Investigativ

Schmid an Kurz: „Dichand Mega auf Schiene“

Die WKStA hat ihre Verdachtslage zur mutmaßlichen Inseratenkorruption im ÖVP-Umfeld massiv ausgeweitet. Nun geht es nicht mehr nur um „Österreich“, sondern auch um „Kronen Zeitung“ und „Heute“. Das geht aus einer Durchsuchungsanordnung hervor, die profil vorliegt.

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Sie umfasst knapp mehr als einhundert Seiten: Jene Durchsuchungs- und Sicherstellungsanordnung auf deren Basis heute, Donnerstag, Ermittlungsbeamte in den Geschäftsführungsräumlichkeiten der Gratiszeitung „Heute“ vorstellig wurden. Der Inhalt der Anordnung kommt einer Abrechnung mit der Medienpolitik des Systems rund um den früheren ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz gleich. Um genau zu sein: einer Abrechnung, was den Umgang der aufstrebenden Kurz-Clique mit den großen und mächtigen Boulevardzeitung des Landes anbelangt.

Der Verdacht lautet auf Inseratenkorruption: Mit Steuergeld bezahlte Einschaltung und sogenannte Medienkooperationen des Finanzministeriums im Millionen-Euro-Ausmaß sollen nicht zuletzt auch Kurz und dessen „Neuer Volkspartei“ zugute gekommen sein. Tatzeitraum laut Anordnung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Mai 2016 bis spätestens 6. Oktober 2021. An letzterem Tag fand eine Hausdurchsuchung in der ÖVP-Zentrale und im Bundeskanzleramt statt. Kurz nahm bald darauf den Hut.

Verdacht auf Untreue und Bestechung

Damals erstreckte sich der Verdacht noch ausschließlich auf die Mediengruppe Österreich der Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner (beide haben sämtliche Vorwürfe immer vehement bestritten). Nunmehr geht es zusätzlich um die Gratiszeitung „Heute“ und die „Kronen Zeitung“ – erstere steht in der Einflusssphäre von Eva Dichand, zweitere in jener ihres Ehemannes Christoph Dichand. Damit ist klar: Sämtliche große Boulevardmedien Österreichs stehen im Zentrum einer schweren Verdachtslage der Justiz. Juristisch geht es einerseits um den Verdach der Untreue: Mittel des Finanzministeriums sollen für die Inseratenschaltungen quasi zweckentfremdet worden sein. Andererseits steht Bestechungsverdacht im Raum: Die Medienbetreiber sollen im Gegenzug für üppige Inseratenbudgets positive Berichterstattung in Aussicht gestellt haben. Im Fall von Eva Dichand kommt laut Anordnung noch ein besonderer Aspekt hinzu: Sie soll im Finanzministerium Wünsche in Bezug auf das Privatstiftungsrecht deponiert und auch diesbezüglich – im Gegenzug für deren Erfüllung – positive Berichterstattung in Aussicht gestellt haben.

Detail am Rande: Jener Mitarbeiter des Finanzministeriums, der für die Inseratenschaltungen zuständig gewesen sein soll, wurde laut Verdachtslage mit einem Zusatzjob geködert – mit dem eines Staatskommissärs bei einer regionalen Raiffeisenbank in Niederösterreich.

Vorwürfe vehement bestritten

Ausgangspunkt für die Verdachtslage sind einerseits Aussagen des früheren BMF-Generalsekretärs Thomas Schmid, der in Zusammenhang mit den umfangreichen WKStA-Ermittlungen der vergangenen Jahre bekanntlich Kronzeugenstatus erlangen will. Dieser Teil der Angaben Schmids wurde offenbar bis heute unter Verschluss gehalten, um die Ermittlungsmaßnahmen nicht zu gefährden. Ergänzt werden die Schmid-Aussagen durch Chat-Nachrichten und andere Ermittlungsergebnisse. Insgesamt gibt es in diesem neuen Ermittlungsstrang Erhebungen gegen neun Personen – darunter Sebastian Kurz, einige der engsten Getreuen des ehemaligen Kanzlers, Eva Dichand und ihr Ehemann Christoph Dichand. Die ÖVP-Bundespartei wird von der WKStA „für die von Sebastian Kurz ab 14. Mai 2017 zunächst als designierter und ab 1. Juli 2017 als gewählter Bundesparteiobmann … zu ihren Gunsten begangenen Taten“ zudem als Verantwortliche nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz geführt.

