die Buwog – im Jahr 2004 verbotenerweise mitgeschnitten zu haben? Schuldig, auch bei der Einmietung der Finanz in das Linzer Hochhaus „Terminal Tower“ die Hand aufgehalten zu haben?

Die Hand aufgehalten

Persönlich zur Urteilsverkündung erschienen sind neben Grasser noch vier weitere Angeklagte aus der Riesen-Causa, die unter dem Titel „Buwog-Verfahren“ seit 2009 die Justiz beschäftigt, darunter Walter Meischberger, langjähriger Freund Grassers und selbst einst hochrangiger FPÖ-Politiker. Die Beschuldigten werden – wie schon an den ersten beiden Tagen der öffentlichen OGH-Verhandlung vergangene Woche – von einigen der prominentesten Strafverteidigern Österreichs vertreten. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten warten gespannt, was nun kommen wird. Auch der restliche Zuschauerraum ist dicht gefüllt. Alle haben sich von ihren Plätzen erhoben.

Und schon nach wenigen Augenblicken ist klar, dass es für Grasser nicht nach Wunsch verlaufen wird. Zwar verweist die Vorsitzende zunächst auf eine „teilweise Stattgebung“ der Nichtigkeitsbeschwerden. Die wesentlichen Punkte aus dem erstinstanzlichen Urteil – jene bezüglich Korruption und Untreue – sind davon jedoch nicht umfasst. An diesen ist nach Ansicht des fünfköpfigen Höchstrichter-Senats nicht zu rütteln. Am Strafmaß allerdings schon: Das wird vom OGH deutlich nach unten reduziert. Für Grasser heißt das, vier statt acht Jahre, für Meischberger dreieinhalb statt sieben Jahre Haft. Ex-Lobbyist Peter Hochegger, der wegen einer Hüft-Operation nicht persönlich vor Gericht erschienen ist, fasst drei Jahre teilbedingt statt sechs Jahre aus. 

„Exorbitant lange Verfahrensdauer“

An diesem dritten Gerichtstag, den der Oberste Gerichtshof mit dem Buwog-Urteil beschäftigt ist, ist ausschließlich Christa Hetlinger am Wort, die Vorsitzende des Richter-Senats. Ein derartiger Fall von Korruption durch ein Mitglied der Bundesregierung sei „geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung zu erschüttern“, betont die OGH-Richterin. Dass die Strafen dennoch deutlich reduziert werden, liegt hauptsächlich an der „exorbitant langen Verfahrensdauer“ von rund 15 Jahren. Diese stellt aus Sicht des OGH schon für sich genommen eine Grundrechtsverletzung dar.  

Mit den Haftstrafen ist die Angelegenheit aber noch nicht erledigt. Mehrere der Angeklagten –  darunter Grasser und Meischberger müssen der Republik außerdem rund zehn Millionen Euro erstatten - die zu Unrecht kassierten Bestechungsgelder aus dem Buwog- und dem Terminal-Tower-Deal. 

Vorwurf der Beweismittelfälschung offen

Im Zuge der Buwog-Privatisierung hat – wie nunmehr rechtskräftig festgestellt ist – der damalige Finanzminister Grasser für die Zuschlagserteilung an ein Konsortium rund um das Unternehmen Immofinanz ein Prozent der Kaufsumme gefordert. Dies über seine Mittelsmänner Meischberger und Hochegger. Der Betrag – letztlich rund 9,6 Millionen Euro – floss zunächst an eine zypriotische Briefkastenfirma Hocheggers. Der Großteil der Summe wurde dann zu jeweils einem Drittel auf drei Konten in Liechtenstein aufgeteilt. Eines davon war laut dem betätigten Gerichtsurteil Grasser zuzurechnen. Ähnlich lief es demnach bei der Einmietung der Finanzverwaltung in den Linzer „Terminal Tower“, wenn auch mit teils unterschiedlichen Beteiligten. Dort flossen dann 200.000 Euro an Bestechungsgeld.

