Cybercrime

Schnelle Verführer, falsche Freunde: Die perfiden Tricks der Cyberbetrüger

Weshalb so viele Menschen auf die Finanz-Abzocke im Internet hereinfallen – und was man dagegen tun kann. profil hat mit dem Wirtschaftspsychologen Erich Kirchler und dem Konsumentenschützer Paul Rusching gesprochen.

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Es ist ein Fall, der eine – an Brutalität und Hinterlist ohnehin kaum zu überbietende – Betrugsmasche auf die absolute Spitze treibt: Am 1. Juni 2022 führt ein Oberstaatsanwalt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ein Telefonat mit Franz S. (der Mann heißt in Wirklichkeit ganz anders, profil schützt seine Identität). Der Staatsanwalt ermittelt wegen Finanzbetrugs im Internet: Über einer Reihe von Online-Plattformen wurde Opfern Geld für angebliche Investments herausgelockt, die nur erfunden waren. S. ist eines dieser Opfer. Doch im Laufe des Telefonats stellt sich heraus: In seinem Fall ist es nicht bei einem einzigen Betrug geblieben.

In seiner Erinnerung habe er im Jahr 2018 an die Firma option888 ca. 9.000,- Euro überwiesen; dieser Betrag sei dann auf ca. 20.000,- Euro angewachsen. Nach einem angeblich missglückten ‚Trade‘ im Zusammenhang mit dem Goldkurs sei das ganze Geld weg gewesen.“ Das notiert der Oberstaatsanwalt im sogenannten Anordnungs- und Bewilligungsbogen des umfangreichen und seit Jahren laufenden Ermittlungsverfahrens. Wobei der Ermittler schon am Beginn des Telefonats eine schlechte Nachricht für Franz S. hat: Laut Akteninhalt waren es nämlich nicht 20.000 Euro, sondern insgesamt 31.000, die der Mann von September bis November 2017 – also in nur drei Monaten – in den Wind schreiben musste: „Nach den hier vorliegenden Ermittlungsergebnissen sei dieses Geld nicht mehr vorhanden“, schreibt der Staatsanwalt. Und er teilt Franz S. mit, dass dessen Fall sogar bereits Gegenstand einer Anklageschrift ist, über die demnächst vor Gericht verhandelt werden soll.

Der Betrug nach dem Betrug

Dann die Überraschung: Im Telefonat erzählt Franz S., dass er im Jahr 2022 – somit fünf Jahre nach dem eigentlichen Betrug – von einer Firma kontaktiert worden sei, die ihm erzählt habe, sein „Investment“ bei der Plattform option888 sei nicht weg, sondern in Kryptowährungen angelegt worden. Und es sei sogar auf rund 80.000 Euro angewachsen. Doch nun kommt der Haken an der Sache. Der Oberstaatsanwalt schreibt in seinem Aktenvermerk über das Telefonat mit Franz S.: „Um dieses Geld freizubekommen, habe er im Jahr 2022 dann über entsprechende Aufforderungen insgesamt 9.000 Euro überwiesen. Aktuell werden jedoch weitere Überweisungen gefordert, um das angebliche Guthaben freizubekommen.“

Mit anderen Worten: Der Mann wurde gleich zweimal betrogen. Der Oberstaatsanwalt fasst mit höchster juristischer Vorsicht zusammen: „Unter ausdrücklichem Hinweis, dass ich nicht sein Rechtsberater bin, teile ich Franz S. mit, dass mutmaßlich seine damals bei option888 hinterlegten Daten von einer neuen unbekannten Tätergruppe verwendet werden, um neuerlich Gelder herauszulocken. Ich gebe ihm daher den unverbindlichen Rat, keine weiteren Einzahlungen mehr zu leisten, und weise nochmals darauf hin, dass die 2017 investierten Gelder nach den hier vorliegenden Ermittlungsergebnissen jedenfalls nicht mehr vorhanden sind.“ Franz S. könne bei jeder österreichischen Polizeidienststelle Anzeige erstatten.

Dann schlägt die Gier zu“

Wie ist es erklärbar, dass jemand, der bereits einmal hohe Summen abschreiben musste, Jahre später wieder auf eine ähnliche Masche hereinfällt? Dazu muss man wissen: Schon der ursprüngliche Betrug ist in derartigen Fällen meist darauf aufgebaut, dem Opfer zunächst Gewinne vorzugaukeln. Wenn der Betroffene dann eine Auszahlung fordert, wird er jedoch plötzlich mit angeblichen hohen Verlusten konfrontiert – um ihm mit dem Versprechen, die Verluste wieder aufzuholen, noch mehr Geld aus der Tasche zu locken. Idealerweise so lange, bis nichts mehr da ist. Es gibt Hunderte Opfer – alleine in Österreich.

Warum fallen so viele Menschen auf derartigen Betrug herein? Warum drücken sie nicht bereits bei den ersten angeblichen Verlusten die Stopptaste? Warum machen viele Opfer weiter und schießen sogar noch mehr Geld nach? „Nach den ersten Gewinnen schlägt die Gier zu“, sagt Erich Kirchler, Professor für Wirtschaftspsychologie am Institut für Höhere Studien und an der Universität Wien. Wenn es dann schiefläuft, wollen sich Betroffene selbst nicht eingestehen, einem Betrug aufgesessen zu sein – und man wolle auch anderen gegenüber nicht das Gesicht verlieren, beschreibt Kirchler.