Kurz hat sämtliche Vorwürfe immer vehement bestritten. Eva Dichand meldete sich am Donnerstag via Twitter zu Wort: Die Aussagen von Thomas Schmid seien einfach falsch – sowohl in Bezug auf die Inseratenvergaben als auch in Bezug auf das Privatstiftungsgesetz. Schmid versuche „seinen Kronzeugenstatus zu erhalten und hat deswegen diese falschen Anschuldigungen getätigt“.

Das steht in der Durchsuchungsanordnung

Was steht nun in der Durchsuchungsanordnung? profil veröffentlich anbei einige wesentliche Auszüge. Unter anderem hält die WKStA folgende grundsätzliche Verdachtslage fest:

Ziel der Zentralisierung der Inseratenverwaltung war es, über die ÖVP geführten Ministerien, darunter insbesondere das Finanzministerium, aus öffentlichen Geldern finanzierte Inserate und „Medienkooperationen“ in großem Umfang einzugehen und sich dadurch auch in den redaktionellen Teilen insbesondere in den Medien der Mediengruppen Österreich, Heute und Krone eine wohlwollende Berichterstattung und die Abwehr von kritischen Berichten zu erkaufen und die politischen Erfolge von insbesondere Kurz und seiner „Neuen ÖVP“ aber auch der ÖVP-geführten Ministerien sowie der Bundesregierung auch im redaktionellen Teil zu vermarkten. Darüber hinaus sollte durch umfassende Inseratenkampagnen und „Medienkooperationen“ auch in den aus öffentlichen Geldern bezahlten Inseraten die Tätigkeit der Bundesregierung, insbesondere zu Wahlversprechen von Sebastian Kurz, vermarktet und beworben werden.

 

Ausgangspunkt war laut WKStA zunächst die mutmaßliche Vereinbarung mit „Österreich“. Diese musste man – so die Verdachtslage – jedoch kaschieren:

Im Jahr 2016 entwickelte und koordinierte MMag. Schmid über Auftrag von Kurz (…) den Aufbau des „Beinschab Österreich Tools“, das zu einem sprunghaften Anstieg der Inserate des BMF in der Mediengruppe Österreich führte. (…) Um die nach der Verdachtslage strafrechtlich relevanten Vereinbarungen mit der Mediengruppe Österreich zu verschleiern, veranlasste MMag. Schmid, dass auch in anderen Medien, insbesondere der Tageszeitung Heute und der Kronen Zeitung, Inserate geschaltet werden und mit diesen wieder Medienkooperationen eingegangen werden (…).

 

An dieser Stelle sollen demnach die Dichands ins Spiel gekommen sein:

MMag. Schmid hatte Ende 2016/Anfang 2017 bereits gute, teils freundschaftliche Kontakte zu Dr. Eva Dichand und Dr. Christoph Dichand. Kurz ersuchte MMag. Schmid, diese freundschaftlichen Kontakte zu nutzen, damit diese seinen politischen Aufstieg in ihren Medien unterstützen. MMag. Schmid sagte das zu.

 

Es soll zu mehreren Gesprächen zwischen Schmid und Eva Dichand gekommen sein:

Bei diesen Gesprächen äußerte Dr. Eva Dichand wiederholt, dass es beim Inseratenbudget des BMF „Notwendigkeiten“ gäbe. Damit meinte sie, dass sie sich Inseraten-Schaltungen des BMF in der Kronen Zeitung und der Tageszeitung Heute sowie den ihr zuzurechnenden Medien in größerem Umfang erwartete. (…) Bei einem Telefonat Anfang 2017 beschwerte sich Dr. Eva Dichand bei MMag. Schmid darüber, dass Heute und die Kronen Zeitung im Verhältnis zu Österreich zu wenig Inserate des BMF bekommen, rechnete dies detailliert vor, forderte MMag. Schmid auf, die Unverhältnismäßigkeit zu beheben und teilte ihm mit „wir können auch anders“. Damit meinte sie, dass im Falle der Nichtentsprechung ihrer Wünsche, die Berichterstattung in ihren Medien entsprechend schlechter ausfallen werde (…).

