Sberbank-Verkauf trotz Sanktionen: So lief der umstrittene Millionen-Deal
Wie ist es möglich, dass eine Bank aus Moskau, die mehrheitlich dem russischen Staat gehört, mitten in den laufenden Wirtschaftssanktionen gegen das Putin-Regime einen satten dreistelligen Millionen-Euro-Betrag aus Österreich einstreift? Diese Frage sorgt seit zwei Monaten für Stirnrunzeln – auch bei der Politik. Nun gibt es erstmals Einblicke in Details, die insbesondere auch die umstrittene Rolle der heimischen Sanktionsbehörde im Innenministerium betreffen.
Der Deal: Mitte Juni 2023 verkaufte die sanktionierte russische Sberbank um einen Batzen Geld ihre Österreich-Tochter an den heimischen Unternehmer Stephan Zöchling. Möglich war das nur auf Basis einer Ausnahmegenehmigung der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) im Innenministerium. Die DSN spielt bei der Umsetzung der Sanktionen eine wichtige Rolle – profil berichtete. Der umstrittene Sberbank-Deal führte mittlerweile nicht nur zu einer parlamentarischen Anfrage an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), sondern auch zu einer Strafanzeige durch einen weiteren Kaufinteressenten, der selbst nicht zum Zug gekommen war. Details, wie das mysteriösen Millionen-Geschäft tatsächlich abgelaufen ist, blieben aber rar. Bis jetzt.
Die #SberbankFiles
profil konnte nun als erstes Medium Verträge und andere bis dato streng gehütete Dokumente zum Verkauf der österreichischen Sberbank-Tochter einsehen. Dies – und dabei handelt es sich wohl um ein Novum in der heimischen Rechts- und Journalismusgeschichte – unmittelbar und nach Genehmigung durch einen Richter. Vor einigen Monaten hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass der Presse unter bestimmten Bedingungen ein rechtlicher Anspruch auf spezielle Informationen aus dem Grundbuch zukommen kann. Informationen, welche Bürgerinnen und Bürgern normalerweise verborgen bleiben. Dieses Recht greift insbesondere dann, wenn es darum geht, Transparenz in Bezug auf behördliches Handeln herzustellen. Ein konkretes Beispiel: die Frage, ob der österreichische Staat die EU-Sanktionen gegen Russland ausreichend mitträgt – oder nicht.
profil legte diese Argumentation nun vom Grund- auf das Firmenbuch um – zu den Details später mehr. An dieser Stelle entscheidend ist: Das Handelsgericht Wien teilte die Rechtsauffassung und genehmigte eine Akteneinsicht in nicht veröffentlichte Firmenbuch-Urkunden. Auf Basis der vorgefundenen Dokumente starteten profil und der ORF dann eine gemeinsame Recherche. Diese hat vor allem die Rolle der DSN beim Sberbank-Deal im Fokus. Denn tatsächlich werfen die nun erstmals vorliegenden Unterlagen eine Reihe heikler Fragen auf, was die Arbeit der Sanktionsbehörde im Innenministerium (BMI) anbelangt.
Hintertür bei Sanktionen
Bei einer der bisher geheim gehaltenen Urkunden handelt es sich um jenen Bescheid aus dem BMI, mit dem die DSN dem Zöchling-Deal am 14. Juni 2023 die Freigabe erteilte.
Notwendig war die behördliche Genehmigung deshalb, weil die EU wenige Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 auch die mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche Sberbank auf ihre Sanktionsliste gesetzt hatte. Konkret erfolgte dieser Schritt am 21. Juli 2022. Die Österreich-Tochter namens Sberbank Europe AG steckte da bereits in tiefen Problemen. Nachdem Kunden begonnen hatten, in großem Maße Einlagen abzuziehen, war von den Aufsichtsbehörden die Abwicklung der Bank angeordnet worden. Diese erfolgte auch. Nach Beendigung des Bankgeschäfts legte die Sberbank Europe AG im Dezember 2022 ihre Lizenz zurück und wurde in „Sber Vermögensverwaltungs AG in Abwicklung“ (Sber AG) umbenannt.
Das klingt technokratisch, führte jedoch in der Praxis zu einer wirtschaftlich höchst interessanten Situation: Bei der Sber lag aus der erfolgreichen Abwicklung jede Menge Geld herum. Die russische Mutterbank konnte jedoch wegen der Sanktionen nicht darauf zugreifen. Doch die im EU-Rat versammelten Staats- und Regierungschefs hatten eine Hintertür offengelassen.