Grasser wurde vom Landesgericht Wien deshalb Ende 2020 – nach einem drei Jahre dauernden Prozess – wegen des Vorwurfs der Untreue und der verbotenen Geschenkannahme durch Beamte (das entspricht dem heutigen Delikt der Bestechlichkeit) verurteilt. Der OGH bestätigte das nun. Aufgehoben hat der OGH – soweit es Grasser betrifft – lediglich einen dritten, vergleichsweise untergeordnete Urteilspunkt: jenen der Beweismittelfälschung. Damit muss sich nochmals das Landesgericht Wien auseinandersetzen. Ob – im Falle einer neuerlichen Verurteilung – die Gesamtstrafe höher ausfällt, bleibt abzuwarten. Die vom OGH verhängten vier Jahre beziehen sich nur auf die bereits rechtskräftig gewordenen Punkte. Das Höchstgericht sah diese in Relation zum aufgehobenen Teil allerdings offenbar als entsprechend gewichtig an und hat deshalb schon jetzt dazu das Strafmaß verkündet.

„Richterin hat Verfahren vorbildlich geführt“

Senatspräsidentin Hetlinger nahm sich am Dienstag viel Zeit für die mündliche Urteilsbegründung. Fast zwei Stunden lang erläuterte sie, warum der OGH die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten in den wesentlichen Punkten nicht als stichhaltig ansah.

Die Verteidiger hatten sich bei der Bekämpfung des Urteils aus der ersten Instanz vor allem auf Richterin Marion Hohenecker eingeschossen und dieser Befangenheit vorgeworfen. Ein Grund dafür: Der Ehemann von Hohenecker, ebenfalls Richter, hatte sich noch vor dem Prozess via Social-Media abfällig über Grasser geäußert. „Sein Verhalten steht hier nicht auf dem Prüfstand”, erklärte Hetlinger. Mit Meinungen zu Verfahren konfrontiert zu sein, sei Teil des Richterjobs. „Damit müssen wir umgehen. Damit können wir umgehen”, so die Senatspräsidentin. Es hätten sich in den Akten „keinerlei Anhaltspunkte” für eine parteiliche Verfahrensführung gefunden. Im Gegenteil: Hohenecker habe das Verfahren „unter dem Fairnessaspekt vorblidlich geführt”, stellte die OGH-Richterin fest. Auch sonst sei keiner der vorgebrachten Mängel gravierend genug, um die Verurteilungen aufzuheben: „Die Feststellungen des Urteils sind unangreifbar.” 

Keine „Provision“, sondern Bestechungsgeld

Was den Untreue-Vorwurf betrifft, der mit Blick auf den Strafrahmen am stärksten ins Gewicht fällt, betonte Hetlinger, dass Grasser als Finanzminister verpflichtet gewesen sei, beim Verkauf der Bundeswohnungen den größtmöglichen Vorteil für die Republik zu erzielen. Das bloße Nicht-Abführen einer „Provision” stelle für sich alleine genommen zwar keine Untreue dar. Das Höchstgericht ließ aber keinen Zweifel daran, dass die Millionenzahlung nicht als legitime Provision, sondern als Bestechungsgeld anzusehen ist. Die Entscheidungsbefugnis bei der Zuschlagserteilung an das Immofinanz-Konsortium sei allein bei Grasser gelegen. „Der Angeklagte hat gewusst, dass der Höchstbieter bereit war, 9,6 Millionen Euro zu zahlen”, hielt Hetlinger fest. Grasser habe daher gewusst, dass das Konsortium zu einer Mehrzahlung bereit gewesen sei.: „Es stand ihm auch nach der letzten Bieterrunde frei, den größtmöglichen Erlös zu erzielen. Dass er das nicht getan hat, kommt einem Preisnachlass gleich.“ Beim „Terminal Tower“ sei die Sache ganz genauso gelegen. 