 

Hier kam laut Verdachtslage aufstrebende ÖVP-Shootingstar Sebastian Kurz ins Spiel:

MMag. Schmid berichtete Kurz über die Gespräche mit Dr. Eva Dichand. Da Kurz ein gutes Verhältnis zu den Dichands außerordentlich wichtig war, bestärkte er MMag. Schmid darin, die Anliegen der Dichands entsprechend zu berücksichtigen (…).

 

Die „Anliegen“ von Eva Dichand sollen sich jedoch nicht nur auf Inserate bezogen haben:

Im Jahr 2017 arbeitete das Justizministerium an einer Novelle des Privatstiftungsgesetzes (…). Für Dr. Eva Dichand war wichtig, dass ihre Interessen und die Interessen ihr gleichgesinnter Personen (...) bei der Novellierung des Privatstiftungsgesetzes Berücksichtigung und in den Gesetzesprozess Eingang finden.

 

Mit Thomas Schmid wäre laut Verdachtslage jemand an einer für die Erfüllung sämtlicher angeblicher Wünsche gut geeigneten Position gesessen:

MMag. Schmid signalisierte, dass er bereit wäre, ihren Anliegen nachzukommen und entsprechende Veranlassungen in der Öffentlichkeitsarbeit zu treffen, um die Inseratenschaltungen und Medienkooperationen mit ihren Medien entsprechend zu erhöhen. Weiters teilte er ihr mit, dass er auch Umsetzungsmaßnahmen zur Förderung ihrer Anliegen betreffend das Privatstiftungsgesetz in Aussicht nehmen werde. Er äußerte in diesem Zusammenhang deutlich, dass er sich im Gegenzug dafür eine entsprechende positive Berichterstattung in den Medien Heute und Kronen Zeitung insbesondere betreffend Kurz und seine Ziele erwartete und dass die für ihn politisch wichtigen Themen im redaktionellen Teil der Medien entsprechend Eingang finden (…).

 

Die WKStA beschreibt den mutmaßlichen Deal folgendermaßen:

MMag. Schmid und Dr. Eva Dichand kamen bei diesen Gesprächen grundsätzlich überein, dass MMag. Schmid der Kronen Zeitung und der Tageszeitung Heute ein erhöhtes Inseratenvolumen durch das BMF zukommen lassen, „Medienkooperationsvereinbarungen“ mit dem BMF veranlassen und er sich (auch im Rahmen seiner Amtstätigkeit) um die Anliegen von Dr. Eva Dichand in Zusammenhang mit der Novellierung des Privatstiftungsgesetzes kümmern wird und Dr. Eva Dichand im Gegenzug dafür mit Wissen und Wollen von Dr. Christoph Dichand, in der Kronen Zeitung und der Tageszeitung Heute dafür Sorge tragen wird, dass über Kurz und den für ihn und seinen politischen Aufstieg und Erfolg relevanten Themen wohlwollend und in entsprechendem Ausmaß berichtet wird sowie Negativberichten oder für seine Zwecke abträgliche Themen kein oder nur geringer Raum gewidmet wird (…).

 

Gemäß Verdachtslage soll es nicht nur beim Plan geblieben sein:

MMag. Schmid vereinbarte unmittelbar nach dem Treffen mit Dr. Eva Dichand im März 2017 einen Termin zwischen Vertretern des BMF und des BMJ zum Thema Stiftungen und führte in den darauf folgenden Wochen mit Mitarbeitern des BMF und auch des BMJ Gespräche, jeweils mit dem Ziel, die Anliegen der Ehegatten Dichand im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs voranzutreiben und durchzusetzen.

 

Laut Anordnung der WKStA erstattete Schmid per Handy-Chat Bericht an Sebastian Kurz:

Am 28. April 2017 nach einem Termin unter anderem mit MMag. Schmid und Dr. Christoph Dichand schrieb MMag. Schmid an Kurz „Dichand Mega auf Schiene“. Zwei Tage nach dem Rücktritt von Dr. Mitterlehner schrieb MMag. Schmid Kurz: „Die Dichands werden halten!! Bin mir sicher! Ich starte mit Eigentümern jetzt dann im BMF eine stiftungsoffensive – alter Wunsch von Eva“ (…).