Jede Interpretation möglich?
Speziell für die Sberbank wurde in eine Verordnung des Rates ein Absatz eingefügt, um festzuhalten, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaats der EU unter ihnen geeignet erscheinenden Bedingungen die Freigabe eingefrorener Gelder genehmigen können. Dies, sofern es notwendig ist, um einen laufenden Verkauf von Beteiligungen der russischen Bank in der EU abzuschließen. Zunächst wurde dafür eine Frist bis zum 31. Oktober 2022 eingeräumt, später dann bis zum 17. Juni 2023.
Wie diese Passage genau zu interpretieren ist, darüber scheiden sich die Geister. Der vorliegende Genehmigungsbescheid deutet aber jedenfalls darauf hin, dass die DSN eine aus Sicht der Sberbank besonders günstige rechtliche Auslegung wählte – und zumindest in Bezug auf einen Aspekt die EU-Ausnahmeregelung verzerrt umgesetzt hat.
Der „laufende Verkauf“
Ein Streitpunkt ist die Frage, was genau mit dem Terminus „laufender Verkauf“ gemeint ist. Man könnte vermuten, dass jemand, der ernsthaft Sanktionen verhängen und durchsetzen will, darunter versteht, dass bereits ein ganz konkreter Deal in Planung sein muss, dem man sich – quasi auf den letzten Metern – gnadenhalber dann doch nicht entgegenstellen möchte. Offenbar wurde der Sberbank jedoch ermöglicht, ein langwieriges Auswahlverfahren zwischen einer Reihe von Interessenten durchzuführen, um den aus Sicht von Moskau bestmöglichen Deal herauszufiltern.
Die DSN verweist im Genehmigungsbescheid darauf, dass der Begriff „laufender Verkauf“ in der Sanktionsverordnung rechtlich nicht definiert worden sei und wählt selbst eine weite Interpretation. Aus Sicht der Behörde im BMI seien darunter nämlich „sämtliche mit einem geplanten Erwerb bzw. Verkauf verbundenen Handlungen“ gemeint, die einem Erwerb „in nachvollziehbarer Weise vorausgehen“.
Auf dieser Basis erteilte die DSN gleich einer ganzen Reihe von Interessenten am Kauf der österreichischen Sberbank-Tochter Vorab-Genehmigungen. In Bezug auf den letztlich erfolgreichen Bieter Zöchling ist jedoch interessant, dass dieser – allem Anschein nach – erst sehr spät auf den Plan getreten sein dürfte. Und zwar überraschend spät für einen „laufenden Verkauf“. Laut DSN-Bescheid stellte Zöchling seinen Genehmigungsantrag erst am 7. Juni 2023, somit wenige Tage vor Ende der Ausnahmefrist. Die Firmenkonstruktion, über die der Unternehmer die Sber AG erwerben wollte, befand sich da gerade einmal „in Gründung“. Die Errichtungserklärungen der beiden involvierten GmbHs waren lediglich zwei Tage alt und stammten vom 5. Juni 2023.
Käufer war nur Einspringer
Wie aus dem Genehmigungsbescheid hervorgeht, übernahm Zöchling letztlich die Position eines anderen Kaufinteressenten, der – vorgeblich aus persönlichen Gründen – knapp vor der Ziellinie einen Rückzieher gemacht hatte. Dabei handelte sich um den ehemaligen Bank-Austria-Generaldirektor und späteren Sberbank-Europe-Vorstandsvorsitzenden Gerhard Randa.
Noch Mitte Mai 2023 hatte die russische Sberbank in einem Schreiben bestätigt, bei Verhandlungen mit Randa erhebliche Fortschritte gemacht zu haben.
Der ehemalige Bankchef hatte seinerseits schon früher einen Genehmigungsantrag bei der DSN gestellt. Nun sollte – quasi im letzten Moment – ein „Parteiwechsel“ auf Zöchling und dessen in Gründung befindliche Firmen stattfinden.
Bemerkenswert scheint die Anmerkung der DSN, dass weder im Antrag Zöchlings noch in dessen Beilagen näher dargelegt sei, „inwieweit ein näherer Konnex“ zwischen dem Unternehmer und Randa bestehe. Noch bemerkenswerter ist jedoch, dass der Bescheid keinen Hinweis darauf enthält, dass die Behörde dieser Frage ihrerseits nachgegangen ist.