Strategie der kleinen Schritte“

Was noch dazukommt, und auch bei realen Finanzgeschäften eine Rolle spielt: Steigt der Betroffene an diesem Punkt aus, hat er den Eindruck, einen Verlust zu realisieren: „Verluste werden doppelt so schmerzhaft wahrgenommen, wie sich umgekehrt Gewinne angenehm anfühlen“, weiß Wirtschaftspsychologe Kirchler. Deshalb neige man dazu, weiter zu investieren in der Hoffnung, den „Karren aus dem Dreck“ zu ziehen. Kirchler sagt: „Man muss schon sehr stark sein, um aus der Spirale der ‚sunk costs‘ wieder herauszukommen.“

Die Anbahnung des Betrugs beschreibt Kirchler als „Strategie der kleinen Schritte“. Das beruhe auf einer üblichen Verkaufsstrategie: zuerst einmal den Fuß in die Tür bekommen, und wenn der Fisch an der Angel zappelt, kann er sich kaum wieder losreißen. Die Täter setzen dabei auch auf Psychologie: Vorgaukeln von Glaubwürdigkeit und Kompetenz, Erzeugen von Sympathie, Ausüben von Druck – etwa, wenn vom Opfer verlangt wird, dass es rasche Entscheidungen treffen soll. Sind diese Hebel richtig angesetzt, fällt die Manipulation des Opfers nicht mehr allzu schwer. Insbesondere, wenn sich dieses durch eine gewisse Leichtgläubigkeit auszeichnet und zu vorschnellem Handeln verführen lässt, weiß Kirchler.

Mit dem Kopf denken, nicht mit dem Bauch“

Was kann man dagegen tun? „Mit dem Kopf denken und nicht mit dem Bauch“, sagt Kirchler: „Glauben wir nicht, dass jemand uns großartig beschenken will. Und hüten wir uns bei derartigen Entscheidungen vor starken Emotionen.“ Wenn mit „einmaligen“ Angeboten Druck erzeugt wird, sollte man sich nicht auf Gefühle wie Sympathie gegenüber dem angeblichen Finanzberater am Telefon verlassen. Diese Sympathie wird gezielt erzeugt: „Wer betrügen will, schreckt vor Lüge und Manipulation nicht zurück. Das sind Menschen, die kreativ sind und sich – etwa über soziale Medien – ein genaues Bild von ihren Opfern machen.“

Bevor man auf Angebote im Internet eingeht, sollte man sich die Zeit nehmen, sich exakt zu informieren, betont Kirchler: Was steht im Impressum? Welche Kontaktmöglichkeiten sind angeführt? Falls keine seriösen Informationen vorhanden sind, rät der Wirtschaftspsychologe, sich gar nicht erst auf ein Angebot einzulassen. Ganz generell empfiehlt Kirchler, sich auf Internetseiten von Behörden gut über Betrug im Netz zu informieren. Auch Konsumentenschutzorganisationen und die Arbeiterkammer (AK) würden diesbezüglich Informationen anbieten.

Quer durch alle Gesellschaftsschichten“

Einer, der sich seit Jahren mit den dramatischen Folgen der großen Cyber-Abzocke befasst, ist Konsumentenschützer Paul Rusching von der AK Vorarlberg. Er ist bestens vertraut mit den Tricks der Täter und dem Leid der Opfer. „Wir sprechen von vernichteten Existenzen. Ich kenne Fälle, da sind Familien zugrunde gegangen“, erzählt Rusching. Der Betrug könne jeden treffen – vom Arbeitslosen, der sich bei Freunden verschuldet, über Akademiker bis hin zur Pensionistin: „Quer durch alle Vermögens- und Gesellschaftsschichten haben wir alles dabei“, sagt der AK-Experte.

Rusching zufolge würden die sogenannten Broker – also die angeblichen Finanzberater, die eigentlich nur auf Betrug geschulte Callcenter-Mitarbeiter sind – immer versuchen, ein amikables Verhältnis zum Opfer aufzubauen: „Da wird über die Freizeitgestaltung und über Hobbys gesprochen“, sagt Rusching. Man kenne das Gegenüber nur vom Telefon oder aus dem Internet. Dennoch vermitteln die Broker gezielt den Eindruck, gute Freunde zu sein. Dann kämen am Anfang des Betrugs vorgegaukelte Gewinne dazu, und die Opfer würden beginnen, den Betrügern zu vertrauen. Er kenne ein Opfer, das seinem „Broker“ Fotos aus dem Urlaub geschickt habe, erzählt der AK-Experte. Als der Urlaub zu Ende war, war auch das angebliche Guthaben weg.

Manche meinen, es wird nie aufhören.“

Was rät Rusching, damit es gar nicht so weit kommt? „Man sollte sich im Klaren sein, dass hohe Gewinne nur mit hohem Risiko einhergehen“, sagt der Konsumentenschützer: „Garantierte Gewinne mit hohen Renditen gibt es in dieser Welt nicht.“ Und man müsse sich bewusst machen, dass geschätzte 95 Prozent aller Werbeversprechen im Internet in Bezug auf Krypto-, Fremdwährungs- und andere komplexe Finanzgeschäfte „von vornherein einen unseriösen oder betrügerischen Hintergrund“ hätten.

Es handle sich um die „größte weltweite Betrugsmasche im Internet der vergangenen Jahre“, meint Rusching – um „Kriminalität auf allerhöchstem Niveau“. Die AK Vorarlberg befasst sich seit 2017 mit derartigen Fällen, doch ein Ende scheint nicht in Sicht. „Das wird so schnell nicht aufhören“, sagt Konsumentenschützer Rusching: „Manche meinen sogar, es wird nie aufhören.“

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.