 

Schmid soll die Position des BMF zum Stiftungsgesetz nach den Wünschen Eva Dichands ausgerichtet haben:

Das BMJ versandte im Juni 2017 einen Gesetzesentwurf für eine Novelle des Privatstiftungsgesetzes in Begutachtung, der zum Missfallen von Dr. Eva Dichand Transparenz-Regelungen beinhaltete. Da Dr. Eva Dichand wegen dieses Entwurfs „sauer“ war und „Terror“ machte, veranlasste MMag. Schmid, dass das BMF im Begutachtungsverfahren eine ablehnende Stellungnahme zum Gesetzesentwurf abgab, übermittelte den Entwurf der Stellungnahme an Dr. Eva Dichand und informierte sie darüber, dass diese bis 7. August 2017 eingebracht werden würde.

 

Wie lief – laut Verdachtslage – die Angelegenheit mit den Inseraten ab?

MMag. Schmid wies Mag. P. in Umsetzung der Vereinbarung mit den Ehegatten Dichand an, Angebote, die von Heute und der Kronen Zeitung oder den Ehegatten Dichand sowie teils J. sonst zuzurechnender Medien (etwa Netdoktor, Connoisseur Circle) einlangen, anzunehmen. (…) MMag. Schmid teilte Mag. P. mit, dass Dr. Dichand mehr Inserate gefordert habe und dass die Berücksichtigung ihrer Wünsche in der damaligen politischen Phase sehr wichtig sei, um Kurz, aber auch das BMF besser positionieren zu können (…).

 

Laut Anordnung der WKStA beauftragte das Finanzministerium in der Krone- und Heute-Gruppe von 2017 bis 2021 Inseratschaltungen und Medienkampagnen im Umfang von insgesamt 11.436.000 Euro.

Diese Inserate und Medienkooperationen im Jahr 2017 in einem 300.000 Euro deutlich übersteigenden Betrag erfolgten in Umsetzung der dargestellten Vereinbarung mit dem Ziel, im Wahlkampf 2017 die mediale Unterstützung von Kurz durch die Krone-Gruppe und die Heute-Gruppe zu sichern und sich diese Unterstützung durch die Schaltung der Inserate zu erkaufen.

 

Dann war die Wahl geschlagen – und Kurz wurde Kanzler. In der Durchsuchungsanordnung heißt es zu dieser Phase:

Kurz war ab 18. Dezember 2017 Bundeskanzler. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Medienarbeit der ÖVP-geführten Ministerien zentral gesteuert und die Ausgaben des BMF für entgeltliche Schaltungen deutlich erhöht (...).

In den Jahren 2018 (Punkt a) bereits ab spätestens Herbst 2017) bis Oktober 2021 wurde der Großteil der vom BMF geschlossenen Inserate-Vereinbarungen jedenfalls in einem 300.000 Euro um ein Mehrfaches übersteigenden Betrag aus zwei Gründen geschlossen:

a) einerseits um sich die mediale redaktionelle Unterstützung von Kurz in der Vermarktung seiner politischen Tätigkeit und seiner Person sowie der (Kurz zuzurechnenden) Regierungsarbeit zu sichern.

b) andererseits um auch in den Inseraten selbst, die politischen Erfolge von Kurz zu bewerben, wobei auch in diesen Fällen eine überproportionale Berücksichtigung der Mediengruppen Österreich, Krone und Heute erfolgte und die Beschuldigten daher auch hier den unter Punkt a) dargestellten Zweck verfolgten.

 

Die WKStA hegt den Verdacht, dass es tatsächlich zu einem Niederschlag in der redaktionellen Berichterstattung gekommen ist:

Ab März 2017 konnten die Pressesprecher*innen des BMF und die für die Öffentlichkeitsarbeit von Kurz zuständigen Personen aufgrund der dargestellten Vereinbarung in der Kronen Zeitung und der Tageszeitung Heute ihre Wünsche zu Themen, die mediale Beachtung finden sollten, erfolgreich deponieren. Die von diesen gewünschten Inhalte wurden in einer für Kurz, Dr. Schelling und die ÖVP positiven Weise in den redaktionellen Teilen der genannten Medien platziert.

(…)

Aufgrund der Vereinbarung sorgten die Ehegatten Dichand dafür, dass die Berichterstattung in der Kronen Zeitung und der Tageszeitung Heute den Wünschen von Kurz entsprechend in einer dessen Ziele fordernden Weise erfolgte und Negativmeldungen nicht oder nicht prominent berichtet wurden. Es gab auch in konkreten Fällen direkte Vorgaben der Dichands an die Redaktionen.

 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.