Das Innenministerium ließ konkrete Fragen von profil und ORF dazu unbeantwortet und führte nur allgemein aus, die Sberbank-Anträge seien „von der DSN individuell und umfangreich geprüft worden“. Tatsächlich erhielt Zöchling die Freigabe allerdings bereits sieben Tage nach Antragstellung.
Unternehmer mit Connections
Ein näherer Blick auf die Person des Unternehmers und dessen Connections wäre angesichts der Gesamtumstände wohl durchaus gerechtfertigt gewesen. Zöchling trat in den vergangenen Jahren als Miteigentümer des Auspuff-Unternehmens „Remus“ in Erscheinung. Früher werkte er allerdings im Imperium des – mittlerweile sanktionierten – Oligarchen Oleg Deripaska.
Wie profil im Vorjahr auf Basis der „Paradise Papers“ des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und der „Süddeutschen Zeitung“ berichtete, ergeben sich unter anderem Bezugspunkte zu einer zypriotischen Firma aus dem Deripaska-Reich, als deren „Branch Head“ im Internet ausgerechnet Siegfried Wolf genannt wurde. Der frühere Magna-Manager Wolf wiederum ist sowohl mit Deripaska gut bekannt als auch mit dem russischen Sberbank-Chef Herman Gref. Wolf erhielt einst den russischen Orden der Freundschaft – und war bis zum Vorjahr Aufsichtsratschef der Sberbank Europe AG.
Zöchling wollte mit Verweis auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“, „Vertraulichkeitsvereinbarungen“, „datenschutzrechtliche Regeln“ und das anhängige Ermittlungsverfahren auf Basis der erwähnten Anzeige eines Konkurrenten zu zahlreichen Detailfragen von profil und ORF nicht Stellung nehmen. Unter anderem blieb somit unbeantwortet, ab wann der Unternehmer in welcher Form tatsächlich in den Verkauf der Sber AG involviert war. Über eine Anwaltskanzlei, die ihn und seine Firmen vertritt, ließ Zöchling jedoch klar festhalten: „Weder Herr Deripaska, noch andere EU-sanktionierte natürliche oder juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen stehen hinter unseren Mandanten“. Randa wiederum wollte zur bemerkenswerten Abtretung seines Sberbank-Angebots an Zöchling keinerlei Stellungnahme abgeben: Er habe dazu „nichts zu sagen“.
Millionen für Moskau
Die allseitige Zurückhaltung mag auch damit zu tun haben, dass es um eine Menge Geld geht. profil und ORF liegt – aus den eingesehenen Firmenbuch-Urkunden – auch der unterzeichnete Kaufvertrag zwischen der russischen Sberbank und der Zöchling-Firma Bepoda Beteiligungsgesellschaft mbH vor.
Im Kaufvertrag ist ein Nettokaufpreis von 226.800.860,17 Euro festgelegt. Unter bestimmten Voraussetzungen sollte sich die Sberbank darüber hinaus eine Einlagen der Österreich-Tochter („Company Deposit“) bei der russischen Mutter von insgesamt umgerechnet rund 22,6 Millionen Euro einverleiben dürfen. Verwiesen wird weiters auf einen komplexen Prozess der möglichen Anrechnung bestehender Forderungen zwischen der Sberbank und der Sber AG.
Was davon wie umgesetzt wurde, kann man aus dem Vertrag nicht ableiten. Festhalten lässt sich jedoch, dass zumindest der Nettokaufpreis von rund 227 Millionen Euro gen Moskau geflossen sein muss. Dies ist im Kaufvertrag nämlich als Bedingung für die Übertragung der Aktien angeführt.
Die Übertragung der Sber-AG-Aktien erfolgte bereits am Tag nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags mittels einer Zessionsvereinbarung.
Flüssiges Vermögen abgesaugt?
Stutzig macht ein Vermerk im Kaufvertrag, dem zufolge die vorgesehenen Barerlöse aus der Sber-AG-Liquidation genau den Nettokaufpreis ausmachen würden. Wirtschaftlich gesehen hieße das, dass es der Sberbank trotz Sanktionen gelungen ist, zumindest die gesamten flüssigen Mittel, die sich aus der Abwicklung in Österreich ergeben haben, abzusaugen.
Tatsächlich führte die Sberbank am 15. Juni 2023 – also am letzten Tag vor der Aktienübertragung – als Alleinaktionärin noch eine außerordentliche Hauptversammlung der Sber AG durch. Auch dieses Protokoll liegt profil und ORF exklusiv vor. Darin heißt es: „Der Vorsitzende stellt hierzu fest, dass auf Basis einer Berechnung der BDO Austria Holding Wirtschaftsprüfung GmbH ein Anteil des Liquidationserlöses in Höhe von EUR 226.800.860,17 … auskehrbar ist.“ Die russische Sberbank stimmte daraufhin der Auszahlung zu.