Mit Blick auf das Geschenkannahme-Delikt spielt die Frage eine wichtige Rolle, ob die jeweiligen Amtsgeschäfte auf „pflichtwidrige“ Art und Weise vorgenommen wurden. Daran hat der OGH im vorliegenden Fall keine Zweifel. Das Gericht in erster Instanz ist davon ausgegangen, dass Grasser bei der Buwog-Privatisierung eine entscheidende Preisinformation an das Immofinanz-Konsortium weitergegeben hat. Das ist aus Sicht des Höchstgerichts jedoch gar nicht ausschlaggebend. Die Pflichtwidrigkeit ergebe sich bereits aus dem Verstoß gegen die Verpflichtung, den „Machthaber“ – gemeint: die Republik – vor Schaden zu schützen. Die Konklusio des OGH: „Grasser hat einen Vorteil für die pflichtwidrige Vornahme von Amtsgeschäften gefordert und auch bekommen.”

Grasser: „Ungerecht“ und „rechtlich unhaltbar“

Grasser folgte den Ausführungen der OGH-Richterin ohne erkennbare Gemütsregung. Wie an den bisherigen Verhandlungstagen vor dem Höchstgericht saß er meist aufrecht auf seinem Sessel, die Hände vor sich auf dem Tisch. Lediglich die Fingerspitzen waren deutlich mehr in Bewegung als früher – möglicherweise aus Nervosität, jedenfalls aber auch, weil er immer wieder auf sein Mobiltelefon schaute. Je länger die Urteilsbegründung dauerte, umso öfter und länger nahm er das Gerät zur Hand. 

Nachdem der Senat den Saal verlassen hatte, erhob sich der Ex-Finanzminister, wechselte noch einige Worte mit Meischberger und dem mitangeklagten Ex-Immofinanz-Boss Karl Petrikovics und ging zu seinen Anwälten. Beim Verlassen des Saals wurde Grasser dann von zahlreichen Kameras und Mikrofonen erwartet. Eine Gelegenheit, die der frühere Minister nicht verstreichen ließ, ohne – einmal mehr – Vorwürfe gegen die Justiz zu erheben: „Die Richter wollten mich offensichtlich um jeden Preis verurteilen“, sagte Grasser. Der OGH-Entscheid sei „ungerecht“ und „rechtlich unhaltbar“. Grasser plant nun den Gang vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR): „Da ich unschuldig bin, werde ich meinen 16-jährigen Kampf weiterführen.“ Eine Beschwerde beim EGMR bewirkt allerdings keinen Haftaufschub. Grasser rechnet selbst damit, ins Gefängnis zu müssen. „Das wird offensichtlich so sein“, meinte der Ex-Finanzminister, der das also umso schwerwiegender sieht, als er von einem „Fehlurteil“ ausgeht. 

Auch Meischberger will zum EGMR

Ins selbe Horn stieß Walter Meischberger: Das „Unrechtsurteil“ aus der ersten Instanz sei „leider jetzt vom OGH bestätigt worden”. Für ihn sei „der Glaube an den Rechtsstaat“ in sich zusammengefallen. Auch Meischberger will vor den EGMR ziehen.

Wie geht es jetzt unmittelbar weiter? Nachdem das Urteil schriftlich ausgefertigt ist, erhalten die Verurteilten die Aufforderung zum Haftantritt. Wenn keine gravierenden Gründe für einen Aufschub geltend gemacht werden können, müssen sie dann innerhalb eines Monats die Strafe antreten. 

Wie alle anderen Straftäter auch, können Grasser und Meischberger nach Verbüßung der Hälfte der Haftstrafe einen Antrag auf bedingte Entlassung stellen. Bei Grasser wäre das also in rund zwei Jahren. Dann geht der einst jüngste Finanzminister der Republik auf seinen Sechziger zu. 

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Josef Redl

Josef Redl

Wirtschaftsredakteur. Davor Falter Wochenzeitung.