Satte Boni
Was rechtlich gesehen wie ein Verkauf daherkommt, wirkt wirtschaftlich betrachtet somit eher wie eine Übertragung von Vermögenswerten. Faktisch scheint die sanktionierte Sberbank den langmächtigen Verkaufsprozess optimal genutzt zu haben, um eigentlich eingefrorene Gelder loszueisen. Wie hoch potenzielle weitere Liquidationserlöse ausfallen, die nunmehr beim neuen Eigentümer Zöchling verbleiben, geht aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor. Per 31. Dezember 2022 wies die Sber AG Aktiva von rund 540 Millionen Euro aus. Wie sich dieses Volumen im Zuge der weiteren Liquidation entwickelt hat, ist jedoch nicht bekannt. Im Juni wurde ein Gesamtvermögen der Sber AG von 300 bis 360 Millionen Euro medial kolportiert.
Sehr zufrieden ist man aber offenbar mit der Arbeit der Liquidatoren. Im Kaufvertrag wurde festgehalten, dass den beiden Managern satte Boni zustehen würden: einem von ihnen zumindest eine Million Euro netto, dem anderen mindestens 400.000 Euro brutto.
Zahlung via Raiffeisenbank Russland
Wie profil berichtete, war ein anderes Kaufangebot für die Sber AG so gestaltet gewesen, dass wirtschaftlich auch die Raiffeisen Bank International (RBI) Vorteile daraus ziehen hätte können. Die RBI steht vor einem ähnlichen Problem wie jenes, das die Sberbank vor dem Verkauf hatte: Sie kann Gewinne ihrer hoch profitablen Russland-Tochter nicht nach Österreich bringen. Die RBI sieht sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs massiver Kritik wegen des Engagements in Russland ausgesetzt. Sogar die Sanktionsbehörde der USA soll auf die heikle Situation aufmerksam geworden sein. Ein komplexes Transaktionskonstrukt hätte nun faktisch dazu führen sollen, dass russisches Raiffeisen-Geld an die Sberbank geht, österreichisches Sberbank-Geld wiederum an die RBI. Diese Variante erhielt jedoch letztlich nicht den Zuschlag der Sberbank. Stattdessen kam Zöchling zum Zug. Dennoch spielt Raiffeisen auch bei dessen Deal eine Rolle.
Gemäß DSN-Bescheid sollte die Zahlung des Kaufpreises über die Raiffeisenbank Russland erfolgen.
Die Rede ist auch von der Überweisung von Abwicklungserlösen von bis zu 240 Millionen Euro von einem RBI-Konto der Sber AG auf ein Konto der Bepoda bei ebendieser Bank.
Im Kaufvertrag festgehalten wurde wiederum, dass die Raiffeisenbank Russland für die Bepoda gegenüber der Sberbank ein sogenanntes Akkreditiv („Letter of Credit“) – eine Art Bankbürgschaft – abgeben sollte. Die Involvierung der Raiffeisenbank Russland in die Zahlungsstruktur war offenbar dergestalt, dass eine Genehmigung der russischen Zentralbank (CBR) notwendig war.
RBI: „Keine Assets erworben“
profil wollte von der RBI unter anderem wissen, ob in irgendeiner Form ein Deal stattgefunden hat, bei dem die österreichische Bank beziehungsweise ihre Russland-Tochter Vermögenswerte in Russland abtreten und dafür solche in Österreich erhalten würde. Die RBI verwies darauf, aufgrund des Bankgeheimnisses „Fragen zu Kundenrelationen“ nicht beantworten zu dürfen. Man habe „keine Assets der Sber AG erworben“ und halte sich „selbstverständlich“ an „alle regulatorischen Vorgaben und Sanktionen“.
Ob es allenfalls einen Deal abseits eines echten Assets-Erwerbs gab, lässt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht ableiten. Fest steht aber, dass es sich um eine höchst komplexe Transaktion handelte. Die DSN verweist in ihrem Genehmigungsbescheid auf einen „Zahlungsmechanismus“, der nicht weniger als 17 Schritte umfasse.
Verzerrte Argumentation
Trotz offensichtlicher Warnsignale oder zumindest Fragezeichen hat das Innenministerium den Sber-Deal genehmigt. In Bezug auf den „Parteiwechsel“ auf Zöchling erfolgte dies augenscheinlich sogar innerhalb weniger Tage. Insgesamt stützt sich die DSN auch auf eine rechtliche Argumentation, die – sofern nicht rundheraus falsch – doch zumindest verzerrt erscheint.
Die befristete Ausnahmegenehmigung der EU ist nämlich dezidiert als Kann-Bestimmung formuliert. Nirgends steht, dass die Behörden eine derartige Transaktion freigeben müssen – selbst, wenn bestimmte Auflagen erfüllt sind und alles penibelst geprüft wurde. Genau diesen Eindruck, zur Freigabe verpflichtet zu sein, erweckt jedoch die DSN in ihrem Bescheid, wenn sie an der entscheidenden Stelle schreibt: „Da es sich, wie dargelegt, nach ha. Ansicht um einen laufenden Verkauf bzw. eine laufende Übertragung im Sinne obiger Ausführungen handelt und die Antragsteller keinen für die bescheiderlassende Behörde ersichtlichen Beschränkungen beim Erwerb der Aktien der SBAG unterliegen, sind die Aktien im Rahmen der im Spruch festgelegten Nebenbedingungen freizugeben.“
Die Formulierung „sind … freizugeben“ suggeriert fälschlicherweise, dass ein Rechtsanspruch darauf besteht und Österreich eigentlich gar keine andere Wahl hat. Dass es sich um eine Kann-Bestimmung handelt, erwähnt die DSN zwar im Genehmigungsbescheid sehr wohl, folgert aber daraus lediglich, dass sie bestimmte Nebenbedingungen erlassen kann.
BMI: „Rechtskonforme Beurteilung“
Das BMI ließ allgemein in Bezug auf die Ausnahmeregelung wissen: „Von Seiten der EU-Kommission wurde signalisiert, dass sanktionierte Entitäten durch diese Bestimmung vom europäischen Markt genommen werden können und der entsprechende Artikel daher in der Verordnung implementiert wurde. In diesem Sinne wurde von der DSN die Verordnung insoweit angewandt, dass man möglichen Käufern, die keinen sanktionsrechtlichen Beschränkungen unterlagen, die Option eröffnen konnte, die Aktien zu kaufen. Die Abwicklung der Kauftransaktionen selbst war Teil der Privatautonomie der letztendlichen Vertragsparteien. Diese durften aber bei sonstiger Unwirksamkeit eines positiven Bescheides geltende gesetzliche Bestimmungen nicht verletzen. Der anwendbare Artikel beinhaltet zudem weder Fristen, ab wann Kaufverhandlungen stattgefunden haben müssen, noch in welcher Intensität diese zu erfolgen hatten. Im Rahmen der Prüfungen hat die DSN daher eine rechtskonforme Beurteilung dieser nicht näher definierten Voraussetzung gemäß der EU-Verordnung vorgenommen. Abschließend muss betont werden, dass die Sberbank Europe AG einen Käufer auf Grundlage eines positiven Bescheides wählen konnte. Die DSN hatte auf diese Entscheidungen keinen Einfluss.“
Experte Janik: „Länder haben Spielraum“
Weshalb die Transaktion genehmigt wurde, obwohl es sich ausdrücklich um eine Kann-Bestimmung handelt, ließ das Ministerium unbeantwortet. In einem Interview mit dem ORF hielt der Völkerrechtsexperte Ralph Janik zu diesem Aspekt fest: „Als Jurist schaut man auf zwei Worte: ‚may‘ und ‚shall‘ – man kann oder man soll. Bei der Sber-Bank hat man eine Kann-Bestimmung eingeführt. Das heißt, Länder haben Spielraum, sie müssen ihn aber nicht nützen.“
Wie die vorliegenden Dokumente zeigen, die von allen Involvierten gerne unter Verschluss gehalten worden wären, hat Österreich seinen Spielraum so genutzt, dass die Sberbank gut dabei ausgestiegen ist – und damit letztlich auch der Kreml.
Der Weg zu den Akten
Dass diese Vorgänge, die heikle Fragen in Bezug auf das Handeln einer maßgeblichen Behörde aufwerfen, nun ans Licht gebracht werden können, liegt an einer jüngsten Entwicklung in der österreichische Rechtssprechung. Dabei wurde die Position von Journalistinnen und Journalisten, die Informationen einholen wollen, in bestimmten Zusammenhängen gestärkt.
Im Vorjahr hatten der ORF-Journalist Martin Thür und der damalige profil-Wirtschaftsressortleiter Michael Nikbakhsh, der nun den Investigativpodcast „Die Dunkelkammer“ betreibt, ein rechtliches Verfahren angestrengt, das letztlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschieden wurde. Thür und Nikbakhsh hatten bestimmte Auskünfte aus dem Grundbuch begehrt. Dort ist es technisch möglich, nach Namen zu suchen, um alle Liegenschaften herauszufinden, die eine bestimmte Person besitzt. Dies ist jedoch nur auf Basis eines sogenannten rechtlichen Interesses erlaubt – etwa, wenn Rechtsanwälte für Mandanten Schulden eintreiben. Medien war das bis dahin verwehrt.
Rechtliches Interesse
Nun wollten die beiden Journalisten wissen, über welches Immobilienvermögen bestimmte russische Oligarchen laut Grundbuch verfügen. Die Auskunft darüber wurde zunächst verweigert, letztlich entschied jedoch der OGH im Dezember 2022, dass Journalistinnen und Journalisten unter bestimmten Bedingungen sehr wohl ein derartiges rechtliches Interesse haben können. In diesem Fall überwiegt dann das Recht auf Informationsfreiheit und Freiheit der Presse das Recht auf Datenschutz.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Information im öffentlichen Interesse notwendig ist, etwa weil ihre Offenlegung für Transparenz bezüglich der Führung von Amtsgeschäften sorgt oder Transparenz in einer Angelegenheit hergestellt wird, welche für die Gesellschaft als Ganzes interessant ist. In der Grundbuchangelegenheit sah der OGH dies nicht zuletzt deshalb als gegeben an, weil es „um die für die öffentliche Diskussion wesentliche Kenntnis geht, ob Österreich die Sanktionen (ausreichend) mitträgt“. Martin Thür hat das Zustandekommen des OGH-Beschlusses und die möglichen Konsequenzen daraus ausführlich auf seiner Internetseite dargestellt.
„Bitte nicht veröffentlichen“
profil hatte die OGH-Argumentation im Hinterkopf, als bei Recherchen zum umstrittenen Sberbank-Deal ein bemerkenswerter Vorgang im öffentlich einsehbaren Teil des Firmenbuchs zutage trat: Im Laufe des Sommers legte die frisch übernommene Sber AG, die mittlerweile MeSoFa Vermögensverwaltungs AG in Abwicklung heißt, dem Firmenbuchgericht auf dessen Geheiß mehrere Unterlagen zum umstrittenen Verkauf im Juni vor. Dies jedoch mit der „Bitte“, das Gericht – in diesem Fall das Handelsgericht Wien – möge diese Dokumente „aufgrund der Vertraulichkeit“ nicht in die öffentliche einsehbare Urkundensammlung aufnehmen. Dieser Bitte wurde offenbar entsprochen.
profil beantragte in der Folge jedoch auf Basis der OGH-Argumentation aus der Grundbuchsache Einsicht in die nicht veröffentlichten Firmenbuch-Dokumente. Der ausführlich begründete Antrag wurde von einem Richter des Handelsgerichts geprüft, und die Akteneinsicht in der Folge genehmigt. In der Praxis führt diese zusätzliche Anwendbarkeit des Informationsrechts für Journalistinnen und Journalisten, die als „public watchdog“ agieren, zu wichtigen neuen Recherchemöglichkeiten. Sie kommt einem Lichtblick in einem sonst von der Dunkelheit behördlicher Verschwiegenheit umhüllten Land gleich.
Risse in der Mauer des Schweigens
Ein Beispiel gefällig? profil und ORF haben das Innenministerium um Übermittlung des 17-stufigen „Zahlungsmechanismus“ gebeten, der dem umstrittenen Sberbank-Deal zugrunde lag und von der DSN zu prüfen war. Die Antwort: „Wir bitten um Verständnis, dass wir noch einmal betonen müssen, dass es der DSN aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist, konkrete Informationen zu den Antragstellerinnen und Antragstellern zu kommunizieren oder zu kommentieren. Dies beinhaltet auch Informationen aus eingebrachten Anträgen oder übermittelten Dokumenten.“ Einleitend hielt der Ressortsprecher des BMI in dem E-Mail noch fest: „Leider ist es manchmal so, dass nicht alle journalistischen Fragen/Nachfragen beantwortet werden können, aber das wissen Sie natürlich.“
Tatsächlich weiß profil, dass die Mauer des Schweigens langsam Risse bekommt – aber eben noch nicht überall.